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Karte des Meilenschwindels
Karte des Meilenschwindels

Auf Kupfersuche in Lüderitzland

Erlebnisse des Bergmannes Robert Baer 1884-1885
Im Oktober des Jahres 1884 betritt der 23-jährige Bergmann Robert Baer in Angra Pequena, dem heutigen Lüderitzbucht, erstmals afrikanischen Boden. Kurz entschlossen hatte er das Angebot angenommen, sich als Assistent des Leiters einer 10-köpfigen Bergbauexpedition an der Suche nach Bodenschätzen in dem erst kurz zuvor unter Reichsschutz gestellten „Lüderitzland" zu beteiligen. Die Expedition stand unter enormem Erfolgsdruck. Das Auffinden von abbauwürdigen Erzen war Lüderitz' letzte Hoffnung, aus dem von ihm erworbenen Landstrich an der südwestafrikanischen Küste doch noch die dringend benötigten Gewinne zu erwirtschaften. Robert Baers Briefe und Tagebucheintragungen bilden die Grundlage dieses Buches, das neue Einblicke in die Anfänge des ehemaligen deutschen Schutzgebietes gewährt.
3. Folge

Von Angra Pequena zu Lüderitzland – die Vorgeschichte (Teil 2/4)

Lüderitz war schon zu Beginn des Unternehmens klar, dass ein so großes Projekt sicherlich eine Konkurrenzsituation zu anderen Akteuren heraufbeschwören würde. Insbesondere befürchtete er eine Intervention der Engländer bzw. der Kapkolonie, schlimmstenfalls die englische Besitznahme als Reaktion. Um ein wirklich gutes Geschäft zu machen, musste er aber englische Importzölle verhindern. In einer Eingabe an das Auswärtige Amt vom 23. November 1882 bat er daher um „den Schutz der deutschen Flagge“. Bereits in diesem Schreiben erklärte er seine Absicht, neben dem Handel auch den Abbau von Bodenschätzen in Angriff nehmen zu wollen.

Bismarcks Reaktion war zunächst zurückhaltend. Noch waren er und das Auswärtige Amt weit davon entfernt, die Gründung einer südwestafrikanischen Kolonie aktiv zu betreiben. Lüderitz sollte mündlich beschieden werden, dass er und sein Unternehmen auf denjenigen Schutz des Reiches zählen dürfe, auf den jeder unbescholtene Deutsche in der Welt Anspruch habe. Was immerhin folgte, war ein monatelanges diplomatisches Geplänkel zwischen Deutschland und England, bei dem zunächst festgestellt werden sollte, ob England an der südwestafrikanischen Küste Hoheitsrechte auszuüben gedenke, die über die bereits 1878 in Besitz genommene Walfischbai hinausgingen. Es wurde sogar ausdrücklich beteuert, dass man an einer deutschen Koloniegründung kein Interesse habe. Die deutsche Botschaft in London informierte die britische Regierung über Lüderitz‘ Absichten und erklärte, dass man eine englische Schutzerklärung begrüßen würde. Die Antwort aus London war ausweichend und hinhaltend. Ohne Rücksprache mit der Kapregierung könne man keine Antwort erteilen.

Vogelsangs Tatkraft

Beide Regierungen hatten nicht mit Vogelsangs Tatkraft und Dynamik gerechnet. Nachdem der junge Bevollmächtigte in Kapstadt in Erfahrung gebracht hatte, dass der Naturhafen von Angra Pequena die günstigsten Voraussetzungen für ein Anlanden böte, dieser noch von keiner europäischen Macht, auch nicht von Großbritannien beansprucht werde, traf er die Entscheidung, dort Lüderitz‘ Auftrag umzusetzen. Er komplettierte sein Team, indem er ortskundige Mitarbeiter wie den Schweizer Conrad A. E. von Pestalozzi 17 sowie die Holländer A. de Jongh18 und die Gebrüder William19 und Louis Klisser20 engagierte, allesamt wagemutige und ehrgeizige junge Männer, keine Anstrengungen und Risiken scheuend und mit einer gehörigen Portion Abenteuerlust versehen. Am 12. April traf man mit der Tilly in Angra Pequena ein. Schnell wurden unter größten körperlichen Anstrengungen und mit Hilfe einiger einheimischer Nama das Schiff entladen und provisorische Unterkünfte errichtet, die man stolz „Fort Vogelsang“ nannte. Der Mangel an Trinkwasser – man war ausschließlich auf die Vorräte der Tilly angewiesen – und die erfolglose Suche nach natürlichen Süßwasserquellen war von Anfang an das vorherrschende Problem. Dennoch ließ sich Vogelsang nicht entmutigen. Kaum war seine Basis notdürftig eingerichtet, strebte er sein Hauptziel, den Abschluss eines Kaufvertrages mit dem für das Gebiet verantwortlichen Nama-Häuptling an. Der hieß Joseph Fredericks und hatte seine Residenz in Bethanien, ca. 264 km östlich von Angra Pequena. Um dort hinzugelangen, musste man die menschenfeindliche Sandwüste der Namib durchqueren. Dass auch junge und gesunde Europäer hier sehr schnell an ihre körperlichen Grenzen stoßen, musste Vogelsang bei seinem übereilten Versuch, die Strecke nach Bethanien zu Fuß zu bewältigen, sehr schnell erkennen. Gottseidank hatte man einen einheimischen Boten mit der Bitte um Pferde nach Bethanien vorausgeschickt. Dort gab es eine Missionsstation der Rheinischen Mission unter Leitung des Missionars Johannes (Jan) Hendrik Bam21, der gute Beziehungen zu Kapitän Fredericks pflegte. Die Bitte wurde erfüllt und am Morgen des 30. Aprils traf Vogelsang mit de Jongh und von Pestalozzi in Bethanien ein.

Man war sich sehr schnell handelseinig. Bereits am 1. Mai wurde der in kapholländischer Sprache abgefasste Kaufvertrag unterzeichnet. Die angebotene Summe von 100 Pfund Sterling, vor allem aber die 200 Gewehre als Preis, konnten Fredericks sehr schnell überzeugen. Gegenleistung war die Abtretung der Bucht von Angra Pequena und 5 Meilen des angrenzenden Landes in alle Richtungen. Am 23. August desselben Jahres konnte Vogelsang in einem ergänzenden Vertrag den Besitz, der fortan „Lüderitzland“ genannt wurde, für weitere 500 Pfund Sterling und 60 Gewehre auf den gesamten Küstenstreifen vom Oranjefluss bis zum 26. Grad südlicher Breite mit dem Hinterland in einer Breite von 20 Meilen ausdehnen. (Bild)

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass es bei der Auslegung des Vertrages durch Lüderitz und Vogelsang zu einer Irreführung gegenüber dem bisherigen Besitzer kam, die als sog. „Meilenschwindel“ in die Geschichte eingegangen ist. Im ersten Vertrag war nur einfach von „5 Meilen“ die Rede. Fredericks und seine Berater gingen selbstverständlich davon aus, dass damit „englische Meilen“ (= ca. 1,6 km) gemeint sind. Eine andere Maßeinheit unter dem Begriff „Meile“ kannten sie gar nicht. Im Nachhinein wurde aber von deutscher Seite der Begriff „Meile“ als „deutsche oder geographische Meile“ (= ca. 7,4 km) interpretiert. Dass diese Interpretation nachträglich vorgenommen wurde, beweist eine Eintragung im Tagebuch der Vogelsang-Expedition, wo am 9. Mai noch von „inclusive 5 englischen Meilen“ die Rede ist. Im zweiten Vertrag wurden dann ausdrücklich geographische Meilen vermerkt; dennoch sollte Vogelsang, einer brieflichen Anweisung von Lüderitz folgend, Fredericks auch jetzt vorläufig in dem Glauben belassen, es handele sich um englische Meilen. Mit diesem fragwürdigen Trick war es gelungen, den Besitz auf das mehr als 4-fache auszuweiten.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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