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Die Brigg Tilly
Die Brigg Tilly

Auf Kupfersuche in Lüderitzland

Die Angra Pequena-Expedition
Im Oktober des Jahres 1884 betritt der 23-jährige Bergmann Robert Baer in Angra Pequena, dem heutigen Lüderitzbucht, erstmals afrikanischen Boden. Kurz entschlossen hatte er das Angebot angenommen, sich als Assistent des Leiters einer 10-köpfigen Bergbauexpedition an der Suche nach Bodenschätzen in dem erst kurz zuvor unter Reichsschutz gestellten „Lüderitzland" zu beteiligen. Die Expedition stand unter enormem Erfolgsdruck. Das Auffinden von abbauwürdigen Erzen war Lüderitz' letzte Hoffnung, aus dem von ihm erworbenen Landstrich an der südwestafrikanischen Küste doch noch die dringend benötigten Gewinne zu erwirtschaften. Robert Baers Briefe und Tagebucheintragungen bilden die Grundlage dieses Buches, das neue Einblicke in die Anfänge des ehemaligen deutschen Schutzgebietes gewährt.
22. Folge

Robert hat zwar an der Bergschule eine Ausbildung in Mineral- und Gesteinskunde erhalten, ist aber doch zu wenig Fachmann und hat auch noch zu wenig Berufserfahrung, um diese Frage kompetent beantworten zu können. Der Geologe Dr. Schenck wird hier sehr viel deutlicher und kommt in einem Brief an Lüderitz bereits jetzt zu einem ernüchternden Urteil:

Angra Pequena, den 2. Dezember 1884

Sehr geehrter Herr Lüderitz!

Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen, da morgen die Meta mit der Post von hier abgeht, berichte über meine bisherige Tätigkeit. Daß wir mit der Formica am 24. October hier angekommen sind, wird Ihnen bekannt sein. Wir haben dann zunächst die hiesige Gegend untersucht und am 8. November bin ich mit den Wagen, die Dr. Nachtigal von Bethanien hinunterbrachten, ins Innere des Landes gegangen. Veranlassung dazu war die Mitteilung des Herrn Vogelsang, daß in Aus sich ein Schwarzer aufhalte, der am Fischfluß Gold gefunden haben wollte. Ich bin nun nicht bis an den Fischfluß gekommen, sondern nur bis Aus, von wo ich zurückgerufen wurde. Herr Direktor Pohle teilte mir nämlich mit, daß er inzwischen hier bei Angra Pequena Erze gefunden habe, die er für silber- und kupferhaltig hielt. Auf diese Nachricht habe ich den Weg von Aus hierher zu Pferde zurückgelegt, um die Untersuchung genannter Erze vorzunehmen. Das Resultat ist, daß die Erze, welche Herr Direktor Pohle für Kupfererz ansah, nur Eisen enthalten und wesentlich aus Brauneisenstein bestehen, während die sogenannten Silbererze nichts sind als Schwefelkies und Bleiglanz. Letzterer kommt in so geringen Mengen vor, daß die Gewinnung von Blei sich nicht lohnen würde.

Die ganze Gegend hierselbst bis Aus besteht aus Gneis und kristallinischen Schiefern, nicht wie Kapitän Aschenborn in Petermanns Mitteilungen schreibt, aus vulkanischen Gesteinen... Auf dem Weg von hier bis Aus habe ich in großer Menge Eisenerze gefunden, sowohl Magneteisen, wie Roheisenstein, meist sehr rein. Von Kupfererzen dagegen ist wenig zu sehen und es scheint mir von dem Kupferreichtum Groß Namaqualandes zu viel geredet zu werden. Bei Aus findet sich Kupfer, aber in so geringer Menge, daß der Abbau desselben sich nicht lohnen würde. Unsere Untersuchung der Küste bis zum Oranjeriver, die wir vornehmen werden, sobald wir die Gelegenheit haben, dorthin zu kommen, wird ergeben, ob dort die Verhältnisse besser liegen. Da man in Deutschland von dem hiesigen Lande in Bezug auf Bergbau etwas erwartet, so würde es wohl am besten sein, zuerst in der Gegend von Walfischbai anzufangen. Dort kommen ja Kupfererze vor, reichlicher als hier im Lande, wie es scheint. Da Sie die dortigen Länder ja jetzt erworben haben, so würden Sie am besten dort mit dem Abbau der Erze beginnen.

Weiteres wird Ihnen wohl Herr Direktor Pohle geschrieben haben. Indem ich Sie aber bitte, für das, was derselbe schreibt, nicht mich verantwortlich zu machen, da Herr Direktor Pohle sich manchmal irrt, verbleibe ich mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener

Dr. A. Schenck

Bei der strittigen Probe handelt es sich um jenen Fund Pohles vom 16.11., bei dem bereits die beiden jungen Steiger Prescher und Baer sich veranlasst gesehen hatten, gegen die Bewertung ihres Chefs zu wetten. Aus dem Brief wird deutlich, dass es zwischen dem Bergbauingenieur Pohle und dem Geologen Schenck nicht nur Abstimmungsprobleme, sondern auch deutliche Auffassungsunterschiede gab. Dr. Schenck hat sehr bald feststellen müssen, dass geologische Kenntnisse nicht unbedingt eine fachliche Stärke von Pohle waren. Hätte sich dieser ganz auf die wissenschaftlich-fachliche Beratung des geologischen Fachmannes der Expedition verlassen, hätte es zwischen beiden eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit gegeben und hätte man sich insbesondere bzgl. der Meldungen und Verlautbarungen an Lüderitz besser abgestimmt, wäre es nicht zu den Missverständnissen gekommen, die die Arbeit und die Reputation der Expedition belasten sollten. Pohle stand als Expeditionsleiter unter erheblichem Erfolgsdruck. Ihm war klar, dass sein Auftraggeber Lüderitz enorme Kosten in die Expedition investiert hatte und ungeduldig auf erste erfolg- und vor allem profitversprechende Ergebnisse wartete. Insofern war er bestrebt, Optimismus zu verbreiten, auch um die Motivation seiner Leute hoch zu halten. Leider zeigte er auch eine Neigung, erste Funde von Erzen nach grober Bewertung durch Augenschein und ohne Absicherung durch chemische Untersuchung mit voreilig optimistischer Bewertung nach Deutschland zu melden. Dies hat Schenck, der seine eigene Reputation als Geologe der Expedition gefährdet sah, zur abschließenden Bemerkung gegenüber Lüderitz veranlasst, mit der er allerdings dem Leiter der Expedition auch in den Rücken fiel. Bei Lüderitz haben Schencks Bemerkungen sicherlich erste Zweifel an der Qualifikation seines von ihm ausgewählten Expeditionsleiters aufkommen lassen. Die Angelegenheit sollte mit dem Brief Schencks noch nicht abgeschlossen sein, sondern, bedingt durch die langen Postwege, mit Verzögerung nochmals hochkochen.

Robert war zu Beginn der Expedition geneigt, den optimistischen Bewertungen seines Chefs zu folgen und diese durch manchmal etwas zu voreilige positive Beurteilung seiner eigenen Funde zu bedienen. Diese Anfangseuphorie sollte sich später deutlich abkühlen und einer wachsenden Skepsis weichen.

Wassermangel ein Problem

Mitte Januar wird der Wassermangel in Angra Pequena zu einem ernsthaften Problem. Die bisherigen Bohrungen des Portugiesen Dujé waren erfolglos geblieben. Die „Meta“, die Wasser aus Kapstadt bringen sollte und eigentlich bereits an Weihnachten zurück erwartet worden war, blieb aus. Am 12. Januar beträgt die errechnete Reichweite des Trinkwassers noch fünf Tage. Wäre die „Meta“ bis dahin noch nicht eingetroffen, würde ein Notfallplan greifen. Die Niederlassung müsste evakuiert werden. Die Hälfte der Bewohner sollten dann in die ca. 40 km nördlich von Angra Pequena gelegene Hottentottenbai marschieren, die andere Hälfte, zu der auch die Expeditionsmitglieder gehören würden, müsste sich bis Aus durchschlagen, einer Oase etwa auf halber Strecke Richtung Bethanien. Dorthin hatte man bereits, um Wasser zu sparen, die Pferde und Ochsen gebracht.

Ebenfalls sehnsüchtig erwartet wird die „Tilly“, die im Oktober von Bremen ausgelaufen ist. An Bord befindet sich der Ingenieur Ludwig Conrad, der weitere Bohrungen nach Süßwasser vornehmen soll. Man hofft darauf, dass er mit modernerem und leistungsfähigerem Gerät erfolgreicher als Dujé sein wird. Der Wert von Wasser wird Robert erstmals in seinem Leben so richtig bewusst.

Das Wasser hier ist, wie Ihr euch denken könnt, nichts weniger als gut. Dasselbe steht hier bis sechs Wochen in eisernen Behältern und ist unmöglich ungekocht zu trinken. Von früh bis abends gibt es deshalb für uns schwarzen Kaffee zu trinken. Wasser ist eine Gottesgabe, die nur Menschen zu würdigen verstehen, die in wasserlosen resp. -armen Gegenden leben. Wie oft bin ich zu Hause an frischen Quellen und kristallhellen Bergflüsschen vorübergegangen, hätte mich jemand eingeladen, daraus zu trinken, ich hätte Abstand genommen das zu tun. Zu was auch, nicht weit davon ist sicher eine Kneipe und da schmeckt‘s noch besser. Jetzt würde mir eine Flasche frisches, gutes Flusswasser lieber sein als der uns reichlich gegebene Kapwein oder Bordeaux. Tempora mutantur.

Rettung naht

Am 15.1., zwei Tage bevor das Wasser endgültig zur Neige gegangen wäre, werden die Bewohner von Fort Vogelsang erlöst.

Gott sei Dank! Im letzten Augenblick, gestern Abend halb 7 Uhr, erschien die „Meta“. Alle Not hat nun ein Ende. Um 7 Uhr warf die „Meta“ bei ziemlich heftigem Südost Anker im Hafen. Da der Kapitän der „Meta“ mit dem kleinen Boote, welches sie an Bord hat, nicht zu uns kommen konnte, machten wir ein Boot flott. Freiwillige traten vor, darunter ich, und fort ging es. Das Boot warf es herum wie eine Nussschale. Nass bis auf die Haut gelang es mir, nach großen Strapazen und Anstrengung unserer Ruderer ein vom Schiff zugeworfenes Tau zu erfassen. Es war ein schweres Stück Arbeit, aber einige 20 Menschen wollten Briefe haben und wir wurden alle belohnt. Alle haben wir erfreuliche Nachrichten von zu Hause erhalten. Unsere Kisten sind auch mitgekommen, dieselben sind aber heute noch auf dem Schiffe. Das Meer ist zu bewegt, um ein Überfahren mit dem Boote zu gestatten. Mag sein, so gern ich mal wieder eine Zigarre rauchte, so bin ich doch schon mit den für mich so günstigen und erfreulichen Nachrichten zufrieden.

Mit der Post sind auch Zeitungsausschnitte aus Deutschland gekommen, die von den Afrikareisenden, begierig nach neusten Nachrichten aus der Heimat, mit großem Interesse gelesen werden. Mit Genugtuung stellen die Expeditionsteilnehmer und die Lüderitzschen Angestellten fest, dass die kolonialpolitischen Aktivitäten der Regierung ein vielbeachtetes Thema in der Presse sind. Das gibt fern der Heimat das Gefühl, dass man als Teil dieser neuen Politik Beachtung findet und nicht vergessen ist. Ein neues Krankenkassengesetz als Teil der Bismarckschen Sozialgesetzgebung ist auf dem Weg und – eine besonders interessante Nachricht – Lüderitz soll an der Ostküste Afrikas ein großes Stück Land gekauft haben. Allerdings sind diese Nachrichten auch nicht mehr brandneu. Mindestens 5–6 Wochen dauert es günstigenfalls bis die Post aus Deutschland Angra Pequena erreicht. Der übliche Weg geht von Deutschland nach England, von dort mit den wöchentlich fahrenden Postdampfern nach Kapstadt, von wo die Meta im Pendelverkehr die Verbindung nach Angra Pequena herstellt.

BU - Die Brigg Tilly

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-07

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