Loading svg Please wait while we translate the article
Lüderitz-Land (aus Generalkarte von Afrika von F. Handke, Glogau 1889)
Lüderitz-Land (aus Generalkarte von Afrika von F. Handke, Glogau 1889)

Auf Kupfersuche in Lüderitzland

Die Angra Pequena-Expedition
Im Oktober des Jahres 1884 betritt der 23-jährige Bergmann Robert Baer in Angra Pequena, dem heutigen Lüderitzbucht, erstmals afrikanischen Boden. Kurz entschlossen hatte er das Angebot angenommen, sich als Assistent des Leiters einer 10-köpfigen Bergbauexpedition an der Suche nach Bodenschätzen in dem erst kurz zuvor unter Reichsschutz gestellten „Lüderitzland" zu beteiligen. Die Expedition stand unter enormem Erfolgsdruck. Das Auffinden von abbauwürdigen Erzen war Lüderitz' letzte Hoffnung, aus dem von ihm erworbenen Landstrich an der südwestafrikanischen Küste doch noch die dringend benötigten Gewinne zu erwirtschaften. Robert Baers Briefe und Tagebucheintragungen bilden die Grundlage dieses Buches, das neue Einblicke in die Anfänge des ehemaligen deutschen Schutzgebietes gewährt.
23. Folge

Auch die Tilly wird in Kürze in Angra Pequena einlaufen. Es gibt Planungen, dass das Schiff die Expedition, bevor sie ins Landesinnere startet, noch zum ca. 50 km südlich an der Küste gelegenen Pomona bringen soll, von wo aus Bleiproben gebracht wurden. Die folgenden Ereignisse können von Robert in seinem nächsten Brief vom 8. Februar besonders authentisch geschildert werden, da er unmittelbarer Augenzeuge war.

Es war ein Sonntag, hell und klar, der 1. Februar, als früh 8 Uhr uns der Ruf von Penguin Island: „Schiff in Sicht“ aus unserer Sonntagsruhe aufrüttelte. Mit Fernrohren und Gläsern bewaffnet bestiegen wir den Nautilus und bald war es festgestellt – es ist die sehnlichst erwartete „Tilly“. Der Chef der Faktorei, in Abwesenheit des Herrn Vogelsang, Herr Franke, befahl zu flaggen und das einzige, noch dazu lecke Boot ins Wasser zu bringen, er wollte der Tilly entgegen segeln. Vier Mann, Herr Franke, Herr Dr. Schinz, ich und der Bootsmann der hiesigen Niederlassung bestiegen das kleine Boot. Eine schwach nordwestliche Brise schwellte die Segel und ruhig und gleichmäßig durchschnitt unser Boot die nur wenig sich kräuselnden Wellen. Herr Franke steuerte, unser Bootsmann arbeitete am Segel und Herr Dr. Schinz und ich schöpften abwechselnd Wasser, da unser Boot wie bereits erwähnt leck. Zwischen Penguin Island und Shark I. hindurch ging es dem offenen Meere zu. Um dreiviertel 10 Uhr vormittags legten wir an der „Tilly“ an und nachdem wir unser Boot befestigt, begaben wir uns an Bord. 101 Tage war die „Tilly“ unterwegs, drei Wochen hatte das Schiff im englischen Kanal stürmisches Wetter gehabt. Nach herzlichstem Willkommen unsererseits und Berichten über die Fahrt von Seiten des Kapitäns und der Besatzung folgten wir der Einladung, nach altem Schifferbrauch einen Schluck zu trinken und begaben uns zu diesem Behufe in die Kajüte des Kapitäns. Letzterer selbst blieb am Steuer. Gegen halb 11 veranlasste uns der ängstlich gegebene Ruf „Anker klar“ an Bord resp. an Deck zu eilen. Das Schiff befand sich zwischen Diazspitze und Angraspitze. Mit Hilfe des Nordwest wollte der Kapitän zwischen Angraspitze und Angrafels den sicheren Hafen zu erreichen suchen. Doch plötzlich trat vollständige Windstille ein und die Segel hingen schlaff hernieder. Trotzdem ich von dem Seegericht in Kapstadt als Zeuge verhört werden soll und ich mir später all diese Erlebnisse der nächsten Stunden ins Gedächtnis zurückgerufen und mir dieselben notiert, kann ich doch nicht klar werden, wie alles gekommen ist.

Ein kritischer Moment

Langsam aber sicher fuhr das Schiff der felsigen Küste zu. Nach Aussagen der Matrosen schlug in diesem kritischen Moment der Wind um und das Schiff konnte in der kurzen Zeit nicht beidrehen. Ich stand vorn am Kiel und sah die Entfernung zwischen Schiff, Brandung und Felsen sich immer mehr verringern. Bereits spritzte die Gischt der Brandung über Bord mir ins Gesicht. Ich sah mich nach dem Kapitän um, derselbe stand am Steuer, keine Miene verriet Angst oder Besorgnis. Ca. 30 Meter beträgt die Entfernung noch zwischen Schiff und Küste. Noch immer hoffte ich, dass das Schreckliche abgewendet werden könnte – doch vergeblich, die Entfernung verringerte sich stetig. Noch 20-15-10 Meter, das Schiff ist von der Brandung erfasst und tosend schlagen die Wellen über Bord. Ich hatte vor Augen sehend, dass wir auflaufen würden, ein Tau erfasst und hielt mich fest. Das Entsetzliche traf ein. Das Schiff wurde von Brandung und Wind gegen die Küste geschleudert. Ein heftiger Stoß machte das Boot in allen Fugen ächzend. Den Stoß, den ich in diesem Augenblick erhielt, ich fiel gegen den Mast, habe ich heute verschmerzt und ich kann schon wieder lachen. Lachen über den mit erlittenen Schiffbruch. Das Schiff war „leck“ geworden, doch es hatte noch Masten und Steuer und der Kapitän glaubte, das Schiff noch retten zu können. So oft erlitt aber das Schiff Stöße in der nächsten halben Stunde, dass das Steuer abbrach und das Retten des Schiffes nicht mehr menschenmöglich war. 4 Fuß war das Schiff bereits gesunken, als wir Angrarer in unser Boot sprangen. Wir konnten nicht helfen. Mit unserem Boot blieben wir in der Nähe des sinkenden Schiffes. Unser Bootsmann hatte die Dollen, die eisernen Ruderscheren, in dem die Ruder beim Rudern ruhen, vergessen. Wir legten demnach um 12 Uhr nochmals an, um uns Dollen vom Schiff geben zu lassen. Trotzdem die „Tilly“ bereits mehr und tiefer sank, wollte noch niemand das Schiff verlassen. Der Kapitän hatte Anker auswerfen lassen und versuchte sich an demselben von der Küste abzuziehen. Alle Versuche, das Schiff zu retten, waren vergeblich. Um 1 Uhr rief man uns von Bord der „Tilly“ zu, anzulegen und mit zu retten. Wir nahmen Herrn Ingenieur Conrad und einen Mann von ihm in unser Boot. Während dieser Zeit sprang der Wind an diesem unglücklichen Tage nochmals um und zwar diesmal nach Südost. Sofort mussten wir vom Schiff abstoßen, da der heftige Südost die „Tilly“ vom Lande abtrieb. Der Kapitän schlug das Ankertau durch und rief uns zu, er wolle den letzten Versuch machen, wenigstens die Ladung oder einen Teil derselben zu retten und zu diesem Behufe das Schiff auf das sandige, flache Ufer nördlich von Angra auflaufen lassen. Die Ansicht und der Willen des Kapitäns waren gut, jedoch es war anders beschlossen in Gottes Rate. Das halbgesunkene Schiff, steuerlos wie es war, trieb dem offenen Meere zu. Trotz ziemlich hoher See folgten wir dem Schiffe in der Entfernung von ca. 20 Meter. Man arbeitete an Bord des sinkenden Schiffes vergeblich dasselbe an den Strand zu bringen. Halb 3 Uhr Nachmittag, 1 englische Meile von der Küste ab, legte sich das Schiff auf die Seite. Solange wie möglich hält sich die Besatzung eines Schiffes auf ihrem leck gewordenen Schiffe und mit sachkundigem Auge erkennt der Seemann den Augenblick, wo es Zeit wird, das Schiff zu verlassen. Zwei Boote wurden über Bord gelassen und mit dem Handgepäck gefüllt. Erst auf den Befehl des Kapitäns: „In die Rettungsboote“ verließ die Besatzung das Schiff. Wir nehmen noch zwei Mann und einige Kisten in unser Boot. Der Kapitän war der letzte, der das Schiff verließ. Bald hätte er seinen Tod in den Wellen gefunden. Tollkühn sage ich, pflichtschuldigst, sagen die Seeleute, hat sich der Kapitän benommen. Vom Schiffe war weiter nichts mehr zu sehen als die Masten und das kleine Stück vom Schiffe, wo das Steuer befestigt, als endlich der Kapitän über Bord sprang und nach dem Boot gezogen wurde. Ein pfeifender Ton und die „Tilly“ verschwand im Meere. Eine kreisende Bewegung des Wassers zeigte uns noch einen Augenblick, wo das Schiff verschwunden. Nun begann ein saures, schweres Stück Arbeit, die sichere Küste dem Winde entgegen rudernd zu erreichen. Das Boot, in dem ich mich befand, war glücklicher als die anderen beiden. Nachmittags resp. abends halb 6 Uhr kamen wir mit Hilfe unseres Segels glücklich in Angra an. Das zweite Boot erreichte 7 Uhr abends die Küste, nur das letzte und dritte wäre vielleicht verloren gewesen, wenn man demselben nicht von Penguin Island aus mit einem Boote zu Hilfe gekommen wäre; halb 9 Uhr abends brachte man auch dasselbe glücklich in den Hafen. Menschenleben sind nicht zu beklagen. Wohl aber ist außer einigem Handgepäck nichts von der Ladung gerettet worden. 100 Kisten Bier à 48 Flaschen, Tabak, Zigarren, Butter, Kleider etc. Alles hat das Meer verschlungen. Anstatt Bier haben wir nun wieder bloß unser schlechtes Wasser und Herr Ingenieur Conrad sitzt mit seinen Leuten hier und hat kein Bohrzeug, sehr wahrscheinlich wird er nach Deutschland zurück gehen. Die Ladung und das Schiff waren zwar versichert, doch dürfte wenigstens ¾ Jahr vergehen, ehe Ersatz nach hier kommt. 43 Menschen sind wir jetzt hier in Angra und das Wasser ist längst unter Verschluss gelegt. Nur das Allernötigste wird verabreicht, da der Vorrat höchstens noch 14 Tage reicht. Was dann werden soll, weiß nur Gott. „Meta“ kann unter 3-4 Wochen nicht hier sein. Wir haben am Montag früh sofort einen Boten nach Aus geschickt nach dem „alten Fritzen“ und unseren 80 Ochsen. Die „Tilly“, unsere letzte Hoffnung zu Wasser nach dem Oranje zu kommen, liegt auf dem Meeresgrunde und uns bleibt kein anderer Weg als zu Lande vorzugehen. Unsere vier Wagen sind gepackt und stündlich erwarten wir die Zugochsen für uns. Vorderhand geht es bis Guos, dem nächsten Wasserflecken am Wege oder richtiger in der Richtung nach dem Oranje. Solltet Ihr Lieben lange Zeit ohne Nachricht bleiben, so ängstigt Euch nicht. Sooft sich Gelegenheit bietet, werde ich Euch schreiben. Mein und unser aller Befinden ist sehr gut. Meine Zeit ist um, eben werden die Briefe eingesammelt, die die „Sea Bird“ mitbringen soll. Von mir bitte ich alle herzlich zu grüßen, die meiner noch gedenken, vor allem aber nehmt Ihr Lieben die herzlichsten Grüße und Küsse von Eurem

Robert

Der Untergang der Tilly war ein empfindlicher Verlust und ein harter Schlag für Lüderitz. Viele Tausend Mark lagen auf dem Meeresgrund. Bereits zuvor hatte er Überlegungen angestellt, seinen Besitz, der bisher noch keine wesentliche Rendite gebracht hatte und seine finanziellen Möglichkeiten immer mehr überstieg, an eine Kapitalgesellschaft zu verkaufen. Der Untergang der Tilly hat voraussichtlich den letzten Ausschlag gegeben, entsprechende Schritte einzuleiten. Am 25. Februar wendet er sich in einer Denkschrift an die Deutsche Kolonialgesellschaft für Süd-Westafrika. Darin bilanziert er das bisher Erreichte, vermittelt seine weiteren Planungen, listet aber auch sehr akribisch die bisherigen und die weiteren zu erwartenden Kosten auf, selbstverständlich verbunden mit seinem unermüdlichen Optimismus, dass sich sein koloniales Projekt langfristig rentieren wird und sowohl Deutschland als auch private Kapitalträger mit Gewinnen rechnen können. Er bittet die Kolonialgesellschaft, die Bildung eines entsprechenden Konsortiums zu unterstützen.

Für die Expedition bedeutet der Untergang der Tilly, dass die Option „Pomona“ nicht mehr greifen wird. Der Aufbruch Richtung Oranje wird beschleunigt.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu hinterlassen

Katima Mulilo: 23° | 38° Rundu: 24° | 35° Eenhana: 23° | 35° Oshakati: 25° | 34° Ruacana: 24° | 35° Tsumeb: 22° | 33° Otjiwarongo: 20° | 32° Omaruru: 22° | 36° Windhoek: 21° | 33° Gobabis: 23° | 34° Henties Bay: 15° | 19° Swakopmund: 15° | 16° Walvis Bay: 14° | 23° Rehoboth: 21° | 34° Mariental: 21° | 36° Keetmanshoop: 18° | 36° Aranos: 22° | 36° Lüderitz: 15° | 26° Ariamsvlei: 18° | 36° Oranjemund: 14° | 22° Luanda: 24° | 25° Gaborone: 22° | 36° Lubumbashi: 17° | 34° Mbabane: 18° | 32° Maseru: 15° | 32° Antananarivo: 17° | 29° Lilongwe: 22° | 35° Maputo: 22° | 36° Windhoek: 21° | 33° Cape Town: 16° | 23° Durban: 20° | 26° Johannesburg: 18° | 33° Dar es Salaam: 26° | 32° Lusaka: 22° | 36° Harare: 20° | 31° #REF! #REF!