Blauer Diamant
„Blauer Diamant" ist ein detailreicher und lesenswerter Roman über den Lebensweg eines Einwanderers in Deutsch-Südwestafrika zur Zeit der großen Diamantenfunde. Lassen Sie sich in das Jahr 1909 versetzen und fahren Sie mit Willy, der Hauptperson dieses Romans, nach Südwestafrika nach Lüderitzbucht. In der Nähe hatte man Diamanten entdeckt. Wer ist die schöne Fremde auf dem Schiff ,Windhuk'? Kann der reiche Diamanthändler Alexander Winter, Besitzer der Farm BLAUER DIAMANT, mit seinem von einem Leoparden entstellten Gesicht psychisch fertig werden? Wie war das beim Bau der Bahntrasse von Windhoek nach Keetmanshoop und wie heilte der Medizinmann Willy?
Vorwort
Hummer bei Lüderitzbucht? Kann nicht sein. Dort gibt es seit jeher nur Langusten, hörte ich. Doch mein Großvater bestand darauf, dort in einer kleinen Bucht vor nunmehr hundert Jahren Hummer gefangen zu haben. Wie das kam? Lesen Sie selbst.
Es war im Winter 1949. Draußen segelten große Schneeflocken langsam zur Erde. Alles war schon mit einer zentimeterdicken weißen Schneeschicht bedeckt. Im Kachelofen prasselte und knackte das Kiefernholz und verbreitete eine angenehme Wärme. Mein Großvater, der 1886 geboren wurde, saß in seinem Sessel am Fenster und sah dem Schneetreiben zu. Ich gesellte mich zu ihm.
„Als ich in Afrika war, habe ich drei Jahre keinen Schnee gesehen“, sagte er plötzlich.
„Keinen Schnee? Warum?“, wollte ich mit meinen zehn Jahren wissen.
„Dort ist es immer warm und ganz anders als hier.“
Hier, das war Kunrau, ein kleiner Ort in der Altmark, in dem ich 1939 zur Welt gekommen war.
Deutschland hatte den Zweiten Weltkrieg verloren und war 1945 in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden. Wir hatten das Pech, dass wir bei der Aufteilung durch die Alliierten der sowjetischen Zone zugeschlagen wurden, die dann im Jahre 1949 zur DDR wurde. Die Grenzen der sowjetischen Besatzungszone waren streng bewacht. An Reisen in den Westen war überhaupt nicht zu denken. Vielleicht später einmal nach Moskau oder Rumänien. Aber Afrika war für uns so unerreichbar, wie der Mond.
„Großvater, wie war das früher? Erzähle mir von Afrika“, bat ich, „wie war es dort? Was hast du dort gemacht?“
„Es ist alles schon so lange her. Als junger Mann habe ich in Dresden Kaufmann gelernt. Dann sah ich ein Plakat mit einem großen Schiff und einem sonnigen Strand mit Palmen. Deutsch-Südwestafrika stand darunter. Das war 1909. Ich war jung und hatte von der weiten Welt noch nichts gesehen. Also bin ich von Hamburg aufgebrochen, um Abenteuer zu suchen.“
Und so kam es, dass ich an vielen Winterabenden gespannt den Erzählungen meines Großvaters gelauscht habe und ich erfuhr etwas über den Niedergang unserer ursprünglich wohlhabenden Familie wie auch über seine Abenteuer zwischen 1909 und 1912 im damaligen Deutsch-Südwestafrika.
Hier also seine Geschichte, die ich ihn selbst erzählen lasse:
Ihr Wilhelm Schneider
1. Folge
Es gibt Tage, da spürt man, dass noch etwas Unerwartetes passieren wird, ohne dabei die geringste Ahnung zu haben, was das sein könnte. Es ist nur so ein diffuses Gefühl, das sich plötzlich einschleicht. Der 30. August 1909 war ein solcher Tag. Ein Tag, an den ich mich ganz genau erinnere, als wäre es gestern gewesen. Ein Tag, der mein Leben völlig verändern sollte. Und dabei schien zunächst alles so wie immer.
An diesem Morgen stand ich früh auf. In der Nacht hatte ich außergewöhnlich schlecht geschlafen. Gedanken über meine berufliche Weiterentwicklung hatten mir keine Ruhe gelassen. Ich werde nach Braunschweig fahren und mich dort einmal umsehen, beschloss ich und machte mich auf den Weg. Man konnte mit der „Elektrischen“, der Straßenbahn, von Wolfenbüttel in das nur wenige Kilometer entfernte Braunschweig fahren, aber heute entschied ich mich für die Bahn. In der Elektrischen bekam man um diese Zeit meistens keinen Platz. Unterwegs hatte ich ein wenig Zeit, meine aktuelle Situation noch einmal in Ruhe zu durchdenken.
Das Pfeifen der Lokomotive riss mich aus meinen Überlegungen, wir fuhren gerade in den Bahnhof von Braunschweig ein. Ich stand auf und stellte mich an die Tür. Die Lokomotive nebelte den ganzen Bahnhof ein, die Bremsen quietschten höllisch und dann stand der Zug.
Und nun? Ich ging zunächst mehr ziellos ins Zentrum. Auf der Friedrich-Wilhelm-Straße kam ich an einem Reisebüro vorbei. Mein Blick wurde von Plakaten mit riesigen Überseedampfern gefesselt. Hamburg-Amerika-Linie stand auf dem einen, Hamburg-Ostafrika-Linie über Deutsch-Südwestafrika auf dem anderen. Deutsch-Südwestafrika, das war doch die Kolonie, von der damals, als meine Mutter noch rauschende Feste gegeben hatte, einer der Gäste geschwärmt hatte. Erlegte Löwen und Leoparden. Das war inzwischen schon zehn Jahre her, aber beim Anblick der Plakate fiel es mir wieder ein. Ich hatte gehört, dass man dort kürzlich auch Diamanten gefunden hätte.
Auf einem dritten Plakat war ein wunderschöner Palmenstrand zu sehen. Weißer Sand, blaues Meer, sich im Wind wiegende Palmen, fröhliche, dunkelhäutige Eingeborene, am rechten Rand ein großer Luxusdampfer. Mit einem Wort: ein Paradies. Und darunter stand: Deutsch-Südwestafrika. Das war es! Erst musste ich dieses tropische Elysium gesehen haben, bevor ich hier sesshaft würde.
Kurz entschlossen ging ich in das Geschäft, um mich über Fahrten nach Übersee zu informieren. Der junge Mann, der mich bediente, er war etwa in meinem Alter, fragte mich, wohin ich denn wolle und ob ich eine bestimmte Vorstellung hätte. Nein, hatte ich noch nicht. Aber mich hätte das Plakat von Deutsch-Südwestafrika mit den Palmen und dem blauen Meer fasziniert.
„Wollen Sie die Kolonie nur besuchen oder für eine längere Zeit dort bleiben?“ wollte er wissen.
Etwas zögernd meinte ich: „Ich bin mir noch nicht sicher, aber es könnte eventuell auch für länger sein. Es ist für mich ja eine Reise in eine mir völlig unbekannte Welt. Und da ich hier nicht gebunden bin, kann ich spontan entscheiden.“
„Darf ich Ihnen dann einen Vorschlag machen?“ Er nahm aus dem Regal einen Prospekt und sagte: „Ganz aktuell und interessant ist unsere Kolonie Deutsch-Südwestafrika, für die das Plakat im Fenster wirbt. Dort sucht man zurzeit junge Leute für verschiedenste Aufgaben. Ich überlege selber, ob ich nicht auch dort hingehen soll. Es gibt auch dort Reisebüros. Was sind Sie von Beruf, wenn ich mir die Frage erlauben darf?“
„Kaufmann“, beantwortete ich bereitwillig diese Frage und fügte hinzu: „Ich habe etwas über drei Jahre in Dresden bei Hermann Tietz gearbeitet und bin zur Zeit in unserem eigenen Kolonialwarenladen. Aber bevor ich mich für immer hier vergrabe, möchte ich doch noch etwas von der Welt sehen. Was ist eigentlich mit unseren anderen Kolonien? Ich denke da an Deutsch-Ostafrika, Togo und Kamerun.“
„Nun, keine Frage, auch dort könnten Sie ohne Probleme eine interessante Arbeit finden. Sie wissen, der Kaiser möchte, dass seine „Kinder“ lieber in die eigenen Kolonien gehen, als nach Amerika auszuwandern. Aber ich würde von unseren Kolonien immer Deutsch-Südwestafrika vorziehen und zwar aus einem einfachen Grunde. Das Klima in Togo, Kamerun und Ostafrika ist feuchtheiß und ungesund. Im Gegensatz zu diesen Kolonien herrscht in Deutsch- Südwestafrika ein für uns gut verträgliches, trockenes und gesundes Höhenklima. Außerdem gib es dort praktisch keine Tropenkrankheiten. Na und dann der derzeitige Diamantenrausch, nachdem man im Wüstensand Diamanten gefunden hat. Deutsch-Südwestafrika ist eine aufstrebende, sich rasch entwickelnde Kolonie mit günstigen Aussichten. Wenn man Glück hat, kann man schnell reich werden.“
Das waren natürlich einleuchtende Argumente.
„Sie haben mich überzeugt“, sagte ich, „Dann doch lieber Deutsch-Südwestafrika. Diamanten sind mir lieber als Tropenkrankheiten.“
Hummer bei Lüderitzbucht? Kann nicht sein. Dort gibt es seit jeher nur Langusten, hörte ich. Doch mein Großvater bestand darauf, dort in einer kleinen Bucht vor nunmehr hundert Jahren Hummer gefangen zu haben. Wie das kam? Lesen Sie selbst.
Es war im Winter 1949. Draußen segelten große Schneeflocken langsam zur Erde. Alles war schon mit einer zentimeterdicken weißen Schneeschicht bedeckt. Im Kachelofen prasselte und knackte das Kiefernholz und verbreitete eine angenehme Wärme. Mein Großvater, der 1886 geboren wurde, saß in seinem Sessel am Fenster und sah dem Schneetreiben zu. Ich gesellte mich zu ihm.
„Als ich in Afrika war, habe ich drei Jahre keinen Schnee gesehen“, sagte er plötzlich.
„Keinen Schnee? Warum?“, wollte ich mit meinen zehn Jahren wissen.
„Dort ist es immer warm und ganz anders als hier.“
Hier, das war Kunrau, ein kleiner Ort in der Altmark, in dem ich 1939 zur Welt gekommen war.
Deutschland hatte den Zweiten Weltkrieg verloren und war 1945 in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden. Wir hatten das Pech, dass wir bei der Aufteilung durch die Alliierten der sowjetischen Zone zugeschlagen wurden, die dann im Jahre 1949 zur DDR wurde. Die Grenzen der sowjetischen Besatzungszone waren streng bewacht. An Reisen in den Westen war überhaupt nicht zu denken. Vielleicht später einmal nach Moskau oder Rumänien. Aber Afrika war für uns so unerreichbar, wie der Mond.
„Großvater, wie war das früher? Erzähle mir von Afrika“, bat ich, „wie war es dort? Was hast du dort gemacht?“
„Es ist alles schon so lange her. Als junger Mann habe ich in Dresden Kaufmann gelernt. Dann sah ich ein Plakat mit einem großen Schiff und einem sonnigen Strand mit Palmen. Deutsch-Südwestafrika stand darunter. Das war 1909. Ich war jung und hatte von der weiten Welt noch nichts gesehen. Also bin ich von Hamburg aufgebrochen, um Abenteuer zu suchen.“
Und so kam es, dass ich an vielen Winterabenden gespannt den Erzählungen meines Großvaters gelauscht habe und ich erfuhr etwas über den Niedergang unserer ursprünglich wohlhabenden Familie wie auch über seine Abenteuer zwischen 1909 und 1912 im damaligen Deutsch-Südwestafrika.
Hier also seine Geschichte, die ich ihn selbst erzählen lasse:
Ihr Wilhelm Schneider
1. Folge
Es gibt Tage, da spürt man, dass noch etwas Unerwartetes passieren wird, ohne dabei die geringste Ahnung zu haben, was das sein könnte. Es ist nur so ein diffuses Gefühl, das sich plötzlich einschleicht. Der 30. August 1909 war ein solcher Tag. Ein Tag, an den ich mich ganz genau erinnere, als wäre es gestern gewesen. Ein Tag, der mein Leben völlig verändern sollte. Und dabei schien zunächst alles so wie immer.
An diesem Morgen stand ich früh auf. In der Nacht hatte ich außergewöhnlich schlecht geschlafen. Gedanken über meine berufliche Weiterentwicklung hatten mir keine Ruhe gelassen. Ich werde nach Braunschweig fahren und mich dort einmal umsehen, beschloss ich und machte mich auf den Weg. Man konnte mit der „Elektrischen“, der Straßenbahn, von Wolfenbüttel in das nur wenige Kilometer entfernte Braunschweig fahren, aber heute entschied ich mich für die Bahn. In der Elektrischen bekam man um diese Zeit meistens keinen Platz. Unterwegs hatte ich ein wenig Zeit, meine aktuelle Situation noch einmal in Ruhe zu durchdenken.
Das Pfeifen der Lokomotive riss mich aus meinen Überlegungen, wir fuhren gerade in den Bahnhof von Braunschweig ein. Ich stand auf und stellte mich an die Tür. Die Lokomotive nebelte den ganzen Bahnhof ein, die Bremsen quietschten höllisch und dann stand der Zug.
Und nun? Ich ging zunächst mehr ziellos ins Zentrum. Auf der Friedrich-Wilhelm-Straße kam ich an einem Reisebüro vorbei. Mein Blick wurde von Plakaten mit riesigen Überseedampfern gefesselt. Hamburg-Amerika-Linie stand auf dem einen, Hamburg-Ostafrika-Linie über Deutsch-Südwestafrika auf dem anderen. Deutsch-Südwestafrika, das war doch die Kolonie, von der damals, als meine Mutter noch rauschende Feste gegeben hatte, einer der Gäste geschwärmt hatte. Erlegte Löwen und Leoparden. Das war inzwischen schon zehn Jahre her, aber beim Anblick der Plakate fiel es mir wieder ein. Ich hatte gehört, dass man dort kürzlich auch Diamanten gefunden hätte.
Auf einem dritten Plakat war ein wunderschöner Palmenstrand zu sehen. Weißer Sand, blaues Meer, sich im Wind wiegende Palmen, fröhliche, dunkelhäutige Eingeborene, am rechten Rand ein großer Luxusdampfer. Mit einem Wort: ein Paradies. Und darunter stand: Deutsch-Südwestafrika. Das war es! Erst musste ich dieses tropische Elysium gesehen haben, bevor ich hier sesshaft würde.
Kurz entschlossen ging ich in das Geschäft, um mich über Fahrten nach Übersee zu informieren. Der junge Mann, der mich bediente, er war etwa in meinem Alter, fragte mich, wohin ich denn wolle und ob ich eine bestimmte Vorstellung hätte. Nein, hatte ich noch nicht. Aber mich hätte das Plakat von Deutsch-Südwestafrika mit den Palmen und dem blauen Meer fasziniert.
„Wollen Sie die Kolonie nur besuchen oder für eine längere Zeit dort bleiben?“ wollte er wissen.
Etwas zögernd meinte ich: „Ich bin mir noch nicht sicher, aber es könnte eventuell auch für länger sein. Es ist für mich ja eine Reise in eine mir völlig unbekannte Welt. Und da ich hier nicht gebunden bin, kann ich spontan entscheiden.“
„Darf ich Ihnen dann einen Vorschlag machen?“ Er nahm aus dem Regal einen Prospekt und sagte: „Ganz aktuell und interessant ist unsere Kolonie Deutsch-Südwestafrika, für die das Plakat im Fenster wirbt. Dort sucht man zurzeit junge Leute für verschiedenste Aufgaben. Ich überlege selber, ob ich nicht auch dort hingehen soll. Es gibt auch dort Reisebüros. Was sind Sie von Beruf, wenn ich mir die Frage erlauben darf?“
„Kaufmann“, beantwortete ich bereitwillig diese Frage und fügte hinzu: „Ich habe etwas über drei Jahre in Dresden bei Hermann Tietz gearbeitet und bin zur Zeit in unserem eigenen Kolonialwarenladen. Aber bevor ich mich für immer hier vergrabe, möchte ich doch noch etwas von der Welt sehen. Was ist eigentlich mit unseren anderen Kolonien? Ich denke da an Deutsch-Ostafrika, Togo und Kamerun.“
„Nun, keine Frage, auch dort könnten Sie ohne Probleme eine interessante Arbeit finden. Sie wissen, der Kaiser möchte, dass seine „Kinder“ lieber in die eigenen Kolonien gehen, als nach Amerika auszuwandern. Aber ich würde von unseren Kolonien immer Deutsch-Südwestafrika vorziehen und zwar aus einem einfachen Grunde. Das Klima in Togo, Kamerun und Ostafrika ist feuchtheiß und ungesund. Im Gegensatz zu diesen Kolonien herrscht in Deutsch- Südwestafrika ein für uns gut verträgliches, trockenes und gesundes Höhenklima. Außerdem gib es dort praktisch keine Tropenkrankheiten. Na und dann der derzeitige Diamantenrausch, nachdem man im Wüstensand Diamanten gefunden hat. Deutsch-Südwestafrika ist eine aufstrebende, sich rasch entwickelnde Kolonie mit günstigen Aussichten. Wenn man Glück hat, kann man schnell reich werden.“
Das waren natürlich einleuchtende Argumente.
„Sie haben mich überzeugt“, sagte ich, „Dann doch lieber Deutsch-Südwestafrika. Diamanten sind mir lieber als Tropenkrankheiten.“
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen