Blauer Diamant

3. FolgeÜberwältigt von meinem spontanen Entschluss und meinem Mut, ohne zu zögern eine folgenschwere Entscheidung getroffen zu haben, trat ich mit stolz¬geschwellter Brust auf die Straße und schlenderte erst einmal ziellos durch die belebten Geschäftsstraßen. In meinem Kopf schwirrte alles durcheinander. Es war kurz vor Mittag, als ich am Hotel Monopol vorbeikam. Ich wusste, das Restaurant des Hotels hatte einen hervorragenden Ruf, man konnte hier sehr gut essen. Also ging ich hinein und genehmigte mir zur Feier des Tages ein erlesenes Menü. Ich war beeindruckt von dem geschäftigen Treiben in der Küche. Hier lernten nämlich viele anmutige, junge Mädchen aus gutem Hause die Geheimnisse der gehobenen Küche kennen. Nach einem vorzüglichen Mal begab ich mich anschließend unangemeldet zu unserem Großhändler, um die Konditionen für die nächste Zeit durchzusprechen. Als ich wieder auf die Straße trat, gingen mir immer noch viele Fragen durch den Kopf, die aus meinem spontanen Entschluss resultierten. Hoffentlich wurde ich nicht seekrank, wenn ich drei Wochen auf dem Schiff geschaukelt würde. Noch wichtiger war, dass wir nicht in einen der Herbststürme gerieten und das Schiff unterging. Man hörte immer wieder von Orkanen in der Nordsee, bei denen Menschen über Bord gingen oder ganze Schiffe mit Mann und Maus vom Meer verschlungen wurden. Ich kann nämlich nicht besonders gut und ausdauernd schwimmen. Aber im sturmgepeitschten Meer hatten auch gute Schwimmer keine Chancen. Zudem gab es dort unten in südlichen Gewässern wahrscheinlich gefräßige Haie. Dann fiel mir aber ein, auf der südlichen Halbkugel war ja zu dieser Zeit Frühling, es konnte dort zumindest keine Herbststürme geben. Wir mussten also nur schnell in südliche Gewässer gelangen. Wie war das Land? Würde ich einen Löwen schießen? Blitzartig schoss mir ein ganz anderes Problem durch den Kopf und holte mich in die Gegenwart zurück. Wie sollte ich das meiner Mutter beibringen und was machte ich mit Silvia? Silvia! Ich hatte sie für zwei oder drei Stunden völlig vergessen. Ich beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen und mit beiden zu spre¬chen. Unangenehmen Dingen weiche ich normalerweise gerne aus, aber das geht nur bis zu einer gewissen Grenze. Ich musste meine Feigheit endlich besiegen. Also fuhr ich unverzüglich nach Hause. Meine Mutter war allein und sah mich vorwurfsvoll an. Ich fühlte mich absolut unwohl in meiner Haut und wurde dadurch etwas schroff. „Ich werde nach Afrika gehen. Nach Windhuk, in unsere Kolonie“, sagte ich ohne diplomatischen Übergang und ohne Vorwarnung. „Die Passage ist schon fest bestellt.“ Ich wollte nur schnell von dem mir sehr unangenehmen Thema Silvia weg. Der abrupte Themenwechsel war ein voller Erfolg. Mutter sah mich ungläubig an. Im ersten Moment schien es ihr die Sprache verschlagen zu haben.„Bist du von allen guten Geistern verlassen? Nach Afrika? Zu den Affen? In die Wüste? Ist dir Deutschland nicht groß genug? Das ist doch nicht dein Ernst!“ „Das waren eine Menge Fragen, Mutter, aber es gibt darauf nur die eine Antwort: Ja! Es ist mein Ernst und ich gehe für eine Weile nach Afrika zu den Affen, aber nicht in die Wüste. Es soll dort unten sogar sehr schön sein.“ Außenkabine gebuchtDer nächste Montag kam und ich machte mich am frühen Nachmittag auf den Weg nach Braunschweig. Ich wollte meine Reisedokumente abholen und nahm das noch fehlende Geld für die Passage mit. Im Reisebüro begrüßte mich mein Berater wie einen alten Freund. „Es ist alles fertig, Ihre Kabine ist gebucht. Eine Außenkabine! Nichts ist schlimmer, als auf einem schaukelnden Schiff nicht nach draußen sehen zu können.“ Er reichte mir mein Reisedokument, ein Blatt von der halben Größe einer Zeitung. Darauf war ein Lageplan meiner Kabine. Ich hatte die Kajüte Nummer 68. Mit einem Blick auf den Lageplan stellte ich fest, dass meine Kabine ganz in der Nähe des Speisesaales lag. Nicht schlecht! Ich war zufrieden. „Sind Sie zufrieden?“ unterbrach mein Gegenüber meine Lageplanstudie und fuhr gleich fort, ohne meine Antwort abzuwarten: „Ihre Kabine liegt in Fahrtrichtung gesehen auf der linken Seite des Schiffes. Sie werden also von der aufgehenden Sonne geweckt werden. Übrigens, der Kapitän heißt Meier und ist ein alter Seebär. Bei ihm sind Sie bestens aufgehoben. Er hat sein Schiff schon durch so manchen Sturm gebracht. Er ist ein Kaphoorner.“ Ich sah ihn fragend an: „Was ist ein Kaphoorner?“ Er klärte mich auf: „Ein Kaphoorner ist ein Kapitän, der Schiffe um das gefährliche Kap Hoorn an der Südspitze Südamerikas navigiert hat. Das sind erfahrene, aber auch besonders stolze Kapitäne, sozusagen sturmerprobt. Und ich habe noch eine weitere gute Nachricht für Sie: „Ihre Kabine ist eine Zweibettkabine und Ihr Mitreisender fährt nur bis Las Palmas. Von dort haben Sie die Kabine für sich allein.“ „Das sind ja wirklich gute Nachrichten. Allerdings will ich nach Swakopmund und nicht um das Kap Hoorn. Kennt Kapitän Meier diese Strecke auch? Und dann auch möglichst ohne Sturm, den möchte ich nicht mitbuchen, selbst wenn Kapitän Meier sturmerprobt ist.“ Mein Gegenüber sah mich irritiert an. Ich ergänzte daraufhin sofort: „Kleiner Scherz. War nicht ganz ernst gemeint.“ Die Zeit bis zu meiner Abreise verging wie im Fluge. Zwei Tage vor meiner Abreise suchte ich noch einmal meinen Freund Kurt auf, um mich von ihm für längere Zeit zu verabschieden. „Ich kann es eigentlich immer noch nicht glauben, dass du tatsächlich nach Südwest willst“, sah er mich etwas ungläubig an. „So weit musst du doch nicht ausreißen, München hätte es bestimmt auch getan. Doch Spaß beiseite, du hast dich entschieden und sobald du angekommen bist, schreibst du mir, wie es dort unten ist. Ich würde ja tatsächlich gern sofort mitkommen, eine Reise in die Tropen würde mich schon reizen. Man hört soviel Interessantes darüber. Sonne, Palmen, Wildnis, schöne schwarze Mädchen. Und dann wir beide zusammen wie damals in Dresden. Aber es geht, zumindest im Moment, leider absolut nicht. Du weißt, wir sind gerade mit der Planung fertig, unsere Fabrik zu erweitern. Jetzt beginnt die Bauphase. Das neue Rezept für den Likör ist hervorragend. Wir verkaufen ihn schon in kleinen Mengen. Den wollen wir möglichst schnell auf den Markt bringen. Ich kann beim besten Willen nicht weg, ich habe keinen Ersatzmann. Da fällt mir spontan ein, du könntest doch in Deutsch-Südwestafrika eine Vertretung für unseren Likör aufmachen.“ „Kurt, ich weiß es ja und es ist mir auch klar, dass du hier nicht weg kannst. Aber wir haben beide schon in Dresden eine schöne Zeit erlebt, da hofft man, dass es vielleicht doch noch klappt und wir das in Windhuk wiederholen können. Es wäre jedenfalls schön gewesen. Vielleicht kommst du nach, wenn es irgendwie geht. Ich gebe dir auf alle Fälle Bescheid.“ Als alte Freunde umarmten wir uns und klopften uns auf die Schulter. Es war ein beklemmendes Gefühl, Kurt allein zu lassen. In diesem Moment wurde mir so richtig bewusst, wie sehr wir uns über die Jahre aneinander gewöhnt hatten und dass ich ihn wahrscheinlich eine ganze Weile nicht mehr sehen würde.

Blauer Diamant

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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