Der weiße Buschmann

46. FolgeIch lerne das Maurerhandwerk (Teil2/2)Ich war damals ein begeisterter Schwimmer und schwamm, wenn die Temperatur und das Wetter es zuließen, mit meinem Neffen, Hanjo Böhlke, um die Mole. Eines Nachmittags war es dann mal wieder um ein Haar soweit mit mir. Es wehte ein starker Wind, als ich zur Mole kam, war die rote Sturmflutflagge gehisst, also Badeverbot. Am Strand lagen Hanjo und sein Freund Dicker Schwietering faul und tatenlos im Sand. „Dicker“ war bekannter Lebensretter-Schwimmer. Ich fragte die beiden, ob wir nicht schwimmen könnten. Dicker antwortete in seiner näselnden Stimme: „Du hast wohl `nen Vogel.“ Hanjo tippte sich nur wortlos auf die Stirn. Abgehandelt! Stark ging jedoch südlich der Mole ans Wasser und schaute eine Weile ins Wellenspiel und dachte: „Da sollte man doch schwimmen können.“In einem unbedachten Moment sprang ich ins Wasser, schön nah der Mole, dass ich auch schnell wieder ‘rauskönnte, wenn’s brenzlig würde. Von der ersten Welle an wusste ich, dass ich verloren war. Mit Donnergetöse kam Welle auf Welle und schlug einem den Atem aus dem Leibe. Wie ein Stück Holz wurde ich hin und her gewirbelt. Zum Untertauchen der Wellen kam ich nicht. Kaum hatte ich nach Luft gejapst, wurde ich schon wieder in die Tiefe gezogen. Ich hatte an dem Nachmittag einen Brief an meine Mutter geschrieben und bei der Post abgeliefert. Als ich einmal besonders tief gezogen wurde, und es da unten verdächtig still wurde, dachte ich nur: „Das war dein letzter Brief, mein Lieber!“ Ich kam gerade eben wieder rechtzeitig hoch. Ich kämpfte wenig, war darauf bedacht, Kräfte zu sparen und bloß kein Wasser zu schlucken. Im Nu war ich zwischen den großen Zementblöcken, die vor der Mole liegen. Dann waren sie unter mir, dann über mir. Ich erwartete jedes Mal gegen die Blöcke geschmettert zu werden. Es blieb aus. Durch den Strom wurde ich wieder weiter raus in die offene See gezogen. Ich kämpfte so wenig wie möglich, und versuchte, das Wellenspiel zu benutzen. Ich wusste, ich würde in der Nähe des Schlachthofes wieder mit der Strömung an Land gespült werden, dort, wo die meisten Leichen von Ertrunkenen herausspülen. Hanjo hatte ein paar Tage vorher einen Ertrunkenen dort gesehen, der schon einige Tage im Wasser lag. Er hatte mir das in den grellsten Farben geschildert. Beruhigender Gedanke, wenn man so nah dem Ertrinken in der See herumtreibt! Inzwischen hatte sich bald ganz Swakopmund an der Mole eingefunden. Man gestikulierte wie verrückt, keiner sprang jedoch ins Wasser, was man auch niemandem übel nehmen konnte.Weiter nördlich, dem Schlachthofe zu, waren die Wellen nicht mehr so wild und unendlich langsam wurde ich dem Strand nähergespült. Swakopmunds Bevölkerung begab sich von der Mole zu dem Platz, wo man mich erwartete. Auch das noch! Am liebsten wäre ich wie ein verdroschener Hund mit dem Schwanz zwischen den Beinen davongeschlichen. Aus den letzten Wellen half man mir bis auf den Strand. Als ich stehen wollte, fiel ich um; keinerlei Kraft mehr in den Beinen. Ich kroch auf allen Vieren aus dem Wasser und setzte mich tapfer hin, bis ich dachte, dass ich zum Laufen wieder genug Kraft hatte. Inzwischen musste ich mir die Kommentare der Umstehenden anhören, ich will sie lieber nicht wiedergeben. Ich bin mir sicher, nur der liebe Gott allein hat seine schützende Hand über mich gehalten und mich gerettet!In Swakopmund konnte ich mit dem kargen Gehalt nicht weiter arbeiten. Herr Weigmann bot mir an, mit zwei Akkordarbeitern in Windhoek arbeiten zu können, da würde ich mehr verdienen können. Also zog ich wieder zu meiner Mutter nach Windhoek und wurde bei den zwei Akkordmaurern Pascheka und dem Dänen Stumpe eingeteilt. Pascheka, der Deutsche, legte auf langen Fluchten täglich 2 500 Steine; Stumpe, der riesengroße, ruhige Däne, seine 3 000 Steine.„Du wirst deinen Hintern rühren müssen, wenn du mit uns arbeiten und Geld haben willst“ war Paschekas Begrüßung. Stumpe war freundlicher. Ich arbeitete gute sechs Monate lang mit den beiden zusammen. In der kurzen Zeit lernte ich viel, vor allem effektiv zu arbeiten.Dann fing für mich wieder eine brenzlige Zeit an. Einer unserer Mieter war damals meiner Mutter zu nahe gekommen. Es war ein junger Deutscher „made in Germany”, die wir damals „Schneebantus“ nannten. Als er auch mir gegenüber ruppig wurde, gab ich ihm eine gerade Linke auf die Nase und einen rechten Schwinger ans Kinn. Resultat: gebrochene Nase und doppelt gebrochenes Kinn. Eine große Gerichtssache folgte mit dem Resultat: Ich sollte dem Opfer 1 000 Pfund Schadenersatz für erlittene Schmerzen zahlen und 100 Pfund für die demolierte Küche. Die demolierte Küche zahlte meine Mutter, die 1 000 Pfund sollte ich monatlich abstottern. Nach zwei kärglichen Zahlungen stellte die Person mir frei, den Restbetrag einer wohltätigen Einrichtung zu stiften. Das war meine letzte Zahlung. Jedenfalls hatte sich dieses Ereignis in Windhoek herumgesprochen und so einige Schläger wollten mir ans Leder. Windhoeks Pflaster wurde mir langsam zu heiß. Die mir langweilige Arbeit beruhigte mein Gemüt keinesfalls. Ich wollte bei Weigmann kündigen. Der verwies auf unseren Kontrakt und drohte, mich ins Gefängnis zu stecken. Eines Sonntags verschwand ich, nachdem ich mich vorher wieder mit Herrn Böhme abgesprochen hatte, der mich liebend gerne zurücknehmen wollte.Von Tsumeb aus rief ich Herrn Weigmann an, entschuldigte mich bei ihm, dass ich wie „ein schlechter Ovambo“ bei ihm abgehauen sei, aber es wäre endgültig! Er antwortete mit einem „So.“ Das Gespräch war beendet. Später, ohne dass ich darum gebeten hatte, schickte Herr Weigmann mir von sich aus ein sehr gutes Arbeitszeugnis, in dem er mich als guten, fleißigen Arbeiter darstellte, und dass ich wegen häuslicher Schwierigkeiten seinen Dienst verlassen hätte. Ich habe dieses Zeugnis heute noch in meinem Besitz und bin sehr froh darüber.Banner und ich kamen wieder auf Onguma an. Ich bekam gleich ein doppeltes Gehalt, also monatlich dreißig Pfund und musste von jetzt ab alle Maurerarbeiten auf Onguma erledigen. Immerhin hatte Herr Böhme jetzt einen billigen Maurer.

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Allgemeine Zeitung 2024-11-15

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