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Peter auf Silur reitet eine Piaffe bei von Neindorff (1956) Foto: Der weiße Buschmann
Peter auf Silur reitet eine Piaffe bei von Neindorff (1956) Foto: Der weiße Buschmann

Der weiße Buschmann

Vom Wilderer zum Wildhüter
Im Jahre 1929 in Windhoek geboren, lernt Peter Stark, wie so viele „Südwester", schon als Kind den Umgang mit einer Jagdwaffe und von einem Farmarbeiter das Verhalten des Wildes. Sein Leben zur freien Natur, dem Reitsport und vor allem der Jagd, verführten ihn zu Abenteuern, die ihn oft in Schwierigkeiten brachten. Seine Einstellung zur Jagd ändert sich drastisch, als er von der Abteilung Naturschutz der ehemaligen SWA-Administration angestellt wird und er nun die Wilddiebe aufspüren muss, um das Wild im Etoscha-Nationalpark als Wildhüter zu beschützen.
48. Folge

Zur Ausbildung nach Deutschland (Teil 2/3)

Nach zwei Monaten wäre ich am liebsten abgehauen. Das Heimweh nach Südwest nahm überhand, Frau Nolte war jedoch hart, sie bestand darauf, dass ich bis zum Ende der Prüfung durchhielt. Zum Trost fuhr sie mich beinahe jeden Sonntag in die Wälder. Sie nahm ein Buch mit und wartete geduldig am Waldesrand, bis ich von meiner Wanderung zurückkam. Ich hatte mir inzwischen einen Sportbogen mit Pfeilen gekauft und während ich so wanderte, verbesserte ich mein Bogenschießen auf geeignete Ziele. Auf diese Art konnte ich mein größtes Heimweh überbrücken. Gegen Ende des Kursus besuchten mich die Ostmanns aus Bielefeld und kümmerten sich viel um mich. Ich hatte Herrn Ostmann (Ost-mann Gewürze) in Südwest erfolgreich auf Jagd geführt und er war sehr dankbar dafür. Gegen Ende des Kursus stellten Ostmanns mir ihre in „M“ geprüfte Stute Cora zur Verfügung. Ich konnte die ganze praktische Prüfung leicht bestehen. Cora war als sehr schwierig bekannt und viele sahen in ihr einen „Verbrecher“. Wir waren von Anfang an ein Herz und eine Seele und ich konnte alles mit ihr tun und machte mit ihr, auf bloßem Rücken, viele Indianerkunststücke, die Cora sich widerstandslos gefallen ließ.

Später überließ man mir Cora für den Kursus bei Thiedemann in Elmshorn und bei von Neindorff in Karlsruhe. Herr Ostmann zahlte alle anfallenden Kosten.

Nachdem ich also ein Jahr in Münster gewesem war und die staatliche Prüfung unter den strengen Augen von General Niemack, dem Spezialisten Sümmermann und noch einem dritten „hohen Tier“ bestanden hatte, wollte ich noch einen Monat Extra-Unterricht im Springen und Dressur mitmachen. Die Ostmanns fuhren mich also mit Cora in den hohen Norden nach Elmshorn zu Fritz Thiedemann. Da gefiel es mir gar nicht, die Menschen dort sind wie ihr Wetter, „nieslig“ und nebelig, sehr abweisend und man ist und bleibt ein „Utlander“. Zu der Zeit liefen die Olympiavorbereitungen und man hatte nicht viel Zeit für mich. In derselben Zeit war auch die amerikanische Olympia- Springequipe in Elmshorn unter der Leitung von de Nemerty, mit den Reitern Bill Steinkraus, Frank Chapot usw. Ich schloss mich den Amerikanern an, die mich freundlich aufnahmen. Ich war froh, als der Monat zu Ende ging und die Ostmanns mich mit Cora in den tiefen Süden nach Karlsruhe zu Egon von Neindorff brachten. Die Süddeutschen lagen mir viel mehr, fröhlich, freundlich und kameradschaftlich. Ich fand schnell Anschluss, nur mit dem guten Egon ging es anfangs nicht so einfach.

Als ich mich bei ihm vorgestellt hatte, setzte er mich gleich auf eins seiner „geförderten“ Schulpferde. „Dressuresel“, wie er sie nannte. Ich sollte ihm etwas vorreiten. Er setzte sich schweigsam auf einen Stuhl in die Ecke. Als ich auf dem Pferd saß, dachte ich nur „Droschken-gaul“. Ich konnte den faulen Bock einfach nicht antreiben. Ich fühlte mich auch gehemmt in dieser noch fremden Reitschule und wagte nicht, so richtig „anzufassen“. Nach ungefähr 20 Minuten traurigen Herumkringelns gab ich mutlos auf und ritt in die Ecke, wo von Neindorff saß. Als ich vor ihm stand, fragte er mich kurz und bündig: „Ist das alles?“ „Ja,“ antwortete ich: „Ich glaube, das Pferd kann nicht viel mehr!“ Das hätte ich nie und nimmer sagen dürfen.

Ein heiliges Donnerwetter folgte. „Sie haben die Staatliche absolviert? Und so was wie Sie lässt man auf die Menschheit los? Und Sie wagen es, mein Pferd zu beleidigen? Meine kleinen Mädchen reiten besser wie Sie!“ Ich dachte, über mir wäre ein Wolkenbruch, Blitz auf Blitz! Dazu „sächselte“ der Mann ganz fürchterlich, schielte, hatte ein rotes, rundes Gesicht, einen leichten Schmerbauch. Zuletzt gab er mir die Wahl: „Entweder, Herr Stark, sie fangen ganz von vorn an, oder: Sie und Ihr Pferd (Cora) packen Ihre Sachen und verschwinden!“ In meinen Gedanken erklärte ich den Mann für verrückt. Da Ostmanns soviel Ausgaben für mich und Cora gemacht hatten und es so eine weite Fahrt gewesen war, entschloss ich mich, doch bei diesem „Irren“ zu bleiben und es wenigstens zu versuchen. Ich hielt’s Maul und sagte kleinlaut: „Ich will es versuchen“.

An demselben Nachmittag nahm er mich persönlich vor und wir fingen an der Longe „von vorne“ an. Im Mitteltrab an der Longe, immer wieder, „Tief den Hintern, sitzen, lang die Beine!“ Dabei Hände auf den Hüften. Nach einer guten Stunde durfte ich schweißüberströmt und mit wackligen Beinen vom Pferd steigen. Das ging drei Wochen so. Jeden Tag mindestens zweimal bei von Neindorff an der Longe, den Rest des Tages wurde ich auf verschiedene schwierige Pferde gesetzt. Am dritten Tag hatte ich solche akuten Reitschmerzen, dass ich kaum noch die Beine auseinander machen konnte. Dabei hatte ich in Münster bis zu sechs Pferde täglich reiten müssen, ich war bestimmt nicht unfit. Wenn ich von Neindorff zuschaute, wie er selbst ritt, kam ich aus dem Staunen nicht heraus, wie er anscheinend mühelos jedem Pferd „Beine machte“. Der „Ochsenfrosch“ war ein wahrer Künstler. Die vierte, die letzte Woche, durfte ich dann Silur, sein bestes Dressurpferd, reiten. „Ein bisschen Zirkus“, wie er scherzhaft sagte. Nach der vierten Woche kam ich selbst zur Überzeugung, dass ich herzlichst wenig konnte. Ich bat Herrn von Neindorff, ob ich noch einen Monat bleiben dürfe. Er konnte schallend lachen, und lachend sagte er: „Sehen Sie, Herr Stark, nun sind Sie auf dem richtigen Wege, nun können wir arbeiten“. Seine ganze Haltung mir gegenüber hatte sich positiv verändert. Nach zwei Monaten hatte ich wieder eine Krise. Ich ritt ein Pferd, mit dem ich einfach nicht zurechtkam. Ich gab mir keine Mühe. Von Neindorff brüllte mich an, ich sollte mich endlich zusammen nehmen und reiten. Ich hatte genug und außerdem noch schweres Heimweh. Wortlos stieg ich ab, führte mein Pferd in den Stall, ging auf mein Zimmer, schloss mich ein und fing an, meine Sachen zu packen. Von Neindorff hatte nichts mehr gesagt, während ich das Pferd aus der Bahn geführt hatte. Während ich in meinem Zimmer packte, klopfte es an der Tür. „Wer da?“ fragte ich von innen. „Machen Sie bitte auf, Herr Stark.“ Ich erwiderte nichts, packte weiter, das wiederholte sich immer wieder. Er klopfte und immer wieder sagte von Neindorff: „Machen Sie doch bitte auf, Herr Stark“. Und das mit einem sehr freundlichen, ruhigen Ton. Ich selbst hätte schon längst die Geduld verloren, zuletzt machte ich auf. Inzwischen hatte ich über mich selbst zu flennen angefangen, ich würde es nie lernen.

Herr von Neindorff stand draußen an der Tür, eine Buddel guten Cognac mit zwei Gläsern unterm Arm. „Kommen Sie, jetzt trinken wir erst mal, und dann werde ich Ihnen von mir selbst erzählen“ sagte er ruhig. Widerstandslos setzte ich mich hin; er auch. Dann fing er an, von sich selbst zu erzählen. Zwischendurch füllte er immer wieder die Gläser. Ich soff aus Kummer über mich selbst, er trank, weil ihm danach war. Und da stellte sich heraus, dass auch dieser große Meister mal klein angefangen und schwere Zeiten durchgemacht hatte. An diesem Tag überließ Herr von Neindorff seinen Reitbetrieb seinen „kleinen Mädchen“. Spätnachmittags gingen wir gemeinsam zum Stall und fütterten die Pferde. (Vielleicht schwankten wir auch!) Ich selbst hätte mich stundenlang in den Hintern treten können: Ich war ein Schwächling gewesen! Vom nächsten Tag ab ritt ich voll Mut und Unternehmungsgeist und es ging wieder vorwärts.

Das Geld wurde knapp, ich leistete mir selbst nichts. Alles Geld ging in die Reitausbildung oder in das nötigste gute Sattelzeug. Frau Nolte hatte mein Geld bestens verwaltet. Ich durfte mir keinerlei Luxus leisten, alles bezahlten die Noltes, ich durfte nur eigenes Geld für die Ausbildung gebrauchen. Dabei haben die Ostmanns mir auch viel geholfen. Langsam, aber sicher, versagte mein Geldbrunnen. Von Neindorff war selbst kein reicher Mann. Er kaufte sich immer schwierige, versaute Pferde, die kein anderer mehr haben wollte. Schon längst hatten wir beide angefangen, gemeinsam zu essen. Armeleuteessen, wie er das nannte; Quark mit Kartoffeln, Eier mit Makkaroni, Quark mit Pflaumen, usw. Wir leisteten uns nichts. Als mein Geld nach dem dritten Monat zu knapp wurde und ich ihm das sagte, sagte er nur: „Macht nichts, dann helfen Sie mir im Betrieb!“ Faul und träge war ich noch nie gewesen. Ich packte feste mit an, kündigte in meiner Pension und zog in den Pferdestall. Ich richtete mir neben der Reitbahn, wo die Musiktruhe stand, ein schmales Abteil ein, zimmerte mir ein Holzbett zusammen und hatte zwei billige Decken, mit denen ich mich zudeckte. Ich war das ja im Busch gewohnt. Für den Sommer reichte das, im Winter fror ich fürchterlich. Von Neindorff lieh mir eine kleine Heizung, mit der ich nachts abwechselnd mein Vorderteil, dann wieder meinen Rücken wärmte, dabei kam ich aber herzlich wenig zum Schlafen.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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