Der weiße Buschmann

49. FolgeZur Ausbildung nach Deutschland (Teil 3/3)Ich verliebte mich damals in ein Mädchen, Elke Müller, die später meine Frau wurde. Als Elke diese Armutszustände bei mir gewahrte, nahm sie mich mit zu ihren Eltern. Die boten mir ein herrliches, warmes Zimmer an und ich lebte nun wieder wie ein normaler Mensch bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich wieder nach Afrika zurückkehrte.Im Stall half ich viel mit und animierte die ganze reitende Jugend mitzuhelfen. Vor allem wenn die großen Frachten Sägespäne für die Reithalle angefahren wurden. Die „hochwohlgeborenen“ Mädchen, die „gerade gebadet“ hatten oder sich „die Haare hatten machen lassen“ ergriff ich kurzer Hand an Genick und Hosenboden, warf sie in den Haufen Sägespäne und rollte sie darin herum. Dann waren sie „nicht mehr frisch gewaschen“ und halfen mit, wenn auch anfangs unter lautem Protest. Letzten Endes hatten wir unter der Jugend einen wunderbaren kameradschaftlichen Ton und es war vorbei mit der „Apartheid“. Nach getaner Arbeit warfen wir oft Geld zusammen, trafen uns bei Kaffee und Kuchen in einem Café, oder wir leisteten uns unter großem Hallo in einer Schenke mal ein anständiges Abendessen. Jeder Geburtstag wurde ausgiebig gefeiert. Von Neindorff war oft dabei und feierte fröhlich mit, unter uns herrschte eine hervorragende Kameradschaft.Herr von Neindorff bot gelegentlich abends Dressur Galavorstellungen in seinem Institut an. Dann wurde das Beste vom Besten dem Publikum geboten. Ich war inzwischen zum „Meisterschüler“ avanciert und musste viele Sondervorstellungen geben. So musste ich eines Abends sein Pferd Mars am langen Zügel in der Bodenarbeit vorführen. Mars piaffierte mir nicht ausdrucksvoll genug und so half ich mit der Gerte nach. Mars war wohl sehr erregt, jedenfalls knallte er mir hörbar beide Hinterhufe auf die Brust. Da ich keine besonderen Schmerzen verspürte, machte ich ruhig mit meiner Vorführung weiter und tat, als ob nichts vorgefallen wäre. Bei dem Doppelschlag war ein hörbares Raunen durch die Reihen der Zuschauer gegangen. In den Zeitungen schrieb man von dem „eisernen Mann aus Afrika“.Ich erlebte viele schöne Stunden in dem Institut. Ich hatte dort unendlich viel gelernt und war zu der Überzeugung gekommen: „In der Dressur lernt man nie aus!“ Außer Herrn von Neindorff möchte ich eine ältere Dame erwähnen, die mir zu einem lebenslangen Freund und Reiterkameraden wurde: Wilfriede von Hopffgarten. Wie ich schon schrieb, durfte ich später Herrn von Neindorffs bestes Pferd im Stall, den Silur reiten, der nicht immer einfach zu reiten war. Ich hakte fest und von Neindorff konnte trotz bester Erklärungen nicht ganz bei mir durchdringen. Eines Tages sagte er zu mir: „Herr Stark, da kommt heute Nachmittag eine Dame aus Wiesbaden, die soll den Silur für die nächsten zwei Wochen reiten. Bitte schauen Sie dann zu!“Ich sagte nichts, war aber innerlich gekränkt. „Dieses Weib“ soll den Silur besser reiten als ich“, dachte ich bei mir, sagte aber nichts. Vorher hatte ich Silur zu putzen und zu satteln, auch das noch! Ich war noch mit Putzen beschäftigt, als Silur plötzlich unruhig wurde und ungeduldig scharrte. Dann kam mir zu Bewusstsein, dass eine Dame vom Eingang zur Stallgasse her wiederholt einen Kosenamen rief. Silur reagierte durch Scharren mit den Vorderhufen und durch leises Wiehern, so hatte ich Silur noch nie gesehen. Ich ging ums Pferd und schaute nach, wo die Stimme herkam. Am Eingang stand eine hagere, ältere Dame und stellte sich als Frau von Hopffgarten vor. Ich sattelte Silur und sie nahm mir das Pferd ab. Ich hatte den Auftrag zuzuschauen. Mein Ego war jedoch tief gekränkt und ich mistete erst die Ställe aus. Dann jedoch kam mir wieder Silurs sonderliches Gebaren zu Bewusstsein und ich dachte: „Schau doch mal zu, es darf dich aber niemand dabei sehen“. Die Eingangstür zur Reithalle war geschlossen. Von weitem schon hörte ich das fleißige, rhythmische Treten von Silur bei der Arbeit. Ich schlich mich an die Tür und öffnete so ein wenig das kleine hölzerne Schiebefenster bei der Tür. Silur ging wie ich ihn noch nie gesehen hatte. Mit leichter Anlehnung, hoch aufgerichtet in Selbsthaltung, marschierte Silur fleißig in der Bahn umher, die Frau saß schmiegsam und klassisch auf ihm und führte das Pferd wie an einem Zwirnsfaden. Den Rest ihrer Vorführung beobachtete ich, wohlbedacht darauf, dass niemand mich hinter dem Guckloch ertappte. Dann, als sie absaß, flüchtete ich schnell wieder in den Stall. Ich sagte nichts, tat als ob ich die ganze Zeit im Stall gearbeitet hätte. Das ging so bis zum Ende ihres Aufenthalts bei von Neindorff.Nachdem sie abgereist war, durfte ich Silur wieder reiten. Ich probierte das zu tun, was ich inzwischen bei Frau von Hopffgarten mit den Augen gestohlen hatte. Und — es ging. Silur fing an, tadellos zu gehen wie noch nie zuvor. Herr von Neindorff war auch in der Bahn, gab jemand anderem Stunde und drehte mir ostentativ immer den Rücken zu. Als ich nach der Stunde enttäuscht von Silur abstieg, ihn aber ausgiebig lobte, drehte Herr von Neindorff sich plötzlich zu mir um und rief, laut lachend: „Na Herr Stark, die verdammten Weiber können doch reiten, was?“ Damit hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen, in der Ausbildung ging es mit Silur und mir wieder steil aufwärts! „Tante Hüpf“ wie wir Südwester Frau von Hopffgarten liebevoll nannten, ist uns allen ein treuer Kamerad geworden. Sie besuchte mich jedes Jahr in Etoscha und ich habe sie überall im Busch mitgeschleppt. Sie musste auf ebener Erde am Feuer mit uns schlafen und hat alles ohne Murren mitgemacht. Noch heute besucht sie meine „Ziehkinder“ und Freunde in Namibia, aber oh, auch bei ihr meldet sich das Alter!Ich ritt schon lange beim Egon ohne zu zahlen. Dafür half ich viel, vor allem mit seinen schwierigen Pferden. Mittags war „Sonderstunde“. Die Reitbahn wurde geschlossen und Egon und ich nahmen uns spezielle Kandidaten vor. Er mit Wassereimer und langer Bahnpeitsche bewaffnet, ich oben drauf. Da ging es manchmal hoch her, nichts für das Auge zartbesaiteter „Tierschutzdamen“. Wir brachten alle verdorbenen Pferde wieder auf Vordermann. Es war oft hart, aber immer gerecht, meine Erfahrungen aus Südwest halfen mir dabei, jeder lernt von jedem.Dann fing gegen Ende des achten Monats meines Verbleibs in Deutschland in Ungarn ein kurzer Krieg an. Die Russen marschierten in Ungarn ein und unter-warfen die Ungarn auf ihre Art. Ganz Europa stand bereit, um im Notfall einzugreifen, meine Mutter schrieb mir flehende Briefe, ich sollte doch zeitig zurück-kommen. Herr von Neindorff hatte damals im Stall ein sehr vielversprechendes junges Pferd. Er wollte gerne mich und dieses Pferd für die kommende Olympiade vorbereiten und bat mich des Öfteren, doch zu bleiben. Der ewige Geldmangel und die Sehnsucht nach Südwest gewannen die Oberhand. Nach dem neunten Monat bei von Neindorff nahm ich Abschied von Egon und seinem Reitinstitut. Vielleicht war es ein großer Fehler. Ich hatte unendlich viel bei ihm gelernt, aber unendlich viel war noch zu lernen. Die klassische Dressur findet halt kein Ende! Schweren Herzens nahm ich Abschied. Meine Einstellung zum Leben hatte sich verändert. Mit einer halben Krone (2 Schilling 6 Pence) in der Tasche landete ich auf dem Eros-Flugplatz in Windhoek, wieder in der Heimat.Ein Taxi konnte ich mir nicht leisten. Ich hatte meine Mutter nicht benachrichtigt, dass ich zurückkomme, denn ich wollte sie überraschen. Also nahm ich meine zwei Koffer und begab mich zu Fuß auf den langen Weg nach Klein Windhoek. Das Sattelzeug sollte später nachkommen. Ich war noch nicht weit vom Flugplatz entfernt, als ein grauer Volkswagenkäfer neben mir hielt. „Wo willst du hin, Piet?“ erschallte eine Stimme. In dem Volkswagen saß Otto Fischer von Okahandja, mein alter Schulkamerad. „Nach Hause!“ antwortete ich. „Mann, steig ein, ich bring dich schnell hin!“ kam seine Antwort. Wie dankbar war ich damals dem Otto! Zu Hause fiel ich meiner überraschten Mutter in die Arme.Eigentlich wollte ich in Windhoek eine Reitschule aufmachen. Die Personen, die ich um Hilfe bat, waren jedoch sehr negativ. Ich sollte erst mal mein Können unter Beweis stellen. „Götz von Berlichingen“ sagte ich mir. Ich nahm wieder Verbindung mit Rudolf Böhme auf, der mich gern wieder aufnehmen wollte. Zum dritten Mal traten Banner und ich den weiten Weg nach Norden an. Banner verunglückte dann in dieser Zeitspanne auf Onguma.

Der weiße Buschmann

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-15

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