Im Sande versunken
Die deutsche Bauforscherin und Buchautorin Yoko Rödel ist Chefredakteurin der Fachmagazine METALL und COLOR in Wien. Für die AZ wirft sie einen Blick auf die vielschichtige Vergangenheit der Swakopmunder Hafenbauten. Erst kürzlich veröffentlichte sie das Buch „Die Landungsbrücke von Swakopmund", das die Entwicklungsgeschichte jener Anlagen von der Grundsteinlegung bis in die Gegenwart wiedergibt.
Teil 2/7
Die Swakopmunder Mole wurde Ende des 19. Jahrhunderts unter deutscher Schutzherrschaft in knapp drei Jahren Bauzeit realisiert – doch nur wenige Monate nach ihrer Fertigstellung war sie bereits versandet.
Im Leben ist wohl alles eine Frage der Perspektive. Hierzulande wird das vor allem dann spürbar, wenn man sich von Zeit zu Zeit mitten in der namibischen Einöde in einer Traube aus Biltong mampfenden Besuchern wiederfindet. Man erkennt sie schon von weitem anhand der obligatorischen Safari-Ausrüstung, bestehend aus einem Tropenhelm, einer schnittigen Sonnenbrille, vielfach verschließbaren Funktionsjacken, und – natürlich, wie sollte es anders sein – einem übergroßen Fernglas. "Wo gibt es denn hier eigentlich einen Badestrand?", hört man sie fragen, wenn man sich als Kenner des Landes zu erkennen gibt. Die Antwort hierauf sollte wohlüberlegt sein – denn sicherlich lädt die starke Brandung des Atlantiks nicht gerade dazu ein, sich in ihm zu ,,verlieren". Man ist in diesem Fall gut beraten, den etwas orientierungslosen Zeitgenossen den Strand an der Swakopmunder Mole weiterzuempfehlen. ,,Mole? Ist das nicht ein Hafen?", ist dann eine oft gestellte Frage. Wer sich dann die Mühe macht, einen Überblick über die deutsche Siedlungsgeschichte und die Entwicklung des Swakopmunder Hafens zu geben, wird jedoch nicht selten ein Stirnrunzeln bei seinem Gegenüber auslösen. Das ist sehr bedauerlich, denn die Swakopmunder Mole ist bis heute eines der prägnantesten Zeitzeugnisse aus der deutschen Kolonialzeit – Grund genug einen kleinen Überblick über die wechselhafte Vergangenheit jenes Bauwerks zu geben.
Nach der Gründung Swakopmunds im Jahr 1892 wurde der Landungsbetrieb zunächst mehrere Jahre lang am flachen Sandstrand durchgeführt. Wegen der starken Brandung waren die Landungsbedingungen denkbar schlecht. Dennoch hielt es die deutsche Regierung lange nicht für nötig, das Ufer um ordentliche Hafenbauten zu ergänzen. Das hatte auch finanzielle Gründe: In den ersten Jahren der Schutzherrschaft hatte man in Südwest vergeblich Ausschau nach Bodenschätzen gehalten. Der Aufbau einer Agrikultur kam in den meisten Gebieten aufgrund der Trockenheit nicht infrage. Hier und da wurde zwar Viehzucht betrieben, aber ansonsten war die Kolonie (zumindest aus ökonomischer Sicht) weitestgehend unrentabel. Das Geld fehlte an allen Ecken und Enden und so musste auch der Landungsbetrieb am Swakopmunder Südstrand viele Jahre lang in provisorischer Manier durchgeführt werden. Aufgrund des exponentiell angestiegenen Schiffsverkehrs kam man jedoch Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr umhin, in eine ordentliche Landungsanlage zu investieren. So wurde im Jahr 1900 der Bau einer massiven Hafenmole beschlossen. Dieser musste (wie so oft) aus deutschen Steuergeldern finanziert werden. Das Bauwerk sollte etwa dreihundert Meter nördlich der Swakop-Mündung entstehen – und zwar an einer Stelle, an der der Strand eine leichte Bucht ausbildete. Der Standort erschien insofern günstig, da dort der Einfluss des Benguelastromes (der kalten Meeresströmung, die mit schneller Geschwindigkeit an der Westküste vorbeizieht) mutmaßlich weniger stark ausfiel. Das Bauvorhaben wurde folglich unter der Leitung von Hafenbaumeister Mönch von rund fünfzig deutschen Arbeitern und einer Reihe weiterer Arbeitskräfte aus der lokalen Bevölkerung realisiert.
Aufgrund geringer finanzieller Mittel hatte man den Bau der Mole immer wieder stark abändern müssen – mit fatalen Folgen, wie sich später herausstellen sollte: Ursprünglich hatte man geplant, dass die Anlage über einen südlichen und einen nördlichen Molenarm (Hafendamm) verfügen sollte, um das Innere des Hafenbeckens vor einer Versandung zu schützen. Da jedoch das Hafenbauamt zu dem Schluss kam, dass das Fahrwasser rund um die Position der Mole verhältnismäßig ruhig war, ging man folglich dazu über, auf den nördlichen Damm zu verzichten. Außerdem wurde beschlossen, den noch verbliebenen Molenarm linear und ohne vorgelagerten Damm auszuführen. Als die Mole im Jahr 1903 im Zuge einer großen Feierlichkeit bei ,,schönstem Kaiserwetter" an das Windhuker Gouvernement übergeben wurde, entsprach sie schließlich eher der Typologie einer verlängerten Kaimauer und war den Einflüssen des Meeres mehr oder weniger schutzlos ausgesetzt. Es kam, wie es kommen musste: Wenige Monate nach jener feierlichen Eröffnung zeigten sich erste Tendenzen einer Versandung, wodurch der Landungsbetrieb bereits stark eingeschränkt worden war – spätestens im Jahr 1905 stand die Mole dann vollständig auf dem Trockenen.
Um zu retten, was doch nicht mehr zu retten war, veranlasste Wasserbauinspektor Wilhelm Ortloff eigenhändig, die Mole um einen Querarm in Form eines vorgelagerten Hafendammes zu erweitern. Dieser sollte dem Zweck dienen, das Ufer vor weiteren Sinkstoffen zu schützen. Das war im Übrigen gar so keine schlechte Idee, jedoch war der Damm zu klein dimensioniert worden. Dieser hätte wohl das Zehnfache an Länge haben müssen, um das Becken nachhaltig vor einer weiteren Versandung zu schützen. Ungeachtet dessen wurde Ortloff in Swakopmund als der ,,Retter der Mole" gefeiert – während sein unbürokratisches Handeln im Berliner Reichstag für hitzige Diskussionen sorgte. Ortloffs Alleingang sorgte unter den Politikern für großes Bestürzen und überhaupt wunderte man sich sehr, welche archaischen Zustände ,,da unten" in den Schutzgebieten herrschten. Nun weiß man auch, woher die Redewendung ,,Hier geht es zu wie bei den Hottentotten!" kommt... was das wiederum für die Geschichtsschreibung bedeutet, ist jedoch ein anderes Thema.
Hieran zeigt sich jedenfalls, dass die Lebensrealitäten der Deutschen in den Schutzgebieten den Landsleuten im Deutschen Reich überwiegend fremd blieben. Wer als Siedler in Deutsch-Südwestafrika überleben wollte, brauchte somit Nerven aus Stahl. Die Vorgänge rund um den Molenbau sind ein gutes Beispiel dafür. Während also im Berliner Reichstag zahlreiche Debatten über die unhaltbaren Verhältnisse in den Kolonien geführt wurden, hatte man in Swakopmund ganz andere Sorgen: Aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen mit den aufständischen Gruppen der Herero und Nama wurde Swakopmund als Versorgungsstandort eine immer wichtigere Rolle zuteil. Da kam es natürlich wenig gelegen, dass die Mole auf dem Trockenen stand. Also wurde nun alles dafür getan, um die Verkehrsfähigkeit des Hafens wieder herzustellen. So wurde etwa versucht, den Sand mithilfe eines Pumpenbaggers nachträglich aus dem Becken zu entfernen. Wenngleich hierdurch im Jahr 1906 ein letztes Mal Schiffe an der Mole gelandet werden konnten, war sie Ende desselben Jahres wieder fast vollständig versandet. Damit waren sämtliche Reaktivierungsversuche buchstäblich im Sande verlaufen. Parallel spitzte sich der Konflikt mit den aufständischen Bevölkerungsgruppen im Inland immer mehr zu – und zwar in einem solchen Ausmaß, sodass man sich um den Fortbestand des Schutzgebietes sorgte. Man ging davon aus, dass ohne einen regelmäßigen Schiffsverkehr nach Deutsch-Südwestafrika die Kolonie früher oder später dem Niedergang geweiht sein würde. Swakopmund brauchte dringend einen funktionierenden Hafen – und zwar schnell!
Yoko Rödel
Wie ging es weiter? Das erfahren Sie im nächsten Teil unserer Reportage-Reihe!
Die Swakopmunder Mole wurde Ende des 19. Jahrhunderts unter deutscher Schutzherrschaft in knapp drei Jahren Bauzeit realisiert – doch nur wenige Monate nach ihrer Fertigstellung war sie bereits versandet.
Im Leben ist wohl alles eine Frage der Perspektive. Hierzulande wird das vor allem dann spürbar, wenn man sich von Zeit zu Zeit mitten in der namibischen Einöde in einer Traube aus Biltong mampfenden Besuchern wiederfindet. Man erkennt sie schon von weitem anhand der obligatorischen Safari-Ausrüstung, bestehend aus einem Tropenhelm, einer schnittigen Sonnenbrille, vielfach verschließbaren Funktionsjacken, und – natürlich, wie sollte es anders sein – einem übergroßen Fernglas. "Wo gibt es denn hier eigentlich einen Badestrand?", hört man sie fragen, wenn man sich als Kenner des Landes zu erkennen gibt. Die Antwort hierauf sollte wohlüberlegt sein – denn sicherlich lädt die starke Brandung des Atlantiks nicht gerade dazu ein, sich in ihm zu ,,verlieren". Man ist in diesem Fall gut beraten, den etwas orientierungslosen Zeitgenossen den Strand an der Swakopmunder Mole weiterzuempfehlen. ,,Mole? Ist das nicht ein Hafen?", ist dann eine oft gestellte Frage. Wer sich dann die Mühe macht, einen Überblick über die deutsche Siedlungsgeschichte und die Entwicklung des Swakopmunder Hafens zu geben, wird jedoch nicht selten ein Stirnrunzeln bei seinem Gegenüber auslösen. Das ist sehr bedauerlich, denn die Swakopmunder Mole ist bis heute eines der prägnantesten Zeitzeugnisse aus der deutschen Kolonialzeit – Grund genug einen kleinen Überblick über die wechselhafte Vergangenheit jenes Bauwerks zu geben.
Nach der Gründung Swakopmunds im Jahr 1892 wurde der Landungsbetrieb zunächst mehrere Jahre lang am flachen Sandstrand durchgeführt. Wegen der starken Brandung waren die Landungsbedingungen denkbar schlecht. Dennoch hielt es die deutsche Regierung lange nicht für nötig, das Ufer um ordentliche Hafenbauten zu ergänzen. Das hatte auch finanzielle Gründe: In den ersten Jahren der Schutzherrschaft hatte man in Südwest vergeblich Ausschau nach Bodenschätzen gehalten. Der Aufbau einer Agrikultur kam in den meisten Gebieten aufgrund der Trockenheit nicht infrage. Hier und da wurde zwar Viehzucht betrieben, aber ansonsten war die Kolonie (zumindest aus ökonomischer Sicht) weitestgehend unrentabel. Das Geld fehlte an allen Ecken und Enden und so musste auch der Landungsbetrieb am Swakopmunder Südstrand viele Jahre lang in provisorischer Manier durchgeführt werden. Aufgrund des exponentiell angestiegenen Schiffsverkehrs kam man jedoch Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr umhin, in eine ordentliche Landungsanlage zu investieren. So wurde im Jahr 1900 der Bau einer massiven Hafenmole beschlossen. Dieser musste (wie so oft) aus deutschen Steuergeldern finanziert werden. Das Bauwerk sollte etwa dreihundert Meter nördlich der Swakop-Mündung entstehen – und zwar an einer Stelle, an der der Strand eine leichte Bucht ausbildete. Der Standort erschien insofern günstig, da dort der Einfluss des Benguelastromes (der kalten Meeresströmung, die mit schneller Geschwindigkeit an der Westküste vorbeizieht) mutmaßlich weniger stark ausfiel. Das Bauvorhaben wurde folglich unter der Leitung von Hafenbaumeister Mönch von rund fünfzig deutschen Arbeitern und einer Reihe weiterer Arbeitskräfte aus der lokalen Bevölkerung realisiert.
Aufgrund geringer finanzieller Mittel hatte man den Bau der Mole immer wieder stark abändern müssen – mit fatalen Folgen, wie sich später herausstellen sollte: Ursprünglich hatte man geplant, dass die Anlage über einen südlichen und einen nördlichen Molenarm (Hafendamm) verfügen sollte, um das Innere des Hafenbeckens vor einer Versandung zu schützen. Da jedoch das Hafenbauamt zu dem Schluss kam, dass das Fahrwasser rund um die Position der Mole verhältnismäßig ruhig war, ging man folglich dazu über, auf den nördlichen Damm zu verzichten. Außerdem wurde beschlossen, den noch verbliebenen Molenarm linear und ohne vorgelagerten Damm auszuführen. Als die Mole im Jahr 1903 im Zuge einer großen Feierlichkeit bei ,,schönstem Kaiserwetter" an das Windhuker Gouvernement übergeben wurde, entsprach sie schließlich eher der Typologie einer verlängerten Kaimauer und war den Einflüssen des Meeres mehr oder weniger schutzlos ausgesetzt. Es kam, wie es kommen musste: Wenige Monate nach jener feierlichen Eröffnung zeigten sich erste Tendenzen einer Versandung, wodurch der Landungsbetrieb bereits stark eingeschränkt worden war – spätestens im Jahr 1905 stand die Mole dann vollständig auf dem Trockenen.
Um zu retten, was doch nicht mehr zu retten war, veranlasste Wasserbauinspektor Wilhelm Ortloff eigenhändig, die Mole um einen Querarm in Form eines vorgelagerten Hafendammes zu erweitern. Dieser sollte dem Zweck dienen, das Ufer vor weiteren Sinkstoffen zu schützen. Das war im Übrigen gar so keine schlechte Idee, jedoch war der Damm zu klein dimensioniert worden. Dieser hätte wohl das Zehnfache an Länge haben müssen, um das Becken nachhaltig vor einer weiteren Versandung zu schützen. Ungeachtet dessen wurde Ortloff in Swakopmund als der ,,Retter der Mole" gefeiert – während sein unbürokratisches Handeln im Berliner Reichstag für hitzige Diskussionen sorgte. Ortloffs Alleingang sorgte unter den Politikern für großes Bestürzen und überhaupt wunderte man sich sehr, welche archaischen Zustände ,,da unten" in den Schutzgebieten herrschten. Nun weiß man auch, woher die Redewendung ,,Hier geht es zu wie bei den Hottentotten!" kommt... was das wiederum für die Geschichtsschreibung bedeutet, ist jedoch ein anderes Thema.
Hieran zeigt sich jedenfalls, dass die Lebensrealitäten der Deutschen in den Schutzgebieten den Landsleuten im Deutschen Reich überwiegend fremd blieben. Wer als Siedler in Deutsch-Südwestafrika überleben wollte, brauchte somit Nerven aus Stahl. Die Vorgänge rund um den Molenbau sind ein gutes Beispiel dafür. Während also im Berliner Reichstag zahlreiche Debatten über die unhaltbaren Verhältnisse in den Kolonien geführt wurden, hatte man in Swakopmund ganz andere Sorgen: Aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen mit den aufständischen Gruppen der Herero und Nama wurde Swakopmund als Versorgungsstandort eine immer wichtigere Rolle zuteil. Da kam es natürlich wenig gelegen, dass die Mole auf dem Trockenen stand. Also wurde nun alles dafür getan, um die Verkehrsfähigkeit des Hafens wieder herzustellen. So wurde etwa versucht, den Sand mithilfe eines Pumpenbaggers nachträglich aus dem Becken zu entfernen. Wenngleich hierdurch im Jahr 1906 ein letztes Mal Schiffe an der Mole gelandet werden konnten, war sie Ende desselben Jahres wieder fast vollständig versandet. Damit waren sämtliche Reaktivierungsversuche buchstäblich im Sande verlaufen. Parallel spitzte sich der Konflikt mit den aufständischen Bevölkerungsgruppen im Inland immer mehr zu – und zwar in einem solchen Ausmaß, sodass man sich um den Fortbestand des Schutzgebietes sorgte. Man ging davon aus, dass ohne einen regelmäßigen Schiffsverkehr nach Deutsch-Südwestafrika die Kolonie früher oder später dem Niedergang geweiht sein würde. Swakopmund brauchte dringend einen funktionierenden Hafen – und zwar schnell!
Yoko Rödel
Wie ging es weiter? Das erfahren Sie im nächsten Teil unserer Reportage-Reihe!
Kommentar
Rainer Otto
Schöner Artikel. Gruss aus DEL.