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Invictus Games - Soldaten kämpfen sich ins Leben zurück

Dennis Siesing und Christian Münster waren mehrmals in Afghanistan. Tief traumatisiert kehrten die Bundeswehrsoldaten zurück. Nun starten sie bei den Invictus Games in Düsseldorf. Medaillen sind nicht wichtig. Es geht um die Rückkehr ins Leben.
Äußerlich ist Dennis Siesing unversehrt. Ruhig spannt der 43-jährige durchtrainierte und braungebrannte Hüne auf einer Anlage in Gelsenkirchen den Bogen. Ein Pfeil nach dem anderen bohrt sich mitten ins Gelbe der 18 Meter entfernten Zielscheibe. Dass der ehemalige Fallschirmjäger durch die Hölle gegangen ist, ist ihm nicht anzumerken.

In den Supermarkt geht Siesing selten allein, und wenn doch, dann mit Kopfhörer und Musik im Ohr. „Danach bin ich fertig, die engen Räume und Gänge, das ist nichts mehr für mich.“ Das dumpfe Schlagen einer Autotür ist für Siesing schwer zu ertragen. Nachts durchschlafen kann er schon lange nicht, er wacht schweißgebadet auf, weil immer wieder die Bilder kommen: Afghanistan, das Bundeswehrcamp in Kundus, die Wüste, die Raketenangriffe. Und dann die Sprengfalle, die im Konvoi direkt unter dem Fahrzeug vor ihm hochging und seinen besten Freund vor seinen Augen zerriss.

Nach drei Einsätzen in Afghanistan zwischen 2008 und 2011 ist für Siesing nichts mehr, wie es einmal war. Seine Seele ist verwundet. Der Stabsfeldwebel leidet wie viele andere Bundeswehrsoldaten auch an einer posttraumatischen Belastungsstörung, kurz PTBS. Wochen verbrachte er im Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz, eineinhalb Jahre in einer Trauma-Klinik in Dresden, mehrmals war er in einer psychosomatischen Klinik am Möhnesee. Die Therapien und Sport haben den Gelsenkirchener wieder ins Alltagsleben zurückgebracht. Und sein persönlicher Triumph werden die Invictus Games.

Siesing gehört zum 37-köpfigen deutschen Team der Weltspiele für an Körper und Psyche verletzte Soldatinnen und Soldaten, die am kommenden Samstag (9. September) in Düsseldorf eröffnet werden. Erstmals finden die von Prinz Harry gegründeten Invictus Games in Deutschland statt. Zum ersten Mal sind auch einige versehrte und erkrankte Polizisten und Feuerwehrleute im deutschen Team dabei.

500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 21 Nationen werden erwartet. Sie kommen unter anderem aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Nigeria, erstmals auch aus Israel und Kolumbien. Auch ein Team aus der Ukraine, die unter immensen Verlusten seit eineinhalb Jahren den russischen Angriffskrieg abwehrt, reist aus dem Kriegsgebiet in die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt.



Für Siesing und alle anderen ist Invictus eine Familie. Siesing, der 2016 erstmals in Orlando in Florida an den Spielen teilnahm, kennt einige US-Soldaten noch aus Afghanistan. Beim Bogenschießen, Rollstuhl-Basketball, Radfahren, Tischtennis oder auch Sitzvolleyball treffen sich die Veteranen wieder. Auch Prinz Harry wird die ganze Woche dabei sein. Seine Frau Herzogin Meghan kommt auch.

Prinz Harry ist einer von ihnen

Der Knatsch bei den Royals, die Skandal-Schlagzeilen um Harry und Meghan, ihr Rückzug aus dem Königshaus - das alles ist vielen Invictus-Teilnehmern komplett egal. Für sie ist Harry ein Offizier der British Army, einer von ihnen. Einer, der in Afghanistan an der Front war, der Tote und Verwundete in die Heimat zurück begleitete. „Ein dufter Kerl“, sagt Siesing. „Der ist genauso nahbar wie wir. Lässt den Royal nicht raushängen. Er hat uns eine Plattform und ein Gesicht gegeben.“

Siesing hat Harry übrigens schon mal am Rande der Invictus Games 2017 in Toronto ein paar Runden in einem 400-PS-Rennwagen gefahren - ohne Personenschutz. Die Sicherheitsleute hätten ihm vorab zwar eingeschärft: „Fahr langsam!“ Als beide allein im Auto saßen, habe der Prinz gesagt: „Gib Gas.“

Siesing erhofft sich durch die Austragung der Invictus Games in Düsseldorf mehr Aufmerksamkeit für versehrte Soldaten auch in Deutschland. In den USA und Kanada wurden die Invictus-Sportler gefeiert. „Bei Starbucks in Orlando standen alle Gäste auf und applaudierten“, sagt Sieving.

Großer Empfang für die Invictus-Teams

Den Invictus-Teilnehmern wird auch in Düsseldorf ein großer Empfang bereitet. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius begrüßt die Athleten. Pop-Star Rita Ora und der US-Rapper Macklemore werden auftreten. Die Abschlussrede am 16. September wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier halten. Für die Spiele sind nach Angaben der Bundesregierung im Verteidigungshaushalt 40 Millionen Euro bereitgestellt.

116 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben in Auslandseinsätzen oder Missionen ihr Leben gelassen, sagte Generalleutnant Markus Laubenthal, stellvertretender Generalinspekteur der Bundeswehr, kürzlich im NRW-Landtag bei einem Empfang für das deutsche Invictus-Team. „Eine sehr viel höhere Zahl kämpft mit den Folgen einer körperlichen oder seelischen Verletzung, die sie im Einsatz für unser Land erlitten haben.“

„A Home For Respect” lautet das Motto der Invictus Games. Es geht nicht ums Gewinnen. Es gehe um Respekt gegenüber den Streitkräften und darum, was „Menschen in Uniform“ bereit seien, für die Gesellschaft zu geben, sagte Laubenthal. „Sie verdeutlichen den Preis unserer Freiheit.“

Hass-Posts gegen die Bundeswehr

Was Laubenthal sagt, ist in der Gesellschaft durchaus nicht selbstverständlich. Siesing erzählt von Hass-Kommentaren unter seinen Posts bei Facebook und Instagram. Von „Weichei-Truppe“ sei da die Rede oder: „selber schuld“. Dabei war Siesings Truppe in Afghanistan „in Gebieten, wo sich vorher keiner reingetraut hat“. Tagelang waren die Trupps fernab des Bundeswehrcamps unterwegs, schliefen in der Einöde, verteilten in entlegenen Dörfern Wasser und Kleidung, suchten Sprengfallen. Die größte, die sie fanden, war 200 Kilo schwer. „Da haben wir fast draufgestanden.“



Bei Feldwebel Christian Münster aus Lemgo waren es nicht konkrete Angriffe, sondern die „immer latente Bedrohungssituation“, die den zweifachen Familienvater ans Limit brachte. Den 42-jährigen Feldwebel haben mehrere Afghanistan-Einsätze, zuletzt 2016, tief gezeichnet. „Die ganze Zeit war die Angst präsent.“ Wieder zuhause, konnte er die Nähe seiner Kinder nicht mehr zulassen. Noch heute kann er es nicht ertragen, wenn Menschen ihn von hinten anfassen. „Mein ganzer Körper ist dann sofort auf 180.“ Schon im Feldlager in Masar-i-Scharif litt Münster unter ersten Symptomen. Er hatte Schlafstörungen, joggte um drei Uhr nachts. Auch heute macht er noch Therapien. „Es ist immer präsent. Es holt einen irgendwann wieder ein.“

Münster ist heute Trainer für Sport und körperliche Leistungsfähigkeit in der Grundausbildung der Rekruten in Augustdorf. Für die Invictus Games hat er sich ein großes Programm vorgenommen: Tischtennis, 1500-Meter-Lauf, Sitz-Volleyball und Radfahren zum Abschluss. Er hofft, dass ihn die Invictus Games „im normalen Leben weiterbringen“, „dass ich mich wieder sicherer fühle“, dass die Spiele ihm „mehr Kraft für die Zukunft“ geben.

Anders als etwa bei den Paralympics geht es bei den Invictus Games nicht um Medaillen. Münsters Team-Kamerad Dennis Siesing sagt: „Bei uns trainiert jeder dafür, an dem Tag da zu sein.“ In Düsseldorf wird er mit Dutzenden Bogenschützen an einer Linie stehen, immer nur ein halber Meter Abstand - eine Herausforderung. „Wenn ich an der Schießlinie steh', hab ich für mich den Kampf schon gewonnen“, sagt Siesing. Seine Freundin, sein 13-jähriger Sohn, seine Eltern werden im Stadion sein. „Es geht ums Antreten. Dafür hab ich mich zurückgekämpft, um an dem Tag da zu stehen“, sagt er. „Ich krieg schon jetzt Gänsehaut.“

Von Dorothea Hülsmeier, dpa

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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