NDR-Antwort wirft Fragen auf
Deutsches Medienhaus scheint unwillig Fehler einzugestehen
Die Leiterin im Programmbereich Kultur des Norddeutschen Rundfunks versichert der AZ, dass der im Auftrag des NDR produzierte Dokumentarfilm „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord", eine seriöse Darstellung ist, die „für ein junges Publikum in Deutschland" gedreht wurde. Was als Dokumentarfilm veröffentlicht wurde, ist nun zum „Presenter Format" geworden.
Von Frank Steffen, Windhoek
„Meine Erkenntnis aus der Debatte ist, dass ein Film allein nicht reicht, um die komplexe Situation umfassend darzustellen. Der Film zeigt mithin ‚eine‘ Perspektive. Ich kann nachvollziehen, dass für Sie und weitere Zuschauer eine Leerstelle bleibt“, stellt die NDR-Leiterin im Programmbereich Kultur, Anja Würzberg-Wollermann, in einer ausführlichen Antwort an die AZ fest. In ihrem Schreiben geht sie detailliert auf Ansatzpunkte der AZ ein, zeigt sich aber unwillig einzusehen, dass der im Auftrag des NDR produzierte Dokumentarfilm „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“ (am 25. September 2023 im NDR gesendet) nicht den Vorstellungen einiger Probanden und auch nicht der Realitäten zu entsprechen scheint.
Viele Medien oder Eigenrecherche?
So verwundert ihre Antwort auf die Nachfrage der AZ, wie der Film zu dem Schluss kommt, dass 70% Namibias nach wie vor „Weißen“ gehört. Würzberg-Wollermann räumt „unterschiedliche Perspektiven und Haltungen“ ein und präzisiert: „Etwa zu den Auswirkungen der Kolonialzeit auf die heutigen Besitzverhältnisse in Namibia – zu denen es bereits in vielen Qualitätsmedien im Umfeld des Abkommens zwischen der Bundesrepublik und Namibia im Jahr 2021 umfassende Berichterstattung gab. Sie hinterfragen unsere Zahlen. Selbstverständlich sind sie im Vorfeld recherchiert. Im Zuge der an uns herangetragenen Kritik haben wir sie erneut überprüft. Unsere Quellen sind u.a. ein Bericht der Namibian Statistics Agency.“
Damit entsteht die Frage, ob das Namibische Statistikamt der (NSA) der Filmproduzentin oder ihrem Team andere Ziffern vorgelegt hat, als die, welche verschiedene Staatsorgane, inklusive der Namibia Universität für Wissenschaft und Technik (NUST) letztendlich verarbeiteten, um dadurch dem Ministerium für Landreform die korrekten Angaben während der zweiten Landkonferenz im Oktober 2018 zu ermöglichen.
Wenn dem so ist, würde das dem Ministerium (heute das Ministerium für Landwirtschaft, Wasserbau und Landreform, MAWLR) unterstellen, die damaligen Konferenzteilnehmer unter Umständen absichtlich hinters Licht geführt zu haben. Eine Grafik der AZ aus dieser Zeit zeigt an, dass den ehemals benachteiligten Bevölkerungsgruppen zwischen Kommunalgebieten und kommerziellem Farmgebiet im Jahr 2018 nahezu 52% des Landes gehörten (Tendenz steigend).
Staat wird verunglimpft
Eine Kritikerin meinte im Gespräch mit der AZ: „Diese Darstellung unterstellt der namibischen Regierung, dass sie in den vergangenen mehr als 30 Jahren der Unabhängigkeit nichts getan hätte, um die Landfrage zu lösen.“ In der Tat hatte die AZ den NDR-Leitern – Joachim Knuth, Intendant des Norddeutschen Rundfunks, Christiane Geberding, Kultur-Redakteurin, und Würzberg-Wollermann – eine weitere Grafik aus jener Zeit zugesandt, laut welcher der Besitzstand der „nichtweißen Farmer“ im sogenannten kommerziellen Farmland im Jahr 1990, von 980 260 Hektar (181 Farmen) auf 10 839 273 Hektar (knapp 1 000 Farmen) Ende 2017 verbessert worden war.
Knapp 365 000 Hektar pro Jahr hatten während der 27 Jahre seit 1990 den Eigentümer gewechselt. Während der Landkonferenz waren drei Faktoren betont worden: i) Dass die knapp 11 Mio. Hektar ohne die weiteren 31,7 Mio. Hektar Kommunalland berechnet worden waren, wenngleich das Kommunalland einen ähnlichen Mix an Farmland darstellt, wie es im sogenannten kommerziellen Teil vorkommt; ii) dass die namibische Regierung einsehe, dass die Landfrage noch nicht zufriedenstellen gelöst worden sei, dass aber immerhin eine Landkrise in der Art, wie sie in Simbabwe vorkam, bisher verhindert werden konnte; und iii), dass es bei der Landfrage im Weiteren nicht grundsätzlich um den Besitz einer Farm geht (nicht jedes Mitglied einer Kommunalgesellschaft, sprich eines Kraals, habe in der Vergangenheit im traditionellen Umfeld eine Farm besessen), sondern dass ein wesentlicher Teil der Landfrage geklärt würde, wenn der Wohnungsbau vorangetrieben würde.
Landverteilung ist ungleich
Die Landfrage bleibt ein heißumstrittenes politisches Thema, zumal der Wirtschaftseinbruch der vergangenen Jahre, kombiniert mit der Covid-Pandemie, die Landreform ins Stocken gebracht hatte. Streng genommen befinden sich 70% des kommerziellen Farmlandes – 25,33 Mio. ha der gesamten 36,2 Mio. ha – in Besitz von Weißen oder Privatbetrieben (nicht unbedingt Weiße). Damit entspricht der kommerzielle Landbesitz nicht der Demografie des Landes. Andererseits ist es Weißen untersagt, Farmland in Kommunalgebieten zu besitzen.
Würzberg-Wollermann räumt indessen ein, dass Filme „kontinuierlich kritisch hinterfragt“ würden: „Das haben wir auch bei „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“ getan und für Klarheit und Präzision gesorgt – dort, wo wir uns in der ersten Version des Films für Kürze und Textverständlichkeit entschieden haben. Die Redaktion hat den Text in einer zweiten Version angepasst und das auch den Zuschauerinnen und Zuschauern gegenüber transparent gemacht.“
Die Veränderungen scheinen eher kosmetisch und ohne sie hätte sich der NRD wahrscheinlich weiter bloßgestellt. „Kolonialisten auf der Suche nach Diamanten, Uran und Zink...“ war nur eine der Behauptungen, die angesichts einer nicht-bestehenden Nuklearindustrie zu jener Zeit bereits zur Lachnummer geworden ist.
Rein in die Kartoffel, raus aus der Kartoffel
Was sie auf jeden Fall nicht klarstellt, ist die Tatsache, dass „@MRDDOK“ (also indirekt der NRD) auf YouTube einem nicht-deutschen Namibier, der in Deutschland lebt, versichert hatte: „Die Doku ist durch Historiker*innen (deutsche und namibische) begleitet und fachlich betreut worden. Zudem wurden Belege und Zeitdokumente eingesehen. Auch wenn Du eine subjektive Sicht darauf hast, so ändert dies nichts an den objektiven Tatsachen...“ Nur um drei Tage später die Eintragung zu löschen und zuzugeben, dass keine Historiker den Film begleitet und betreut hätten: „Das war falsch, wir haben unsere Antwort deshalb gelöscht.“ Von einer Entschuldigung keine Spur.
Die Frage entsteht natürlich, wie glaubwürdig die oben genannte „selbstverständliche Recherche“ ist. Denn der Dokumentarfilm wird jetzt zu einem Feature: „Bei der Dokumentation ‚Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord‘ handelt es sich nicht um eine historische Dokumentation, sondern um ein Presenter Format.“
Konstruktive Debatte auch zu Denkmal?
Der AZ versichert die Programmleiterin: „Auch dafür produzieren wir solche Filme – um konstruktive Debatten anzuregen und zu führen.“ Kritiker, darunter das „Forum Deutschsprachiger Namibier“ hatten moniert, warum diese Debatte nicht im Vorfeld geführt wurde.
Die Frankfurter Allgemeine schreibt, dass sich der NDR gegen die massive Kritik wehre: „Anspruch des Films sei es, ‚authentische und multiperspektivische Einblicke in das heutige Namibia zu bieten und diese Einblicke in ihren historischen Kontext einzuordnen‘, heißt es auf Anfrage.“
Die Bild-Zeitung machte sich indessen im Nachtragsartikel „ARD gesteht Afrika-Lüge“ scheinbar lustig über die Doku. Der Behauptung, dass es in Namibia keine Denkmäler gebe, die der Kolonialzeit aus der Warte der Unterdrückten gedenke, begegnete das Blatt, indem es ein Bild des Völkermorddenkmals vor der Alten Feste veröffentlichte, mit der Überschrift: „Wo gibt es so ein Denkmal? Im eigenen Film!“
„Meine Erkenntnis aus der Debatte ist, dass ein Film allein nicht reicht, um die komplexe Situation umfassend darzustellen. Der Film zeigt mithin ‚eine‘ Perspektive. Ich kann nachvollziehen, dass für Sie und weitere Zuschauer eine Leerstelle bleibt“, stellt die NDR-Leiterin im Programmbereich Kultur, Anja Würzberg-Wollermann, in einer ausführlichen Antwort an die AZ fest. In ihrem Schreiben geht sie detailliert auf Ansatzpunkte der AZ ein, zeigt sich aber unwillig einzusehen, dass der im Auftrag des NDR produzierte Dokumentarfilm „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“ (am 25. September 2023 im NDR gesendet) nicht den Vorstellungen einiger Probanden und auch nicht der Realitäten zu entsprechen scheint.
Viele Medien oder Eigenrecherche?
So verwundert ihre Antwort auf die Nachfrage der AZ, wie der Film zu dem Schluss kommt, dass 70% Namibias nach wie vor „Weißen“ gehört. Würzberg-Wollermann räumt „unterschiedliche Perspektiven und Haltungen“ ein und präzisiert: „Etwa zu den Auswirkungen der Kolonialzeit auf die heutigen Besitzverhältnisse in Namibia – zu denen es bereits in vielen Qualitätsmedien im Umfeld des Abkommens zwischen der Bundesrepublik und Namibia im Jahr 2021 umfassende Berichterstattung gab. Sie hinterfragen unsere Zahlen. Selbstverständlich sind sie im Vorfeld recherchiert. Im Zuge der an uns herangetragenen Kritik haben wir sie erneut überprüft. Unsere Quellen sind u.a. ein Bericht der Namibian Statistics Agency.“
Damit entsteht die Frage, ob das Namibische Statistikamt der (NSA) der Filmproduzentin oder ihrem Team andere Ziffern vorgelegt hat, als die, welche verschiedene Staatsorgane, inklusive der Namibia Universität für Wissenschaft und Technik (NUST) letztendlich verarbeiteten, um dadurch dem Ministerium für Landreform die korrekten Angaben während der zweiten Landkonferenz im Oktober 2018 zu ermöglichen.
Wenn dem so ist, würde das dem Ministerium (heute das Ministerium für Landwirtschaft, Wasserbau und Landreform, MAWLR) unterstellen, die damaligen Konferenzteilnehmer unter Umständen absichtlich hinters Licht geführt zu haben. Eine Grafik der AZ aus dieser Zeit zeigt an, dass den ehemals benachteiligten Bevölkerungsgruppen zwischen Kommunalgebieten und kommerziellem Farmgebiet im Jahr 2018 nahezu 52% des Landes gehörten (Tendenz steigend).
Staat wird verunglimpft
Eine Kritikerin meinte im Gespräch mit der AZ: „Diese Darstellung unterstellt der namibischen Regierung, dass sie in den vergangenen mehr als 30 Jahren der Unabhängigkeit nichts getan hätte, um die Landfrage zu lösen.“ In der Tat hatte die AZ den NDR-Leitern – Joachim Knuth, Intendant des Norddeutschen Rundfunks, Christiane Geberding, Kultur-Redakteurin, und Würzberg-Wollermann – eine weitere Grafik aus jener Zeit zugesandt, laut welcher der Besitzstand der „nichtweißen Farmer“ im sogenannten kommerziellen Farmland im Jahr 1990, von 980 260 Hektar (181 Farmen) auf 10 839 273 Hektar (knapp 1 000 Farmen) Ende 2017 verbessert worden war.
Knapp 365 000 Hektar pro Jahr hatten während der 27 Jahre seit 1990 den Eigentümer gewechselt. Während der Landkonferenz waren drei Faktoren betont worden: i) Dass die knapp 11 Mio. Hektar ohne die weiteren 31,7 Mio. Hektar Kommunalland berechnet worden waren, wenngleich das Kommunalland einen ähnlichen Mix an Farmland darstellt, wie es im sogenannten kommerziellen Teil vorkommt; ii) dass die namibische Regierung einsehe, dass die Landfrage noch nicht zufriedenstellen gelöst worden sei, dass aber immerhin eine Landkrise in der Art, wie sie in Simbabwe vorkam, bisher verhindert werden konnte; und iii), dass es bei der Landfrage im Weiteren nicht grundsätzlich um den Besitz einer Farm geht (nicht jedes Mitglied einer Kommunalgesellschaft, sprich eines Kraals, habe in der Vergangenheit im traditionellen Umfeld eine Farm besessen), sondern dass ein wesentlicher Teil der Landfrage geklärt würde, wenn der Wohnungsbau vorangetrieben würde.
Landverteilung ist ungleich
Die Landfrage bleibt ein heißumstrittenes politisches Thema, zumal der Wirtschaftseinbruch der vergangenen Jahre, kombiniert mit der Covid-Pandemie, die Landreform ins Stocken gebracht hatte. Streng genommen befinden sich 70% des kommerziellen Farmlandes – 25,33 Mio. ha der gesamten 36,2 Mio. ha – in Besitz von Weißen oder Privatbetrieben (nicht unbedingt Weiße). Damit entspricht der kommerzielle Landbesitz nicht der Demografie des Landes. Andererseits ist es Weißen untersagt, Farmland in Kommunalgebieten zu besitzen.
Würzberg-Wollermann räumt indessen ein, dass Filme „kontinuierlich kritisch hinterfragt“ würden: „Das haben wir auch bei „Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord“ getan und für Klarheit und Präzision gesorgt – dort, wo wir uns in der ersten Version des Films für Kürze und Textverständlichkeit entschieden haben. Die Redaktion hat den Text in einer zweiten Version angepasst und das auch den Zuschauerinnen und Zuschauern gegenüber transparent gemacht.“
Die Veränderungen scheinen eher kosmetisch und ohne sie hätte sich der NRD wahrscheinlich weiter bloßgestellt. „Kolonialisten auf der Suche nach Diamanten, Uran und Zink...“ war nur eine der Behauptungen, die angesichts einer nicht-bestehenden Nuklearindustrie zu jener Zeit bereits zur Lachnummer geworden ist.
Rein in die Kartoffel, raus aus der Kartoffel
Was sie auf jeden Fall nicht klarstellt, ist die Tatsache, dass „@MRDDOK“ (also indirekt der NRD) auf YouTube einem nicht-deutschen Namibier, der in Deutschland lebt, versichert hatte: „Die Doku ist durch Historiker*innen (deutsche und namibische) begleitet und fachlich betreut worden. Zudem wurden Belege und Zeitdokumente eingesehen. Auch wenn Du eine subjektive Sicht darauf hast, so ändert dies nichts an den objektiven Tatsachen...“ Nur um drei Tage später die Eintragung zu löschen und zuzugeben, dass keine Historiker den Film begleitet und betreut hätten: „Das war falsch, wir haben unsere Antwort deshalb gelöscht.“ Von einer Entschuldigung keine Spur.
Die Frage entsteht natürlich, wie glaubwürdig die oben genannte „selbstverständliche Recherche“ ist. Denn der Dokumentarfilm wird jetzt zu einem Feature: „Bei der Dokumentation ‚Deutsche Schuld – Namibia und der Völkermord‘ handelt es sich nicht um eine historische Dokumentation, sondern um ein Presenter Format.“
Konstruktive Debatte auch zu Denkmal?
Der AZ versichert die Programmleiterin: „Auch dafür produzieren wir solche Filme – um konstruktive Debatten anzuregen und zu führen.“ Kritiker, darunter das „Forum Deutschsprachiger Namibier“ hatten moniert, warum diese Debatte nicht im Vorfeld geführt wurde.
Die Frankfurter Allgemeine schreibt, dass sich der NDR gegen die massive Kritik wehre: „Anspruch des Films sei es, ‚authentische und multiperspektivische Einblicke in das heutige Namibia zu bieten und diese Einblicke in ihren historischen Kontext einzuordnen‘, heißt es auf Anfrage.“
Die Bild-Zeitung machte sich indessen im Nachtragsartikel „ARD gesteht Afrika-Lüge“ scheinbar lustig über die Doku. Der Behauptung, dass es in Namibia keine Denkmäler gebe, die der Kolonialzeit aus der Warte der Unterdrückten gedenke, begegnete das Blatt, indem es ein Bild des Völkermorddenkmals vor der Alten Feste veröffentlichte, mit der Überschrift: „Wo gibt es so ein Denkmal? Im eigenen Film!“
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Allgemeine Zeitung
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