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WEHRET DEN ANFÄNGEN!

Zur Verteidigung der verfassungsmäßigen Minderheitenrechte für alle Namibier – auch für LGBTQ-Bürger
Frank Steffen
Eine beunruhigende, wenn nicht gar beängstigende Entwicklung hat der „Offene Brief“ (23.05.23) von sieben pensionierten Bischöfen der ELCIN (Evangelisch-Lutherische Kirche in Namibia) ausgelöst, in dem das namibische Staatsoberhaupt aufgefordert wird, von seinen Befugnissen Gebrauch zu machen und den Obersten Gerichtshof zu veranlassen, sein Urteil (16.05.23) über die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen zurückzunehmen.

Dieser Aufruf selbst ist nicht so beunruhigend wie seine offensichtlichen Folgen in der Gesellschaft und – mehr noch – im politischen Bereich, wenn man davon ausgeht, dass er der Auslöser für das politische Chaos um das Urteil des Obersten Gerichtshofs war.

Die namibische Gesellschaft leidet unter extremer Armut, Arbeitslosigkeit und Ungleichheit, ohne dass ein Ende in Sicht ist, und „man sollte meinen, dass dies die Art von Themen sind, die die herrschende Elite nachts wachhalten ... und nicht die privaten partnerschaftlichen Angelegenheiten von einzelnen Bürgern.“ (John Nakuta, Aktivist für soziale Gerechtigkeit - Namibian Sun 26/06). Doch während die obengenannten sozialen und wirtschaftlichen Missstände seit wer weiß wie vielen Jahren bestehen, ohne dass wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen werden, haben die „partnerschaftlichen Privatangelegenheiten“ bestimmte Politiker dazu veranlasst, plötzlich eine ungewöhnliche Fähigkeit zu entwickeln, Gesetzesvorlagen in Rekordzeit zu verfassen und in beispielloser Eile durch die Nationalversammlung zu bringen („Zwei Entwürfe gegen LGBTQ-Ehen verabschiedet“ AZ 13/07/23).

Die ELCIN-Bischöfe im Ruhestand erklären, dass sie weiterhin ihre „unmissverständliche Stimme im Geiste der Liebe, des Friedens und der positiven Zielsetzung“ erheben werden, während sie gleichzeitig eine verschleierte Drohung aussprechen, dass „Hass und offensichtliche Konflikte zwischen Kirche und Staat in Namibia“ als Folge des Urteils des Obersten Gerichtshofs zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen entstehen werden. Dies wird durch die ominöse Forderung unterstrichen, der Staatschef solle alle Möglichkeiten ausloten, „um Chaos und einen unnötigen Krieg in Namibia zu vermeiden“, der durch das Urteil zur gleichgeschlechtlichen Ehe ausgelöst werden könne!

Ohne jeden einzelnen Grund für die Forderung der Bischöfe widerlegen zu wollen, sollte Folgendes klargestellt werden:

- Das Urteil des Obersten Gerichtshofs, das gleichgeschlechtliche Ehen anerkennt, gilt nur für ausländische Ehepartner, die mit namibischen Staatsbürgern im Ausland im Sinne der geltenden ausländischen Gesetzgebung verheiratet sind.

- Das Urteil des Obersten Gerichtshofs verstößt nicht gegen die namibische Verfassung – im Gegenteil, wie noch zu zeigen sein wird.

- Das Urteil des Obersten Gerichtshofs verstößt nicht gegen die nationalen Traditionen und kulturellen Normen – zumindest nicht aller Namibier, wovon das besagte Urteil zeugt.

- Als „(ehemalige) Führer der Kirche (ELCIN)“ versuchen die Bischöfe der Exekutive (Staatsoberhaupt) als auch der Judikative (Oberster Gerichtshof) und – indirekt – der Legislative (Parlament) ihren Willen aufzuzwingen.

In Artikel 1 der namibischen Verfassung wird die Republik Namibia als „souveräner, säkularer, demokratischer und einheitlicher Staat“ definiert. Zuallererst ist es wichtig zu verstehen, dass Namibia als säkularer Staat nicht nach den Regeln irgendeiner Religion verwaltet wird.

Darüber hinaus besteht die namibische Nation aus einer vielfältigen Bevölkerung mit vielen verschiedenen Kulturen, Sprachen und Traditionen, die oft unterschiedlichen Werten und Glaubensvorstellungen anhängen. Um eine einheitliche, demokratische Verfassung zu erreichen, waren ernsthafte Debatten und ein Prozess des Gebens und Nehmens unter den 72 Gründungsmitgliedern der Verfassung erforderlich, um Kompromisse im Hinblick auf diese unterschiedlichen Werte und Überzeugungen zu finden und zu vereinbaren. Das Ergebnis war anders als das, was jeder dieser verschiedenen Teilnehmer für sich selbst wollte oder erwartete, aber es schaffte eine Grundlage für gegenseitige Achtung, die Förderung des sozialen Zusammenhalts und das Versprechen von Würde und Menschenrechten für alle Bürger.

Die namibische Verfassung stellt somit „einen Bund des namibischen Volkes dar... und hat Gesetzeskraft... Kein Gesetz und keine Person stehen über der Verfassung, und jeder Namibier ist unter ihr gleich.“ (Die namibische Verfassung in der Perspektive 1994 – Joseph Diescho).

Die Verfassung erschafft und reguliert die drei verschiedenen Zweige der Regierung, die Exekutive (Präsident und Kabinett), die Legislative (Parlament) und die Judikative (die Gerichte). Die Gerichte, insbesondere der Oberste Gerichtshof, sind verfassungsgemäß als Hüter der namibischen Verfassung eingesetzt und als solche verpflichtet, die Grundrechte und Freiheiten aller namibischen Einzelpersonen oder Gruppen im Sinne der Verfassung zu schützen.

Daher kann der Oberste Gerichtshof oder das Oberste Gericht von Namibia einen Parlamentsbeschluss aufheben, der Einzelnen oder einer Gruppe Bürgern ein verfassungsmäßiges Recht entzieht. Das Parlament kann verfassungsmäßige Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs nicht außer Kraft setzen.

LGBTQ gleichberechtigt

Nach der Klärung der Rolle der Religion und der drei Staatsgewalten in Bezug auf die Verfassung bleibt die Frage nach den Rechten der LGBTQ-Gemeinschaft im Rahmen der Verfassung.

Die Grundrechte, gegen welche die ELCIN-Bischöfe in ihrem offenen Brief verstoßen, sind unter anderen:

- Achtung der Menschenwürde

- Gleichheit und Freiheit von Diskriminierung

- Das Recht, zu heiraten und eine Familie zu gründen

In Artikel 10 (2) der namibischen Verfassung heißt es kategorisch: „Niemand darf aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen Herkunft, der Religion, des Glaubens oder des sozialen oder wirtschaftlichen Status diskriminiert werden.“

Artikel 14 definiert die Ehe als eine Beziehung zwischen zwei frei einwilligenden Erwachsenen, die frei sind, ungeachtet ihrer „Rasse, Hautfarbe, ethnischen Herkunft, Nationalität, Religion, ihres Glaubens oder ihres sozialen oder wirtschaftlichen Status“ zu heiraten. Mit dieser ausdrücklich schützenden Haltung nimmt Namibia eine Vorreiterrolle in der modernen Welt ein, da es das Recht auf eine homosexuelle Ehe verfassungsmäßig schützt (The Namibian Constitution in Perspective 1994 – Joseph Diescho).

Namibia mit seiner vielfältigen Bevölkerung beherbergt viele verschiedene Minderheitengruppen, die den Schutz unserer Verfassung genießen. Warum – so könnte man sich fragen – schlagen die Bischöfe Alarm gegen eine ausgesprochen harmlose Minderheit in unserer Gesellschaft, die anders geschaffen ist, während soziale Geißeln wie geschlechtsspezifische Gewalt, unzählige Vergewaltigungen, Ehebruch und inzestuöse Beziehungen nicht annähernd so viel Aufhebens seitens des jeweiligen Klerus zu rechtfertigen scheinen?

Abschließend zitiere ich (sinngemäß) aus einer philosophischen Betrachtung Martin Niemöllers über Verfolgung und Zivilcourage:

„Als sie die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude.

Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie die Katholiken holten, habe ich geschwiegen; ich war ja Protestant.

Als sie mich holten, gab es niemanden mehr, der protestieren konnte...“

Im afrikanischen Kontext könnte man dies wie folgt fortsetzen:

„Als die Hutu die Tutsi holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Tutsi.“

Oder im Zusammenhang mit unserem Thema:

„Als sie die LGBTQ holten, habe ich geschwiegen, weil ich kein LGBTQ war.

Und als sie kamen, um mich zu holen, gab niemanden mehr, der protestieren konnte!“

Gastbeitrag von Anton von Wietersheim – 16. Juli 2023

(Gründungsmitglied, Verfassungsgebende Versammlung 1989 / Mitglied des Parlaments 1990 bis 1995 und 2010 bis 2015)

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-25

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