„Die Welt bietet so viel mehr, als es scheint“

Das charakteristische lange Haar zu einem Zopf geflochten, den Blick nachdenklich auf den Sonnenuntergang über Nashville gerichtet, voller Sehnsucht, als würde um ihn herum eine neue Welt entstehen und er wüsste genau, welchen Platz er darin einnimmt – das ist Huntley am Ende seines neuesten Musikvideos. Der Song „Tell Me When It's Over“ ist eine Demonstration von Huntleys Talent als Songwriter – und der endgültige Beweis dafür, dass der Sänger, Gewinner von The Voice 2023, das Image eines kurzlebigen Talentshow-Gewinners längst widerlegt und sich seinen Weg als vielseitiger Künstler mit Starpotenzial geebnet hat.

„Ich habe den Song geschrieben, gleich nachdem ich The Voice verlassen hatte“, sagt Huntley an einem sonnigen Nachmittag in Fredericksburg, Virginia, kurz vor der Veröffentlichung. „Zu dieser Zeit machte ich eine harte Trennung durch. Und das hat mich daran erinnert, dass auch wenn alles gut läuft, etwas schief gehen kann.“ Erst vor wenigen Monaten hat der amerikanische Bluesrock-Sänger im Alter von 33 Jahren die 24. Staffel des amerikanischen Talentwettbewerbs The Voice gewonnen und trat in dem von Niall Horan gecoachten Team an. „Ich hatte diesen unglaublichen Erfolg, und für eine Sekunde fühlte es sich so an, als ob alle meine Probleme gelöst wären, dass alles von nun an besser sein würde. Aber dann kommt der nächste Morgen, und man ist allein mit seiner Trophäe, in einem verlassenen Hotel“, sagt Huntley. „Aber dann hatte ich diesen Moment der Erkenntnis, dass die Dinge nicht vorbei waren, dass ich selbst das fehlende Teil war, nach dem ich gesucht hatte. Für mich bedeutet der Song, alle Probleme der Vergangenheit abzulegen und zu versuchen, ein besserer Mensch zu werden. Es geht darum, die Dämonen in seinem Inneren zu besiegen“, sagt er. „Der Song erinnert mich daran, dass es nie wirklich vorbei ist. Es ist ein ständiger Kampf im Leben, und ich versuche herauszufinden, was diese Reise bringen wird.“

Der Sieg bei The Voice mag einer seiner bisher größten Erfolge sein, aber Huntley macht schon seit seiner Kindheit Musik. „Ich singe, seit ich denken kann. Und ich bringe definitiv eine besondere Leidenschaft und Intensität in den Gesang ein.“ Schon mit 14 Jahren gründete Huntley mit seinem besten Freund eine Band. Nach dem College-Abschluss begann der selbstgelernte Musiker zu reisen. „Ich war zwei Monate lang obdachlos in Nashville, im Centennial Park. Ich war 19 Jahre alt und hatte nur meine Gitarre, meine Tasche und meine Bücher dabei. Ich wusste nicht, dass es dort so kalt sein würde“, erinnert sich Huntley mit einem amüsierten Lächeln. „Ich fror und versuchte nur, mich durchzuschlagen, und als ich endlich festen Boden unter den Füßen hatte, kam die Flut in Nashville. Ich wachte einen halben Meter unter Wasser auf. So ist das immer – viele gute Dinge treffen auf Prüfungen und Schwierigkeiten. Mit dem Guten kommt das Schlechte, und mit dem Schlechten kommt das Gute. Und das ist eine Sache, die ich gelernt habe – es gibt diese epischen, wirklich verrückten, schlechten Momente, aber gleich um die Ecke gibt es wirklich erstaunliche Möglichkeiten.“

Von Kindesbeinen an musikalisch

Huntley hat schon immer seine eigene Musik geschrieben. Große Stimmen wie Joe Cocker, Steven Tyler oder Lenny Kravitz waren große Einflüsse auf seinen Stil, ebenso wie Emo-Künstler wie Fall Out Boy, All American Rejects oder All That Remains. Huntleys jüngste Veröffentlichung „Tell Me When It's Over“ folgt auf die Single „Holding On“ im Jahr 2022, eine weitere kraftvolle Ballade voller Trauer und Hoffnung. Seine Lieder spiegeln alle Höhen und Tiefen, die Kämpfe und Hoffnungen auf Huntleys persönlichem Weg wider.

Geboren in Tampa, Florida, zog die Familie Huntley nach Virginia, als er 14 Jahre alt war. „Ich bin der Jüngste von drei Schwestern und einem Bruder, und zunächst wuchs ich zwischen zwei Familien auf. Meine Mutter und mein Vater waren in verschiedenen Ehen. Als ich acht Jahre alt war, verschwand mein Vater eines Tages aus der Familie, und es gab nur noch mich und meine Mutter“, erzählt Huntley. „Es war eine harte Zeit, in der ich mit acht Jahren lernen musste, ein Mann zu sein, und ich glaube, ich lerne immer noch. Aber ich denke auch, dass ich dadurch ein besserer Vater geworden bin.“ In Virginia begann Huntley, seine musikalischen Fähigkeiten zu verfeinern. „Ich ging runter zum Dock und spielte einfach vor mich hin. Und dann schmolzen meine Sorgen einfach dahin.“ Im Alter von 33 Jahren hatte Huntley die Idee, als Künstler erfolgreich zu sein, fast aufgegeben – bis er eines Tages Spaghetti für seine Kinder kochte und plötzlich „The Voice“ anrief. „Sie fragten mich, ob ich mitmachen wolle. Ich hatte nicht einmal vorgespielt.“

Ein stolzer Vater

Was wie eine glückliche Fügung des Schicksals erscheinen mag, war auch das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit. Huntley hatte zuvor dreimal an American Idol teilgenommen, ohne im Fernsehen gezeigt zu werden. Natürlich hat sich seitdem alles verändert. „Es ist jetzt sechs Monate später, und es fühlt sich immer noch nicht real an. Wir haben gerade eine Armeetournee hinter uns, haben Armeestützpunkte und Gemeinden besucht, und es waren jeden Abend 30 000 Zuschauer da.“ Seine oberste Priorität ist jedoch nach wie vor seine Kinder, ein Sohn und eine Tochter, die er als alleinerziehender Vater großzieht. „Manchmal ist es schwer, sich in all dem zurechtzufinden. Ich weiß auch, dass meine Kinder noch lernen, mit dieser neuen Situation umzugehen. Meine Tochter ist gerade acht Jahre alt geworden, und ich frage sie immer um Erlaubnis, wenn jemand auf der Straße ein Foto mit mir machen will“, erklärt Huntley. „Ich denke, dass diese Gelegenheit, die mir gegeben wurde, ein Geschenk ist, um meiner Familie zu zeigen, dass die Welt so viel mehr bietet, als es scheint.“

Seine Kinder inspirieren ihn täglich. „Sie lehren mich jeden Tag eine Menge. Aber ich will ehrlich sein, manchmal ist es verrückt. Sie sind gerade unten und ich kann hören, wie sie alles kaputt machen“, lacht er. „Als alleinerziehender Vater auf Tour zu sein und alles auf einmal zu bewältigen, ist eine Herausforderung und schön zugleich. Wenn ich von Konzerten zurückkomme, habe ich keine Pause. Ich habe meine Kinder. Es geht weiter zum nächsten Abenteuer.“ Huntley ist dankbar für seine Familie und dafür, dass sein Traum als Sänger in Erfüllung geht. Aber die Irrungen und Wirrungen, die seine Musik inspirieren, haben nie nachgelassen. „Es ist nicht alles nur Sonnenschein. Ich habe ein weinendes Kind und ein weinendes Baby, und wir haben unsere harten Zeiten. Das Leben soll nicht immer glücklich sein. Es geht nur um die Erfahrung. Und meine Kinder sind buchstäblich die treibende Kraft bei allem, was ich tue, egal wie sehr sie mich manchmal in den Wahnsinn treiben“, lacht Huntley. „Manchmal bin ich niedergeschlagen und habe das Gefühl, nicht da zu sein, wo ich sein soll, und ich verzweifle an den hohen Erwartungen an mich selbst. Aber dann erinnere ich mich daran, dass ich eine wunderschöne Tochter habe, einen tollen Sohn und zwei nervige Katzen, die ich liebe. Wir sollten uns nicht unterkriegen lassen.“

Damit hofft Huntley auch, andere Eltern zu inspirieren, die es nicht leicht haben. „Ich hoffe, dass andere Eltern das hören und mit sich selbst etwas geduldiger sind, denn ihre Kinder lieben sie einfach dafür, wie sie sind. Für nichts anderes. Meiner Tochter ist es völlig egal, dass ich bei The Voice war. Sie will nur meine Zeit.“

Es geht um die Erfahrung

Was wäre der wichtigste Rat, den er seinen Kindern geben könnte? „Es wird Höhen geben, es wird Tiefen geben, aber am Ende kommt alles zusammen. Manchmal muss man sich zurücklehnen und einfach darüber lachen, denn das ist alles nur ein Teil der Erfahrung. Ich möchte, dass meine Kinder wissen, dass die Zeit mit ihren Liebsten am wichtigsten ist. Dass ihr Lebensweg in ihrer Hand liegt, egal, was Leben im passiert“, sagt Huntley. „Ich möchte, dass meine Kinder ihren Träumen folgen. Dass meine Tochter abenteuerlustig ist und das Leben erlebt. Ich möchte sie nicht zurückhalten. Ich möchte, dass sie das wirkliche Leben erfahren und keine Angst vor den Schwierigkeiten haben. Es werden harte Zeiten kommen, und auch das will ich meinen Kindern nicht vorenthalten.“

Wenn man sieht, wie weit Huntley gekommen ist, seit er seine ersten Songs gesungen hat, was würde seine jüngeres Ich sagen? „Mein 14-jähriges Ich würde sagen, ich habe es dir gesagt. Mein 23-jähriges Ich hätte gesagt, Mann, ich wusste nicht, ob das klappen würde. Ich habe mit einem Vierspurgerät und einem Bass in meinem Kinderzimmer angefangen – und jetzt habe ich gerade meine erste Single nach The Voice veröffentlicht. Es ist unwirklich. Aber mein jüngeres Ich wusste, dass ich es schaffen kann.“