Gefangenendasein kreativ in Aus-KZ – aus der Not eine Tugend
Reiseleiter und Safariführer machen bei ihrer Südenfahrt in Namibia mit Erstbesuchern östlich von Aus auf offener Fläche Halt. Schilder geben bei der Anfahrt Auskunft: Man nähert sich dem ehemaligen Kriegsgefangenenlager, das von August 1915 bis April/Mai 1919 unter britisch-südafrikanischer Kontrolle und Aufsicht betrieben und nach dem Friedensdiktat von Versailles aufgelöst wurde. Die westlich alliierten Kriegsgegner und Deutschland hatten am 11. November 1918 in Frankreich den Waffenstillstand unterzeichnet.
Erinnerung in der Einöde
Nach den Schildern der Anfahrt und dem langen Wort „Kriegsgefangenenlager/Prisoner of War Camp“ wird die Erwartung der Erstbesucher bei Aus enttäuscht. Eine unendlich offene Fläche - was gibt es denn hier zu sehen? Es sei denn man beachtet Bodenwellen, unter denen sich ungebrannte Lehmsteine verbergen, vielleicht ein Stück verrosteter Stacheldraht, ein ebenso verrostetes Hufeisen. Auf dem Gelände stand nach Kriegsausbruch 1914 die deutsche Funkstation, die nach Vormarsch der Unionstruppen und Besetzung von Lüderitzbucht genau wie die in Swakopmund und Windhoek demontiert worden war. Die ursprüngliche Bronzeplatte zur Ortsangabe wurde „im heutigen Zeitgeist“ gestohlen. Die namibische Kriegsgräberfürsorge hat sie durch beschrifteten schwarzen Granit ersetzt.
Auf dem Friedhof von Aus finden sich Soldatengräber von sowohl deutschen Gefangenen als auch Angehörigen der 700 Mann starken südafrikanischen „Veteranen“-Wachmannschaft, die 1918 während der spanischen Grippe-Epidemie verstorben sind. Ältere Briten, die nicht in den Krieg in Europa geschickt wurden, haben hier mit afrikaanssprachigen Jugendlichen, ca 17 Jahre alten Buren, knapp vier Jahre lang 1 200 deutsche Kriegsgefangene bewacht. 65 Mann der jungen Buren hat der Lagerbefehl verhaften lassen und zurück nach Südafrika geschickt, weil sie zur Bewachung der deutschen Soldaten offensichtlich nicht die ,,rechte Gesinnung“ mitgebracht hatten. Ein Herero-Bursche mit Namen Hans, im Band abgebildet, der bei der Truppe war, ist dem Verfasser des Lagertagebuchs, Karl Waldeck, freiwillig nach Aus in die Gefangenschaft gefolgt und noch vor Auflösung des Lagers verstorben.
Ein Freikorps der Buren hat – 14 Jahre nach dem Anglo-Burenkrieg - auf Seiten der Schutztruppe gegen die Unionstruppen gekämpft. Die Rebellion ganzer Abteilungen unter den Unionstruppen gegen die Teilnahme Südafrikas am europäischen Krieg musste die englandfreundliche Regierungsfraktion des Generals Louis Botha erst niederschlagen, bevor er den Vormarsch in Deutsch-Südwestafrika fortsetzen konnte. Es ist anzunehmen, dass die afrikaanssprechenden Wachleute in der Gesinnung eher zu den Anti-Kriegsrebellen zählten.
Gefangene mit Gewehr
Für den heutigen Leser und Betrachter bleibt eine damalige Regelung für die Gefangenen erstaunlich, vergegenwärtigt man sich die Verhältnisse in den Gefangenenlagern aller Seiten in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts anderswo. Die Aus-Insassen durften ihre Gewehre – selbstverständlich ohne Munition – und ihre Uniformen behalten. Bei Theaterstücken auf der Lagerbühne und bei der marschierenden Ehrenwache auf dem Friedhof von Aus gehörte das Gewehr zur Ausstattung.
Der Archivar Johan J. Bruwer hatte in den 70-iger Jahren in Windhoek eine Broschüre über das Lager herausgegeben, die schon lange vergriffen ist. Mit dem vorliegenden Bildband samt einer Fülle erstmals veröffentlichter Fotografien aus dem Glanz & Gloria-Verlag und den Tagebuchaufzeichnungen des Lagerinsassen Karl Waldeck bietet der Redakteur und Verleger Bernd Kroemer umfassende, authentische Einblicke in das Lagerleben. Die öde Fläche bei Aus erhält anschauliches Leben. Eine Lücke im vielseitigen Verlauf der modernen Landesgeschichte wird hier gefüllt. Einen Aspekt sollte man noch mehr beachten als das Gewehrprivileg: Die weißen Unionstruppen wurden nach dem relativ kurzen Einsatz in Deutsch-Südwestafrika zum Kriegsschauplatz und verlustreichen Stellungskrieg nach Frankreich entsandt, wo viele gefallen sind. Die Kriegsgefangenen von Aus und ihre Bewacher, die letzteren wegen ihres Alters „Veteranen“ genannt, haben mit Ausnahme der Grippe-Opfer von 1918 dagegen den Krieg eher unbeschadet überlebt.
Gegen Sandsturm, Hitze und Kälte
Mit den geringsten Mitteln haben die Gefangenen binnen kürzester Zeit ihre Zeltbehausung in gemauerte Lehmbaracken umgebaut und waren somit besser gegen Hitze und Kälte geschützt als die Wachmannschaften in ihren Zelten außerhalb des Stacheldrahts. Das Lagerleben wurde durch Turnen, Faustball, Fußball, Theaterspiel, selbst Gegenstände des Kunstgewerbes, Blaskapelle und Gärtnerei gelockert. Auffällig ist das gute Verhältnis, das die Soldaten zum britischen Lagerkommandanten Hauptmann E. I. Nelson und seiner Frau Breeza unterhielten. Er gestattete ihnen Wanderungen und der Lagerkapelle sogar Auftritte am Badestrand von Lüderitzbucht. Kroemer dokumentiert beiläufig auch die Sammelaktion, die im Lande von Banken sowie von der Swakopmunder Buchhandlung zugunsten der Gefangenen von Aus durchgeführt wurde.
Die gemauerten Baracken, viele davon mit Vorgärten, boten den Lagerinsassen weitaus mehr Komfort als was die Bewacher in ihren Zelten außerhalb des Stacheldrahts hatten. Kundige fertigten im Lager insgeheim sechs Distillerien an, wovon die Lagerwachen eine entdeckten und hinausbeförderten. Obwohl die Post streng kontrolliert und zensiert war – Nachrichten über Kriegsgeschehen waren verboten -, notiert der Gefangene Karl Waldeck, aus dessen Lagertagebuch viel zitiert wird: „ ... es geht drüben (d. Red.: in Europa) blutiger zu als es hier war ...“
Patriotismus eckt an
Nach Einlieferung ins Lager waren gerade sechs Monate vergangen, da haben die Gefangenen im Januar 1916 im Zeitgeist eine große Feier zu Kaisers Geburtstag vorbereitet. Sie errichteten ein Monument zu Ehren Kaiser Wilhelms II und die Lagerkapelle spielte am Vorabend ein Nachtkonzert, das sich selbst der Lagerkommandant Nelson neben dem deutschen Lageroffizier Hauptmann Berlin anhörte. Aber noch am selbigen Abend kam Ärger. Zum Erstaunen der Insassen hatten einige Mann der 9. Kompanie insgeheim aus geschmuggeltem Stoff, der nach Farben getrennt ins Lager gelangt war, die kaiserliche Reichskriegsflagge angefertigt und am speziell errichteten Monument gehisst. Daraufhin hat Nelson das Lager eiligst verlassen und noch am selbigen Abend eine bewaffnete Abteilung Wachmänner einmarschieren lassen, von denen einer die Fahne vom Mast holte und zerriss. Es folgte Aufruhr, berichtet Waldeck, aber es fielen keine Schüsse und die Soldaten haben sich in ihre Quartiere zurückgezogen. Das gesamte Zeremoniell für den nächsten Tag, den 27. Januar 1916, wurde verboten: keine Blasmusik, kein Schauturnen, dafür zur Strafe aber Wassersperre und Proviantentzug zu Kaisers Geburtstag.
Nach Auflösung des Lagers 1918 hat die britische Militärverwaltung alle Soldaten nach Deutschland deportiert, genau wie Beamte der Landesverwaltung, inklusive vieler Zivilisten, wodurch der deutschsprachige Anteil der weißen Bevölkerung halbiert wurde.
Der Bilderbogen über 170 Seiten bietet erstaunlich-lebendige Einblicke. Eberhard Hofmann
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Einzug der spanischen Grippe in Aus
... Schwer lastet die Tropennacht über dem Lager Aus,
Gespenstisch, doch mit kräftigen Schritten
Geht der Tod durch Zelte und Hütten
und reißt siebzig, nein achtzig tapfere Reiter aus unseren Reihen heraus ...
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Nach den Schildern der Anfahrt und dem langen Wort „Kriegsgefangenenlager/Prisoner of War Camp“ wird die Erwartung der Erstbesucher bei Aus enttäuscht. Eine unendlich offene Fläche - was gibt es denn hier zu sehen? Es sei denn man beachtet Bodenwellen, unter denen sich ungebrannte Lehmsteine verbergen, vielleicht ein Stück verrosteter Stacheldraht, ein ebenso verrostetes Hufeisen. Auf dem Gelände stand nach Kriegsausbruch 1914 die deutsche Funkstation, die nach Vormarsch der Unionstruppen und Besetzung von Lüderitzbucht genau wie die in Swakopmund und Windhoek demontiert worden war. Die ursprüngliche Bronzeplatte zur Ortsangabe wurde „im heutigen Zeitgeist“ gestohlen. Die namibische Kriegsgräberfürsorge hat sie durch beschrifteten schwarzen Granit ersetzt.
Auf dem Friedhof von Aus finden sich Soldatengräber von sowohl deutschen Gefangenen als auch Angehörigen der 700 Mann starken südafrikanischen „Veteranen“-Wachmannschaft, die 1918 während der spanischen Grippe-Epidemie verstorben sind. Ältere Briten, die nicht in den Krieg in Europa geschickt wurden, haben hier mit afrikaanssprachigen Jugendlichen, ca 17 Jahre alten Buren, knapp vier Jahre lang 1 200 deutsche Kriegsgefangene bewacht. 65 Mann der jungen Buren hat der Lagerbefehl verhaften lassen und zurück nach Südafrika geschickt, weil sie zur Bewachung der deutschen Soldaten offensichtlich nicht die ,,rechte Gesinnung“ mitgebracht hatten. Ein Herero-Bursche mit Namen Hans, im Band abgebildet, der bei der Truppe war, ist dem Verfasser des Lagertagebuchs, Karl Waldeck, freiwillig nach Aus in die Gefangenschaft gefolgt und noch vor Auflösung des Lagers verstorben.
Ein Freikorps der Buren hat – 14 Jahre nach dem Anglo-Burenkrieg - auf Seiten der Schutztruppe gegen die Unionstruppen gekämpft. Die Rebellion ganzer Abteilungen unter den Unionstruppen gegen die Teilnahme Südafrikas am europäischen Krieg musste die englandfreundliche Regierungsfraktion des Generals Louis Botha erst niederschlagen, bevor er den Vormarsch in Deutsch-Südwestafrika fortsetzen konnte. Es ist anzunehmen, dass die afrikaanssprechenden Wachleute in der Gesinnung eher zu den Anti-Kriegsrebellen zählten.
Gefangene mit Gewehr
Für den heutigen Leser und Betrachter bleibt eine damalige Regelung für die Gefangenen erstaunlich, vergegenwärtigt man sich die Verhältnisse in den Gefangenenlagern aller Seiten in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts anderswo. Die Aus-Insassen durften ihre Gewehre – selbstverständlich ohne Munition – und ihre Uniformen behalten. Bei Theaterstücken auf der Lagerbühne und bei der marschierenden Ehrenwache auf dem Friedhof von Aus gehörte das Gewehr zur Ausstattung.
Der Archivar Johan J. Bruwer hatte in den 70-iger Jahren in Windhoek eine Broschüre über das Lager herausgegeben, die schon lange vergriffen ist. Mit dem vorliegenden Bildband samt einer Fülle erstmals veröffentlichter Fotografien aus dem Glanz & Gloria-Verlag und den Tagebuchaufzeichnungen des Lagerinsassen Karl Waldeck bietet der Redakteur und Verleger Bernd Kroemer umfassende, authentische Einblicke in das Lagerleben. Die öde Fläche bei Aus erhält anschauliches Leben. Eine Lücke im vielseitigen Verlauf der modernen Landesgeschichte wird hier gefüllt. Einen Aspekt sollte man noch mehr beachten als das Gewehrprivileg: Die weißen Unionstruppen wurden nach dem relativ kurzen Einsatz in Deutsch-Südwestafrika zum Kriegsschauplatz und verlustreichen Stellungskrieg nach Frankreich entsandt, wo viele gefallen sind. Die Kriegsgefangenen von Aus und ihre Bewacher, die letzteren wegen ihres Alters „Veteranen“ genannt, haben mit Ausnahme der Grippe-Opfer von 1918 dagegen den Krieg eher unbeschadet überlebt.
Gegen Sandsturm, Hitze und Kälte
Mit den geringsten Mitteln haben die Gefangenen binnen kürzester Zeit ihre Zeltbehausung in gemauerte Lehmbaracken umgebaut und waren somit besser gegen Hitze und Kälte geschützt als die Wachmannschaften in ihren Zelten außerhalb des Stacheldrahts. Das Lagerleben wurde durch Turnen, Faustball, Fußball, Theaterspiel, selbst Gegenstände des Kunstgewerbes, Blaskapelle und Gärtnerei gelockert. Auffällig ist das gute Verhältnis, das die Soldaten zum britischen Lagerkommandanten Hauptmann E. I. Nelson und seiner Frau Breeza unterhielten. Er gestattete ihnen Wanderungen und der Lagerkapelle sogar Auftritte am Badestrand von Lüderitzbucht. Kroemer dokumentiert beiläufig auch die Sammelaktion, die im Lande von Banken sowie von der Swakopmunder Buchhandlung zugunsten der Gefangenen von Aus durchgeführt wurde.
Die gemauerten Baracken, viele davon mit Vorgärten, boten den Lagerinsassen weitaus mehr Komfort als was die Bewacher in ihren Zelten außerhalb des Stacheldrahts hatten. Kundige fertigten im Lager insgeheim sechs Distillerien an, wovon die Lagerwachen eine entdeckten und hinausbeförderten. Obwohl die Post streng kontrolliert und zensiert war – Nachrichten über Kriegsgeschehen waren verboten -, notiert der Gefangene Karl Waldeck, aus dessen Lagertagebuch viel zitiert wird: „ ... es geht drüben (d. Red.: in Europa) blutiger zu als es hier war ...“
Patriotismus eckt an
Nach Einlieferung ins Lager waren gerade sechs Monate vergangen, da haben die Gefangenen im Januar 1916 im Zeitgeist eine große Feier zu Kaisers Geburtstag vorbereitet. Sie errichteten ein Monument zu Ehren Kaiser Wilhelms II und die Lagerkapelle spielte am Vorabend ein Nachtkonzert, das sich selbst der Lagerkommandant Nelson neben dem deutschen Lageroffizier Hauptmann Berlin anhörte. Aber noch am selbigen Abend kam Ärger. Zum Erstaunen der Insassen hatten einige Mann der 9. Kompanie insgeheim aus geschmuggeltem Stoff, der nach Farben getrennt ins Lager gelangt war, die kaiserliche Reichskriegsflagge angefertigt und am speziell errichteten Monument gehisst. Daraufhin hat Nelson das Lager eiligst verlassen und noch am selbigen Abend eine bewaffnete Abteilung Wachmänner einmarschieren lassen, von denen einer die Fahne vom Mast holte und zerriss. Es folgte Aufruhr, berichtet Waldeck, aber es fielen keine Schüsse und die Soldaten haben sich in ihre Quartiere zurückgezogen. Das gesamte Zeremoniell für den nächsten Tag, den 27. Januar 1916, wurde verboten: keine Blasmusik, kein Schauturnen, dafür zur Strafe aber Wassersperre und Proviantentzug zu Kaisers Geburtstag.
Nach Auflösung des Lagers 1918 hat die britische Militärverwaltung alle Soldaten nach Deutschland deportiert, genau wie Beamte der Landesverwaltung, inklusive vieler Zivilisten, wodurch der deutschsprachige Anteil der weißen Bevölkerung halbiert wurde.
Der Bilderbogen über 170 Seiten bietet erstaunlich-lebendige Einblicke. Eberhard Hofmann
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Einzug der spanischen Grippe in Aus
... Schwer lastet die Tropennacht über dem Lager Aus,
Gespenstisch, doch mit kräftigen Schritten
Geht der Tod durch Zelte und Hütten
und reißt siebzig, nein achtzig tapfere Reiter aus unseren Reihen heraus ...
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Kommentar
Allgemeine Zeitung
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