Chief Hijangua: Den Genozid verarbeiten – mit einer Oper?
,,Niemand kann mich beugen.'' Das ist, was Hijangua auf OtjiHerero bedeutet, der Name des tragischen Helden in der nach ihm benannten Oper. So ähnlich könnte man auch den Anspruch eines Kritikers fassen, der mit seinem Standpunkt, egal wie unbequem, zur offenen öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand seiner Kritik beitragen möchte. Ist er, der Rezensent, in diesem Fall zum Scheitern verurteilt, wie der Held der Oper?
,,Chief Hijangua'' ist die erste Oper Namibias. Die erste Oper des Komponisten Eslon Vakomboka Hindundu. Der sich mit dieser Oper zwar als Künstler und Mensch, aber auch als Herero mit dem Genozid der Deutschen an seinem Volk auseinandersetzt. Darf man darauf überhaupt einen kritischen Blick richten, als Journalist und Mensch, aber auch als Deutscher?
Man muss sogar. Das wird schnell klar beim Gespräch mit dem Komponisten und Dirigenten Hindundu. Nach der erfolgreichen Aufführung in Windhoek, mit zwei ausverkauften Vorstellungen und stehendem Applaus eines gemischten Publikums – gemischt nach Volksgruppen und Alter.
Denn die anderen beiden Gesprächsteilnehmer und -teilnehmerin sind Librettist Nikolaus Frei aus München und Regisseurin Kim Mira Meyer aus Bremen. ,,This is what we also discussed'', sagen Hindundu, Frei und Meyer mehrmals während des Gesprächs, als sie auf kritische Fragen antworten.
Beispiel gemeinsamer Auseinandersetzung
,,Chief Hijangua'' ist nicht nur eine namibische, sondern auch eine namibisch-deutsche Oper. Und ein gutes Beispiel dafür, wie Namibier und Deutsche sich mit ihrer gemeinsamen schmerzhaften Vergangenheit auseinandersetzen können – offen, in gegenseitigem Verständnis, konstruktiv, produktiv, vorwärtsgewandt.
Die Handlung dreht sich um Hijangua, den jüngeren Sohn des Herero-Chiefs Hangane (OtjiHerero: Frieden stiftend). Er liebt Matijua (Er/Gott weiß), die auf Anordnung Hanganes jedoch seinen älteren Bruder Nguti (Taube) heiratet. Hijangua verlässt das Dorf, durchquert die Wüste und gerät an der Küste in einen Ort deutscher Siedler.
Der Pastor nimmt ihn auf, auch auf Bitte seiner Tochter Maria, die Hijangua am Strand findet und fasziniert ist von seiner goldbraun schimmernden Haut. Der Pastor bekehrt und tauft ihn. Der Major, übrigens namenlos wie der Pastor, lobt ihn für seine Jagdkünste. Doch als Maria, unglücklich verheiratet mit dem Major, ihre Zuneigung zu Hijangua zeigt, wollen Pastor und Major ihn loswerden.
Zugleich sehen sie in ihm ein Werkzeug zur Eroberung des ganzen Landes. Sie bestärken ihn in dem Gedanken, zu seiner Gemeinschaft zurückzukehren und sich zu nehmen, was ihm seiner Meinung nach zusteht: Matijua und die Position des Chiefs. Zurück in seinem Dorf, konfrontiert Hijangua seinen Vater und erschießt ihn. Der Major, der ihm heimlich gefolgt ist, vollendet, was er begonnen hat.
Menschliche Tragödie statt Anklage
Wo ist der Händler, der damals die Armee für den Schutz seiner Interessen anfordert? Wo ist der Siedler, der das Land kauft und für sich allein beansprucht? ,,Das wäre zu kompliziert geworden und hätte die deutsche Seite zu sehr in den Vordergrund gestellt'', sagt Librettist Frei. Auch spielen Händler und Siedler in den Narrativen der OvaHerero zum Genozid, an denen sich Frei orientiert hat, nur untergeordnete Rollen und sind für seine Allegorie des Kolonialismus nicht nötig.
Bemerkenswert ist, wie die Oper die Schuldfrage beantwortet. Schuld sind die Armee als ausführender sowie die Kirche als rechtfertigender und manipulierender Arm des Kolonialismus. Aber auch Hijangua selbst, der seine Interessen über die seiner Gemeinschaft stellt. Er ist keinesfalls hilfloses Opfer, sondern aus eigenem Kalkül handelnder Akteur, der die Kolonialmacht als Verbündeten benutzt und ihr die Politik des Teilens und Herrschens erst ermöglicht.
Noch bemerkenswerter ist, wie diese Antwort im Rahmen der Kunstform Oper wirkt. Nämlich nicht als fingerzeigende Anklage. Sondern als (menschliche) Tragödie, die ihren Regeln gemäß ins Verderben führt, ohne den Handelnden eine Wahl zu lassen. Jeder kann sich mit dem tragischen Held identifizieren. Und dessen Schicksal als Mahnung verstehen, sich nicht manipulieren zu lassen. Die für Namibier und Deutsche gilt, auch im Hinblick auf die Verarbeitung ihrer gemeinsamen Vergangenheit.
Lesen Sie morgen: Wie passt die europäische Kunstform der Oper zum namibischen Publikum?
Besprechung von Sven-Eric Stender, Teil I
,,Chief Hijangua'' ist die erste Oper Namibias. Die erste Oper des Komponisten Eslon Vakomboka Hindundu. Der sich mit dieser Oper zwar als Künstler und Mensch, aber auch als Herero mit dem Genozid der Deutschen an seinem Volk auseinandersetzt. Darf man darauf überhaupt einen kritischen Blick richten, als Journalist und Mensch, aber auch als Deutscher?
Man muss sogar. Das wird schnell klar beim Gespräch mit dem Komponisten und Dirigenten Hindundu. Nach der erfolgreichen Aufführung in Windhoek, mit zwei ausverkauften Vorstellungen und stehendem Applaus eines gemischten Publikums – gemischt nach Volksgruppen und Alter.
Denn die anderen beiden Gesprächsteilnehmer und -teilnehmerin sind Librettist Nikolaus Frei aus München und Regisseurin Kim Mira Meyer aus Bremen. ,,This is what we also discussed'', sagen Hindundu, Frei und Meyer mehrmals während des Gesprächs, als sie auf kritische Fragen antworten.
Beispiel gemeinsamer Auseinandersetzung
,,Chief Hijangua'' ist nicht nur eine namibische, sondern auch eine namibisch-deutsche Oper. Und ein gutes Beispiel dafür, wie Namibier und Deutsche sich mit ihrer gemeinsamen schmerzhaften Vergangenheit auseinandersetzen können – offen, in gegenseitigem Verständnis, konstruktiv, produktiv, vorwärtsgewandt.
Die Handlung dreht sich um Hijangua, den jüngeren Sohn des Herero-Chiefs Hangane (OtjiHerero: Frieden stiftend). Er liebt Matijua (Er/Gott weiß), die auf Anordnung Hanganes jedoch seinen älteren Bruder Nguti (Taube) heiratet. Hijangua verlässt das Dorf, durchquert die Wüste und gerät an der Küste in einen Ort deutscher Siedler.
Der Pastor nimmt ihn auf, auch auf Bitte seiner Tochter Maria, die Hijangua am Strand findet und fasziniert ist von seiner goldbraun schimmernden Haut. Der Pastor bekehrt und tauft ihn. Der Major, übrigens namenlos wie der Pastor, lobt ihn für seine Jagdkünste. Doch als Maria, unglücklich verheiratet mit dem Major, ihre Zuneigung zu Hijangua zeigt, wollen Pastor und Major ihn loswerden.
Zugleich sehen sie in ihm ein Werkzeug zur Eroberung des ganzen Landes. Sie bestärken ihn in dem Gedanken, zu seiner Gemeinschaft zurückzukehren und sich zu nehmen, was ihm seiner Meinung nach zusteht: Matijua und die Position des Chiefs. Zurück in seinem Dorf, konfrontiert Hijangua seinen Vater und erschießt ihn. Der Major, der ihm heimlich gefolgt ist, vollendet, was er begonnen hat.
Menschliche Tragödie statt Anklage
Wo ist der Händler, der damals die Armee für den Schutz seiner Interessen anfordert? Wo ist der Siedler, der das Land kauft und für sich allein beansprucht? ,,Das wäre zu kompliziert geworden und hätte die deutsche Seite zu sehr in den Vordergrund gestellt'', sagt Librettist Frei. Auch spielen Händler und Siedler in den Narrativen der OvaHerero zum Genozid, an denen sich Frei orientiert hat, nur untergeordnete Rollen und sind für seine Allegorie des Kolonialismus nicht nötig.
Bemerkenswert ist, wie die Oper die Schuldfrage beantwortet. Schuld sind die Armee als ausführender sowie die Kirche als rechtfertigender und manipulierender Arm des Kolonialismus. Aber auch Hijangua selbst, der seine Interessen über die seiner Gemeinschaft stellt. Er ist keinesfalls hilfloses Opfer, sondern aus eigenem Kalkül handelnder Akteur, der die Kolonialmacht als Verbündeten benutzt und ihr die Politik des Teilens und Herrschens erst ermöglicht.
Noch bemerkenswerter ist, wie diese Antwort im Rahmen der Kunstform Oper wirkt. Nämlich nicht als fingerzeigende Anklage. Sondern als (menschliche) Tragödie, die ihren Regeln gemäß ins Verderben führt, ohne den Handelnden eine Wahl zu lassen. Jeder kann sich mit dem tragischen Held identifizieren. Und dessen Schicksal als Mahnung verstehen, sich nicht manipulieren zu lassen. Die für Namibier und Deutsche gilt, auch im Hinblick auf die Verarbeitung ihrer gemeinsamen Vergangenheit.
Lesen Sie morgen: Wie passt die europäische Kunstform der Oper zum namibischen Publikum?
Besprechung von Sven-Eric Stender, Teil I
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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