Gwen Lister deckt auf, geht lebhaft zur Sache
Ihre lebhaften Memoiren umfasssen über dreieinhalb Jahrzehnte namibischen Journalismus mit politischen Reportagen, Einsatz als Chef-Redakteurin und Zeitungsverlegerin bis zur Aktivistin für Pressefreiheit. Ihre Stimme ist nach dem Austritt aus dem aktiven Redaktionsdienst der Tageszeitung „The Namibian“ am 30. September 2011 stets zu hören, wenn es um Norm und Interessen des Berufes und der Pressefreiheit geht.
Vor allem sind die Memoiren jedoch authentische Landesgeschichte der letzten 20 Jahre südafrikanischer Verwaltung und ersten zwei Jahrzehnte namibischer Souveränität. Die autobiographischen Memoiren berühren und behandeln alle wesentlichen Geschehen und Eckdaten des Zeitgeschehens und dienen somit sogleich als historische Quelle. Durch die persönliche Perspektive der politisch engagierten Journalistin mitten im Ablauf aktueller Zeitläufte summieren sich ihre Erinnerungen zusätzlich zu einem Stück Namibiana, das prominent aus den Werken der jüngsten Erinnerungsliteratur über den staatsrechtlichen Werdegang des Landes herausragt. Die Bilddokumentation hat die Autorin bewusst schwarz-weiß gehalten. Etliche Politiker, Juristen, ehemalige Waffenträger der gegnerischen Fronten sowie einige Überlebende der Straflager der Swapo haben ihre Erfahrungen niedergeschrieben und dem öffentlichen Gedächtnis überlassen.
„Comrade Editor“ gehört fest zum Fundus der Gegenwart. Als Zeugin bietet sie ihren Zeitgenossen manch unbekannten Einblick hinter die Kulissen des Unabhängigkeitskampfes und ins autoritäre Räderwerk der Swapo , die einmal als militante Befreiungsbewegung agiert und in die Rolle der regierenden Partei gewählt wurde, die sich dem demokratischen Staat verschrieben hat. Den Hang zur autoritären Befehlfsstruktur hat sie noch keinesfalls überwunden oder will dies auch nicht.
Weiße Namibier, die sich vor 1990 mit der damaligen Verwaltung konform verhielten, abgeschirmt und unbehelligt gelebt haben, erfahren hier mehr über Schliche und Schikanen bis zum politischen Mord (Lubowski), die die Geheimorganisationen der südafrikanischen Verwaltung auch auf hellhäutige ,,Abweichler" richteten.
Die Memoiren bieten wiederholt spannende Momente, wenn Lister als Reporterin des ehemaligen „Windhoek Advertiser“, der Wochenzeitung ,,Windhoek Observer" unter Schriftleitung des inzwischen legendären Hannes (Smittie) Smith bedrohliche Zwänge zu überstehen hat oder wenn sie als Chefredakteurin und Herausgeberin der Tageszeitung „The Namibian“ Anschläge, darunter Brandanschläge, politische Haft und andere Repressalien des südafrikanischen Geheimdiensts abzuwehren hat, sich aus Gefängnishaft entstrickt und nach der Unabhängigkeit Namibias den Druck vergrämter Swapo-Politiker zu verkraften hat.
Vor 1990, im Rahmen der damaligen Polarisierung im nur langsam abflauenden Apartheidsrahmen hat Lister explizit schwarz-nationalistischen Unabhängigkeitsparteien zur Publizität verholfen, vor allem der Swapo. Damit gehörte sie zu einer Minderheit Weißer, die offene Verbindungen zu der Bewegung unterhalten haben. Aus der deutlichen Presse-Unterstützung für Swapo mit direkter Beziehung zur Führung im Exil war zur Unabhängigkeit bei der regierenden Partei die Erwartung entstanden, dass „The Namibian“ als höriges Blatt im Fahrwasser der Partei fungieren werde. Listers Engagement für die Bewegung vor 1990 führte auch dazu, dass ihr bei der Bildung des ersten Kabinetts der Swapo-Regierung der Posten des Informationsministers, danach ein Botschafterposten und schließlich die Führung der namibischen Fernseh- und Rundfunkanstalt (NBC) als „Belohnung“ angeboten wurden. Sogar eine Farm war im Angebot. Sie begründet ihre Absage an die Angebote damit, dass sie unabhängig, nicht parteigebunden bleiben wolle, was sie bis über das Ende ihrer Journalistenlaufbahn durchgezogen hat. Die Swapo-Führung hat Lister, bzw. den „Namibian“ mit einem rund zehn Jahre dauernden staatlichen Anzeigenboykott abstrafen wollen. Ohne Effekt. Kleinlaut hat die Partei das Verbot wieder aufgehoben. Den ausgeprägt investigativen Journalismus, den Lister im „Namibian“ etabliert hat, haben die Amtsträger murrend hingenommen, sonnen sich heute aber gern in der Beurteilung der Reporter ohne Grenzen, die Namibia während der vergangenen Jahre konstant als den Staat mit der größten Medienfreiheit in Afrika gekürt haben.
Neben der exakt durch Datum und Person belegten Medien- und Zeitgeschichte erlebt die Leserschaft auch etliche private und persönliche Aspekte. Ihre sporadische Schilderung des Charakters, der Marotten und der Unwägbarkeit einiger der Hauptpersonen in ihrer Laufbahn, darunter Hannes (Smittie) Smith, Anton Lubowski und Sam Nujoma, gehören zu den packenden, auch belustigenden Höhepunkten der Memoiren. In ihrem Bewerbungsgespräch 1975 mit Smith beim „Windhoek Advertiser“, wozu sie aus Südafrika angereist war, musste sie deutlich erfahren, dass dieser Redakteur fest überzeugt war, dass eine Frau zur politischen Reportage untauglich sei. „Frauen gehören barfuß in die Küche und nackt ins Bett“, zitiert sie ihn. Enttäuscht reiste sie wieder nach Südafrika ab. Kurz darauf erhielt sie dennoch einen Anruf von Jürgen Meinert, Chef des Verlagshauses John Meinert, den sie im Gegensatz zu Smittie als Gentleman empfand. Sie könne beim „Windhoek Advertiser“ einsteigen. Im Verlagshaus lernte sie auch Chefredakteur Kurt Dahlmann von der Allgemeinen Zeitung kennen.
Lister hat zusammen mit Hannes Smith den ,,Windhoek Advertiser" verlassen, als die 8888. Ausgabe der Tageszeitung erschienen war. Sie unterstützte Smith bei der Gründung des „Windhoek Observer“. Obwohl Smith keinerlei Berührungsängste vor der Swapo hatte, wurden ihm und einem privaten Geschäftsmann und Gönner der neuen Zeitung Listers direkte Kontakte zur Swapo-Führung zur Verlegenheit. Gwen Lister schildert, wie sie sich gegen anzügliche, forcierte Annäherungsversuche selbigen Geschäftsmanns – sie nennt ihn namentlich – wehren konnte. Bezeichnend für die Autorin ist, dass sie bei harter persönlicher Beurteilung von Personen, die ihr schon nach intuitivem Gespür auf den Magen geschlagen haben, konkret zum Namen kommt und dies nicht der Spekulation des Lesers überlässt. Sie war für den „Windhoek Observer“ nicht mehr tragbar. Die Episoden mit dieser Wochenzeitung und ihre Odyssee, den „Namibian“ auf die Beine zu stellen, gehören zu den packendsten Abschnitten der Memoiren.
Nostalgie und Pathos sind im Stil der Autorin kaum zu finden, aber am Ende ihrer Erinnerungen betont sie tiefe Verbundenheit mit Namibia und sie schlägt einen versöhnlichen Ton gegenüber Personen und Akteuren an, mit denen sie sich besonders auseinandergesetzt hat, Sam Nujoma, Dirk Mudge und Hannes Smith. Vom Letzteren habe sie eins übernommen, betont sie, was man unzulänglich als Stehvermögen und endlosen Arbeitseifer bezeichnen kann. Dennoch hat es ein Privatleben gegeben: Zweimal war sie fest liiert und hat zwei Kinder großgezogen.
Die Memoiren hätten 800 Seiten umfassen können. Der namibische Leser hätte die Länge auch verschlungen, aber sie musste kürzen, um die Länge auf ein kommerziell tragbares Vertriebsformat zu bringen. So stand sie als Autorin noch einmal vor der schwierigen, aber ihr bekannten Aufgabe, die manch Autoren konfrontiert: einen Text auf ein vorgegebenes Format zu kürzen.
Eberhard Hofmann
Eberhard Hofmann
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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