Abschied von Hage Geingob (1941-2024)
In den frühen Sonntagmorgenstunden des 4. Februar erschütterte die Nachricht vom Tod Präsident Hage Geingobs die Menschen Namibias. Zu Lebzeiten oft kritisiert, zeigten die betroffenen Reaktionen, wie beliebt und respektiert er gewesen ist. Ein Land trauert jenseits aller parteipolitischen Affinitäten um sein Staatsoberhaupt, dessen zweite Amtszeit im März 2025 geendet hätte. Anders als seine Amtsvorgänger Sam Nujoma (1990 bis 2005) und Hifikepunye Pohamba (2005 bis 2015), die beide noch sehr betagt Anteil am Ableben ihres Nachfolgers nehmen, blieb dem 82-jährigen Geingob durch ein Krebsleiden der Ruhestand als „elder statesman" verwehrt. Das Land nimmt erstmals von einem Präsidenten des unabhängigen Staates Abschied.
Obgleich selbst noch ein Veteran der ersten Generation des antikolonialen Widerstands der Befreiungsbewegung Swapo, war Geingob ein „Erneuerer". Anders als seine Vorgänger pflegte er nicht mehr die Gleichung aus den Zeiten des Befreiungskampfes, Swapo sei die Nation und die Nation sei Swapo. Er begann seine Amtszeit mit der Metapher des namibischen Hauses, in dem für alle Platz sei. Niemand dürfe sich zurückgelassen fühlen, erklärte er in seiner Antrittsrede 2015. Im Wahlkampf hatte er versprochen, ein Präsident des Wohlstands zu sein. Mit 86 Prozent der Wählerstimmen erzielte er ein Rekordergebnis.
Doch seine Amtszeiten standen unter keinem guten Stern, was die Wirtschaft des Landes betraf. Sein Wohlstandsversprechen erwies sich als Wunschdenken. In den bis dahin volkswirtschaftlich fetten Jahren wurde keinerlei Vorsorge für magere Zeiten getroffen. Geingobs Amtsbeginn fiel mit einer der schlimmsten Dürren in der Landesgeschichte zusammen. In Ermangelung von Erspartem wurde die künftige Regierungsführung durch stetige Kreditaufnahme finanziert. Die Verschuldung stieg rasant und wurde zum Ballast. COVID-19 verschlimmerte die Situation. Namibia rangierte Mitte 2021 unter den Ländern mit der weltweit höchsten Infektions- und Todesrate. Trotz seines Krisenmanagements gelobt, waren die Folgen für die Menschen und die Regierung Geingobs verheerend.
Erst 2023/24 konnte die Wirtschaft wieder den Stand von 2015 erreichen. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen als Land höheren mittleren Einkommens bleibt noch immer darunter. Dieser Indikator täuscht ohnehin über die krassen sozialen Diskrepanzen hinweg. Namibia bleibt zusammen mit Südafrika eines der Länder dieser Erde, in denen der Wohlstand am wenigsten gleich verteilt ist. Die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut oder an der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit war noch nie höher.
Viele fanden sich so in dem namibischen Haus nicht wieder. Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im November 2019 bescherten der Swapo und Geingob die schlechtesten Ergebnisse seit der Unabhängigkeit des Landes. Aber es ist Geingobs Verdienst, dass die politische Kultur sich in einem liberalen Sinne wandelte. Wenngleich er sich nur ungern von den unabhängigen Medien kritisieren ließ (was diese häufig taten), war er stolz darauf, dass Namibia – in der letzten Rangordnung noch vor Deutschland – als das Land Afrikas mit der größten Pressefreiheit Anerkennung findet.
Auch setzte er sich für Geschlechtergleichheit ein. An seiner Seite engagierte sich Monica Geingos als emanzipierte First Lady eigenständig in der Zivilgesellschaft und wurde auch international zum Beispiel eines fortschrittlichen Rollenverständnisses. Die Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt war Hage Geingob ein Anliegen, und während seiner Präsidentschaft wurde Namibia eines der Länder mit dem weltweit höchsten Frauenanteil in Regierungsämtern. Leider blieb seiner erklärten Korruptionsbekämpfung der sichtbare Erfolg versagt.
Als neues Staatsoberhaupt wurde im Sinne der Verfassung noch am Tag seines Ablebens der bisherige Stellvertreter Nangolo Mbumba vereidigt. Dieser versicherte umgehend, keine weitere Amtszeit anzustreben. Netumbo Nandi Ndaitwah als designierte Nachfolgerin Geingobs für die Präsidentschaftswahlen im November wurde von Mbumba zu seiner Stellvertreterin ernannt. Ihre Ämter als Außenministerin und Vize-Premierministerin werden neu besetzt. In der allgemeinen Trauer im Land vollzog sich der Wechsel in der Staatsführung bemerkenswert ruhig. An zahlreichen Orten hielten die Menschen spontane Gedenkfeiern.
Toivo Ndjebela, Chefredakteur der Zeitung „Namibian Sun", stellte auf X punktgenau fest:
„Kein Militär auf den Straßen. Keine Panzer. Keine Stahlhelme. Keine Schüsse. Nirgendwo Rauch. Nahtloser Übergang. Genauso, wie es Präsident Geingob gewollt hätte. Ich bin traurig, aber auch unglaublich stolz auf unser Land."
In der Tat: Geingob wäre stolz auf das, was er hinterlassen hat. Zur Unabhängigkeit des Landes prangte als Sticker an vielen Orten der Slogan „Namibian and proud of it". Die würdevolle Art, wie die Menschen des Landes mit dem Tod des Präsidenten umgehen, verleiht diesem Wahlspruch neue Bedeutung.
Henning Melber ist Mitglied der Swapo seit 1974.
Abgedruckt im Heft „Afrika Süd“
Obgleich selbst noch ein Veteran der ersten Generation des antikolonialen Widerstands der Befreiungsbewegung Swapo, war Geingob ein „Erneuerer". Anders als seine Vorgänger pflegte er nicht mehr die Gleichung aus den Zeiten des Befreiungskampfes, Swapo sei die Nation und die Nation sei Swapo. Er begann seine Amtszeit mit der Metapher des namibischen Hauses, in dem für alle Platz sei. Niemand dürfe sich zurückgelassen fühlen, erklärte er in seiner Antrittsrede 2015. Im Wahlkampf hatte er versprochen, ein Präsident des Wohlstands zu sein. Mit 86 Prozent der Wählerstimmen erzielte er ein Rekordergebnis.
Doch seine Amtszeiten standen unter keinem guten Stern, was die Wirtschaft des Landes betraf. Sein Wohlstandsversprechen erwies sich als Wunschdenken. In den bis dahin volkswirtschaftlich fetten Jahren wurde keinerlei Vorsorge für magere Zeiten getroffen. Geingobs Amtsbeginn fiel mit einer der schlimmsten Dürren in der Landesgeschichte zusammen. In Ermangelung von Erspartem wurde die künftige Regierungsführung durch stetige Kreditaufnahme finanziert. Die Verschuldung stieg rasant und wurde zum Ballast. COVID-19 verschlimmerte die Situation. Namibia rangierte Mitte 2021 unter den Ländern mit der weltweit höchsten Infektions- und Todesrate. Trotz seines Krisenmanagements gelobt, waren die Folgen für die Menschen und die Regierung Geingobs verheerend.
Erst 2023/24 konnte die Wirtschaft wieder den Stand von 2015 erreichen. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen als Land höheren mittleren Einkommens bleibt noch immer darunter. Dieser Indikator täuscht ohnehin über die krassen sozialen Diskrepanzen hinweg. Namibia bleibt zusammen mit Südafrika eines der Länder dieser Erde, in denen der Wohlstand am wenigsten gleich verteilt ist. Die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut oder an der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit war noch nie höher.
Viele fanden sich so in dem namibischen Haus nicht wieder. Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im November 2019 bescherten der Swapo und Geingob die schlechtesten Ergebnisse seit der Unabhängigkeit des Landes. Aber es ist Geingobs Verdienst, dass die politische Kultur sich in einem liberalen Sinne wandelte. Wenngleich er sich nur ungern von den unabhängigen Medien kritisieren ließ (was diese häufig taten), war er stolz darauf, dass Namibia – in der letzten Rangordnung noch vor Deutschland – als das Land Afrikas mit der größten Pressefreiheit Anerkennung findet.
Auch setzte er sich für Geschlechtergleichheit ein. An seiner Seite engagierte sich Monica Geingos als emanzipierte First Lady eigenständig in der Zivilgesellschaft und wurde auch international zum Beispiel eines fortschrittlichen Rollenverständnisses. Die Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt war Hage Geingob ein Anliegen, und während seiner Präsidentschaft wurde Namibia eines der Länder mit dem weltweit höchsten Frauenanteil in Regierungsämtern. Leider blieb seiner erklärten Korruptionsbekämpfung der sichtbare Erfolg versagt.
Als neues Staatsoberhaupt wurde im Sinne der Verfassung noch am Tag seines Ablebens der bisherige Stellvertreter Nangolo Mbumba vereidigt. Dieser versicherte umgehend, keine weitere Amtszeit anzustreben. Netumbo Nandi Ndaitwah als designierte Nachfolgerin Geingobs für die Präsidentschaftswahlen im November wurde von Mbumba zu seiner Stellvertreterin ernannt. Ihre Ämter als Außenministerin und Vize-Premierministerin werden neu besetzt. In der allgemeinen Trauer im Land vollzog sich der Wechsel in der Staatsführung bemerkenswert ruhig. An zahlreichen Orten hielten die Menschen spontane Gedenkfeiern.
Toivo Ndjebela, Chefredakteur der Zeitung „Namibian Sun", stellte auf X punktgenau fest:
„Kein Militär auf den Straßen. Keine Panzer. Keine Stahlhelme. Keine Schüsse. Nirgendwo Rauch. Nahtloser Übergang. Genauso, wie es Präsident Geingob gewollt hätte. Ich bin traurig, aber auch unglaublich stolz auf unser Land."
In der Tat: Geingob wäre stolz auf das, was er hinterlassen hat. Zur Unabhängigkeit des Landes prangte als Sticker an vielen Orten der Slogan „Namibian and proud of it". Die würdevolle Art, wie die Menschen des Landes mit dem Tod des Präsidenten umgehen, verleiht diesem Wahlspruch neue Bedeutung.
Henning Melber ist Mitglied der Swapo seit 1974.
Abgedruckt im Heft „Afrika Süd“
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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