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Gustav Nachtigal
Gustav Nachtigal

War Gustav Nachtigal wirklich der böse Kolonialist?

Seit Jahren wird in Berlin, aber auch in anderen deutschen Städten, um die Umbenennung von Straßennamen gerungen, die Bezug auf den deutschen Kolonialismus aufweisen sollen; auch Denkmäler stehen unter Verdacht. So auch der aus der Altmark stammende Afrikaforscher Gustav Nachtigal (1834-1885), der Bezug zur Kolonialgeschichte Namibias aufweist und von dem ein Denkmal in Stendal zeugt. Schon vor Jahren gelangte er ins Blickfeld kritischer Zeitgenossen, ebenso in den letzten Jahren in der deutschen Hauptstadt, wo es einen Nachtigalplatz im Berliner Stadtteil Wedding gibt, der umbenannt werden soll. Es besteht die Gefahr, dass durch Beseitigung solcher Namen die Erinnerungen an den deutschen Kolonialismus und die dadurch hervorgerufene Not in den ehemaligen Kolonien in Vergessenheit geraten kann. Natürlich bedarf es keines Wortes, wenn dies Namen von solchen Kolonialverbrechern wie Carl Peters sind. Aber es trifft nunmehr solche Persönlichkeiten, die nicht direkt die Errichtung und Aufrechterhaltung der deutschen Kolonialherrschaft in brutaler Weise unterstützten, die in den Kolonien Gewalt anwendeten, den Rassismus beförderten etc. So eine Person war Gustav Nachtigal, dessen Name nun durch politisch kurzsichtigen Aktivismus vergessen gemacht werden soll.

Denn nicht sein Tun und Handeln im kolonialen Afrika wird heute am meisten kritisiert, sondern seine zwar für die Betroffenen folgenschwere, von ihm aber nicht zu verantwortende Mission, die ihm von Reichskanzler Bismarck angewiesen worden war. Diese bestand vor allem darin, als Reichskommissar für Deutsch-Westafrika in einem symbolischen Akt die deutschen Besitzansprüche in Togo und Kamerun deutlich zu machen. Er nahm zur Enttäuschung der deutschen Handelsagenten keine Annexion vor. Die Realität war eine andere, die schon in den 1980er Jahren den DDR-Kolonialhistoriker Peter Sebald fragen ließ: „Was veranlasste die Häuptlinge der Togodörfer, den Deutschen einen Protektionsvertrag anzubieten, und zwar ohne die bei Vertragsabschlüssen sonst übliche gewaltsame Nötigung und Bestechung durch die Kolonialmächte?“

Nachtigal beglaubigte auch die betrügerisch erworbenen Rechte für den Landkauf der Firma Lüderitz im heutigen Namibia, mit der die Unterwerfung der einheimischen Bevölkerung begann. Ob ihm die Hintergründe der fragwürdigen Vertragsgrundlagen für die Landerwerbungen damals bekannt waren, dürfte bezweifelt werden.

Das, was die Kolonialherren in ihren „Schutzgebieten“ nach dem Hissen der deutschen Flagge anrichteten, kann man ihm nicht anlasten. Der symbolische Akt in Westafrika erfolgte vornehmlich, um die koloniale Konkurrenz aus Frankreich und Großbritannien auf Distanz zu halten. Die Folgen seines Handelns konnte er gar nicht ermessen, denn er verstarb schon am 20. April 1885, also lange, bevor die deutsche Kolonialherrschaft errichtet und gefestigt war.

Vielmehr scheint sich die heutige Kritik auf das Scheinbild projiziert zu sein, welches die Nazis nach 1933 aus ihm machten. Er wurde quasi zu einer Schlüsselfigur der deutschen Kolonialpropaganda, beginnend schon in der Weimarer Republik, als sich der Kolonialrevisionismus in der deutschen Gesellschaft breitmachte. In vielen deutschen Städten wurden Straßen und Plätze nach ihm benannt. Ohne Tiefgründiges über Nachtigal zu wissen, wird er heutzutage von Journalisten angeklagt, weil sein Name in Straßenbezeichnungen „schon vor der Nazizeit verewigt“ worden oder weil er ein „Abwickler deutscher Kolonialität“ gewesen sei, wie eine die ehemalige Stadträtin Sabine Weißler.

Aber war er das? Schon im Prozess der kolonialen Durchdringung und der erst beginnenden Beherrschung wurde er – ohne sich wehren zu können – von dem sich im nationalistischen Taumel befindlichen deutschen Kaiserreich ob seiner Taten an seinem Lebensende hagiographiert.

Dabei ist der Standort seiner bis heute nicht ausgewerteten handschriftlich vorliegenden Schriftstücke bekannt. Es handelt sich dabei um noch vollkommen unbekannte Details aus seinem Leben, seine Ansichten zur damaligen Politik, zur afrikanischen und arabischen Kultur etc. In fast einem Dutzend Archiven schlummern die zumeist noch nicht ausgewerteten Schriftstücke des Mannes, über den einigen glauben, abschätzig richten zu müssen.

Erst wenn alle die von ihm hinterlassenen schriftlichen Dokumente ausgewertet sind, ist es möglich, denjenigen Forscher, der in der Fachwelt als „eine der menschlichsten Gestalten unter den Großen der Entdeckungsgeschichte Afrikas“ bzw. „großartigste Gestalt unter den wissenschaftlichen Erschließern von Sahara und Sudan“ geachtet wird, ausgewogen zu beurteilen.

Denn er und andere Entdecker trugen durch ihr Lebenswerk dazu bei, Verständnis für die Sprachen und Kulturen der Völker Afrikas zu entwickeln. Sie verdienen es, nach ihren Taten bewertet zu werden und nicht danach, was Kolonialisten und Faschisten daraus gemacht haben.

Ein ihm zuweilen unterstelltes gewaltsames Vorgehen von Nachtigal ist nicht bekannt. Durch sein nimmermüdes praktisches wie theoretisches Engagement wurde er eine Forscherpersönlichkeit, die sich zum Ende seines Lebens als Regierungsbeamter anwerben ließ. Was hätte er in dieser Funktion anderes tun können, als den Anweisungen des Reichskanzlers Bismarck Folge zu leisten? Zumal er nicht wusste, was wir heute über den Kolonialismus wissen. Insofern ist es müßig, über solche Verunglimpfungen, wie in der taz, dass er ein Kolonialherr „der übelsten Sorte“ gewesen wäre nachzudenken. Er war auch kein „schräger Vogel“, wie es dort denunziatorisch heißt.

Nachtigal vertrat zudem in seinen Schriften durchaus philanthropische Ansichten und war ein scharfer Kritiker des Sklavenhandels. Nachweisbar ist in den Briefen Nachtigals, dass er den Auftrag Bismarcks annahm, weil er hoffte, somit den Transsahara-Sklavenhandel der Araber besser bekämpfen zu können. Ein in den gegenwärtigen moralisch anklagenden Diskussionen ist das ein kaum erwähnter Fakt. Kaum bekannt ist zudem, dass er seine vom Kanzler übertragene „Dienstanweisung“ kritisch sah und dies auch in internen Gesprächen äußerte. Zudem wurde er in über ihn angefertigte Berichte kritisiert, dass er sich als Konsul zu sehr der Erforschung der indigenen Kulturen gewidmet habe. All dies wird von seinen Kritikern nicht zur Kenntnis genommen. Statt ihm allein schon für seine wissenschaftlichen Verdienste, welche trotz der abenteuerlichen Umstände, denen er bei der Saharadurchquerung ausgesetzt war, erworben hat, um den Europäern das mittelmeerische, saharische und sudanesische Afrika nahe zu bringen, wird sein Einsatz für das Verstehen der Welt gröblich missachtet.

So eine historische, sich unter Einsatz des Lebens große wissenschaftliche Meriten erworben habende Persönlichkeit, die als deutscher Beamter eine Funktion im Auftrag seines höchstens Dienstherrn, des Reichskanzlers, übernahm, dessen Folgen er nicht abschätzen konnte, abschließend einzuordnen, ist schwierig, doch nicht unmöglich. Man muss sich nur mit den wirklichen Taten und dem jeweiligen konkreten historischen Kontext beschäftigen. Wer dies tut, wie der Journalist Thilo Tielke im Spiegel meint, wird die Umbenennungsforderungen von Nachtigals Namen benannten Orten aus angeblicher politischer Korrektheit zumindest als „ein wenig albern“ empfinden.

Gastbeitrag von

Ulrich van der Heyden

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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