... als wäre es eine Reise zum Mond - Im Auto quer durch Afrika, 1907-1909 und heute
Die erste Afrikadurchquerung mit einem Automobil gelang dem Deutschen "Indiana Jones" Paul Graetz ( Zittau 1875 - 1968 Travemünde). Am 12. März 1907 schrieb eine Berliner Zeitung:
"Ein deutscher Offizier beabsichtigt, Afrika mit dem Automobil zu durchqueren. Er scheint nicht zu wissen, dass es im Hinterland des schwarzen Erdteils weder Benzin noch Öl noch Reifen zu kaufen gib. Der Plan dieses Herrn kommt auf dasselbe heraus, als wolle er eine Reise zum Mond unternehmen..."
Spott und Häme für den ehemaligen Angehörigen der Schutztruppe, dem die Idee zu diesem abenteuerlichen Unternehmen als Wegbaubereiter im Dondeland, dem heutigen Tansania, kam. Statt die Lasten auf den Köpfen schwarzer Träger transportieren zu lassen, schlug er seinem Gouverneur den Einsatz von Lastwagen vor. Der Gouverneur erklärt diesen Vorschlag für groben Unfug, im Kasino wird Graetz wegen seines "Benzinfimmels" ausgelacht. Um den Beweis anzutreten, dass seine Ideen keine Spinnereien waren, trat er aus der Schutztruppe aus. Damit galt er als Zivilist, der sein Verhalten selbst zu verantworten hat.
Bei der süddeutschen Automobilfabrik in Gaggenau, einem Vorläufer der Mercedes Benz - Werke, gab er ein Spezialgefährt auf Omnibuschassis mit 35 cm Bodenfreiheit in Auftrag. Dieses verschiffte Paul Graetz nach Dar- Es -Salaam im heuigen Tansania, wo er am 10. August 1907 seine Reise am Postamt begann. Bereits nach sechs Expeditionstagen platzten bei einer Wasserdurchfahrt alle vier Zylinder und man musste drei Monate auf Ersatzteile und einen neuen Chauffeur warten, da der alte Chauffeur sich bereits aus dem Staub gemacht hatte.
Mit Ochsenwagentransporten wurde ein Tankstellennetz und 22 Ersatzteillager - zum Teil als Grab getarnt, um Diebstahl vorzubeugen - vorbereitet. Nach geplatzten Zylindern, abgerissenen Hinterachsen, aus Liebeskummer zu einer Löwenbändigerin geflüchteten Chauffeuren, aufgebrauchten Geldmitteln, Fieberträumen, verdunstetem Benzin, eingestürzten Brücken und oftmals dem Verdursten nahe erreichte Paul Graetz letztendlich nach 630 Tagen, am 1.5.1909, sein Ziel Swakopmund. Die Berliner Zeitung bekam eine Postkarte aus Swakopmund "Bin auf dem Mond angekommen, Paul Graetz"
Eine Reise auf den Spuren des Afrikapioniers Paul GraetzDas Fahrzeug von Paul Graetz wurde 1907 in den Fahrzeugwerken Gaggenau gebaut. Wir bauten in Namibia zum Nachfahren seiner Strecke einen 60 Jahre jüngeren Unimog aus der gleichen Fabrik um. "Roadworthy" musste es sein, ein Old Wheeler, Straßen- und afrikatauglich zugleich. Schließlich wollten wir keine "Martin Luther" für Tansania bauen. Nun hatte unser Graetzmobil die gleichen 35 cm Bodenfreiheit, einen Holzaufbau, 2 Sitzreihen und die gleiche ungünstige Gewichtsverteilung. Zudem war das Fahrzeug vollkommen offen, was Sonnenbrand, Staub und Hitze erwarten ließ. Ein Teil der Strecke wurde zudem mit heruntergeklappter Frontscheibe zurückgelegt. An leichte Bindehautentzündung und Sonnenbrand kann man sich immerhin gewöhnen.Der Start in TansaniaPünktlich - mit der üblichen Verspätung, brachen wir in Dar-Es-Salaam am Indischen Ozean auf. Graetz legte am ersten Tag 28 km zurück, wir Graetzels brachten es immerhin auf 40. In einer Hochschule brachen nach dem Erscheinen unserer Reisegruppe kleine Tumulte aus, an Tourismus war man so weit entfernt von der informellen Hauptstadt noch nicht gewohnt. Ein gefahrloses vorbeiziehen der Fahrzeuge aus der Menschenmenge war nicht möglich und nach drei Stunden "Indaba" hatten sich die Gemüter beruhigt und es konnte weitergehen. Immerhin erreichten wir Morogoro am 2. Tag. Paul Graetz hatte 4 gebraucht. Die nächste Übernachtung war an der Stelle, an der Graetz an seinem 6. Expeditionstag den Wasserschlag in seinen Zylindern hatte und für 3 ½ Monate auf Ersatzteile warten musste. Tageskilometer bei uns Graetzels: 70. Immerhin, schon einen Tag aus dem Zeitplan. Wir lieben Probleme!
Auf den - heute schlechten - Karawanenstraßen, die Paul Graetz benutzte, kamen wir auch heute wegen Schlaglöchern groß wie Fesselballons und eingestürzten Brücken nur in Paul Graetz Geschwindigkeit voran. Er hatte keine Schlaglochpiste vorgefunden, keinen rußenden Lkw vor sich und die Eingeborenen machten vor seinem Tucke -Tucke bereitwillig Platz.
Auch hatte Graetz keine Schwierigkeiten Nahrungsmittel zu erwerben. Für uns 10 Graetzels war es teilweise unmöglich -nicht einmal für Geld - ausreichend Nahrungsmittel und Getränkevorräte für 2 Tage im Voraus zu bekommen. Die tansanische Logistik war mit den Mengenwünschen 10 Liter Trinkwasser, 20 Orangen, 2 frische Brote usw., überfordert. Aus Gewichtsgründen konnte auch keine langandauernde Vorratshaltung betrieben werden. Waschwasser musste in den staubigen Steppengegenden streng rationiert werden: 50 Liter Wasser für zwei Tage und zehn Personen. Hier lernte man, mit einem Zahnputzbecher voll Wasser eine Körperwäsche zu betreiben. Immerhin, dem Typhus wieder einmal ein Schnippchen geschlagen.
Die ersten Sonnenbrände stellten sich ein, Sandkörner trieben uns die Tränen in die Augen und der Fahrtwind sorgte für eine anständige Sturmfrisur. Zudem kam der Muskelkater vom ständigen Winken, da man als "Muzungu" in einem offenen Fahrzeug natürlich eine besondere Aufmerksamkeit genoss.
Mit zwei Tagen Verspätung erreichten wir Kigoma, den Haupthafen am Lake Tanganjika. Da die 95 Jahre alte und bereits 2 mal gesunkene Fähre MV Liemba gerade im Dock lag und das Gewicht eines Unimogs sowieso nicht tragen konnte, ging es entlang des Sees durch teuflischtes TseTse-Fliegen-Gebiet. Hier mussten wir Nachtfahrt gegen Auffressen durch Tse Tses abwiegen. Nach Inaugenscheinnahme der Straße entschieden wir uns fürs Aufgefressen werden.
In Sumbawanga 90 km vor der Grenze nach Sambia mussten wir einen weitern Stopp einlegen, da der Grenzübergang nach Sambia um 19 Uhr schließt. Auf sambischer Seite bereits um 18 Uhr. Oh zeitloses Afrika!
SambiaDer Grenzübergang nach Sambia klappte reibungslos - 4 Tage später als geplant. Dennoch stand das MotoMoto-Museum bereit, um mit dem Regionalrat zusammen ein aufregendes Projekt in Angriff zu nehmen: Auf der alten Stevenson Road zum alten Hafen Kituta Bay zu fahren - beide seit 80 Jahren nicht mehr in Betrieb, eine Straße, die das Fahrzeug von Paul Graetz in Einzelteilen zurücklegte und die von den Graetzels in einem Stück zurückgelegt wurde. Die örtliche Bevölkerung hackte Bäume aus dem Weg und ebnete Engstellen ein. Gemeinsam gelangten wir nach 25 km an den See. Zum ersten Mal sahen die Schulkinder ein Automobil, da Kituta nur über Fähre von Wasserseite als erreichbar galt.
Nach einer anstrengenden Nachtfahrt mit Frostbeulen schlugen wir das Lager an den warmen Quellen von Kapishya auf, um die anstrengende Patina aus Tour-Alltag abzuschütteln. Am nächsten Tag bewunderten wir Shiwa Ngandu, das Dornröschenschloss, ein sambisches Mini-Neuschwanstein oder großes Schloss Duwisib.
Die zahlreichen Straßensperren durch sauber uniformierte Polizisten wurden überwiegend mit Schwung und freundlichem Winken genommen. Graetz brauchte keine zwei Warndreiecke, Versicherungsbescheinigung, Public Road Carrier und Public Drivers Permit, Temporary Export Permit, Visagebührennachweis, Internationalen (Kolonialen?) Führerschein, Handbremsentest und Katzenaugenkontrolle.
Als wir in Livingstone ankamen, waren wir nur noch einem Tag hinterm Zeitplan. Plantschen im Sambesi und Pavianärgern waren die letzten Aktivitäten in Sambia.
SimbabweÜber die gleiche Brücke, über die schon Graetz den Sambesi überquerte, gelangten wir nach Simbabwe. Am Victoria-Falls-Nationalpark, wo wir gegen 16 Uhr ankamen, machten wir Bekanntschaft mit den Parkgebühren von Simbabwes Nationalparks: Voller Eintrittspreis für zwei Stunden, die wir noch Zeit hatten, Sonderzuschlag für den lunaren Regenbogen. Gesamtpreis 500 US$ für zehn Personen oder 2 US$ pro Minute. Es konnte keine Annäherung bei der Preisgestaltung erzielt werden, die Einheimischen antworteten mit Achselzucken, der Landessprache. Hier befiehl einen dann das sehr laue Gefühlsgemisch aus Ekel, Verachtung und Mitleid, bekannt als Toleranz. Schließlich muss eine Partei finanziert werden.
Wie soll man diejenigen nennen, die auf Paul Graetz Tour gehen - Touristen zeigt man ja nur die schönen Seiten eines Urlaubslandes und Zielgebietsabhaken findet auch nicht statt. Sollte man Sie Mitreisende nennen? Oder, wenn sie nicht selber fahren, Mitgenommene?
Am nächsten Morgen kleine Lage bei Wasser und Bart: Das Los musste entscheiden. "Los", sagte der kamera- und rasierschaumscheue Tourguide, "wir fahren über Botswana".
Botswana - Südafrika - BotswanaAuf unabwechslungsreicher Strecke ging es durch Botswana. Wie es das Schicksal will, hatte ich in Johannesburg die Gelegenheit sich mit eigenen Augen vom Zustand des südafrikanischen Gesundheitswesens im Allgemeinen und von der Motivation des Personals im Besonderen zu überzeugen: Ich musste auf Drängen der Mitreisenden ins Krankenhaus! Meine Fieberschübe der letzten fünf Tage waren ihnen nicht verborgen geblieben, vermutlich, da das Frühstückseiweiß bereits beim Aufschlagen der in meinen Händen gelagerten Hühnereier sichtbar wurde. Wem wäre da nicht schon die These vom "Linearen Immumsystem" zu Ohren gekommen, nach der die Abwehrkraft des Körpers linear zur körperlichen und geistigen Belastung ansteigt! Nein, die Mitreisenden wollten eine Prüfung auf Ansteckbarkeit. Nun war es aber nur eine Malaria ovale, nicht ansteckend, nicht in Südafrika vorkommend und somit auch keine Medikamente zur zielgerichteten Behandlung verfügbar.
Auf dem Rückweg aus Südafrika noch einen Kurzaufenthalt im Groot Marico Hotel. Hier nahm Paul Graetz den in Great Marico weltberühmten Mampoer Pfirsichbrandy zu sich. Die Graetzler taten in der alten Bar, die extra für dieses Ereignis wieder geöffnet wurde, das gleiche. Natürlich wurde es auch durch die Filmkamera festgehalten, die Trinkszene musste mehrmals wiederholt werden, danach war ein Fahrerwechsel notwendig. Irgendwie überquerte man dann auch wieder die nächste Grenze.
In Palapye Road steht seit 102 Jahren das von Paul Graetz beschriebene "Blechbudenhotel" direkt neben dem Store von Bailey, der damals die Etappenlegung für die Graetz-Expedition mit Hilfe von Ochsenwagen besorgte. Übernachtet wurde am Boteti-Fluss gegenüber dem Makgadikgadi Pan Reserve. Nachts versuchten Zebras und Schakale sich ins Lager zu schleichen, haben dabei aber die Löwen übersehen. 200 m vom Lagerplatz entfernt wurde ein junges Zebra von den Löwen belehrt, es scheint aber aus seinen Fehlern nicht mehr lernen zu können.
Auf der Original Graetz-Strecke entlang Ghanzi und des alten Ochsenwagenweges zum ehemaligen Grenzübergang Rietfontein - Nord steht ein Turm an dem Zweiländer - Dreieck Long 210000 Lat 220000. Auf dem alten Grenzstein steht noch Betschuanaland Protektorat und Südwestafrika drauf. Ein modernes GPS Gerät relativiert den korrekten Stand des Grenzsteines.
NamibiaGobabis steht bereit. Hervorragend organisiert wurden die Graetzler auf dem Gelände des Deutschen Vereins "zu Hause" in Empfang genommen. 15 Old Wheeler Fahrzeuge standen Spalier, man aß gemeinsam Gulaschsuppe und zeltete auf dem Sportplatz. Der starke Nachtfrost hatte die Schlafsäcke am Morgen mit einer kleinen Eisschicht überzogen.
Bald ging es im Convoi mit Mittagspicknick entlang der Omitarapforte zum Goldbeckhaus. Paul Graetz übernachtete hier 1909 beim "Dichterkönig von Südwest" Ludwig Conrad. Das Haus wurde bereits an der Fassade modernisiert, aber zwei charakteristische Bäume neben dem Haus verrieten, dass man am richtigen Platz war. Forschung kann auch spannend sein! Abends erreichten wir Windhoek, aber wie Paul Graetz blieben wir nur so lange, wie es die Höflichkeit gebahr. Am nächsten Tag fuhren wir auf indirektem Weg zur Spitzkuppe, fast wären wir wieder einmal im Hellen angekommen, aber im Dämmerungslicht hat der Reiseleiter das 3. Schild von oben aus 5 Schildern, welches in die richtige Richtung wies, in der schnellen Vorbeifahrt dann doch nicht mitbekommen. Nach 20 km war dann endlich ein Wegpunkt, um sich auf der Karte zurechtzufinden, der Blick ins Gelände half schon nicht mehr weiter. Auch hatte der Reiseleiter den Eindruck, dass ihn der kleine Stern links oben am Kreuz des Südens beim Navigieren nach dem Sternenhimmel ein wenig anlog.
Am ZielSwakopmund! Endlich am Ziel! Wir waren endlich - 42 Tage nach dem Start in Windhoek, 13.779 km und 3.816 Liter Benzin später - am Ziel angekommen. Beim Sonnenuntergang umspülten die Wellen des Atlantiks die Pneus des Graetzmobils...
Carsten Möhle Kurzbiographie Paul GraetzDer unsterblichkeitsberechtigte Paul Graetz ist heute völlig in Vergessenheit geraten. Er war Schutztruppenoffizier in Ostafrika, durchquerte Afrika mit einem Automobil und 1911/12 mit einem Motorboot, bereitete eine deutsch-englisch-holländische Zeppelin-Expedition nach Papua-Neuguinea vor, die aber aufgrund des Ersten Weltkrieges nicht durchgeführt wurde. Er war Jagdflieger, gründete die Vorläuferfirma der Lufthansa, war unter Hitler im Gefängnis und musste aus der Sowjetischen Besatzungszone fliehen, da er ebenfalls nicht in eine Partei eintreten wollte.
Verarmt und vergessen starb er 1968 in Travemünde. Auf seinem Grabstein stand: Paul Graetz-Africanus 24.07. 1875 - 16.02. 1968 Carpe Diem -
Aber selbst sein Grab existiert nicht mehr. Seine einzige Tochter Uta Graetz - Africana lebt heute 67jährig in der Nähe von Travemünde.
"Ein deutscher Offizier beabsichtigt, Afrika mit dem Automobil zu durchqueren. Er scheint nicht zu wissen, dass es im Hinterland des schwarzen Erdteils weder Benzin noch Öl noch Reifen zu kaufen gib. Der Plan dieses Herrn kommt auf dasselbe heraus, als wolle er eine Reise zum Mond unternehmen..."
Spott und Häme für den ehemaligen Angehörigen der Schutztruppe, dem die Idee zu diesem abenteuerlichen Unternehmen als Wegbaubereiter im Dondeland, dem heutigen Tansania, kam. Statt die Lasten auf den Köpfen schwarzer Träger transportieren zu lassen, schlug er seinem Gouverneur den Einsatz von Lastwagen vor. Der Gouverneur erklärt diesen Vorschlag für groben Unfug, im Kasino wird Graetz wegen seines "Benzinfimmels" ausgelacht. Um den Beweis anzutreten, dass seine Ideen keine Spinnereien waren, trat er aus der Schutztruppe aus. Damit galt er als Zivilist, der sein Verhalten selbst zu verantworten hat.
Bei der süddeutschen Automobilfabrik in Gaggenau, einem Vorläufer der Mercedes Benz - Werke, gab er ein Spezialgefährt auf Omnibuschassis mit 35 cm Bodenfreiheit in Auftrag. Dieses verschiffte Paul Graetz nach Dar- Es -Salaam im heuigen Tansania, wo er am 10. August 1907 seine Reise am Postamt begann. Bereits nach sechs Expeditionstagen platzten bei einer Wasserdurchfahrt alle vier Zylinder und man musste drei Monate auf Ersatzteile und einen neuen Chauffeur warten, da der alte Chauffeur sich bereits aus dem Staub gemacht hatte.
Mit Ochsenwagentransporten wurde ein Tankstellennetz und 22 Ersatzteillager - zum Teil als Grab getarnt, um Diebstahl vorzubeugen - vorbereitet. Nach geplatzten Zylindern, abgerissenen Hinterachsen, aus Liebeskummer zu einer Löwenbändigerin geflüchteten Chauffeuren, aufgebrauchten Geldmitteln, Fieberträumen, verdunstetem Benzin, eingestürzten Brücken und oftmals dem Verdursten nahe erreichte Paul Graetz letztendlich nach 630 Tagen, am 1.5.1909, sein Ziel Swakopmund. Die Berliner Zeitung bekam eine Postkarte aus Swakopmund "Bin auf dem Mond angekommen, Paul Graetz"
Eine Reise auf den Spuren des Afrikapioniers Paul GraetzDas Fahrzeug von Paul Graetz wurde 1907 in den Fahrzeugwerken Gaggenau gebaut. Wir bauten in Namibia zum Nachfahren seiner Strecke einen 60 Jahre jüngeren Unimog aus der gleichen Fabrik um. "Roadworthy" musste es sein, ein Old Wheeler, Straßen- und afrikatauglich zugleich. Schließlich wollten wir keine "Martin Luther" für Tansania bauen. Nun hatte unser Graetzmobil die gleichen 35 cm Bodenfreiheit, einen Holzaufbau, 2 Sitzreihen und die gleiche ungünstige Gewichtsverteilung. Zudem war das Fahrzeug vollkommen offen, was Sonnenbrand, Staub und Hitze erwarten ließ. Ein Teil der Strecke wurde zudem mit heruntergeklappter Frontscheibe zurückgelegt. An leichte Bindehautentzündung und Sonnenbrand kann man sich immerhin gewöhnen.Der Start in TansaniaPünktlich - mit der üblichen Verspätung, brachen wir in Dar-Es-Salaam am Indischen Ozean auf. Graetz legte am ersten Tag 28 km zurück, wir Graetzels brachten es immerhin auf 40. In einer Hochschule brachen nach dem Erscheinen unserer Reisegruppe kleine Tumulte aus, an Tourismus war man so weit entfernt von der informellen Hauptstadt noch nicht gewohnt. Ein gefahrloses vorbeiziehen der Fahrzeuge aus der Menschenmenge war nicht möglich und nach drei Stunden "Indaba" hatten sich die Gemüter beruhigt und es konnte weitergehen. Immerhin erreichten wir Morogoro am 2. Tag. Paul Graetz hatte 4 gebraucht. Die nächste Übernachtung war an der Stelle, an der Graetz an seinem 6. Expeditionstag den Wasserschlag in seinen Zylindern hatte und für 3 ½ Monate auf Ersatzteile warten musste. Tageskilometer bei uns Graetzels: 70. Immerhin, schon einen Tag aus dem Zeitplan. Wir lieben Probleme!
Auf den - heute schlechten - Karawanenstraßen, die Paul Graetz benutzte, kamen wir auch heute wegen Schlaglöchern groß wie Fesselballons und eingestürzten Brücken nur in Paul Graetz Geschwindigkeit voran. Er hatte keine Schlaglochpiste vorgefunden, keinen rußenden Lkw vor sich und die Eingeborenen machten vor seinem Tucke -Tucke bereitwillig Platz.
Auch hatte Graetz keine Schwierigkeiten Nahrungsmittel zu erwerben. Für uns 10 Graetzels war es teilweise unmöglich -nicht einmal für Geld - ausreichend Nahrungsmittel und Getränkevorräte für 2 Tage im Voraus zu bekommen. Die tansanische Logistik war mit den Mengenwünschen 10 Liter Trinkwasser, 20 Orangen, 2 frische Brote usw., überfordert. Aus Gewichtsgründen konnte auch keine langandauernde Vorratshaltung betrieben werden. Waschwasser musste in den staubigen Steppengegenden streng rationiert werden: 50 Liter Wasser für zwei Tage und zehn Personen. Hier lernte man, mit einem Zahnputzbecher voll Wasser eine Körperwäsche zu betreiben. Immerhin, dem Typhus wieder einmal ein Schnippchen geschlagen.
Die ersten Sonnenbrände stellten sich ein, Sandkörner trieben uns die Tränen in die Augen und der Fahrtwind sorgte für eine anständige Sturmfrisur. Zudem kam der Muskelkater vom ständigen Winken, da man als "Muzungu" in einem offenen Fahrzeug natürlich eine besondere Aufmerksamkeit genoss.
Mit zwei Tagen Verspätung erreichten wir Kigoma, den Haupthafen am Lake Tanganjika. Da die 95 Jahre alte und bereits 2 mal gesunkene Fähre MV Liemba gerade im Dock lag und das Gewicht eines Unimogs sowieso nicht tragen konnte, ging es entlang des Sees durch teuflischtes TseTse-Fliegen-Gebiet. Hier mussten wir Nachtfahrt gegen Auffressen durch Tse Tses abwiegen. Nach Inaugenscheinnahme der Straße entschieden wir uns fürs Aufgefressen werden.
In Sumbawanga 90 km vor der Grenze nach Sambia mussten wir einen weitern Stopp einlegen, da der Grenzübergang nach Sambia um 19 Uhr schließt. Auf sambischer Seite bereits um 18 Uhr. Oh zeitloses Afrika!
SambiaDer Grenzübergang nach Sambia klappte reibungslos - 4 Tage später als geplant. Dennoch stand das MotoMoto-Museum bereit, um mit dem Regionalrat zusammen ein aufregendes Projekt in Angriff zu nehmen: Auf der alten Stevenson Road zum alten Hafen Kituta Bay zu fahren - beide seit 80 Jahren nicht mehr in Betrieb, eine Straße, die das Fahrzeug von Paul Graetz in Einzelteilen zurücklegte und die von den Graetzels in einem Stück zurückgelegt wurde. Die örtliche Bevölkerung hackte Bäume aus dem Weg und ebnete Engstellen ein. Gemeinsam gelangten wir nach 25 km an den See. Zum ersten Mal sahen die Schulkinder ein Automobil, da Kituta nur über Fähre von Wasserseite als erreichbar galt.
Nach einer anstrengenden Nachtfahrt mit Frostbeulen schlugen wir das Lager an den warmen Quellen von Kapishya auf, um die anstrengende Patina aus Tour-Alltag abzuschütteln. Am nächsten Tag bewunderten wir Shiwa Ngandu, das Dornröschenschloss, ein sambisches Mini-Neuschwanstein oder großes Schloss Duwisib.
Die zahlreichen Straßensperren durch sauber uniformierte Polizisten wurden überwiegend mit Schwung und freundlichem Winken genommen. Graetz brauchte keine zwei Warndreiecke, Versicherungsbescheinigung, Public Road Carrier und Public Drivers Permit, Temporary Export Permit, Visagebührennachweis, Internationalen (Kolonialen?) Führerschein, Handbremsentest und Katzenaugenkontrolle.
Als wir in Livingstone ankamen, waren wir nur noch einem Tag hinterm Zeitplan. Plantschen im Sambesi und Pavianärgern waren die letzten Aktivitäten in Sambia.
SimbabweÜber die gleiche Brücke, über die schon Graetz den Sambesi überquerte, gelangten wir nach Simbabwe. Am Victoria-Falls-Nationalpark, wo wir gegen 16 Uhr ankamen, machten wir Bekanntschaft mit den Parkgebühren von Simbabwes Nationalparks: Voller Eintrittspreis für zwei Stunden, die wir noch Zeit hatten, Sonderzuschlag für den lunaren Regenbogen. Gesamtpreis 500 US$ für zehn Personen oder 2 US$ pro Minute. Es konnte keine Annäherung bei der Preisgestaltung erzielt werden, die Einheimischen antworteten mit Achselzucken, der Landessprache. Hier befiehl einen dann das sehr laue Gefühlsgemisch aus Ekel, Verachtung und Mitleid, bekannt als Toleranz. Schließlich muss eine Partei finanziert werden.
Wie soll man diejenigen nennen, die auf Paul Graetz Tour gehen - Touristen zeigt man ja nur die schönen Seiten eines Urlaubslandes und Zielgebietsabhaken findet auch nicht statt. Sollte man Sie Mitreisende nennen? Oder, wenn sie nicht selber fahren, Mitgenommene?
Am nächsten Morgen kleine Lage bei Wasser und Bart: Das Los musste entscheiden. "Los", sagte der kamera- und rasierschaumscheue Tourguide, "wir fahren über Botswana".
Botswana - Südafrika - BotswanaAuf unabwechslungsreicher Strecke ging es durch Botswana. Wie es das Schicksal will, hatte ich in Johannesburg die Gelegenheit sich mit eigenen Augen vom Zustand des südafrikanischen Gesundheitswesens im Allgemeinen und von der Motivation des Personals im Besonderen zu überzeugen: Ich musste auf Drängen der Mitreisenden ins Krankenhaus! Meine Fieberschübe der letzten fünf Tage waren ihnen nicht verborgen geblieben, vermutlich, da das Frühstückseiweiß bereits beim Aufschlagen der in meinen Händen gelagerten Hühnereier sichtbar wurde. Wem wäre da nicht schon die These vom "Linearen Immumsystem" zu Ohren gekommen, nach der die Abwehrkraft des Körpers linear zur körperlichen und geistigen Belastung ansteigt! Nein, die Mitreisenden wollten eine Prüfung auf Ansteckbarkeit. Nun war es aber nur eine Malaria ovale, nicht ansteckend, nicht in Südafrika vorkommend und somit auch keine Medikamente zur zielgerichteten Behandlung verfügbar.
Auf dem Rückweg aus Südafrika noch einen Kurzaufenthalt im Groot Marico Hotel. Hier nahm Paul Graetz den in Great Marico weltberühmten Mampoer Pfirsichbrandy zu sich. Die Graetzler taten in der alten Bar, die extra für dieses Ereignis wieder geöffnet wurde, das gleiche. Natürlich wurde es auch durch die Filmkamera festgehalten, die Trinkszene musste mehrmals wiederholt werden, danach war ein Fahrerwechsel notwendig. Irgendwie überquerte man dann auch wieder die nächste Grenze.
In Palapye Road steht seit 102 Jahren das von Paul Graetz beschriebene "Blechbudenhotel" direkt neben dem Store von Bailey, der damals die Etappenlegung für die Graetz-Expedition mit Hilfe von Ochsenwagen besorgte. Übernachtet wurde am Boteti-Fluss gegenüber dem Makgadikgadi Pan Reserve. Nachts versuchten Zebras und Schakale sich ins Lager zu schleichen, haben dabei aber die Löwen übersehen. 200 m vom Lagerplatz entfernt wurde ein junges Zebra von den Löwen belehrt, es scheint aber aus seinen Fehlern nicht mehr lernen zu können.
Auf der Original Graetz-Strecke entlang Ghanzi und des alten Ochsenwagenweges zum ehemaligen Grenzübergang Rietfontein - Nord steht ein Turm an dem Zweiländer - Dreieck Long 210000 Lat 220000. Auf dem alten Grenzstein steht noch Betschuanaland Protektorat und Südwestafrika drauf. Ein modernes GPS Gerät relativiert den korrekten Stand des Grenzsteines.
NamibiaGobabis steht bereit. Hervorragend organisiert wurden die Graetzler auf dem Gelände des Deutschen Vereins "zu Hause" in Empfang genommen. 15 Old Wheeler Fahrzeuge standen Spalier, man aß gemeinsam Gulaschsuppe und zeltete auf dem Sportplatz. Der starke Nachtfrost hatte die Schlafsäcke am Morgen mit einer kleinen Eisschicht überzogen.
Bald ging es im Convoi mit Mittagspicknick entlang der Omitarapforte zum Goldbeckhaus. Paul Graetz übernachtete hier 1909 beim "Dichterkönig von Südwest" Ludwig Conrad. Das Haus wurde bereits an der Fassade modernisiert, aber zwei charakteristische Bäume neben dem Haus verrieten, dass man am richtigen Platz war. Forschung kann auch spannend sein! Abends erreichten wir Windhoek, aber wie Paul Graetz blieben wir nur so lange, wie es die Höflichkeit gebahr. Am nächsten Tag fuhren wir auf indirektem Weg zur Spitzkuppe, fast wären wir wieder einmal im Hellen angekommen, aber im Dämmerungslicht hat der Reiseleiter das 3. Schild von oben aus 5 Schildern, welches in die richtige Richtung wies, in der schnellen Vorbeifahrt dann doch nicht mitbekommen. Nach 20 km war dann endlich ein Wegpunkt, um sich auf der Karte zurechtzufinden, der Blick ins Gelände half schon nicht mehr weiter. Auch hatte der Reiseleiter den Eindruck, dass ihn der kleine Stern links oben am Kreuz des Südens beim Navigieren nach dem Sternenhimmel ein wenig anlog.
Am ZielSwakopmund! Endlich am Ziel! Wir waren endlich - 42 Tage nach dem Start in Windhoek, 13.779 km und 3.816 Liter Benzin später - am Ziel angekommen. Beim Sonnenuntergang umspülten die Wellen des Atlantiks die Pneus des Graetzmobils...
Carsten Möhle Kurzbiographie Paul GraetzDer unsterblichkeitsberechtigte Paul Graetz ist heute völlig in Vergessenheit geraten. Er war Schutztruppenoffizier in Ostafrika, durchquerte Afrika mit einem Automobil und 1911/12 mit einem Motorboot, bereitete eine deutsch-englisch-holländische Zeppelin-Expedition nach Papua-Neuguinea vor, die aber aufgrund des Ersten Weltkrieges nicht durchgeführt wurde. Er war Jagdflieger, gründete die Vorläuferfirma der Lufthansa, war unter Hitler im Gefängnis und musste aus der Sowjetischen Besatzungszone fliehen, da er ebenfalls nicht in eine Partei eintreten wollte.
Verarmt und vergessen starb er 1968 in Travemünde. Auf seinem Grabstein stand: Paul Graetz-Africanus 24.07. 1875 - 16.02. 1968 Carpe Diem -
Aber selbst sein Grab existiert nicht mehr. Seine einzige Tochter Uta Graetz - Africana lebt heute 67jährig in der Nähe von Travemünde.
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Allgemeine Zeitung
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