19 Jahre nach „9/11“
Die letzten Spuren von New Yorks „Klein-Syrien“
Von Christina Horsten, dpa
Das kleine Haus in der Washington Street hat schon so manche Verwandlung miterlebt. Gebaut zu Beginn des 19. Jahrhunderts, nachdem der Hudson River an dieser Stelle zugeschüttet wurde, habe es zunächst als Wohnhaus gedient, erzählt Todd Fine, Direktor der Washington Street Advocacy Group, die sich für den Erhalt des Viertels an der Südspitze Manhattans einsetzt. Dann wurde es unter anderem zu einer Tanzhalle für deutsche Einwanderer und Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer Kirche umgewandelt.
In den 1980er Jahren besuchten nicht mehr ausreichend Menschen die oft lateinischsprachigen Gottesdienste, auch weil der Bau eines Tunnels eine Schneise in das Viertel geschlagen hatte. Ein Rettungsversuch einiger Banker von der nahe gelegenen Wall Street schlug fehl, die Kirche wurde aufgegeben und zu einer irischen Bar. Zwei Blocks nördlich war kurz zuvor das World Trade Center in die Höhe gewachsen. Am Freitag (11. September) vor 19 Jahren steuerten islamistischen Terroristen von ihnen entführte Flugzeuge in die Zwillingstürme sowie in das Pentagon in Washington. Rund 3000 Menschen verloren bei den Terroranschlägen ihr Leben. „Die Bar gehörte zu den Lokalen, die am nächsten dran waren, und war in den Tagen und Wochen nach den Anschlägen immer voll mit Rettungskräften.“
Aber auch die Bar ging ein - den Betreibern zufolge, weil der Umsatz aufgrund der vielen Bauarbeiten in dem Viertel nach den Anschlägen einbrach. Heute beherbergt das kleine Haus in der Washington Street, neben dem inzwischen ein rund 50-stöckiges Hotel in die Höhe ragt, ein chinesisches Restaurant. Versteckt hinter einem Wasseranschluss findet sich an der Außenfassade einer der letzten öffentlich sichtbaren Hinweise auf einen weniger bekannten, aber doch historisch-gesellschaftlich bedeutenden Teil der Geschichte des Viertels: „St. George Syrian Church“.
Etwa zwischen 1880 und 1940 war diese Gegend Manhattans als „Little Syria“ bekannt, „Klein-Syrien“, und das kleine Haus in der Washington Street war als Kirche eines seiner Zentren. „Dieses Viertel erzählt eine Geschichte über die amerikanische Einwanderererfahrung“, sagt Fine, der gerade seine Doktorarbeit schreibt, teils jüdischer Abstammung ist und nach den Terroranschlägen über ein Interesse für arabisch-amerikanische Literatur zum Aktivist für den Erhalt des Viertels wurde. „Wir wollten beim Wiederaufbau nach dem 11. September verhindern, dass die letzten Spuren des arabisch-amerikanischen Erbes in Manhattan zerstört werden.“
Mehrere Tausend aus dem Libanongebirge und dem heutigen Syrien eingewanderte Menschen ließen sich damals in der Gegend nieder und arbeiteten hauptsächlich im Großhandel und in Schneidereien. Schilder mit arabischer Schrift, Straßenhändler, Wasserpfeifen und Stände mit Lakritzsaft prägten das Straßenbild. Viele der Einwanderer waren Christen. „Es gab aber auch eine Moschee“, sagt Aktivist Fine und zeigt auf ein nicht weit entferntes Hochhaus. „Etwa da, wo jetzt der Dunkin' Donuts ist.“
Viel ist von „Klein-Syrien“ nicht mehr übrig. Neben der zum China-Restaurant umgewandelten Kirche stehen noch zwei Gebäude aus derselben Zeit, von denen eines ein Gemeinschaftszentrum war. Derzeit steht es leer; es hat von seiner Zeit als buddistischer Tempel noch einige Buddha-Figuren zwischen den Original-Adlern an der Fassade. Rund zwei Dutzend Gebäude dürften noch übrig sein, schätzt Fine. Nur etwa eine Handvoll davon sind denkmalgeschützt, für den Erhalt der anderen kämpfen er und seine Mitstreiter täglich.
Ihre Gegner sind dabei unter anderem Immobilieninvestoren und Luxus-Makler, die dem Viertel im Wiederaufbau-Boom nach dem 11. September einen schicken neuen Namen verpassen wollten: Greenwich South. Und Hausbesitzer, die wohl um den für sie teuren und umständlichen Denkmalschutz abzuwehren, die Fassaden radikal verändern. „Die hier gehören zu den ältesten Gebäuden New Yorks“, sagt Fine und zeigt auf drei unscheinbare kleine Häuser in einer Nachbarstraße. „Der Besitzer von dem da rechts hat einen Stripclub und er hat drei Stockwerke draufgesetzt, weil er weiß, dass das Haus schwerer zu schützen ist, wenn er es verschandelt.“
Die Stadt New York hat angekündigt, dass in einem derzeit im Umbau begriffenen Park im Süden des Viertels mit einem Denkmal an die Geschichte von „Klein-Syrien“ erinnert werden soll. „Wir hatten einige Erfolge und einige Rückschläge“, sagt Fine. „Aber ich bleibe optimistisch.“
Nach den Terroranschlägen vom 11. September habe ihn die Reaktion mancher seiner Landsleute verstört, sagt Fine. „Es gab so viel Entmenschlichung, es gab Menschen, die gesagt haben, man müsse jetzt Atombomben auf den ganzen Nahen Osten schmeißen, ohne zu wissen, wovon sie da eigentlich reden. Und wenn man damit erst mal anfängt, dann gibt es kein Halten mehr. Das macht mir immer noch große Sorge - und ich denke, die Einwanderungsgeschichte ist eine der kräftigsten, die wir dagegen setzen können, denn damit können sich Menschen identifizieren.“
Auch einige jüngere arabische Einwanderer, die heute hauptsächlich in Teilen des Stadtteils Brooklyn leben, begännen sich wieder für die Geschichte von „Klein-Syrien“ zu interessieren. „Und ich glaube, viele von ihnen stimmen mit mir darin überein, dass es bislang eine verpasste Chance ist, den Nahen Osten zu entmystifizieren und die Kontinuitäten zu erklären.“
Zum 19. Jahrestag der Anschläge kämpft die von städtischen Offiziellen gerade eigentlich wieder zum Boom-Viertel erklärte Gegend mit den Folgen der Corona-Krise. Das Gedenkmuseum will nach rund sechsmonatiger Pause nach Angaben der Betreiber am 12. September wieder öffnen. Auch die zwei Lichtkegel, die jedes Jahr rund um den Gedenktag vom Ort der Anschläge aus in den Himmel strahlen, gibt es wieder - nachdem die Aktion aus Gesundheitsbedenken wegen der Pandemie eigentlich bereits abgesagt worden war.
Viele der neugebauten Wolkenkratzer der Gegend sind noch immer nicht voll vermietet - was jetzt nicht leichter werden dürfte. „Vielleicht wird die Pandemie die Menschen endlich sehen lassen, wie viel des Investments in New York in den vergangenen 20 Jahren nicht für echte New Yorker war, sondern für Banken oder Touristen“, sagt Fine. „Und vielleicht denken wir jetzt endlich darüber nach, wie wir echte authentische Gegenden unterstützen können.“
Das kleine Haus in der Washington Street hat schon so manche Verwandlung miterlebt. Gebaut zu Beginn des 19. Jahrhunderts, nachdem der Hudson River an dieser Stelle zugeschüttet wurde, habe es zunächst als Wohnhaus gedient, erzählt Todd Fine, Direktor der Washington Street Advocacy Group, die sich für den Erhalt des Viertels an der Südspitze Manhattans einsetzt. Dann wurde es unter anderem zu einer Tanzhalle für deutsche Einwanderer und Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer Kirche umgewandelt.
In den 1980er Jahren besuchten nicht mehr ausreichend Menschen die oft lateinischsprachigen Gottesdienste, auch weil der Bau eines Tunnels eine Schneise in das Viertel geschlagen hatte. Ein Rettungsversuch einiger Banker von der nahe gelegenen Wall Street schlug fehl, die Kirche wurde aufgegeben und zu einer irischen Bar. Zwei Blocks nördlich war kurz zuvor das World Trade Center in die Höhe gewachsen. Am Freitag (11. September) vor 19 Jahren steuerten islamistischen Terroristen von ihnen entführte Flugzeuge in die Zwillingstürme sowie in das Pentagon in Washington. Rund 3000 Menschen verloren bei den Terroranschlägen ihr Leben. „Die Bar gehörte zu den Lokalen, die am nächsten dran waren, und war in den Tagen und Wochen nach den Anschlägen immer voll mit Rettungskräften.“
Aber auch die Bar ging ein - den Betreibern zufolge, weil der Umsatz aufgrund der vielen Bauarbeiten in dem Viertel nach den Anschlägen einbrach. Heute beherbergt das kleine Haus in der Washington Street, neben dem inzwischen ein rund 50-stöckiges Hotel in die Höhe ragt, ein chinesisches Restaurant. Versteckt hinter einem Wasseranschluss findet sich an der Außenfassade einer der letzten öffentlich sichtbaren Hinweise auf einen weniger bekannten, aber doch historisch-gesellschaftlich bedeutenden Teil der Geschichte des Viertels: „St. George Syrian Church“.
Etwa zwischen 1880 und 1940 war diese Gegend Manhattans als „Little Syria“ bekannt, „Klein-Syrien“, und das kleine Haus in der Washington Street war als Kirche eines seiner Zentren. „Dieses Viertel erzählt eine Geschichte über die amerikanische Einwanderererfahrung“, sagt Fine, der gerade seine Doktorarbeit schreibt, teils jüdischer Abstammung ist und nach den Terroranschlägen über ein Interesse für arabisch-amerikanische Literatur zum Aktivist für den Erhalt des Viertels wurde. „Wir wollten beim Wiederaufbau nach dem 11. September verhindern, dass die letzten Spuren des arabisch-amerikanischen Erbes in Manhattan zerstört werden.“
Mehrere Tausend aus dem Libanongebirge und dem heutigen Syrien eingewanderte Menschen ließen sich damals in der Gegend nieder und arbeiteten hauptsächlich im Großhandel und in Schneidereien. Schilder mit arabischer Schrift, Straßenhändler, Wasserpfeifen und Stände mit Lakritzsaft prägten das Straßenbild. Viele der Einwanderer waren Christen. „Es gab aber auch eine Moschee“, sagt Aktivist Fine und zeigt auf ein nicht weit entferntes Hochhaus. „Etwa da, wo jetzt der Dunkin' Donuts ist.“
Viel ist von „Klein-Syrien“ nicht mehr übrig. Neben der zum China-Restaurant umgewandelten Kirche stehen noch zwei Gebäude aus derselben Zeit, von denen eines ein Gemeinschaftszentrum war. Derzeit steht es leer; es hat von seiner Zeit als buddistischer Tempel noch einige Buddha-Figuren zwischen den Original-Adlern an der Fassade. Rund zwei Dutzend Gebäude dürften noch übrig sein, schätzt Fine. Nur etwa eine Handvoll davon sind denkmalgeschützt, für den Erhalt der anderen kämpfen er und seine Mitstreiter täglich.
Ihre Gegner sind dabei unter anderem Immobilieninvestoren und Luxus-Makler, die dem Viertel im Wiederaufbau-Boom nach dem 11. September einen schicken neuen Namen verpassen wollten: Greenwich South. Und Hausbesitzer, die wohl um den für sie teuren und umständlichen Denkmalschutz abzuwehren, die Fassaden radikal verändern. „Die hier gehören zu den ältesten Gebäuden New Yorks“, sagt Fine und zeigt auf drei unscheinbare kleine Häuser in einer Nachbarstraße. „Der Besitzer von dem da rechts hat einen Stripclub und er hat drei Stockwerke draufgesetzt, weil er weiß, dass das Haus schwerer zu schützen ist, wenn er es verschandelt.“
Die Stadt New York hat angekündigt, dass in einem derzeit im Umbau begriffenen Park im Süden des Viertels mit einem Denkmal an die Geschichte von „Klein-Syrien“ erinnert werden soll. „Wir hatten einige Erfolge und einige Rückschläge“, sagt Fine. „Aber ich bleibe optimistisch.“
Nach den Terroranschlägen vom 11. September habe ihn die Reaktion mancher seiner Landsleute verstört, sagt Fine. „Es gab so viel Entmenschlichung, es gab Menschen, die gesagt haben, man müsse jetzt Atombomben auf den ganzen Nahen Osten schmeißen, ohne zu wissen, wovon sie da eigentlich reden. Und wenn man damit erst mal anfängt, dann gibt es kein Halten mehr. Das macht mir immer noch große Sorge - und ich denke, die Einwanderungsgeschichte ist eine der kräftigsten, die wir dagegen setzen können, denn damit können sich Menschen identifizieren.“
Auch einige jüngere arabische Einwanderer, die heute hauptsächlich in Teilen des Stadtteils Brooklyn leben, begännen sich wieder für die Geschichte von „Klein-Syrien“ zu interessieren. „Und ich glaube, viele von ihnen stimmen mit mir darin überein, dass es bislang eine verpasste Chance ist, den Nahen Osten zu entmystifizieren und die Kontinuitäten zu erklären.“
Zum 19. Jahrestag der Anschläge kämpft die von städtischen Offiziellen gerade eigentlich wieder zum Boom-Viertel erklärte Gegend mit den Folgen der Corona-Krise. Das Gedenkmuseum will nach rund sechsmonatiger Pause nach Angaben der Betreiber am 12. September wieder öffnen. Auch die zwei Lichtkegel, die jedes Jahr rund um den Gedenktag vom Ort der Anschläge aus in den Himmel strahlen, gibt es wieder - nachdem die Aktion aus Gesundheitsbedenken wegen der Pandemie eigentlich bereits abgesagt worden war.
Viele der neugebauten Wolkenkratzer der Gegend sind noch immer nicht voll vermietet - was jetzt nicht leichter werden dürfte. „Vielleicht wird die Pandemie die Menschen endlich sehen lassen, wie viel des Investments in New York in den vergangenen 20 Jahren nicht für echte New Yorker war, sondern für Banken oder Touristen“, sagt Fine. „Und vielleicht denken wir jetzt endlich darüber nach, wie wir echte authentische Gegenden unterstützen können.“
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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