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40 Jahre nach dem Olympia-Boykott 1980
40 Jahre nach dem Olympia-Boykott 1980

40 Jahre nach dem Olympia-Boykott 1980

Stefan Noechel
Frankfurt/Main (dpa) - Der Kalte Krieg hat 1980 den deutschen Sport eiskalt erwischt. Als Reaktion auf den Einmarsch sowjetischer Truppen im Dezember 1979 in Afghanistan beschloss die USA den Boykott der Olympischen Spiele 1980 in Moskau und forderte ihre westlichen Verbündeten dazu auf, sich anzuschließen. Nur die Bundesrepublik, Japan, Kanada, Norwegen und Kenia folgten dem Aufruf des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter. Dass das damalige Nationale Olympische Komitee Deutschlands mit 59 gegen 40 Stimmen am 15. Mai 1980 für den Boykott gestimmt hat, jährt sich nun zum 40. Mal.
„Es hat überhaupt keinen Sinn gemacht, der Sport hat sich der Politik unterworfen“, sagte Walther Tröger (91), der von 1992 bis 2002 NOK-Präsident war, der Deutschen Presse-Agentur. Während der Sport aufgegeben habe und die deutsche Olympia-Mannschaft nicht dorthin gefahren sei, wo sie hingehört habe, hätten Kirchen, Politik und Wirtschaft alle weitergemacht wie bisher. „Unsere Regierung ist darauf reingefallen“, betonte Tröger, „und leider waren viele unserer Leute damals der Politik hörig oder verbunden.“
Wie Tröger war auch der 1980 amtierende NOK-Chef Willi Daume gegen den Boykott und bezeichnete ihn als „eines der widersinnigsten, überflüssigsten und politisch schädlichsten Ereignisse“. Dennoch stellte sich die Mehrheit der damaligen Mitgliederversammlung des NOK - gegen den Willen vieler Athleten - hinter die Bundesregierung von Kanzler Helmut Schmidt, der den Schulterschluss mit der Schutzmacht USA als existenziell ansah.
Deshalb lud er die Präsidenten der Sportfachverbände ins Kanzleramt nach Bonn ein, um sie von der Absage der Reise nach Moskau zu überzeugen. Dabei verließ sich Schmidt nicht nur auf Argumente, um die Unterstützung des Sports zu erhalten. „Zwischendurch sagte er ganz subtil: Sie können ruhig nach Moskau fahren, aber wenn Sie fahren, zahlen Sie bitte alles selber“, berichtete der frühere Turn-Weltmeister und Augenzeuge Eberhard Gienger einmal in einem Interview. „Da ist uns die Freude an den Spielen ziemlich vergangen.“
Jahre später sah auch Schmidt ein, dass dieser Boykott „sinnlos und schädlich“ gewesen war. Gienger, heute für die CDU Abgeordneter im Bundestag, pflichtete ihm bei: „Aus dieser Rückschau tut es besonders weh.“
Eine Triebfeder seiner Funktionärslaufbahn und ein nicht vergehender Schmerz ist der Boykott für Thomas Bach. „Es brennt noch heute“, sagte der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees und Olympiasieger von 1976 mit der Herrenflorett-Mannschaft.
Nicht nur er ist vor 40 Jahren um Olympia oder sogar mögliches Gold gebracht worden: Guido Kratschmer. Der Olympia-Zweite von 1976 im Zehnkampf war 1980 in der Form seines Lebens, was er nach der Moskau-Absage unter Beweis stellte. Im schwäbischen Bernhausen stellte er im Juli des Jahres mit 8649 Punkten einen Weltrekord auf. „Das war brutal. Ich wollte zeigen, dass ich Gold gewinnen hätte können“, sagte der heute 67-Jährige. „Ich war am Tiefpunkt, aber sportlich absolut auf der Höhe.“
Der Boykott von Moskau war der spektakulärste, aber nicht der einzige in der Olympia-Geschichte. Beim ersten 1956 blieben die Niederlande, Spanien und die Schweiz den Spielen in Melbourne als Antwort auf die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes durch die Sowjetarmee fern. Den letzten Boykott gab es 1984, als - als Gegenreaktion für den von Moskau - die Sowjetunion und ihre Verbündeten nicht nach Los Angeles reisten. Diesmal traf die von der Politik diktierte Entscheidung die DDR, die 1980 mit 126 Medaillen Platz zwei im Medaillenspiegel hinter der Sowjetunion (195) belegt hatte.
„Ein Boykott einer Sportveranstaltung ist aus meiner Sicht immer eine Verlagerung eines Konfliktes auf Stellvertreter, der nicht mehr als Symbolcharakter hat“, erklärte Dagmar Freitag, Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses. Grundsätzlich sei ein Boykott noch immer möglich. „Denken sie nur an die Diskussionen vor wenigen Wochen, als erste NOKs entschieden hatten, aufgrund der sich ausweitenden Corona-Pandemie nicht an den Olympischen Spielen Tokio 2020 teilzunehmen“, sagte die SPD-Politikerin. Der Grund sei gesundheits- und nicht gesellschaftspolitischer Natur gewesen.
„Klar ist auch: Sport ist hochpolitisch. Nicht grundlos suchen die Verantwortlichen auf nationaler und internationaler Ebene immer die Nähe und im Idealfall den Schulterschluss mit politischen Entscheidungsträgern“, sagte Freitag. Allerdings würden Entscheidungen des Sports der Politik zahlreiche Anknüpfungspunkte, auch für kritische Diskussionen über Vergaben in Länder mit massiven Menschenrechtsverletzungen oder auch Umweltproblemen, bieten. „Dazu tragen übrigens die Athleten in erfreulichem Maße bei, die heutzutage sehr viel selbstbewusster und dem IOC und ihren NOKs gegenüber deutlich unabhängiger und unerschrockener auftreten." (Foto: dpa)

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Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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