50 Jahre Film und eine Kalahari-Familie
Über einen Zeitraum von 50 Jahren dokumentierte der amerikanische Filmer John Marshall das Leben der Ju'/hoansi-Buschleute in der Nyae-Nyae-Gegend von Namibia. Seine über 20 Filme und das mehr als zwei Millionen Fuß umfassende 16mm-Material gelten als beispiellos sowohl in der Geschichte des Films als auch in der Geschichte der Anthropologie. Marshall verstarb am 22. April 2005. Das Goethe-Zentrum Windhoek zeigt jetzt einige seiner Filmklassiker in einer Veranstaltungsreihe zum Thema "Die San / Buschleute".
John Marshall reiste das erste Mal in die Kalahari als er 17 war. Man schrieb das Jahr 1950, und er begleitete seinen Vater, Laurence Marshall, der sich gerade als Gründer einer millionenschweren Elektronikfirma zur Ruhe gesetzt hatte. Die beiden wollten die legendäre "verlorene Stadt der Kalahari" suchen. Sie sollten dabei mal Ausschau halten nach "wilden Buschmännern", riet der Direktor des Peabody Museums an der Harvard University.
Ein Jahr später kehrte die gesamte Familie zurück in die Gegend Nyae Nyae im heutigen Namibia. Vater Laurence verteilte die Jobs: Ehefrau Lorna Marshall sollte ein bisschen Ethnologie betreiben, Tochter Elizabeth (heute bekannt als die Schriftstellerin Elizabeth Marshall Thomas) sollte dazu ein Buch schreiben und Sohn John das ganze auf Film festhalten. Der 18-Jährige bekam eine 16mm-Kodak-Kamera in die Hand gedrückt. Was er damit auf Zelluloid bannte, sollte ein Film werden, der später in Anthropologen-Kreisen als Sensation gefeiert wurde und selbst heute noch als Standardwerk gilt: "The Hunters" (1957).
John Marshall verbrachte die nächsten 50 Jahre damit, das Leben von /Oma Tsamkxao und seiner Familie zu dokumentieren - jenes Ju'/hoansi, dem er und sein Vater als erstes in der Kalahari begegnet waren. Über 20 Filme sind entstanden. Sie erzählen die Geschichte der Ju'/hoansi über einen Zeitraum eines halben Jahrhunderts, den Wandel vom Jäger- und Sammlerdasein zu einem Volk, das sesshaft werden muss, und dessen Leben heute von Armut, Gewalt und Krankheit geprägt ist.
Marshall experimentierte zeitlebens mit Filmtechniken auf der Suche nach der besten Art, das Leben der Buschleute zu dokumentieren und auf ihr Los als marginalisiertes Naturvolk aufmerksam zu machen. Er gilt als einer der Vorreiter des Cinéma Vérité der 60er Jahre. Sein Engagement für die San führte dazu, dass die südafrikanische Apartheidsregierung seine Einreise zwischen den Jahren 1958 bis 1978 verhinderte. Abgesehen von einem kurzen Besuch von Laurence und Lorna Marshall 1961 erhielt kein Filmemacher oder Anthropologe die Erlaubnis, den Wandel zu dokumentieren, der in Tsumkwe und Umgebung stattfand. An Weihnachten 1959 nämlich war im Zuge der Errichtung von ethnisch getrennten Homelands der erste administrative Posten der südafrikanischen Kolonialregierung in Tsumkwe errichtet worden.
Als Marshall 20 Jahre später wiederkehrte, war er schockiert von der Verwüstung, die in der Kultur und Lebensweise der San erfolgt war. Zu diesem Zeitpunkt filmte er "N!ai, the Story of a !Kung Woman" - die Geschichte einer Frau, die er seit ihrer Kindheit kannte. In den 80er und 90er Jahren lebte Marshall lange Jahre mit den Buschleuten. Er filmte weiterhin, aber er wurde auch zum politischen Aktivisten. Er sollte sich bis zu seinem Tod durch Lungenkrebs im Frühjahr 2005 für die Rechte der Ju'/hoansi einsetzen.
Höhepunkt seines filmischen Oevres ist Marshalls insgesamt sechs Stunden lange Serie "A Kalahari Family" (2002). Die fünf Folgen dokumentieren knapp 50 Jahre namibischer Geschichte, weitgehend von den Buschleuten selbst erzählt. Die zentralen Stimmen sind die von Marshall und seinen San-Freunden, aber es kommen auch Dutzende andere Stimmen zu Wort: Regierungsleute, Soldaten, Repräsentanten internationaler Umweltgruppen oder Hilfsorganisationen und Touristen. In seinen vorigen Filmen stand Marshall selbst immer im Hintergrund. Anders hier: In "Kalahari Family" lässt der Filmemacher hinter die Kulissen blicken. Denn letztendlich geht es auch um seinen Einfluss - im positiven und negativen Sinne - und den Einfluss seiner Familie auf das Leben der Ju'/hoansi.
Das Veranstaltungsprogramm im Goethe-Zentrum
Di 11.07., 18.30 Uhr: "The Hunters" (1957, 72 min)
"The Hunters", John Marshalls erster Film, erzählt die Geschichte einer Giraffenjagd. Später fand der Regisseur, dass er das Thema romantisiert habe, dass "The Hunters" eine künstlerische Kreation und ein Produkt seiner eigenen Imagination sei und deshalb nicht die Wirklichkeit der Ju'/hoansi darstelle. In diesem Film habe er die Buschleute in einem zeitlosen Vakuum dargestellt, als ein Volk, das gegen die Widrigkeiten der Natur kämpft. Die Realität sei jedoch, dass die Ju'/hoansi zur Zeit des Filmens fast nur noch vom Sammeln gelebt haben und Schwierigkeiten hatten, überhaupt etwas Essbares zu finden.
Do 13.07., 18.30 Uhr: "Bitter Melons" (1971, 30 min) & "N!ai, the Story of a !Kung Woman" (1980, 59 min)
"Bitter Melons" ist ein Film über eine kleine Musikgruppe von /Gwi San, inklusive des blinden Musikers Ukxone. In seinen Liedern wird die Landschaft der /Gwi mit ihrer vielfältigen Tierwelt und den täglichen Alltagsverrichtungen lebendig.
"N!ai, the Story of a !Kung Woman" zeigt das Leben und die Veränderung eines Volkes anhand des Schicksals einer Frau aus dem Stamm der Kung. Marshall kannte diese Frau seit sie ein Kind war. Der Film widerspiegelt die Hoffnungslosigkeit der verarmten San-Gemeinde, die heute in Tsumkwe lebt. Marshall präsentiert sich hier erstmals als engagierter Mitstreiter, der die Probleme einer marginalisierten Gemeinschaft aufzeigt.
Mi 19.7., 18.30 Uhr: Vortrag zur Ausstellung "Memory & Magic"
Am Donnerstag wird in der Nationalgalerie die Ausstellung "Memory and Magic" eröffnet. Sie zeigt 28 Werke zeitgenössischer !Xun- und Khwe-Künstler. Die aktuelle Kunst der San entstand aus einer kurzen Phase des Übergangs von der alten Kultur - der Felskunst, der mündlichen Überlieferung, der alten Traditionen und ihrer "magischen Welt" - in die neue, globalisierte Welt der Medienkommunikation und der formellen Erziehung. Als Sammlerin und Kuratorin dieser Ausstellung wird H. Rabbethge-Schiller das Konzept zu "Memory and Magic" erklären sowie die vielen Hintergrundgeschichten der verschiedenen Künstler erzählen.
Do 20.7., 18.30 Uhr: "A Kalahari Family", Teil 1
"A Kalahari Family" ist eine fünfteilige Filmreihe, die das Leben der Ju'/hoansi über einen Zeitraum von 50 Jahren begleitet.
Teil 1: "A far Country" (90 min), zeigt Filmmaterial aus dem Jahr 1951, als sich die Marshall-Familie auf den Weg machte, um das Leben der Buschleute in der Kalahari zu dokumentieren.
Do 20.7., 19.00 Uhr: Eröffnung der Ausstellung "Memory & Magic" in der Nationalgalerie
Offizielle Eröffnung der Ausstellung, die u.a. auch in Johannesburg, Kimberley, Kapstadt, Durban und Gaborone gezeigt wird.
Mi 26.07., 18.30 Uhr: "A Kalahari Family", Teil 5
Teil 5: "Death by Myth": Die namibische Unabhängigkeit bringt viel internationale Hilfe ins Land, aber die Entwicklungsprogramme begünstigen nicht mehr länger Ju'/hoan-Farmen. Wir werden Zeuge dessen, wie schädlich die "Buschmann-Mythen" für das Leben der San sind.
Mi 2.8., 18.30 Uhr: Film "Geheimnisse der Wüste - Die Entdeckung der ältesten Kunst Afrikas" (BRD 2006, 45 min)
Im Jahr 1969 wurde durch den Archäologen Dr. W.E. Wendt in den Hunsbergen im Süden Namibias die bisher älteste datierte Kunst Afrikas entdeckt. Auf dem Weg zur Wiege der 28.000-jährigen "Buschmannskunst" werden weitere archäologische Fundstellen und Orte besichtigt, die Auskunft über die Geschichte der Felskunst und ihre Reflexionen in die heutige Zeit geben. Die Regisseure Klaus-Dieter Galow, Roger Pitann und Hans Thull werden bei der Vorführung anwesend sein.
John Marshall reiste das erste Mal in die Kalahari als er 17 war. Man schrieb das Jahr 1950, und er begleitete seinen Vater, Laurence Marshall, der sich gerade als Gründer einer millionenschweren Elektronikfirma zur Ruhe gesetzt hatte. Die beiden wollten die legendäre "verlorene Stadt der Kalahari" suchen. Sie sollten dabei mal Ausschau halten nach "wilden Buschmännern", riet der Direktor des Peabody Museums an der Harvard University.
Ein Jahr später kehrte die gesamte Familie zurück in die Gegend Nyae Nyae im heutigen Namibia. Vater Laurence verteilte die Jobs: Ehefrau Lorna Marshall sollte ein bisschen Ethnologie betreiben, Tochter Elizabeth (heute bekannt als die Schriftstellerin Elizabeth Marshall Thomas) sollte dazu ein Buch schreiben und Sohn John das ganze auf Film festhalten. Der 18-Jährige bekam eine 16mm-Kodak-Kamera in die Hand gedrückt. Was er damit auf Zelluloid bannte, sollte ein Film werden, der später in Anthropologen-Kreisen als Sensation gefeiert wurde und selbst heute noch als Standardwerk gilt: "The Hunters" (1957).
John Marshall verbrachte die nächsten 50 Jahre damit, das Leben von /Oma Tsamkxao und seiner Familie zu dokumentieren - jenes Ju'/hoansi, dem er und sein Vater als erstes in der Kalahari begegnet waren. Über 20 Filme sind entstanden. Sie erzählen die Geschichte der Ju'/hoansi über einen Zeitraum eines halben Jahrhunderts, den Wandel vom Jäger- und Sammlerdasein zu einem Volk, das sesshaft werden muss, und dessen Leben heute von Armut, Gewalt und Krankheit geprägt ist.
Marshall experimentierte zeitlebens mit Filmtechniken auf der Suche nach der besten Art, das Leben der Buschleute zu dokumentieren und auf ihr Los als marginalisiertes Naturvolk aufmerksam zu machen. Er gilt als einer der Vorreiter des Cinéma Vérité der 60er Jahre. Sein Engagement für die San führte dazu, dass die südafrikanische Apartheidsregierung seine Einreise zwischen den Jahren 1958 bis 1978 verhinderte. Abgesehen von einem kurzen Besuch von Laurence und Lorna Marshall 1961 erhielt kein Filmemacher oder Anthropologe die Erlaubnis, den Wandel zu dokumentieren, der in Tsumkwe und Umgebung stattfand. An Weihnachten 1959 nämlich war im Zuge der Errichtung von ethnisch getrennten Homelands der erste administrative Posten der südafrikanischen Kolonialregierung in Tsumkwe errichtet worden.
Als Marshall 20 Jahre später wiederkehrte, war er schockiert von der Verwüstung, die in der Kultur und Lebensweise der San erfolgt war. Zu diesem Zeitpunkt filmte er "N!ai, the Story of a !Kung Woman" - die Geschichte einer Frau, die er seit ihrer Kindheit kannte. In den 80er und 90er Jahren lebte Marshall lange Jahre mit den Buschleuten. Er filmte weiterhin, aber er wurde auch zum politischen Aktivisten. Er sollte sich bis zu seinem Tod durch Lungenkrebs im Frühjahr 2005 für die Rechte der Ju'/hoansi einsetzen.
Höhepunkt seines filmischen Oevres ist Marshalls insgesamt sechs Stunden lange Serie "A Kalahari Family" (2002). Die fünf Folgen dokumentieren knapp 50 Jahre namibischer Geschichte, weitgehend von den Buschleuten selbst erzählt. Die zentralen Stimmen sind die von Marshall und seinen San-Freunden, aber es kommen auch Dutzende andere Stimmen zu Wort: Regierungsleute, Soldaten, Repräsentanten internationaler Umweltgruppen oder Hilfsorganisationen und Touristen. In seinen vorigen Filmen stand Marshall selbst immer im Hintergrund. Anders hier: In "Kalahari Family" lässt der Filmemacher hinter die Kulissen blicken. Denn letztendlich geht es auch um seinen Einfluss - im positiven und negativen Sinne - und den Einfluss seiner Familie auf das Leben der Ju'/hoansi.
Das Veranstaltungsprogramm im Goethe-Zentrum
Di 11.07., 18.30 Uhr: "The Hunters" (1957, 72 min)
"The Hunters", John Marshalls erster Film, erzählt die Geschichte einer Giraffenjagd. Später fand der Regisseur, dass er das Thema romantisiert habe, dass "The Hunters" eine künstlerische Kreation und ein Produkt seiner eigenen Imagination sei und deshalb nicht die Wirklichkeit der Ju'/hoansi darstelle. In diesem Film habe er die Buschleute in einem zeitlosen Vakuum dargestellt, als ein Volk, das gegen die Widrigkeiten der Natur kämpft. Die Realität sei jedoch, dass die Ju'/hoansi zur Zeit des Filmens fast nur noch vom Sammeln gelebt haben und Schwierigkeiten hatten, überhaupt etwas Essbares zu finden.
Do 13.07., 18.30 Uhr: "Bitter Melons" (1971, 30 min) & "N!ai, the Story of a !Kung Woman" (1980, 59 min)
"Bitter Melons" ist ein Film über eine kleine Musikgruppe von /Gwi San, inklusive des blinden Musikers Ukxone. In seinen Liedern wird die Landschaft der /Gwi mit ihrer vielfältigen Tierwelt und den täglichen Alltagsverrichtungen lebendig.
"N!ai, the Story of a !Kung Woman" zeigt das Leben und die Veränderung eines Volkes anhand des Schicksals einer Frau aus dem Stamm der Kung. Marshall kannte diese Frau seit sie ein Kind war. Der Film widerspiegelt die Hoffnungslosigkeit der verarmten San-Gemeinde, die heute in Tsumkwe lebt. Marshall präsentiert sich hier erstmals als engagierter Mitstreiter, der die Probleme einer marginalisierten Gemeinschaft aufzeigt.
Mi 19.7., 18.30 Uhr: Vortrag zur Ausstellung "Memory & Magic"
Am Donnerstag wird in der Nationalgalerie die Ausstellung "Memory and Magic" eröffnet. Sie zeigt 28 Werke zeitgenössischer !Xun- und Khwe-Künstler. Die aktuelle Kunst der San entstand aus einer kurzen Phase des Übergangs von der alten Kultur - der Felskunst, der mündlichen Überlieferung, der alten Traditionen und ihrer "magischen Welt" - in die neue, globalisierte Welt der Medienkommunikation und der formellen Erziehung. Als Sammlerin und Kuratorin dieser Ausstellung wird H. Rabbethge-Schiller das Konzept zu "Memory and Magic" erklären sowie die vielen Hintergrundgeschichten der verschiedenen Künstler erzählen.
Do 20.7., 18.30 Uhr: "A Kalahari Family", Teil 1
"A Kalahari Family" ist eine fünfteilige Filmreihe, die das Leben der Ju'/hoansi über einen Zeitraum von 50 Jahren begleitet.
Teil 1: "A far Country" (90 min), zeigt Filmmaterial aus dem Jahr 1951, als sich die Marshall-Familie auf den Weg machte, um das Leben der Buschleute in der Kalahari zu dokumentieren.
Do 20.7., 19.00 Uhr: Eröffnung der Ausstellung "Memory & Magic" in der Nationalgalerie
Offizielle Eröffnung der Ausstellung, die u.a. auch in Johannesburg, Kimberley, Kapstadt, Durban und Gaborone gezeigt wird.
Mi 26.07., 18.30 Uhr: "A Kalahari Family", Teil 5
Teil 5: "Death by Myth": Die namibische Unabhängigkeit bringt viel internationale Hilfe ins Land, aber die Entwicklungsprogramme begünstigen nicht mehr länger Ju'/hoan-Farmen. Wir werden Zeuge dessen, wie schädlich die "Buschmann-Mythen" für das Leben der San sind.
Mi 2.8., 18.30 Uhr: Film "Geheimnisse der Wüste - Die Entdeckung der ältesten Kunst Afrikas" (BRD 2006, 45 min)
Im Jahr 1969 wurde durch den Archäologen Dr. W.E. Wendt in den Hunsbergen im Süden Namibias die bisher älteste datierte Kunst Afrikas entdeckt. Auf dem Weg zur Wiege der 28.000-jährigen "Buschmannskunst" werden weitere archäologische Fundstellen und Orte besichtigt, die Auskunft über die Geschichte der Felskunst und ihre Reflexionen in die heutige Zeit geben. Die Regisseure Klaus-Dieter Galow, Roger Pitann und Hans Thull werden bei der Vorführung anwesend sein.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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