Abfahrt im Sand
"Es ist wie Treppensteigen", ruft Henrik aus der Ferne. Er hat mindestens zwanzig Meter Vorsprung. Ich konzentriere mich auf das Laufen. Immer wieder graben sich meine schweren Skischuhe in den feinen Sand. Die Kristalle funkeln in der tiefstehenden Sonne, fast wie Schnee. Über 70 Meter ist die Düne hoch, die Henrik scheinbar mühelos mit seinen Skiern auf dem Rücken erklimmt. Die ganze Szenerie wirkt irreal, die Skier in der Wüste wie Falschgeld.
"Als ich nach Namibia ausgewandert bin, dachte ich, ich würde nie wieder Skier unter meine Füße schnallen", sagt Henrik. 1998 kam er zusammen mit seinen Eltern nach Swakopmund. Durch Zufall stieß er in der Wüste auf ein Paar Skier. Ein Franzose hatte die alten Bretter zurückgelassen. Diese Chance ließ Henrik sich nicht entgehen. Verlernt hatte er es nicht.
In der ehemaligen DDR war Henrik einer der besten nordischen Kombinierer. Im thüringischen Oberhof trainierte der Leistungssportler beim Sportklub Motor Zella-Mehlis. Aber 1990, nach der Wende, wurde der geförderte Leistungssport eingestampft. Henrik war damals 16 Jahre alt.
"Ich wollte schon immer raus aus Ostdeutschland", sagt der heute 36-Jährige. "Und nach der Wende erst recht. Für uns hat sich damals nichts verbessert, im Gegenteil." Dass es schließlich Namibia geworden ist, schreibt Henrik allein seinem Vater zu. "Mein Vater war sehr geschichtsinteressiert und hat mir schon früh von der deutschen Kolonialgeschichte erzählt", sagt er. Das Land hat die Familie gereizt. 1996 packte Henrik zum ersten Mal seine Tasche, um das südliche Afrika zu erkunden. Nur zwei Jahre später wagte die Familie den Neuanfang.
Henriks Eltern bauten in der Nähe von Swakopmund eine Gästefarm auf. Mit dem Auto fuhr der junge Sportler die ersten Besucher ins nahegelegene "Skigebiet".
"Am Anfang steht immer eine Idee", sagt Henrik. Und seine Idee kam bei den Gästen gut an. Henriks Bruder Christian, der zum Studium vorerst in Deutschland geblieben war, brachte ihm ausrangierte Skiausrüstungen für seine Skischüler mit.
Inzwischen hat Henrik einen ganzen Container voll mit Skiern und passenden Schuhen in jeder Größe. Dass die meisten Bretter Auslaufmodelle sind, ist nicht entscheidend. "Es kommt nur auf das richtige Wachs an", erklärt Henrik. Jahrelang hat er an der perfekten Konsistenz experimentiert. Seine Oma Edith versorgt ihn aus Deutschland mit verschiedenen Wachssorten. "Ohne Wachs ist Wüstenskifahren wie normales Skifahren bei Regen auf Pappschnee", erklärt Henrik. Aber mit dem richtigen Wachs steht das "Dune-Skiing" dem Fahren auf Schnee in nichts nach. Das hat Henrik letztes Jahr demonstriert. Mit 92,12 km/h bei einer Anlauflänge von gerade mal 105 Metern hat es der Ex-Profisportler ins Guinness Buch der Rekorde geschafft.
Das alles erzählt Henrik, als endlich auch ich den Gipfel erklimme. Schweißüberströmt genieße ich die frische Brise vom Meer und den atemberaubendem Blick in die endlose Dünenlandschaft. Henrik ist schon dabei, die Skibindungen einzustellen. "Das Gleiten im Schnee kommt durch Aquaplaning zustande", erklärt er vor der Abfahrt. Das gefrorene Wasser, also der Schnee, perlt an den gewachsten Skiern ab. Darum kommen schwere Menschen im Schnee auch auf höhere Geschwindigkeiten, als leichtere. Beim Wüstenskifahren ist das genau umgekehrt. "Leichte Menschen fahren im Sand viel schneller, weil sie nicht so viel Reibung erzeugen. Und leicht rutscht nun mal besser", sagt Henrik lachend. Es gilt also, der Reibung entgegenzuwirken, denn Aquaplaning wie im Schnee gibt es natürlich nicht.
Unverschämt galant springt Henrik in die Düne und zieht feine Spuren im knirschenden Sand. Eine dicke Staubwolke zieht er hinter sich her. Zaghaft und leicht verkrampft starte auch ich meine erste Abfahrt in der Wüste. Der Sand unter meinen Skiern fühlt sich an wie 20 Zentimeter Neuschnee. Sobald die Skier kanten, werde ich langsamer - anders als im Schnee. Nach den ersten steifen Schwüngen wird es leichter und ich schaffe es sogar, die Landschaft zu genießen. Viel zu schnell komme ich unten an und bremse neben Henrik ab, der mich verschmitzt angrinst. "Na, noch mal hoch?", fragt er sofort. Was für eine Frage.
Neben Abfahrten bietet der Skilehrer auch Langlauftouren an. Auf den schmalen Brettern können selbst Anfänger die Dünen erklimmen. Henrik ist großer Langlauf-Fan. Von Swakopmund bis Walvis Bay ist er schon auf seinen Langlaufskiern gewandert - im Schnitt 20 Kilometer am Tag.
Der Wahlnamibier braucht die Herausforderung und sucht das Risiko. "Anstrengung schreckt mich nicht ab, ganz im Gegenteil. Und wenn ich hinfalle, stehe ich eben wieder auf", sagt Henrik ernst und spielt damit auch auf persönliche Schicksalsschläge an. Vor zwei Jahren hatte der Sportler einen schweren Motorradunfall, der ihn fast das Leben gekostet hätte. Nur ein Jahr später hat er seinen Guinnessrekord aufgestellt. "Damit wollte ich ein Zeichen setzen und der Welt zeigen, dass alles, was man sich wünscht, möglich ist - wenn man nur daran glaubt", sagt der Buchautor, der dieses Jahr seine Lebensgeschichte veröffentlicht hat.
Am Fuß der Düne schenkt Henrik mir Likör ein. Selbst eine mobile Après-Ski-Bar zaubert der 36-Jährige hervor. "Ich träume davon, hier in Namibia einen Tourenwettkampf zu veranstalten", sagt Henrik. Die idealen Wettkampf- und Trainingsbedingungen bietet das hiesige "Skigebiet" auf jeden Fall. Mit den entsprechenden finanziellen Mitteln könne man sogar ein namibisches Langlaufteam aufstellen. Und im Gegensatz zum Landesinneren ist es an der Küste auch angenehm kühl. "Swakopmund hat doch richtig Skicharakter", sagt Henrik lachend.
Annika Rammler
"Als ich nach Namibia ausgewandert bin, dachte ich, ich würde nie wieder Skier unter meine Füße schnallen", sagt Henrik. 1998 kam er zusammen mit seinen Eltern nach Swakopmund. Durch Zufall stieß er in der Wüste auf ein Paar Skier. Ein Franzose hatte die alten Bretter zurückgelassen. Diese Chance ließ Henrik sich nicht entgehen. Verlernt hatte er es nicht.
In der ehemaligen DDR war Henrik einer der besten nordischen Kombinierer. Im thüringischen Oberhof trainierte der Leistungssportler beim Sportklub Motor Zella-Mehlis. Aber 1990, nach der Wende, wurde der geförderte Leistungssport eingestampft. Henrik war damals 16 Jahre alt.
"Ich wollte schon immer raus aus Ostdeutschland", sagt der heute 36-Jährige. "Und nach der Wende erst recht. Für uns hat sich damals nichts verbessert, im Gegenteil." Dass es schließlich Namibia geworden ist, schreibt Henrik allein seinem Vater zu. "Mein Vater war sehr geschichtsinteressiert und hat mir schon früh von der deutschen Kolonialgeschichte erzählt", sagt er. Das Land hat die Familie gereizt. 1996 packte Henrik zum ersten Mal seine Tasche, um das südliche Afrika zu erkunden. Nur zwei Jahre später wagte die Familie den Neuanfang.
Henriks Eltern bauten in der Nähe von Swakopmund eine Gästefarm auf. Mit dem Auto fuhr der junge Sportler die ersten Besucher ins nahegelegene "Skigebiet".
"Am Anfang steht immer eine Idee", sagt Henrik. Und seine Idee kam bei den Gästen gut an. Henriks Bruder Christian, der zum Studium vorerst in Deutschland geblieben war, brachte ihm ausrangierte Skiausrüstungen für seine Skischüler mit.
Inzwischen hat Henrik einen ganzen Container voll mit Skiern und passenden Schuhen in jeder Größe. Dass die meisten Bretter Auslaufmodelle sind, ist nicht entscheidend. "Es kommt nur auf das richtige Wachs an", erklärt Henrik. Jahrelang hat er an der perfekten Konsistenz experimentiert. Seine Oma Edith versorgt ihn aus Deutschland mit verschiedenen Wachssorten. "Ohne Wachs ist Wüstenskifahren wie normales Skifahren bei Regen auf Pappschnee", erklärt Henrik. Aber mit dem richtigen Wachs steht das "Dune-Skiing" dem Fahren auf Schnee in nichts nach. Das hat Henrik letztes Jahr demonstriert. Mit 92,12 km/h bei einer Anlauflänge von gerade mal 105 Metern hat es der Ex-Profisportler ins Guinness Buch der Rekorde geschafft.
Das alles erzählt Henrik, als endlich auch ich den Gipfel erklimme. Schweißüberströmt genieße ich die frische Brise vom Meer und den atemberaubendem Blick in die endlose Dünenlandschaft. Henrik ist schon dabei, die Skibindungen einzustellen. "Das Gleiten im Schnee kommt durch Aquaplaning zustande", erklärt er vor der Abfahrt. Das gefrorene Wasser, also der Schnee, perlt an den gewachsten Skiern ab. Darum kommen schwere Menschen im Schnee auch auf höhere Geschwindigkeiten, als leichtere. Beim Wüstenskifahren ist das genau umgekehrt. "Leichte Menschen fahren im Sand viel schneller, weil sie nicht so viel Reibung erzeugen. Und leicht rutscht nun mal besser", sagt Henrik lachend. Es gilt also, der Reibung entgegenzuwirken, denn Aquaplaning wie im Schnee gibt es natürlich nicht.
Unverschämt galant springt Henrik in die Düne und zieht feine Spuren im knirschenden Sand. Eine dicke Staubwolke zieht er hinter sich her. Zaghaft und leicht verkrampft starte auch ich meine erste Abfahrt in der Wüste. Der Sand unter meinen Skiern fühlt sich an wie 20 Zentimeter Neuschnee. Sobald die Skier kanten, werde ich langsamer - anders als im Schnee. Nach den ersten steifen Schwüngen wird es leichter und ich schaffe es sogar, die Landschaft zu genießen. Viel zu schnell komme ich unten an und bremse neben Henrik ab, der mich verschmitzt angrinst. "Na, noch mal hoch?", fragt er sofort. Was für eine Frage.
Neben Abfahrten bietet der Skilehrer auch Langlauftouren an. Auf den schmalen Brettern können selbst Anfänger die Dünen erklimmen. Henrik ist großer Langlauf-Fan. Von Swakopmund bis Walvis Bay ist er schon auf seinen Langlaufskiern gewandert - im Schnitt 20 Kilometer am Tag.
Der Wahlnamibier braucht die Herausforderung und sucht das Risiko. "Anstrengung schreckt mich nicht ab, ganz im Gegenteil. Und wenn ich hinfalle, stehe ich eben wieder auf", sagt Henrik ernst und spielt damit auch auf persönliche Schicksalsschläge an. Vor zwei Jahren hatte der Sportler einen schweren Motorradunfall, der ihn fast das Leben gekostet hätte. Nur ein Jahr später hat er seinen Guinnessrekord aufgestellt. "Damit wollte ich ein Zeichen setzen und der Welt zeigen, dass alles, was man sich wünscht, möglich ist - wenn man nur daran glaubt", sagt der Buchautor, der dieses Jahr seine Lebensgeschichte veröffentlicht hat.
Am Fuß der Düne schenkt Henrik mir Likör ein. Selbst eine mobile Après-Ski-Bar zaubert der 36-Jährige hervor. "Ich träume davon, hier in Namibia einen Tourenwettkampf zu veranstalten", sagt Henrik. Die idealen Wettkampf- und Trainingsbedingungen bietet das hiesige "Skigebiet" auf jeden Fall. Mit den entsprechenden finanziellen Mitteln könne man sogar ein namibisches Langlaufteam aufstellen. Und im Gegensatz zum Landesinneren ist es an der Küste auch angenehm kühl. "Swakopmund hat doch richtig Skicharakter", sagt Henrik lachend.
Annika Rammler
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Allgemeine Zeitung
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