Adrian sprintet zum zweiten Titel
Von Robby Echelmeyer, Windhoek/Casablanca
Auf die sportliche Kür folgten schnell wieder die akademischen Pflichten. Nach ihren sensationellen Auftritten bei den Afrikameisterschaften in Marokko flog Vera Adrian am Samstag von Casablanca über Dubai nach Kapstadt, um sich dort auf die anstehenden Prüfungen an der Universität in Stellenbosch vorzubereiten. Am Hosea-Kutako-Flughafen östlich ihrer Heimatstadt Windhoek wartete indes ein Blumenstrauß auf sie. „Den habe ich dann stellvertretend entgegengenommen“, berichtete ihr Vater Rolf Adrian gestern im AZ-Gespräch. Beim kontinentalen Kräftemessen im Norden des Kontinents hatte der Vizepräsident des namibischen Radsportverbandes (NCF) als Team-Manager fungiert. Anschließend reiste er mit Nationaltrainer Hans du Toit und Mannschaftskapitänin Michelle Vorster via Kairo und Johannesburg zurück nach Windhoek, wo das Trio herzlich begrüßt wurde.
Auch wenn die hiesigen Radsportfans ihr „Gold-Mädchen“ am Samstagnachmittag nicht persönlich beglückwünschen konnten, herrschte in der Empfangshalle des Flughafens ausgelassene Stimmung. Um die historischen Dimensionen von Adrians Leistungen zu ermessen, reicht ein kurzer Blick in die Vergangenheit: Noch nie war eine namibische Radsportlerin bei einer Afrikameisterschaft ganz oben auf dem Podest gelandet. Adrian gelang dies in Marokko nun gleich zweimal binnen 54 Stunden. Zwei Tage nachdem sie im kräftezehrenden Einzelzeitfahren über 31 Kilometer die Ruanderin Jeanne d'Arc Girubuntu um 1,01 Sekunden auf den zweiten Rang verwiesen hatte (AZ berichtete), setzte die Namibierin mit dem Sieg im Straßenrennen am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) noch einen drauf.
„Unglaublich, ein zweites Ticket für Rio. Klasseleistung der Damen in Marokko“, twitterte Dan Craven kurze Zeit später. Zwei Wochen zuvor war der 33-Jährige mit Blick auf die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro zum Herren-Starter der NCF ernannt worden (AZ berichtete). Adrian hat nun dafür gesorgt, dass der Verband beim größten Sportereignis der Welt erstmals auch eine Frau ins Rennen schickt. Ihre Position im namibischen Rio-Team muss aber noch offiziell bestätigt werden.
„Wir waren uns vor den Afrikameisterschaften alle einig, dass wir in Marokko nur mit einer geschlossenen Mannschaftsleistung das Olympia-Ticket lösen können. Um eine teaminterne Konkurrenzsituation zu vermeiden, wurde daher beschlossen, das dortige Straßenrennen im Falle einer erfolgreichen Qualifikation nicht als Kriterium heranzuziehen“, betonte Rolf Adrian. Vergeben werden soll der Platz nun ähnlich wie bei den Herren in einem Auswahlverfahren. Neben den Leistungen, die im Vorfeld des kontinentalen Kräftemessens erbracht wurden, könnte dabei auch ein künftiges Rennen eine wesentliche Rolle spielen. Adrian: „Beide haben es verdient. Daher gibt es die Überlegung, Michelle und Vera in absehbarer Zeit noch einmal bei einem Wettkampf im direkten Duell gegeneinander antreten zu lassen.“ Im Laufe dieser Woche wolle die NCF ihren Olympia-Fahrplan öffentlich präsentieren.
Für das Straßenrennen der Afrikameisterschaften war Vorster zur Kapitänin ernannt worden. „Michelle ist stark in den Bergen. Das konnte sie zuletzt im Januar mit ihrem zweiten Gesamtplatz bei der Mpumalanga-Tour in Südafrika unter Beweis stellen“, erläuterte Adrian. Doch der 120 Kilometer lange und östlich der marokkanischen Hafenmetropole Casablanca gelegene Kurs erwies sich als zu flach, um einen Massensprint zu verhindern. „Das lag auch daran, dass alle sehr passiv gefahren sind und das Rennen für dieses starke Feld zu langsam war“, beobachtete Adrian. Der Top-Durchschnittswert sollte letztlich nur 32,76 Kilometer pro Stunde betragen.
Selbst die mit vier Profis angetretenen Südafrikanerinnen schafften es nicht, sich entscheidend vom Peloton abzusetzen. Als sich der Schlussspurt anbahnte, stand im NCF-Team schnell fest, dass die Hoffnungen nun auf Adrians Schultern lagen. Doch rund einen Kilometer vor dem Ziel war die zur Sprintspezialistin herangereifte Ausnahmekönnerin an der rechten Straßenseite von einigen Kontrahentinnen eingekeilt. Vorster versuchte ihr fast schon verzweifelt zu helfen, als sich plötzlich bei einer Attacke von Aurelie Halbwachs (Mauritius) nach vorne eine Lücke auftat und Adrian am Hinterrad einer Rivalin mit einer Vierergruppe ausreißen konnte.
„Es ging bergauf und ich lag beim Einbiegen auf die 200 Meter lange Zielgerade an vierter Stelle“, erinnerte sich Adrian im Rückblick. Im Vollsprint raste die Namibierin dann an der Äthiopierin Tsega Beyene und Kimberley le Court aus Mauritius vorbei. Adrian: „Bis dahin hatte ich nur an die Olympia-Qualifikation gedacht, aber plötzlich merkte ich, dass An-Li (Kachelhoffer, die Redaktion) auch zu schlagen ist.“ Nach einem packenden Finish raste Adrian drei bis vier Meter vor der Südafrikanerin über die Ziellinie und le Court ließ Beyene im Bronzeduell einen Wimpernschlag hinter sich. Für alle vier Top-Fahrerinnen stand im Endklassement die Zeit von 3:39:48 Stunden zu Buche. Kachelhoffers Landsfrau Anriette Schoemann (3:39:53) und die Eritreerin Wehazit Kidane (3:39:57) verpassten wie Beyene knapp das Podest.
Vorster landete etwa zehn Sekunden hinter dem Spitzenquartett an vorletzter Stelle einer elf Teilnehmerinnen umfassenden Verfolgergruppe auf dem 18. Rang. Alle 26 Starterinnen erreichten das Ziel, wobei die Simbabwerin Stacey Hyslop mit einem Rückstand von 7:25 Minuten auf Adrian den letzten Platz einnahm. Die namibische Siegerin drückte den Meisterschaften in Marokko mit ihrem zweiten Titel beim zweiten Start als herausragende Teilnehmerin ihren Stempel auf. Nun bleibt abzuwarten, ob sie auch im August bei den olympischen Rennen am Zuckerhut die Farben ihres Heimatlandes vertreten darf. Adrians Name wäre der vierte auf der Liste mit Namibias bestätigten Olympia-Startern. Diese umfasst bislang neben Craven die Marathonläuferin Beata Naigambo und Sportschützin Gaby Ahrens.
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Allgemeine Zeitung
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