Afrika jenseits des Atlantik
Die Regierung von Venezuela hat in der vergangenen Woche ein afrikanisches Kulturfestival mit rund 1400 Teilnehmern gefeiert. Neben Vertretern anderer afrikanischer Länder war auch eine Delegation aus Namibia eingeladen. WAZon berichtet von einer Reise in das "Afrika" jenseits des atlantischen Ozeans.
In der Lobby des Hotels Puerto Viejo sitzt ein Dutzend Afrikaner und übt sich in Geduld. Sie sind da, um über Afrika und Venezuela zu diskutieren, aber Genaues weiß man nicht, denn detaillierte Informationen waren vor der Abreise aus dem Heimatland nicht erhältlich. Draußen vorm Fenster leuchtet blau der Swimming Pool, dahinter ist der Palmenstrand zu sehen. Auszuhalten ist es nur drinnen, in den klimatisierten Räumen des Fünf-Sterne-Hotels einer Siedlung in Vargas, rund eine Stunde Autofahrt von der venezolanischen Hauptstadt Caracas entfernt. Jeder Schritt nach draußen lässt den Schweiß fließen - die Luft ist heiß und feucht wie in einer Sauna.
Man wartet. Seit Tagen gibt es kaum etwas anderes zu tun. Man wartet auf den Bus, der zu einem Ausflug nach Caracas entführen soll, und wenn er kommt, dann wartet man Stunden im Verkehrschaos der Hauptstraße, an deren Rändern sich dicht an dicht die Ranchos, die baufälligen Hütten und Häuser der Armen drängen. Man wartet darauf, dass im Hotel das Essen serviert wird oder dass Regierungsvertreter erscheinen, um ihre Reden zu halten. Man wartet darauf, dass das Telefon des Hotels repariert wird, und man wartet auf den Beginn der Konferenzen, an denen man als "african intellectual" teilnehmen soll. Irgendwann ist es dann auch immer soweit: Der Bus steht vor der Tür, das Essen auf dem Tisch, und der Moderator des Kolloquiums trifft mit drei Stunden Verspätung ein - die Diskussion kann beginnen.
Es ist das erste Mal, dass Venezuela das "Festival Cultural con los Pueblos de África" feiert, doch es soll ein jährliches Ereignis werden, wie Dutzende andere Festivals, die die Regierung unter Präsident Hugo Chávez ins Leben gerufen hat. "Wir sind in einem Prozess des Wandels begriffen", hatte der venezolanische Außenminister Aristóbulo Istúriz bei der Eröffnung des Intellektuellen-Treffens gesagt. Chávez so genannte Bolivarische Revolution hat im ganzen Land - die reiche Elite ausgenommen - Aufbruchsstimmung verbreitet. Venezuela baut an einer neuen Gesellschaftsstruktur, es ist "auf dem Weg in den Sozialismus des 21. Jahrhunderts". "Gloria al bravo pueblo" und ähnliche Sprüche schmücken in großen Lettern die Betonschluchten, die die Hauptstraßen von Caracas säumen. Der große Feind dieser sozialen Revolution sind die USA, Präsident Bush will Chávez umbringen lassen, behauptet der Außenminister in seiner Rede, aber "Chávez no se vá", Chávez wird nicht gehen, skandiert laut ein Venezolaner im Publikum.
Die Verbündeten, das sind Kuba und Argentinien, Brasilien und Uruguay, die kürzlich unter der Leitung des venezolanischen Präsidenten die USA und ihr Projekt des gesamtamerikanischen Freihandelsabkommens haben abblitzen lassen. Die Verbündeten: das sind neuerdings auch die Afrikaner, vermeintliche Leidensgenossen im Widerstand gegen die großen kapitalistischen Mächte des Globus. Deshalb wird, wenn beim "Cultural Festival with the people of Africa" das venezolanische Publikum unisono "Viva la República Bolivariana" ruft, auch immer ein "Viva África!" draufgesetzt.
"Afrika ist präsent in Venezuela", sagt der venezolanische Vizeminister für Afrika, Reinaldo Bolívar, in seiner Rede. "Wir würdigen unsere Unabhängigkeit, aber wir ehren auch den Beitrag Afrikas zu unserer Geschichte." Afrika ist präsent in Venezuela, das wird nicht zuletzt bei den Aufführungen zur Eröffnung des Kulturfestivals im Staatstheater von Caracas deutlich. Neben den Kulturgruppen aus Benin, Ägypten, Kenia, Mali, Marokko, Mosambik, Senegal, Südafrika, Sambia und Namibia treten immer wieder venezolanische Gruppen auf. Sie führen Tänze auf, in denen der afrikanische Einfluss nicht zu übersehen ist. "Tambor" (Trommel) nennt sich einer der lebhaften Tanzstile, der etwas von einem Kampf hat, ähnlich wie der brasilianische Capoeira. "Joropo" heißt ein Reigentanz, bei dem die Akteure in Voortrekker-ähnlichen Kostümen gekleidet sind - sie erinnern an die Kleiderordnung eines Volkstanzes der Nama in Namibia. Kreisende Becken, stampfende Füße - Venezuelas Tänze und auch seine Musik atmen afrikanischen Rhythmus.
In den Kolloquien mit den Intellektuellen Afrikas geht es dann auch um Themen wie den Kampf gegen Rassismus, Afrika und Lateinamerika im geopolitischen Weltkontext, soziokulturelle Beziehungen zu Afrika und Konflikte in Afrika und Lateinamerika. In einer Diskussion werden Varianten des Widerstands seit der Sklavenzeit besprochen. Ein Problem, das Afrikaner und solche mit afrikanischen Wurzeln in Lateinamerika gemeinsam haben, ist der Verlust der Identität, sagt ein Abgeordneter aus Sambia. Dabei sei kulturelle Identität wie eine Landkarte, die einen durchs Leben führt. Afrikaner in Lateinamerika seien gezwungen, die eigene Geschichte neu zu erfinden, pflichtet ihm einer der venezolanischen Diskussionsteilnehmer bei. "Wir hatten so lange keine eigene Stimme", sagt ein Vertreter aus dem Kongo. "Jetzt suchen wir nach einer polyphonen Gesellschaft. Wir singen mit unterschiedlichen Stimmen, aber wir singen das gleiche Lied." Und immer wieder fällt das Schlagwort "Unity in Diversity", Einheit in der Vielfalt, das auch Motto des Nationbuilding im neuen Südafrika und Namibia ist.
Drei Tage wird im Hotel Puerto Viejo diskutiert, drei Tage, die mit viel Wartezeit ausgefüllt sind. Am Ende soll jedes Kolloquium ein Manifest erstellen. Dasjenige von der Diskussion über Konflikte in Afrika und Lateinamerika liest ein Abgeordneter aus Kuba vor. "Wir, die afrikanischen, venezolanischen und kubanischen Intellektuellen, die am 16. und 17. November in der Provinz Vargas zusammengekommen sind", lautet es, "haben Folgendes beschlossen", und es folgt die Deklaration, dass "wir" die internationalen Sanktionen gegen Simbabwe verurteilen, die Landreform von Simbabwe gutheißen und jede Einmischung aus dem Ausland ablehnen. Dass wir die Separatistenbestrebungen der Ambazonia Liberation Party im Süden Kameruns unterstützen. Dass wir, die Intellektuellen Afrikas, die Revolution der Bolivarischen Republik Venezuela verteidigen. Und dass wir die Drohung eines möglichen Angriffs der Vereinigten Staaten und deren Versuch Präsident Hugo Chávez zu ermorden, verurteilen. Nach jeder Deklaration des Manifestes fragt der kubanische Abgeordnete rhetorisch "d'accuerdo?", einverstanden?, und haut mit der Faust auf den Tisch: "Einverstanden!"
Die afrikanischen Intellektuellen sitzen und blicken verdattert in die Runde. Es dauert eine Weile, bis sich der Widerstand regt. Gerade noch wurde in diesem Kolloquium über die Suche nach einer afrikanischen Identität diskutiert, nun soll man plötzlich revolutionäre Manifeste unterschreiben.
"Die Venezolaner und Kubaner machen sowieso ihr eigenes Ding", kommentiert nach Ende der Konferenz lakonisch ein junger Journalist aus Sambia. "Wozu brauchen sie eigentlich uns?"
In der Tat erinnert abgesehen von der undurchsichtigen Organisation des Festivals vieles in Venezuela an den Dritte-Welt-Kontinent Afrika. Nach einem Regenguss ist das Telefon im Hotel Puerto Viejo drei Tage lang außer Betrieb. Eine Mobilfunkverbindung mit Namibia ist selbst mit venezolanischen Telefonkarten nicht möglich. Visa-Karten aus Afrika funktionieren in Venezuela grundsätzlich nicht. Ein ganzer Ozean trennt die beiden Kontinente, und wer ihn überqueren will muss 30 Flugstunden Umweg über Europa machen. Aber Venezuela ist afrikanischer als es glaubt. Eines nämlich funktioniert hier genauso wie auf dem Kontinent, von dem einst die Sklaven stammten, deren Nachkommen heute den Großteil der venezolanischen Bevölkerung ausmachen: das Konzept der "african time".
In der Lobby des Hotels Puerto Viejo sitzt ein Dutzend Afrikaner und übt sich in Geduld. Sie sind da, um über Afrika und Venezuela zu diskutieren, aber Genaues weiß man nicht, denn detaillierte Informationen waren vor der Abreise aus dem Heimatland nicht erhältlich. Draußen vorm Fenster leuchtet blau der Swimming Pool, dahinter ist der Palmenstrand zu sehen. Auszuhalten ist es nur drinnen, in den klimatisierten Räumen des Fünf-Sterne-Hotels einer Siedlung in Vargas, rund eine Stunde Autofahrt von der venezolanischen Hauptstadt Caracas entfernt. Jeder Schritt nach draußen lässt den Schweiß fließen - die Luft ist heiß und feucht wie in einer Sauna.
Man wartet. Seit Tagen gibt es kaum etwas anderes zu tun. Man wartet auf den Bus, der zu einem Ausflug nach Caracas entführen soll, und wenn er kommt, dann wartet man Stunden im Verkehrschaos der Hauptstraße, an deren Rändern sich dicht an dicht die Ranchos, die baufälligen Hütten und Häuser der Armen drängen. Man wartet darauf, dass im Hotel das Essen serviert wird oder dass Regierungsvertreter erscheinen, um ihre Reden zu halten. Man wartet darauf, dass das Telefon des Hotels repariert wird, und man wartet auf den Beginn der Konferenzen, an denen man als "african intellectual" teilnehmen soll. Irgendwann ist es dann auch immer soweit: Der Bus steht vor der Tür, das Essen auf dem Tisch, und der Moderator des Kolloquiums trifft mit drei Stunden Verspätung ein - die Diskussion kann beginnen.
Es ist das erste Mal, dass Venezuela das "Festival Cultural con los Pueblos de África" feiert, doch es soll ein jährliches Ereignis werden, wie Dutzende andere Festivals, die die Regierung unter Präsident Hugo Chávez ins Leben gerufen hat. "Wir sind in einem Prozess des Wandels begriffen", hatte der venezolanische Außenminister Aristóbulo Istúriz bei der Eröffnung des Intellektuellen-Treffens gesagt. Chávez so genannte Bolivarische Revolution hat im ganzen Land - die reiche Elite ausgenommen - Aufbruchsstimmung verbreitet. Venezuela baut an einer neuen Gesellschaftsstruktur, es ist "auf dem Weg in den Sozialismus des 21. Jahrhunderts". "Gloria al bravo pueblo" und ähnliche Sprüche schmücken in großen Lettern die Betonschluchten, die die Hauptstraßen von Caracas säumen. Der große Feind dieser sozialen Revolution sind die USA, Präsident Bush will Chávez umbringen lassen, behauptet der Außenminister in seiner Rede, aber "Chávez no se vá", Chávez wird nicht gehen, skandiert laut ein Venezolaner im Publikum.
Die Verbündeten, das sind Kuba und Argentinien, Brasilien und Uruguay, die kürzlich unter der Leitung des venezolanischen Präsidenten die USA und ihr Projekt des gesamtamerikanischen Freihandelsabkommens haben abblitzen lassen. Die Verbündeten: das sind neuerdings auch die Afrikaner, vermeintliche Leidensgenossen im Widerstand gegen die großen kapitalistischen Mächte des Globus. Deshalb wird, wenn beim "Cultural Festival with the people of Africa" das venezolanische Publikum unisono "Viva la República Bolivariana" ruft, auch immer ein "Viva África!" draufgesetzt.
"Afrika ist präsent in Venezuela", sagt der venezolanische Vizeminister für Afrika, Reinaldo Bolívar, in seiner Rede. "Wir würdigen unsere Unabhängigkeit, aber wir ehren auch den Beitrag Afrikas zu unserer Geschichte." Afrika ist präsent in Venezuela, das wird nicht zuletzt bei den Aufführungen zur Eröffnung des Kulturfestivals im Staatstheater von Caracas deutlich. Neben den Kulturgruppen aus Benin, Ägypten, Kenia, Mali, Marokko, Mosambik, Senegal, Südafrika, Sambia und Namibia treten immer wieder venezolanische Gruppen auf. Sie führen Tänze auf, in denen der afrikanische Einfluss nicht zu übersehen ist. "Tambor" (Trommel) nennt sich einer der lebhaften Tanzstile, der etwas von einem Kampf hat, ähnlich wie der brasilianische Capoeira. "Joropo" heißt ein Reigentanz, bei dem die Akteure in Voortrekker-ähnlichen Kostümen gekleidet sind - sie erinnern an die Kleiderordnung eines Volkstanzes der Nama in Namibia. Kreisende Becken, stampfende Füße - Venezuelas Tänze und auch seine Musik atmen afrikanischen Rhythmus.
In den Kolloquien mit den Intellektuellen Afrikas geht es dann auch um Themen wie den Kampf gegen Rassismus, Afrika und Lateinamerika im geopolitischen Weltkontext, soziokulturelle Beziehungen zu Afrika und Konflikte in Afrika und Lateinamerika. In einer Diskussion werden Varianten des Widerstands seit der Sklavenzeit besprochen. Ein Problem, das Afrikaner und solche mit afrikanischen Wurzeln in Lateinamerika gemeinsam haben, ist der Verlust der Identität, sagt ein Abgeordneter aus Sambia. Dabei sei kulturelle Identität wie eine Landkarte, die einen durchs Leben führt. Afrikaner in Lateinamerika seien gezwungen, die eigene Geschichte neu zu erfinden, pflichtet ihm einer der venezolanischen Diskussionsteilnehmer bei. "Wir hatten so lange keine eigene Stimme", sagt ein Vertreter aus dem Kongo. "Jetzt suchen wir nach einer polyphonen Gesellschaft. Wir singen mit unterschiedlichen Stimmen, aber wir singen das gleiche Lied." Und immer wieder fällt das Schlagwort "Unity in Diversity", Einheit in der Vielfalt, das auch Motto des Nationbuilding im neuen Südafrika und Namibia ist.
Drei Tage wird im Hotel Puerto Viejo diskutiert, drei Tage, die mit viel Wartezeit ausgefüllt sind. Am Ende soll jedes Kolloquium ein Manifest erstellen. Dasjenige von der Diskussion über Konflikte in Afrika und Lateinamerika liest ein Abgeordneter aus Kuba vor. "Wir, die afrikanischen, venezolanischen und kubanischen Intellektuellen, die am 16. und 17. November in der Provinz Vargas zusammengekommen sind", lautet es, "haben Folgendes beschlossen", und es folgt die Deklaration, dass "wir" die internationalen Sanktionen gegen Simbabwe verurteilen, die Landreform von Simbabwe gutheißen und jede Einmischung aus dem Ausland ablehnen. Dass wir die Separatistenbestrebungen der Ambazonia Liberation Party im Süden Kameruns unterstützen. Dass wir, die Intellektuellen Afrikas, die Revolution der Bolivarischen Republik Venezuela verteidigen. Und dass wir die Drohung eines möglichen Angriffs der Vereinigten Staaten und deren Versuch Präsident Hugo Chávez zu ermorden, verurteilen. Nach jeder Deklaration des Manifestes fragt der kubanische Abgeordnete rhetorisch "d'accuerdo?", einverstanden?, und haut mit der Faust auf den Tisch: "Einverstanden!"
Die afrikanischen Intellektuellen sitzen und blicken verdattert in die Runde. Es dauert eine Weile, bis sich der Widerstand regt. Gerade noch wurde in diesem Kolloquium über die Suche nach einer afrikanischen Identität diskutiert, nun soll man plötzlich revolutionäre Manifeste unterschreiben.
"Die Venezolaner und Kubaner machen sowieso ihr eigenes Ding", kommentiert nach Ende der Konferenz lakonisch ein junger Journalist aus Sambia. "Wozu brauchen sie eigentlich uns?"
In der Tat erinnert abgesehen von der undurchsichtigen Organisation des Festivals vieles in Venezuela an den Dritte-Welt-Kontinent Afrika. Nach einem Regenguss ist das Telefon im Hotel Puerto Viejo drei Tage lang außer Betrieb. Eine Mobilfunkverbindung mit Namibia ist selbst mit venezolanischen Telefonkarten nicht möglich. Visa-Karten aus Afrika funktionieren in Venezuela grundsätzlich nicht. Ein ganzer Ozean trennt die beiden Kontinente, und wer ihn überqueren will muss 30 Flugstunden Umweg über Europa machen. Aber Venezuela ist afrikanischer als es glaubt. Eines nämlich funktioniert hier genauso wie auf dem Kontinent, von dem einst die Sklaven stammten, deren Nachkommen heute den Großteil der venezolanischen Bevölkerung ausmachen: das Konzept der "african time".
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Allgemeine Zeitung
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