Afrika und Europa ohne Plan
Hilflos bei Flüchtlingspolitik – Schuld sind immer die anderen
Von Wolfgang Drechsler, Kapstadt
In den westlichen Medien ertönen angesichts der Tragödien im Anschluss daran oft flammende Aufrufe nach einer humaneren europäischen Flüchtlingspolitik – oder einer drastischen Erhöhung der Entwicklungshilfe, wie sie auch die Bundesregierung plant. Diese Flüchtlingsströme dürften auch das zentrale Thema für Bundeskanzlerin Angela Merkel sein, die am Wochenende zu einem Arbeitsbesuch an den Sitz der Afrikanischen Union (AU) in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba geflogen ist.
Panik statt Ehrlichkeit
Verblüffend ist, dass sich der Blick des Westens bisher eher selten auf die Länder gerichtet hat, aus denen die Menschen fliehen. Dabei sollte es eigentlich selbstverständlich sein, an der Quelle des Flüchtlingsstroms nach den Ursachen zu forschen, statt an den Symptomen herumzudoktern und dann panikartig neues Geld auf Projekte zu werfen, die bereits zuvor wenig erfolgreich waren. Mehr Ehrlichkeit und vor allem auch mehr Klartext gegenüber den Potentaten in Afrika wären schon deshalb hilfreich, weil nach Jahrzehnten des Stillstands Millionen von Schwarzafrikanern auf gepackten Koffern sitzen.
Eine Umfrage des Gallup-Instituts kam zu dem Ergebnis, dass allein 70 Millionen der inzwischen fast 180 Millionen Nigerianer nach Norden aufbrechen würden, wenn sie dies könnten. Verwundern kann dies schon deshalb nicht, weil rund zwei Drittel der jungen Menschen dort keinen Job haben. Die spärlichen Arbeitsplätze erhält man, wie fast überall in Afrika, oft nur durch Beziehungen und Schmiergeld.
Schuld sind die anderen
Wie der (oft einseitige) Blick des Westens verblüfft auch das Desinteresse der afrikanischen Medien. Selbst wenn dort einmal über Flüchtlinge berichtet wird, schwadronieren die Autoren zumeist über Versagen und Schuld Europas: Mit moralischem Unterton werden die vermeintliche Hartherzigkeit des Nordens, seine hohen Zäune und die „Festung Europa“ angeprangert. Kaum kritisiert wird hingegen die Afrikanische Union, obwohl diese nicht einen einzigen Sondergipfel zur Flüchtlingsfrage einberufen hat. Versäumnisse einzugestehen fällt Afrikas Eliten schwer. Schuld am eigenen Versagen sind immer die anderen.
Dabei sind die vielen Flüchtlinge Symptome einer Krankheit, die in den schon so lange verheerend regierten Staaten Afrikas wurzelt.
Viele der Flüchtlinge stammen aus Somalia, wo es seit fast 25 Jahren keinen Staat mehr gibt. Allen Versuchen, demokratischere Strukturen zu schaffen, war kein Erfolg beschieden, weil in Somalia das Clanwesen alles durchdringt. Bei vielen anderen Fluchtländern handelt es sich wie im Fall von Gambia, dem Kongo oder Eritrea oft um gescheiterte Staaten oder repressive Einparteienstaaten, die ihre Bürger systematisch drangsalieren.
Seit dem umstrittenen Rückführungsabkommen zwischen der EU und der Türkei haben Afrikas Eliten zudem erkannt, dass man mit Flüchtlingen viel Geld verdienen kann. Die Regierung Kenias drohte damit, Hunderttausende ins Land geflohene Somalier in deren zerstörte Heimat zu deportieren: Dazu will man Dadaab auflösen, das größte Flüchtlingscamp der Welt im Osten von Kenia. Begründung: Das Lager belaste die staatlichen Finanzen und sei eine Brutstätte des islamistischen Terrors. Dabei wird das Camp seit Jahren von der UNO finanziert.
Erpressung der EU
Das Beispiel Kenia hat bereits Schule gemacht: Inzwischen fordert nun auch der westafrikanische Staat Niger, Durchgangsstation vieler Flüchtlinge aus Westafrika, von der EU mehr als eine Milliarde Euro, um im Gegenzug Migranten auf dem Weg ans Mittelmeer zu stoppen. Sollten diese Erpressungsversuche Erfolg haben, würden künftig noch mehr Hilfsgelder in den Taschen der afrikanischen Eliten verschwinden.
Dass die Lage derart eskalieren konnte, liegt jedoch auch an der starken Nabelschau Europas. Während man sich in Deutschland die Köpfe über Themen wie die Rente mit 63 oder eine Straßenmaut heißredet, gibt es dort kaum Debatten zu den Brennpunkten dieser Welt in Nahost und Afrika. Auch einzelne Stippvisiten nach Afrika wie jetzt von der Kanzlerin offenbaren eher die weit verbreitete Hilfs- und Ratlosigkeit als einen kohärenten Plan.
Neben dem systematischen Aufbau von Ausbildungszentren und einer Kleinindustrie vor Ort sowie einem viel stärkeren Nachdruck auf einer vernünftigeren afrikanischen Bevölkerungspolitik könnte dieser Plan darin bestehen, mit mehr Handel die Eigeninitiative in Afrika zu stärken – und gleichzeitig die fatale Abhängigkeit des Kontinents von der lähmenden Entwicklungshilfe zu mindern. Denn erst wenn Afrika eine Eigendynamik entfaltet und dazu die für einen funktionierenden Staat notwendigen Institutionen wie Verwaltungen, Schulen oder Hospitäler baut und auch führt, könnten die Flüchtlingsströme nach Norden allmählich kleiner werden.
In den westlichen Medien ertönen angesichts der Tragödien im Anschluss daran oft flammende Aufrufe nach einer humaneren europäischen Flüchtlingspolitik – oder einer drastischen Erhöhung der Entwicklungshilfe, wie sie auch die Bundesregierung plant. Diese Flüchtlingsströme dürften auch das zentrale Thema für Bundeskanzlerin Angela Merkel sein, die am Wochenende zu einem Arbeitsbesuch an den Sitz der Afrikanischen Union (AU) in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba geflogen ist.
Panik statt Ehrlichkeit
Verblüffend ist, dass sich der Blick des Westens bisher eher selten auf die Länder gerichtet hat, aus denen die Menschen fliehen. Dabei sollte es eigentlich selbstverständlich sein, an der Quelle des Flüchtlingsstroms nach den Ursachen zu forschen, statt an den Symptomen herumzudoktern und dann panikartig neues Geld auf Projekte zu werfen, die bereits zuvor wenig erfolgreich waren. Mehr Ehrlichkeit und vor allem auch mehr Klartext gegenüber den Potentaten in Afrika wären schon deshalb hilfreich, weil nach Jahrzehnten des Stillstands Millionen von Schwarzafrikanern auf gepackten Koffern sitzen.
Eine Umfrage des Gallup-Instituts kam zu dem Ergebnis, dass allein 70 Millionen der inzwischen fast 180 Millionen Nigerianer nach Norden aufbrechen würden, wenn sie dies könnten. Verwundern kann dies schon deshalb nicht, weil rund zwei Drittel der jungen Menschen dort keinen Job haben. Die spärlichen Arbeitsplätze erhält man, wie fast überall in Afrika, oft nur durch Beziehungen und Schmiergeld.
Schuld sind die anderen
Wie der (oft einseitige) Blick des Westens verblüfft auch das Desinteresse der afrikanischen Medien. Selbst wenn dort einmal über Flüchtlinge berichtet wird, schwadronieren die Autoren zumeist über Versagen und Schuld Europas: Mit moralischem Unterton werden die vermeintliche Hartherzigkeit des Nordens, seine hohen Zäune und die „Festung Europa“ angeprangert. Kaum kritisiert wird hingegen die Afrikanische Union, obwohl diese nicht einen einzigen Sondergipfel zur Flüchtlingsfrage einberufen hat. Versäumnisse einzugestehen fällt Afrikas Eliten schwer. Schuld am eigenen Versagen sind immer die anderen.
Dabei sind die vielen Flüchtlinge Symptome einer Krankheit, die in den schon so lange verheerend regierten Staaten Afrikas wurzelt.
Viele der Flüchtlinge stammen aus Somalia, wo es seit fast 25 Jahren keinen Staat mehr gibt. Allen Versuchen, demokratischere Strukturen zu schaffen, war kein Erfolg beschieden, weil in Somalia das Clanwesen alles durchdringt. Bei vielen anderen Fluchtländern handelt es sich wie im Fall von Gambia, dem Kongo oder Eritrea oft um gescheiterte Staaten oder repressive Einparteienstaaten, die ihre Bürger systematisch drangsalieren.
Seit dem umstrittenen Rückführungsabkommen zwischen der EU und der Türkei haben Afrikas Eliten zudem erkannt, dass man mit Flüchtlingen viel Geld verdienen kann. Die Regierung Kenias drohte damit, Hunderttausende ins Land geflohene Somalier in deren zerstörte Heimat zu deportieren: Dazu will man Dadaab auflösen, das größte Flüchtlingscamp der Welt im Osten von Kenia. Begründung: Das Lager belaste die staatlichen Finanzen und sei eine Brutstätte des islamistischen Terrors. Dabei wird das Camp seit Jahren von der UNO finanziert.
Erpressung der EU
Das Beispiel Kenia hat bereits Schule gemacht: Inzwischen fordert nun auch der westafrikanische Staat Niger, Durchgangsstation vieler Flüchtlinge aus Westafrika, von der EU mehr als eine Milliarde Euro, um im Gegenzug Migranten auf dem Weg ans Mittelmeer zu stoppen. Sollten diese Erpressungsversuche Erfolg haben, würden künftig noch mehr Hilfsgelder in den Taschen der afrikanischen Eliten verschwinden.
Dass die Lage derart eskalieren konnte, liegt jedoch auch an der starken Nabelschau Europas. Während man sich in Deutschland die Köpfe über Themen wie die Rente mit 63 oder eine Straßenmaut heißredet, gibt es dort kaum Debatten zu den Brennpunkten dieser Welt in Nahost und Afrika. Auch einzelne Stippvisiten nach Afrika wie jetzt von der Kanzlerin offenbaren eher die weit verbreitete Hilfs- und Ratlosigkeit als einen kohärenten Plan.
Neben dem systematischen Aufbau von Ausbildungszentren und einer Kleinindustrie vor Ort sowie einem viel stärkeren Nachdruck auf einer vernünftigeren afrikanischen Bevölkerungspolitik könnte dieser Plan darin bestehen, mit mehr Handel die Eigeninitiative in Afrika zu stärken – und gleichzeitig die fatale Abhängigkeit des Kontinents von der lähmenden Entwicklungshilfe zu mindern. Denn erst wenn Afrika eine Eigendynamik entfaltet und dazu die für einen funktionierenden Staat notwendigen Institutionen wie Verwaltungen, Schulen oder Hospitäler baut und auch führt, könnten die Flüchtlingsströme nach Norden allmählich kleiner werden.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen