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"Alles beginnt und endet mit Liebe"

An Bird. Gesendet um 18.45 Uhr und 23 Sekunden: "Bird, ich bin ganz Dein." Von Bird. Empfangen um 18.55 Uhr und 17 Sekunden: "Danke Baby. Ich liebe Dich auch. Ich bin ganz Dein." An Bird. Gesendet um 10.19 Uhr und 48 Sekunden: "Bird, mein Liebster, ich bin sprachlos." Ungleich ist das Paar, das sich diese Kurzmitteilungs-Zeilen schreibt. Er Owambo, sie Finnin. Er ein Einheimischer, sie eine Fremde. Er schwarz, sie weiß. Niina Turtola erzählt in ihrer "Single Story" eine Liebesgeschichte, die die kulturellen Grenzen überwindet. Es ist ihre persönliche Liebesgeschichte. Mit viel Leidenschaft schildert sie die Beziehung zu dem jungen Namibier, dem sie das Pseudonym "Bird" gegeben hat. Mit Tagebucheinträgen, Kurzmitteilungen und E-Mail Wechseln, niedergeschriebenen Telefongesprächen und mit Fotografien.

"Ich habe diese Geschichte nie geplant", erzählt Niina Turtola. Alles habe mit einer Namibiareise im Jahr 2007 begonnen. Als Studentin kam sie damals nach Windhoek, nahm an einem Design-Workshop teil. An ihrem letzten Abend begegnete sie Bird. Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Eigentlich habe sie der Mann mit seiner offensiven Art zunächst eher abgestoßen, erzählt die Autorin. "Er kam in einer Kneipe zu mir rüber und wollte mir einen Drink ausgeben. Ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass ich keine Interesse habe." Doch der junge Owambo ließ nicht locker. Von einer Freundin besorgte er sich Niinas Handynummer, kontaktierte sie nach ihrem Rückflug per Kurzmitteilung. Es folgten ein SMS-Austausch, später ein E-Mail Wechsel. Trotzdem sagte Niina Bird nicht Bescheid, als sie einige Zeit später wieder nach Namibia reiste. "Wir sind uns zufällig über den Weg gelaufen", sagt sie. Nach kurzem Nachdenken dann: "Nein, Zufall kann man es eigentlich nicht nennen. Ich glaube nicht an Zufälle, alles im Leben hat einen Sinn."

"Künstler brauchen eine Muse"

Die Begegnung und ihre darauffolgende Liebesbeziehung zu dem Namibier sieht sie heute als Schlüsselerlebnis in ihrer Künstlerkarriere. "Jeder Künstler braucht eine Muse, eine Person, die ihm Inspiration gibt. Bird wurde zu meiner Muse." Schon als Kind habe sie es geliebt Geschichten zu schreiben. Später habe sie dann so viel Zeit mit Fotografien und Design verbracht, dass diese Begabung eingeschlafen sei. "Bird hat sie wieder aufgeweckt", sagt sie. Am Ende ihrer Geschichte steht deshalb auch die Widmung: "Für meine Muse Kadhila". Kadhila, das bedeutet Vogel ("Bird") auf Oshivambo.

Wie ein roter Faden ziehen sich kleine Wörterbuchteile durch das Buch. Niina übersetzt Oshivambo-Wörter ins Finnische. "Ohole = rakkaus" steht auf einer Seite. "Wer keine der beiden Sprachen kann, ist natürlich zuerst etwas aufgeschmissen, wenn er die Zeilen liest", sagt die Autorin. Für sie ist das ein Bild dafür, wie man sich fühlt, wenn man in einer fremden Kultur ankommt. "Oshilumbu" (Weißer) sei das erste Wort gewesen, das sie in Namibia gelernt habe. Sie wollte tiefer in die Sprache eintauchen, die so viele Namibier sprechen. "Ich habe die Vokabeln definitiv nicht nur wegen Bird gelernt, sondern weil die Sprache so eine wichtiger Teil dieser Kultur ist", sagt Niina Turtola. Und sie verrät dann auch: "Ohole bedeutete auf Oshivambo 'Liebe'."
Nicht in Klischees denken

Für sie ist die "Single Story" mehr als eine Liebesgeschichte: "Auf den ersten Blick ist es natürlich die Geschichte zweier Menschen, die sich gefunden haben. Aber wer zwischen den Zeilen liest merkt, dass es auch darum geht andere Kulturen besser zu verstehen." In Turtolas Augen sehen zu viele Menschen Namibia in Klischees: Beeindruckende Landschaften, eine enorme Artenvielfalt und Jagdparadies. Sie kritisiert: "Viele Fotografen unterstützen diese Klischees auch noch, indem sie immer wieder die gleichen Bilder von den bekannten Orten des Landes liefern. Aber dieses Land ist mehr als Tourismus, es gibt einen Alltag, der zu oft übersehen wird." Von diesem Alltag erzählt sie in ihrem Buch. Zwei Menschen, die sich gefunden haben. Ihre Begegnungen im Tagebuchstil verarbeitet. Viele der Bilder, mit denen Niina Turtola die Geschichte illustriert, wirken wie Schnappschüsse. "Ich habe keine große Kameraausrüstung verwendet, weil ich aus meinem Leben erzählen wollte - eine große Kamera, hätte andere Menschen da nur abgeschreckt - sie hätten sich verstellt", sagt sie. Auf vielen der Bilder von Bird und Niina hat sie den Arm weit ausgestreckt und den Auslöser selbst gedrückt. Nie ist Bird vollständig zu erkennen. Einmal hält er die Hand vors Gesicht, ein andermal verschwindet sein Körper im Schatten, im Auto sieht man nur seine Augen im Rückspiegel.

"Bird hat mich beflügelt"

Oft fotografiert Niina Turtola auch Gegenstände: Ein Fenstersims auf dem Zahnbürsten, Seife und ein Parfümfläschchen stehen, ein Südwester Edelweiß, eine Mauer. "Die Bilder sollen meine Emotionen verstärken, sie sind nicht zwangsläufig mit den Daten des Tagebuchs verbunden", sagt Niina. Am Anfang ihrer Ausstellung steht das Wort "L'Amour" (Liebe), das sie irgendwo in Paris auf einer heruntergekommenen Hauswand entdeckte. Neben der Widmung am Ende des Buchs ist ein Straßenschild abgebildet. "Love Street" steht darauf. "Alles beginnt mit Liebe und endet mit Liebe", sagt Turtola. Obwohl sie Bird mittlerweile nur noch als "guten Freund" bezeichnet, hat sie ihren Glauben an die Liebe nicht verloren. Bird habe sie beflügelt, sagt sie. Seit eineinhalb Jahren lebt sie ganz in Windhoek, hat eine Arbeitsstelle im College of the Arts gefunden. Sie lässt sich treiben, in einer Stadt, in der sie fremd ist. "Es gibt vieles im Leben was wir nicht kontrollieren können. Die Liebe gehört dazu", sagt Niina.

Bisher existiert das Buch nur in einer Auflage von sechs Stück. Von Hand hat Niina Turtola die Exemplare angefertigt. Eins reichte sie als Abschlussarbeit an ihrer Universität in Finnland ein. Ihre Vision: Einen Verlag zu finden, der das Buch druckt. "Ich denke jeder, der schon mal verliebt war oder es liebt zu reisen, kann sich mit meiner Geschichte identifizieren", so die Autorin. Sie hofft darauf, dass ihre Muse Bird ihr Glück bringt. Als sie ihm von der Idee des Buches erzählt schrieb er ihr: "Wirklich? Du willst unsere Geschichte erzählen? Das ist zu schön um wahr zu sein!"

Matthias Mockler

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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