Loading svg Please wait while we translate the article

Am anderen Ende der Straße liegt Afrika

Sie liegt versteckt, jenseits der Souvenirgeschäfte, historischen Monumente, der Einkaufszentren nach amerikanischem Vorbild und der perfekt getrimmten Parkrasen der Stadt. Dort, wo sich bequeme Vertrautheiten verlieren, gibt es das zu entdecken, wofür so mancher Namibiatourist sein Flugticket gekauft haben mag: das vermeintlich "richtige" Afrika. Von unserem Aussichtspunkt, hoch über den Dächern der Stadt zeigt Tourleiterin Rebekka Hidulika mit ausgestrecktem Arm in jene unbekannte Ferne, lenkt unseren Blick gen Nordosten, auf das unruhige Meer von Hügeln, die mit bunten Hütten und Häuschen bewachsen sind.

Windhoek vereint viele Wirklichkeiten. Doch der "Ort des Rauchs", wie die namibische Hauptstadt auf Otjiherero heißt, ist keineswegs mit einem heißen Schmelztiegel zu vergleichen. Weitab von den Villen der Reichen in Ludwigsdorf, wo jedes Haus Festungscharakter besitzt, und noch einen Schritt weiter vom Zentrum mit seiner europäisch-westlichen Architektur, die Gebäude aus Bismarcks Zeiten mit modernen Glasfassaden vereint, am anderen Ende der Independence Avenue, dort liegt Katutura. Zwischen den Stationen unserer Stadttour, die das überschaubare Straßennetz der Stadt verbindet, scheinen Welten zu liegen.
Die Innenstadt hat Rebekka in ein paar Momenten abgehandelt: Alte Feste, Christuskirche, Tintenpalast, die Orte sind vertraut - hübsche Postkartenmotive aus der Zeit um 1900, mit Palmen und bunten Blüten umrandet. Hier wurde jedoch auch die Politik und Geschichte derer geschrieben, die jenseits der touristischen Idylle wohnen. Dazu hält unsere junge Stadtführerin Rebekka an einer weiteren Stelle, am alten Friedhof der Township-Bewohner in Hochland Park. 1959, zu Apartheid-Zeiten zwangsumgesiedelt, musste die schwarze Bevölkerung ihre Verstorbenen hier damals zurücklassen und sich weitab, im neu gegründeten Katutura ein zweites Leben aufbauen. Dementsprechend verwahrlost sind die alten Grabsteine, die aus dem sandigen Boden herausragen.

Ein etwas größerer Stein ist geschmückt mit einem vertrockneten Blumenkranz. "Helden und Heldinnen" lautet die Inschrift - gedenkt das Grabmal doch der neun Aktivisten, die bei den damaligen Aufständen ums Leben kamen. "Nur einmal im Jahr, am Unabhängigkeitstag", erzählt unsere Stadtführerin, "kommen die Leute hier noch zusammen".
Hauptziel unserer Stadttour ist jedoch das Quartier, in das die schwarze Bevölkerung damals ziehen musste. Längst haben die Erfolgreichen, "den Ort, wo wir nicht leben wollen", verlassen. Doch - ganz im Gegensatz zu seiner Bedeutung auf Otjiherero - quillt Katutura bis heute immer weiter über seine Ufer. "Dezentralisierung, wie sie die Politik des Landes vorsieht", so Rebekka, "findet praktisch nicht statt". Jeden Monat kämen an die 600 neue Landflüchtlinge hinzu. Einen geregelten Job finden die wenigsten - "rund 37 Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos", weiß unsere Tourleiterin. "Zeitarbeitsvermittlungsagenturen" nennt sie die Kreuzungen, an denen in Arbeiterkleidung gehüllte Gestalten kauern und auf eine Tagesanstellung warten.

Die Grenze zum Township ist inoffiziell und doch mehr als sichtbar. Wie ausgewechselt erscheint uns Windhoek, als wir sie passieren. Die Straßen sind auf einmal voll von Menschen. Frauen schleppen volle Einkaufstüten vom Markt nach hause. In einigen Gärten wird in traditionellen Gewändern getanzt. Kinder spielen am Straßenrand. Gelegentlich rollt ein Ball über die Hauptstraße und nur die voll belegten Wäscheleinen hinter den rostigen Zäunen verdecken ein wenig die Sicht in die Privatsphäre der Hüttenbewohner.

Kaum zu glauben, dass in diesem optischen Durcheinander aus Farben, Autowracks und Wellblech eine Ordnung herrscht. Nicht genug, dass man die schwarze Bevölkerung in diesen Vierteln Jahrzehnte zusammenpferchte. Auch die rivalisierenden ethnischen Gruppen wurden hier verschiedenen Häuserblöcken zugeteilt. Bis heute habe sich an diesen Grenzziehungen nur wenig verändert. "Ob Ovambo, Nama, oder Damarra", so Rebekka, "all das spielt immer noch eine große Rolle".

Bis in die Außenbezirke, wo die Hütten der Neuankömmlinge provisorisch aus Pappe und Wellblech zusammengebastelt sind, wagen wir uns auf den holprigen Straßen. Elektrizität und fließendes Wasser scheinen hier noch nicht angekommen. Per Zahlkarte kann man sich bei einem Gemeinschaftswasserspender seine Ration abholen.

Auch wenn man die Statik der notdürftig zusammen gezimmerten Buden besser nicht in Frage stellt, die Kreativität der Bewohner ist zwar aus der Not geboren, besitzt unglaublich viele Spielarten. Jedes Kleinteil aus den am Straßenrand verstreuten Autowracks findet an den Buden der Bewohner eine neue Funktion. Aus einigen Pappkisten wird ein Klohäuschen-großer Friseursalon, der mit allerlei bunten Bemalungen auf sich aufmerksam macht. Aus einigen Ästen und einer Plane wird ein Supermarkt, aus einem Einkaufswagen eine Grill-Imbissbude.
Ein wenig mehr Struktur erkennt das ungeübte Auge auf dem Soweto-Markt, der vor einigen Jahren von der Stadt eingerichtet wurde. Eine Abteilung für Lebensmittel, wo Fleischstücke grob zerhakt werden, und Stände mit Chili, getrocknetem Fisch und Mopanewürmern auf ihre Kunden warten, reiht sich an gemauerte Parzellen. "Das hier ist mein Alles-in-einem-Shop", sagt Rebekka. Vom Handy- bis zum Hochzeitsgewand kann man hier alles erwerben.

Ganz im Gegensatz zu seinem äußeren Schein - es ist eine reiche, faszinierende Welt, abseits der gängigen Touristenpfade. Zu schade, dass man als Reisender, zumal als Weißer nur bedingt Einlass in diese scheinbar exklusive Welt erhält. Tourunternehmen haben es bisher nur selten verstanden, einen Einblick zu bieten. "Du kannst mich mieten, Touri", ruft ein Junge überheblich, als ich die Kamera ansetze und einen Klick auf das Marktgedränge wage. Ein Dialog wird nicht angeregt - das Gefühl von Menschenzoo drängt sich auf, wenn man im klimatisierten Bus mit verschlossenen Türen und hochgezogenen Fenstern durch die Straßen und Schotterpisten Katuturas heizt. Dennoch ist das junge Tourunternehmen Wanderzone Tours einer der wenigen Anbieter, mit denen man einen ersten zaghaften Schritt wagen kann, einen Schritt auf das andere Ende der Straße zu.

Information:Weitere Auskünfte zum Angebot und Reservierung von Wanderzone Tours erhält man unter Tel.: +264(0)81-2148404 oder +264(0)61-300558, sowie im Internet unter www.wanderzonetours.com und per E-Mail: [email protected].
Mehrere Touranbieter führen unter jeweils unterschiedlichen Gesichtspunkten durch die namibische Hauptstadt. Be Local setzt sich in erster Linie mit der Geschichte der Stadt auseinander, etwa der Entstehung der verschiedenen Viertel und ihrer historischen Bedeutung. Weitere Informationen unter Tel. +264(0)81-2752257 oder www.be-local.com. Face to Face Tours of Katutura gehen besonders auf geschichtliche und kulturelle Aspekte Windhoeks ein. Der Kontakt zu den Bewohnern Katuturas bildet einen Schwerpunkt auf den Rundfahrten. Zudem bietet das Unternehmen auch Nachtfahrten an, bei denen man an z.B. an traditionellen Festen teilnehmen kann (Tel.: +264(0)61-265446, E-Mail: [email protected]).

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu hinterlassen

Katima Mulilo: 23° | 38° Rundu: 24° | 35° Eenhana: 23° | 35° Oshakati: 25° | 34° Ruacana: 24° | 35° Tsumeb: 22° | 33° Otjiwarongo: 20° | 32° Omaruru: 22° | 36° Windhoek: 21° | 33° Gobabis: 23° | 34° Henties Bay: 15° | 19° Swakopmund: 15° | 16° Walvis Bay: 14° | 23° Rehoboth: 21° | 34° Mariental: 21° | 36° Keetmanshoop: 18° | 36° Aranos: 22° | 36° Lüderitz: 15° | 26° Ariamsvlei: 18° | 36° Oranjemund: 14° | 22° Luanda: 24° | 25° Gaborone: 22° | 36° Lubumbashi: 17° | 34° Mbabane: 18° | 32° Maseru: 15° | 32° Antananarivo: 17° | 29° Lilongwe: 22° | 35° Maputo: 22° | 36° Windhoek: 21° | 33° Cape Town: 16° | 23° Durban: 20° | 26° Johannesburg: 18° | 33° Dar es Salaam: 26° | 32° Lusaka: 22° | 36° Harare: 20° | 31° #REF! #REF!