„Amazônia“ - Bilder aus einem gefährdeten Paradies
Köln
Von Annett Stein, dpa
Dass Sebastião Salgado ein Meister der Schwarz-Weiß-Fotografie ist, zeigen seine im Bildband „Amazônia“ vorgestellten Aufnahmen erneut. Weite Flächen umspannende Landschaftsporträts spiegeln die unglaubliche Fülle und Schönheit der Region: sich durch gewaltige Wälder schlängelnden Wasserläufe, malerische Hügellandschaften, tosende Wasserfälle, faszinierende Wolken- und Nebelgebilde. Zu etwas Besonderem wird das Buch aber vor allem durch seine Fotos von den Menschen im Amazonas-Gebiet. Sechs Jahre umfasste das Projekt „Amazônia“ mit Reisen zu zwölf indigenen, oft an abgelegenen und schwer zugänglichen Orten lebenden Stämmen.
Der brasilianische Fotograf und Aktivist Salgado (77) wurde 2019 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Er fordere mit seinen Fotografien soziale Gerechtigkeit und Frieden und verleihe der weltweit geführten Debatte um Natur- und Klimaschutz Dringlichkeit, hieß es zur Begründung. Zugleich habe er mit seinem Instituto Terra eine Einrichtung geschaffen, die einen direkten Beitrag zur Wiederbelebung von Biodiversität und Ökosystemen leiste.
Salgado arbeitete unter anderem für die Fotoagenturen Sygma, Gamma und Magnum Photos. Im Jahr 1994 gründete er gemeinsam mit seiner Frau Lélia Wanick Salgado die Agentur Amazonas Images. „Dieses Buch ist den indigenen Völkern des brasilianischen Amazonasgebietes gewidmet“, schreibt das Paar zu Beginn von „Amazônia“. „Es feiert das Überleben ihrer Kulturen, ihrer Bräuche und ihrer Sprachen.“ Zudem würdige es ihre Rolle als Hüter der Schönheit, der natu¨rlichen Ressourcen und der Artenvielfalt des größten Regenwaldes der Welt, der immer wieder Angriffen der Außenwelt ausgesetzt sei.
Viele der Bilder entstanden im Parque Indígena do Xingu, Xingu-Park, einem Schutzgebiet für indigene Völker im Bundesstaat Mato Grosso, wo mehr als ein Dutzend ethnische Gruppen leben: Kamayurá-Fischer ziehen ein Netz mit Fischen aus einem See, ein junger Kamayurá-Krieger präsentiert seinen Fang, Yawalapiti-Frauen tanzen bei einem Fest, Yakuikatu-Krieger tragen rituelle Kostüme.
Aufnahmen der als Jäger und Sammler lebenden Awá-Guajá, deren Territorium immer mehr schwindet, sind zu sehen. Ein wundervolles Porträt von Suruwahá-Frauen mit etlichen Kindern um sich herum. Asháninka-Mädchen, die sich spielerisch gegenseitig nach Läusen absuchen. Ein Yawanawá bei der kunstvollen Herstellung von Federschmuck. Schamanische Handlungen bei den Yanomami. Eine Kinnpiercing-Zeremonie der Zo’é, die einen langen Holzpflock - Poturu genannt - in der Unterlippe tragen.
Fischfang und Jagd, Badestellen und Bootsfahrten, Feste und Einblicke in Gemeinschaftshäuser - Salgados Bilder bieten einen umfassenden Einblick in das Leben der besuchten indigenen Völker. Er könne „ohne zu zögern sagen“, so der Fotograf, „auch nach einer Karriere voller außergewöhnlicher Erfahrungen hat mir nichts größere Freude bereitet als die Arbeit mit dem Dutzend indigener Stämme, die in diesem Buch porträtiert werden“.
Die Völker seien vor allem durch die Abholzung der Amazonas-Wälder etwa für Viehzucht und Sojaanbau nach wie vor extrem bedroht. „Ein Ziel dieses Fotoprojekts ist es zu dokumentieren, was überlebt hat, bevor noch mehr davon verschwindet.“ Wie es im Buch heißt, leben derzeit in einem Gebiet von mehr als der achtfachen Fläche Frankreichs nur noch 370 000 Indigene, die zu 188 Stämmen gehören und 150 verschiedene Sprachen sprechen. Es gebe noch weitere Stämme, die bisher nicht kontaktiert worden seien.
„Die Stämme, die ich im Laufe der Jahre fotografiert habe, sind sehr unterschiedlich“, erläutert Salgado. Einige leben demnach in völliger Isolation, jagen mit Pfeil und Bogen sowie Blasrohren und sind größtenteils unbekleidet Andere mit mehr Kontakt trügen inzwischen Kleidung. Alle aber seien bestrebt, ihre Kultur und Traditionen zu bewahren, wenn auch vielleicht nur noch zu zeremoniellen Anlässen.
Um als Kultur zu überleben, reiche es für die indigenen Völker nicht, von anthropologischem Interesse zu sein, ist Salgado überzeugt. Entscheidend sei ihr Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung des Amazonas. So könnten sie etwa von ihrem Wissen um die Schätze ihrer Heimat - etwa Pflanzen von medizinischem oder kosmetischem Wert - profitieren. „Ich wünsche mir von ganzem Herzen, mit all meiner Energie, mit all der Leidenschaft, die ich besitze, dass dieses Buch in 50 Jahren nicht wie eine Bestandsaufnahme einer verlorenen Welt wirken wird.“
„Amazônia“ bietet wundervolle, lebensnahe Einblicke in ein gefährdetes Paradies. Dabei lässt es auf großformatigen Seiten die Schwarz-Weiß-Aufnahmen ganz für sich wirken. Der Bildband lässt zwei Dinge ganz besonders spüren: die scheinbare Unendlichkeit des Amazonas-Waldes - und die immense Verletzlichkeit seiner meist schon zu winzigen Gemeinden geschrumpften indigenen Bewohner.
Von Annett Stein, dpa
Dass Sebastião Salgado ein Meister der Schwarz-Weiß-Fotografie ist, zeigen seine im Bildband „Amazônia“ vorgestellten Aufnahmen erneut. Weite Flächen umspannende Landschaftsporträts spiegeln die unglaubliche Fülle und Schönheit der Region: sich durch gewaltige Wälder schlängelnden Wasserläufe, malerische Hügellandschaften, tosende Wasserfälle, faszinierende Wolken- und Nebelgebilde. Zu etwas Besonderem wird das Buch aber vor allem durch seine Fotos von den Menschen im Amazonas-Gebiet. Sechs Jahre umfasste das Projekt „Amazônia“ mit Reisen zu zwölf indigenen, oft an abgelegenen und schwer zugänglichen Orten lebenden Stämmen.
Der brasilianische Fotograf und Aktivist Salgado (77) wurde 2019 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Er fordere mit seinen Fotografien soziale Gerechtigkeit und Frieden und verleihe der weltweit geführten Debatte um Natur- und Klimaschutz Dringlichkeit, hieß es zur Begründung. Zugleich habe er mit seinem Instituto Terra eine Einrichtung geschaffen, die einen direkten Beitrag zur Wiederbelebung von Biodiversität und Ökosystemen leiste.
Salgado arbeitete unter anderem für die Fotoagenturen Sygma, Gamma und Magnum Photos. Im Jahr 1994 gründete er gemeinsam mit seiner Frau Lélia Wanick Salgado die Agentur Amazonas Images. „Dieses Buch ist den indigenen Völkern des brasilianischen Amazonasgebietes gewidmet“, schreibt das Paar zu Beginn von „Amazônia“. „Es feiert das Überleben ihrer Kulturen, ihrer Bräuche und ihrer Sprachen.“ Zudem würdige es ihre Rolle als Hüter der Schönheit, der natu¨rlichen Ressourcen und der Artenvielfalt des größten Regenwaldes der Welt, der immer wieder Angriffen der Außenwelt ausgesetzt sei.
Viele der Bilder entstanden im Parque Indígena do Xingu, Xingu-Park, einem Schutzgebiet für indigene Völker im Bundesstaat Mato Grosso, wo mehr als ein Dutzend ethnische Gruppen leben: Kamayurá-Fischer ziehen ein Netz mit Fischen aus einem See, ein junger Kamayurá-Krieger präsentiert seinen Fang, Yawalapiti-Frauen tanzen bei einem Fest, Yakuikatu-Krieger tragen rituelle Kostüme.
Aufnahmen der als Jäger und Sammler lebenden Awá-Guajá, deren Territorium immer mehr schwindet, sind zu sehen. Ein wundervolles Porträt von Suruwahá-Frauen mit etlichen Kindern um sich herum. Asháninka-Mädchen, die sich spielerisch gegenseitig nach Läusen absuchen. Ein Yawanawá bei der kunstvollen Herstellung von Federschmuck. Schamanische Handlungen bei den Yanomami. Eine Kinnpiercing-Zeremonie der Zo’é, die einen langen Holzpflock - Poturu genannt - in der Unterlippe tragen.
Fischfang und Jagd, Badestellen und Bootsfahrten, Feste und Einblicke in Gemeinschaftshäuser - Salgados Bilder bieten einen umfassenden Einblick in das Leben der besuchten indigenen Völker. Er könne „ohne zu zögern sagen“, so der Fotograf, „auch nach einer Karriere voller außergewöhnlicher Erfahrungen hat mir nichts größere Freude bereitet als die Arbeit mit dem Dutzend indigener Stämme, die in diesem Buch porträtiert werden“.
Die Völker seien vor allem durch die Abholzung der Amazonas-Wälder etwa für Viehzucht und Sojaanbau nach wie vor extrem bedroht. „Ein Ziel dieses Fotoprojekts ist es zu dokumentieren, was überlebt hat, bevor noch mehr davon verschwindet.“ Wie es im Buch heißt, leben derzeit in einem Gebiet von mehr als der achtfachen Fläche Frankreichs nur noch 370 000 Indigene, die zu 188 Stämmen gehören und 150 verschiedene Sprachen sprechen. Es gebe noch weitere Stämme, die bisher nicht kontaktiert worden seien.
„Die Stämme, die ich im Laufe der Jahre fotografiert habe, sind sehr unterschiedlich“, erläutert Salgado. Einige leben demnach in völliger Isolation, jagen mit Pfeil und Bogen sowie Blasrohren und sind größtenteils unbekleidet Andere mit mehr Kontakt trügen inzwischen Kleidung. Alle aber seien bestrebt, ihre Kultur und Traditionen zu bewahren, wenn auch vielleicht nur noch zu zeremoniellen Anlässen.
Um als Kultur zu überleben, reiche es für die indigenen Völker nicht, von anthropologischem Interesse zu sein, ist Salgado überzeugt. Entscheidend sei ihr Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung des Amazonas. So könnten sie etwa von ihrem Wissen um die Schätze ihrer Heimat - etwa Pflanzen von medizinischem oder kosmetischem Wert - profitieren. „Ich wünsche mir von ganzem Herzen, mit all meiner Energie, mit all der Leidenschaft, die ich besitze, dass dieses Buch in 50 Jahren nicht wie eine Bestandsaufnahme einer verlorenen Welt wirken wird.“
„Amazônia“ bietet wundervolle, lebensnahe Einblicke in ein gefährdetes Paradies. Dabei lässt es auf großformatigen Seiten die Schwarz-Weiß-Aufnahmen ganz für sich wirken. Der Bildband lässt zwei Dinge ganz besonders spüren: die scheinbare Unendlichkeit des Amazonas-Waldes - und die immense Verletzlichkeit seiner meist schon zu winzigen Gemeinden geschrumpften indigenen Bewohner.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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