An der Steinkanzel im Otavibergland - ein Erlebnisbericht
Im Jahre 1895 ließen sich die ersten Missionare der Rheinischen Mission in Ghaub nieder. Sie wollten dort eine Missionsstation gründen und gleichzeitig ein Reservat für die damals von den Buschleuten als auch von den Herero verfolgten und versklavten Bergdama anlegen. Das Gebiet war sehr wasser- und wildreich, zu den Bergen hin war in alten Zeiten ein großer Sumpf, in dem es laut Dr. Heinrich Vedder „viele Elefanten und Moskiten“ gab.
Am 30. Januar 1900 kaufte die Rheinische Missionsgesellschaft die damals 9000 Hektar große Farm für 9000 Reichsmark von der SWACO (SWA Company Ltd., London). Zu dieser Zeit wurde beschlossen, den Farmbetrieb auszubauen und auch eine Schule für die dort lebenden Menschen zu errichten.
Um Missionar Kremer zu entlasten, kam für die Farmerei 1903 der Landwirt Wilhelm Detering aus Deutschland nach Ghaub. Seine erste große Arbeit war es, den Ghauber Sumpf trockenzulegen, das Wasser in einem tiefen Graben aufzufangen, um damit Ländereien zu bewässern. Im Laufe der Zeit wurde ein zweiter Farmbetrieb mit Wohnhaus bei der Wasserstelle Ganachaams und ein dritter an der Quelle Uris eingerichtet.
Unruhige Zeiten
1904 brach der Hereroaufstand aus. Alle Bewohner Ghaubs wurden nach Grootfontein evakuiert, wo sie in der Feste wohnen sollten, bis sich die Unruhen gelegt haben. Doch Missionar Kremer verstarb in dieser Zeit an Schwarzwasserfieber und wurde am 19. April 1904 in Grootfontein beerdigt. Familie Detering und Frau Kremer kehrten wieder zurueck nach Ghaub. Die Arbeit von Missionar Kremer übernahm Missionar Lang, der schon seit 1903 auf der Farm war. Doch 1909 übersiedelte er in ein neu gebautes Haus nach Tsumeb, da auch die Betreuung der Tsumeber Gemeinde zu seinen Aufgaben gehörte. Von da ab war Ghaub eine Gemeinde-Filiale von Tsumeb.
1911 kam der berühmte Missionar Dr. Heinrich Vedder nach Ghaub, um dort ein Lehrer- und Evangelistenseminar für Eingeborene, das Augustineum, einzurichten, da es der Kirche an Mitarbeitern fehlte. Der Kurs begann mit 29 Teilnehmern, unterrichtet wurde von Dr. Vedder in Herero und Nama. Es war ein sehr erfolgreiches Projekt! Im April 1914 waren die Abschlussexamen. Vedders Arbeit auf Ghaub wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen. Am 4. Juli 1915 fand auf Ghaub ein Gefecht zwischen englischen und deutschen Truppen statt. Der Weltkrieg endete für mit dem Frieden von Khorab, der am 8. Juli 1915 in Khorab bei Otavi geschlossen wurde.
Trotz anfänglich anderslautender Pläne der englischen Siegermächte gelang es der Rheinischen Mission - nicht zuletzt mit der Unterstützung der afrikaansen Kirchen - Ghaub zu behalten. Bis Ende des Krieges wurde es allerdings sehr still in Ghaub, da Deutschland keine weiteren Gelder zur Aufrechterhaltung des Schulbetriebs schickte. Die Schule musste geschlossen werden und viele Anwohner zogen weg.
Die Missionsarbeit auf Ghaub spielte nach dem Ersten Weltkrieg nur noch eine untergeordnete Rolle. Dr. Vedder wurde 1919 aus dem Land ausgewiesen, kam allerdings schon 1922 zurück und errichtete auf Beschluss der Rheinischen Mission ein neues Augustineum in Okahandja. Nach Ghaub kehrte er nicht mehr zurück. Somit rückte auf Gaub die Landwirtschaft in den Vordergrund. Bis Anfang der 1960er Jahre wurde die Farm von wechselnden Farmverwaltern bewohnt und bewirtschaftet.
Nach der Unabhängigkeit
Mit der Unabhängigkeit 1990 einhergehend wurde ein Strukturwandel innerhalb der Mission und der schwarzen Kirche eingeleitet. Im Zuge dessen wurde die Farm Ghaub von der Rheinischen Mission an die Evangelical Lutheran Church in Namibia (ELCIN) übertragen. Aufgrund einer Neukonzipierung der Finanzen wurde Ghaub schließlich 1996 in private Hände verkauft.
Noch heute spiegelt sich auf Ghaub die hundertjährige Missions- und Kirchengeschichte in Namibia wider. Viele Namen der damals für die Mission oder die Farmerei ausgewanderten Deutschen sind heute aus dem gesellschaftlichen Leben im Lande nicht mehr wegzudenken. Sie haben, abgesehen von dem direkten Einsatz für die Kirche, das Land mitgeprägt und es zu dem gemacht, was es heute ist.
Die Besitzverhältnisse haben sich zwar geändert, doch dank der Eröffnung der Gästefarm Ghaub ist diese Geschichte der Öffentlichkeit noch zugänglich, sei es durch die alten Fotos in den Speisesälen und Zimmern der Gästefarm, durch einen Besuch auf dem alten Friedhof mit schwarzen und weißen Missionsangestellten sowie gefallenen Mitgliedern der Schutztruppe oder durch eine Begehung der 1914 entdeckten Ghaubhöhle, die ein Nationales Denkmal ist.
Zurück zur Gegenwart
Geschichte erleben kann man aber auch durch einen Gottesdienstbesuch an der Steinkanzel auf Ghaub, wo sich die drei Nordengemeinden Grootfontein, Tsumeb und Otavi schon des Öfteren zu außergewöhnlichen Gottesdiensten trafen. - Doch heute findet ein Gottesdienst ganz besonderer Art statt: Nach monatelanger Vorbereitung, die sogar einen Besuch unseres Pastoren Johannes Burgard zum Kameratraining in Berlin beinhaltete, ist das ZDF-Team heute an der Steinkanzel, um diesen Gottesdien aufzunehmen. Dieser Gottesdienst steht in der Reihe der ZDF-Fernsehgottesdienste im Jahre 2013. Sie nehmen das Thema „Reformation und Toleranz“ der Lutherdekade der Evangelischen Kirche in Deutschland auf, heute unter dem Sendetitel „Gemeinsam danken, gemeinsam bitten“.
Gespannte Stille - emsiges Treiben; und währenddessen schweift der Blick über das Bergland: Der Busch ist trocken und grau, die Weide karg, der Himmel in strahlendem Winterblau. Gestern noch war es so diesig und grau, dass die Natur am Horizont zu verschwinden schien. Der Wurmrindenbaum an der Kanzel zeigt sich in seinem Frühlingskleid: Seine dunkelbraunen Äste und die unzähligen, fast weißen Blüten heben sich in einem wunderschönen Farbenspiel vom Himmel ab. An der Steinkanzel auf der kleinen Anhöhe nahe des Gästehauses begrüßt die Gottesdienstbesucher jedoch ein Meer von Farben: Der Sonnenblumenschmuck am Altar, die Gottesdienstbesucher in bunter, sommerlicher Kleidung, die zwei Chöre aus Tsumeb jeweils in strahlendem Rot und in leuchtendem Türkis, die Kinder des Johanniter-Schülerheims Khoaeb aus Otavi tragen Hemden in frischem Grün, Gelb und Blau - und nicht zuletzt 100 Stühle in den Farben rot und weiß.
Das Kamerateam des ZDF und die Mitwirkenden - unser Pastor Johannes Burgard, Pastor Lorenst Kuzatjike der ELCRN-Gemeinde Macedonia in Windhoek-Katutura, Dr. Ulrike Menne, Sigrid von Leipzig, Bianca Menne, am Keyboard Dr. Renate Otto, dazu die Chöre der Bethesda-Kongregation Tsumeb (ELCIN), der Exodus2-Gemeinde Tsumeb und der Kinderchor aus Otavi - sind startbereit.
Die Gemeinde wird von Dr. Menne willkommen geheißen und Pastor Kuzatjike, der kurz ueber die Geschichte der Missisonsstation Ghaub informiert, betont, dass wir stets aus einer gemeinsamen Quelle schöpfen, aus einer gemeinsamen Wurzel wachsen, ob damals zu Anfang des 20. Jahrhundert unter den Missionaren, u.a. Dr Heinrich Vedder, oder heute im dritten Jahrtausend nach Christi. Dr. Menne betont, dass wir als Christen gern hier im Norden Namibias leben, dass dieses Leben jedoch nicht immer reines Zuckerschlecken ist, bedenke man nur die Dürre der vergangenen zwei Jahre. Woher wir die Kraft für den Alltag nehmen? Dadurch, dass wir unsere Freude und auch unsere Sorge gemeinsam vor Gott bringen!
Von solch einem Gottesdienst berichtet Frau von Leipzig: Als junge Farmerin aus Deutschland erlebte sie einen Gottesdienst in einer ihr fremden Sprache. Der Ablauf, die Melodie der Lieder, das Vaterunser - welches sie am Rhythmus der Worte erkannte - waren ihr trotz Sprachbarriere bekannt, und so fühlte sie sich als Christ dieser fremden Gruppe zugehörig, spürte sie eine tiefe Verbindung zu den Menschen, eine Verbindung, wie sie der Glaube schenken kann. Unterbrochen werden die Erzählungen und Berichte vom Gesang der Chöre, mal auf Deutsch, dann auf Afrikaans, Damara oder Englisch - auch das Loblied in Begleitung des Keyboards gleicht heute einem bunten Blumenstrauß!
Bianka Menne, Schülerin an der DOSW in Windhoek, die jedoch zurzeit zu Hause ist, erzählt, wie sie ihre Heimat Namibia empfindet: das Leben auf der Farm und im Internat, die Weite und die Stille im Gegensatz zu den vielen Aktivitäten, die in Windhoek geboten werden, die Einsamkeit im Gegensatz zu ihrem Freundeskreis an der Schule, Regenzeit und Dürre, auch weniger Schönes, z.B. Korruption, Komplikationen auf ihrem Lebensweg und dem ihrer Mitschüler. Eines stellt sie jedoch klar: Woanders möchte sie nie leben - daraus folgen ihre persönlichen Gründe, zu danken und zu bitten. Dem fügt Pastor Kazutjike hinzu, dass auch er gern ein Kind Namibias ist, dass er für Vieles, vor allem für kleine Dinge, dankbar ist, „bis das Große kommt“.
Die Choreinlagen geben jeweils Zeit zur Besinnung über das Gesagte - ein Kaleidoskop an Themen: die finanzielle Notlage, die die Dürre mit sich bringt, Schwangerschaften vieler Schülerinnen und ungewollte Babys, Ausbildung der Jugend, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die medizinische Versorgung der Menschen, die Hoffnungslosigkeit, die die Kirchen und Gemeinden auffangen wollen - wie tröstlich, dass wir diese und weitere Sorgen im Gebet abladen dürfen, egal wo, egal in welcher Sprache, egal mit welchen Worten! Und dann folgt die Predigt, der der 1. Brief des Petrus 5,5c - 11 zu Grunde liegt: die Sorge, das Besorgtsein, das anscheinend zum menschlichen Leben dazugehört wie die Blätter zum Baum.
Pastor Johannes steht an der Steinkanzel, später auch Pastor Kazutjike. Wie viele andere, darunter Misisonare, bereits zuvor. Egal, wer von dieser Steinkanzel im Otavibergland auf Ghaub predigte und predigt, ihre Berufung verbindet sie: das Wort Gottes zu verkünden, ihre Gemeinden zu begleiten, selbst aus der Verkündigung die Kraft für den Alltag zu empfangen, die Sorgen auf IHN zu werfen im Vertrauen im Gespräch mit Gott, dieses zu lernen, so wie wir auch mit unserem Nächsten vertraulich sprechen, so dass wir uns von IHM „aufrichten, stärken, kräftigen“ lassen, wie es am Ende des Predigttextes zu hören ist.
Nachdem die Mitwirkenden Gebete gesprochen und die Chöre mit der Gemeinde Loblieder angestimmt haben, wird die Gemeinde mit dem Segen verabschiedet, erfüllt von dem Gottesdienst des Dankens und des Bittens - gemeinsam!
Anka Ellinger (Tsumeb) und Judith Hellweg (Farm Elandbusch, bei Grootfontein)
Info Kasten
Ghaub im ZDF
Die Ausstrahlung des Namibia-Beitrages in der Reihe der ZDF-Fernsehgottesdienste 2013 erfolgt am Sonntag, 8. September, von 9.30 bis 10.15 Uhr im ZDF.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen