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Auf der Pirsch in die Neuzeit

Warum immer mehr San zu professionellen Jagdführern ausgebildet werden
Annika Brohm
Von Annika Brohm, Windhoek

Der junge San spannt den Bogen, visiert einen Busch in etwa 30 Metern Entfernung an – und verfehlt sein Ziel bei weitem. Seine Begleiter lachen schallend; danach nimmt der Stammesälteste Pfeil und Bogen in die Hand. Sein Schuss sitzt beim ersten Versuch. Die Präzision des Jägers aus Rietfontein im äußersten Osten Namibias ist das Ergebnis jahrelanger Übung. Die meisten San-Jungen sind den Kinderschuhen kaum entwachsen, da sammeln sie bereits die ersten Erfahrungen beim Spurenlesen und im Umgang mit Pfeil und Bogen. Das jahrtausendalte Wissen, das von Generation an Generation vermittelt wird, macht sie zu Meistern der Jagd.

Nur wenige Menschen sind mit der Tradition der San so vertraut wie Volker Grellmann, Leiter der Jagdschule Eagle Rock auf der Etango Ranch. Jahrelang hat er mit ihnen gelebt, gejagt – und von ihnen gelernt. „Die Naturverbundenheit und das Feingefühl der Buschleute sind nicht zu übertreffen “, erzählt er. „Da kann sich so mancher alter Haudegen noch einiges abgucken.“ Seit mehr als vierzig Jahren gibt der gebürtige Thüringer sein Wissen über die Kunst des Jagens weiter. In der Nähe des internationalen Flughafens werden unter Grellmanns Obhut jährlich dutzende Jagdführer und Berufsjäger ausgebildet, darunter auch sogenannte „ehemals Benachteiligte“: Kursteilnehmer verschiedenener Ethnien und Sprachgruppen, die über eine geringe oder keine formale Schulbildung verfügen. Um Inhalte zielgerichtet an sie vermitteln zu können, hat Grellmann vor siebzehn Jahren ein Programm entwickelt, das er eigens dafür auf die notwendigen Lernschwerpunkte zugeschnitten hat. Der Unterschied zu den herkömmlichen Kursen: Die Inhalte werden auf verschiedenen Sprachen gelehrt, zudem kann das abschließende Examen mündlich abgelegt werden.

Ein Programm mit Zukunft

Dass ein San eine Ausbildung zum Jagdführer bei ihm antritt, ist auch wegen dieses Angebots lange keine Seltenheit mehr. Etwa 30 Buschleute hat Grellmann in den letzten Jahren angeleitet, Tendenz: steigend. „Die Gäste der Jagdfarmen sind begeistert von den sogenannten ,Eingeborenenführern´ und deren Wissen über die Natur und die Tiere“, erzählt Grellmann. „Diese positiven Erfahrungen haben sich längst herumgesprochen.“ Häufig senden Jagdfarmen einen, manchmal auch zwei oder drei Lehrlinge in Grellmanns Schule, um ihnen dort eine professionelle Ausbildung zu ermöglichen.

In diesem Jahr zählt auch die Tsumkwe Lodge im Nyae-Nyae-Hegegebiet dazu. Vor einigen Wochen wurde der Ausbildungsvertrag des Schützlings des Betriebs, „Small boy“ Tsagoa Ciqae, mit der Jagdschule Eagle Rock besiegelt. Anfang Mai wird er bei Grellmann den theoretischen Teil des Jagdführerprogramms antreten, einige Monate später folgt der praktische Part. Unterstützt wird die Ausbildung von dem Unternehmer Carlo von Opel: Urenkel des Rüsselsheimer Autobauers, Gründer von Chio Chips – und selbst passionierter Jäger. Vor fünfzehn Jahren gründete von Opel das Projekt „Unternehmen Buschmänner“. Etwa fünfzig Mitglieder zählt seine Initiative mittlerweile. Gemeinsam arbeiten sie daran, neue berufliche Perspektiven für die San zu schaffen. Die Ansätze der Initiative sind vielfältig: Dem San Thomas Gariseb wurde in den letzten Jahren eine Zahnarztausbildung in einer Klinik in Gobabis ermöglicht, anderen wurde das Jura-Studium finanziert.

Die Mär vom edlen Wilden

Der Fokus auf die Jagd ist in der Geschichte des Projekts jedoch ein Novum. „Für unseren Verein ist es der erste San, der diese Ausbildung macht“, erzählt von Opel. „Unser Plan ist es, dass Buschmänner wie Ciqae in Zukunft im Jagdtourismus einsteigen können.“ Zu diesem Zwecke soll der Schützling der Tsumkwe Lodge zum Berufsjäger ausgebildet werden. Bis dahin werden aber noch einige Jahre vergehen: Die Qualifikation zum Jagdführer ist lediglich der erste Schritt auf dem langen Weg zum Berufsjäger. „Wenn es gut läuft, dann wollen wir auch die weiteren Ausbildungsmaßnahmen fördern“, erzählt von Opel. „Aber das liegt noch in weiter Ferne.“

Mit seinem Vorhaben stößt von Opel in Jagdkreisen auf viel Zuspruch. Neben Grellmann sieht auch Tanja Dahl, Geschäftsführerin des Berufsjägerverbands Nambias (NAPHA), ein großes Potential in der Ausbildung der Buschmänner. „Die San sind traditionell sehr gute Jäger“, erklärt sie. „Die NAPHA unterstützt Initiativen, damit diese Jäger auch den vorgeschriebenen schriftlichen Anforderungen entsprechen, um sich als Jagdführer etablieren zu können.“ Dennoch: Projekte zur Förderung der San wurden in der Vergangenheit auch häufig kritisiert. Man würde zu sehr in ihre Lebensweise und Kultur eingreifen, hieß es. Ihnen die Zivilisation gegen ihren Willen aufzwingen.
Volker Grellmann weist diese Vorwürfe klar und deutlich zurück. „Die ursprünglichen traditionellen Völker leben nur noch in der Gedankenwelt der Menschen, die sie dort halten möchten“, sagt er. „Auch die Buschleute werden sich zwangsläufig weiterentwickeln müssen.“ Ersetzen möchte er die traditionelle Jagdkunst der San durch die Vermittlung moderner Techniken nicht. Im Gegenteil: Seiner Meinung nach lassen sich beide Ansätze „ganz wunderbar“ miteinander vereinbaren. „Der Akt der Jagd ist und bleibt ja derselbe: Man sucht sich ein Stück Wild, schleicht sich an und schießt“, erklärt er.

Der Lohn für all die Mühe

Für die Zukunft wünscht er sich, dass die San vermehrt im Jagdtourismus tätig sein können. „Ich denke, dass sie mit ihrem Wissen die besten Chancen haben, in Zukunft stärker eingebunden zu werden“, sagt Grellmann. Für ihn seien sie ohnehin „die tollsten Menschen“, allerdings mit einem großen Haken. Den Hang zum übermäßigen Alkoholkonsum. „Daran müssen wir arbeiten“, erzählt Grellmann. „Wer einmal betrunken bei der Arbeit erscheint, der ist raus. Das müssen wir ihnen in feinster Manier beibringen.“

Trotz aller Herausforderungen: Für den Leiter der Jagdschule stellt die Ausbildung einen Gewinn für alle Beteiligten dar – sowohl für die Jagdfarmen, als auch für deren Gäste. Am meisten profitieren laut Grellmann jedoch die Lehrlinge selbst. „Für viele der Auszubildenden ist es die einmalige Chance, sich vom Status des einfachen Farmarbeiters hochzuarbeiten und so deutlich mehr Geld zu verdienen“, erklärt er. Ein Ansporn, der nicht selten dazu führt, dass die Teilnehmer des Kurses für ehemals Benachteiligte besser abschneiden als Teilnehmer der herkömmlichen Kurse. „Wenn man die guten Ergebnisse der Jungs sieht, dann steigen einem Freudentränen in die Augen“, erzählt Grellmann. „Allein deshalb lohnt sich all die Mühe, die ich in den Kurs hineinstecke.“

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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