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Augen zu und durch?

Praktikant Praktikant
Vielleicht hat eine Chemo ihn so zugerichtet. Der leicht grünliche Teint lässt den Mann kränklich erscheinen, seine fahlen Lippen wirken hingegen bräunlich-blau. Striemen und Wundmale entstellen den Oberkörper und seine Schädeldecke ziert kein einziges Haar. Die gewaltige Glatze begrenzt das Gesicht nach oben hin – trotzdem gehen die beiden Hälften des Schädels nicht unmittelbar ineinander über. Ein rotes, vielleicht blutverschmiertes Band schlingt sich um den Kopf und verdeckt die Augen des Mannes. Dennoch wirkt er ruhig, schmunzelt sogar leicht. Wer er ist? Niemand und zugleich einer von vielen.
Das Ölgemälde, das da in einem lichtdurchflutet-luftigen Ausstellungsraum des Goethe-Zentrums hängt, zählt zu den Lieblingsbildern der Malerin Barbara Pirron. „Es ist eines der ausdrucksstärksten Werke hier – weil es so verstörend ist. Das würde sich kaum einer ins Wohnzimmer hängen“, sagt sie. Trotzdem: Auf dem kleinen weißen Papierschildchen am Rahmen des Gemäldes, klebt bereits ein rotes Pünktchen – verkauft. Und das ist auch schon alles, was der Betrachter erfährt. Bloß „Untitled“ steht da noch.
„Nur keine Titel!“, stöhnt Barbara Pirron – Namen und Bezeichnungen legen zu sehr fest und zwingen bestimmte Deutungen auf, glaubt sie. Trotzdem hat jedes ihrer Bilder einen Titel. Nur ist der nicht sichtbar, sondern versteckt sich jeweils auf der Rückseite. Das passt – immerhin geht es in Pirrons ganzer Ausstellung ums „nicht sehen können“ und „nicht sehen wollen“. „Blindfolded“, so lautet das Motto, unter dem sie insgesamt zwanzig Bilder ausstellt. Übersetzt heißt das „Mit verbundenen Augen“.
Tatsächlich zieht sich dieses Element durch die ganze Ausstellung. Beinahe auf jedem Bild sind Menschen mit Augenbinde zu sehen – Araber, Afrikaner, Indianer, Männer und Frauen. Die Botschaft: Nicht nur hier, sondern auf der ganzen Welt verschließen Menschen gewollt oder ungewollt ihre Augen. „Da braucht es nicht viele Worte – an der Flüchtlingskrise in Europa sieht man doch, wie viele Menschen die Realität nicht wahrhaben wollen. Die Angst führt dazu, dass man lieber wegschaut, statt sich mit den Problemen auseinanderzusetzen“, sagt Pirron.
Dennoch: Wegen der globalen Ereignisse hat sie nicht zum Pinsel gegriffen. Ihr Antrieb ist lokal, wenn nicht sogar zutiefst autobiographisch. „Ich habe etwas durchgemacht, eine persönliche Krise“, sagt Barbara Pirron. Was sie damit meint, bleibt so kryptisch und geheimnisvoll, wie ihre Bilder. Ein Gedicht von Erich Kästner – „Der Blinde an der Mauer“ – gab dann die Initialzündung dazu, die innere Rastlosigkeit in Aquarellen und Ölgemälden zu verarbeiten. Aber ohne die Krise hätte auch das Gedicht nichts bewirkt. „Ausgangspunkt ist immer der Künstler“, meint Pirron.
„Künstler“ – eigentlich mag sie das Wort nicht. „Maler“ gefällt ihr besser, das ist weniger elitär. Und tatsächlich packt Barbara Pirron ihre Werke unkonventionell an. „Ich arbeite aus der Emotion heraus – mein Bauchgefühl leitet mich“, erklärt sie. Nicht alle glauben ihr das – aber das stört sie nicht. „Ich hatte immer nur die Augenbinde als festes Motiv im Kopf“, sagt Pirron. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Innerhalb eines halben Jahres ist aus diesem Grundgedanken eine stattliche Bilderreihe geworden.
„Hat das nicht länger gedauert?“, wird sie oft gefragt. Pirron schmunzelt: „Da steckt trotzdem viel Arbeit dahinter – wenn ich an einem Bild male, dann bin ich für mindestens zehn Stunden nicht ansprechbar.“ So sehr verliert sie sich dabei in ihrer Arbeit, dass sie gar nicht aufhören kann, an ihren Werken herumzufeilen. Rahmen und Verglasung sind eine Art Notwehrmaßnahme – erst wenn Pirron keinen Zugriff mehr auf ihre Bilder hat, muss sie den Pinsel gezwungenermaßen weglegen.
Auf diese Weise entstehen dutzende Kunstwerke – irgendwann lohnt es sich dann auch, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Dennoch arbeite ich niemals auf eine Ausstellung hin“, sagt Pirron nachdrücklich. Kunst – besser: Malerei – ist immerhin kein bloßes Handwerk. Fehlt die Muße, entstehen auch keine Bilder. Ihre mittlerweile zwölfte Solo-Ausstellung ist so eher das ungewollte Resultat schöpferischer und krisengebeutelter sechs Monate.
Selbst altbekannte Wege hat Barbara Pirron dabei verlassen, denn eigentlich malt sie fast ausschließlich Landschaften. Diesmal sind es jedoch Menschen geworden – trotzdem handelt es sich bei den Werken um keine Porträts. „Ich bin keine Porträtistin. Mir geht es nicht darum detaillierte Gesichter zu zeichnen. Die Köpfe sind nur Mittel zum Zweck, um so das Thema der Ignoranz und des Wegschauens zu versinnbildlichen“, erklärt Pirron.
Wachrütteln will sie damit – und durchaus auch vor den Kopf stoßen. An dieser Stelle beginnt die Tragik ihrer Kunst. „Jene, die ich erreichen will, besuchen diese Ausstellung gar nicht“, meint sie. Das wären nämlich genau die Menschen, die sich niemals einen chemo-zerfressenen Glatzkopf ins Haus hängen würden. „Oh Gott, lass mich doch mit diesem Zeug in Ruhe!“, äfft Barbara Pirron deren Reaktion nach. Zu krampfhaft halten sich solche Leute ihre eigene, unsichtbare Augenbinde ans Gesicht.
Tragisch ist das auch, weil Barbara Pirron trotz solch unbefriedigender Ergebnisse einen hohen Preis für ihre Kunst zu bezahlen hat: Sie entfremdet sich. Mit Entfremdung meint die Malerin vor allem Rückzug. In Windhoek kann sie nicht kreativ sein – sie braucht die Berge, sie will und muss alleine sein. Und das hat Auswirkungen. „Ich merke, wie ich immer weniger Bedürfnis nach einem geselligen Beisammensein habe – einfach weil mir das immer weniger gibt“, meint sie.
Ihr Rückzug aus der Gesellschaft hat bereits vor zwanzig Jahren begonnen – als sie damit anfing, sich mit Kunst zu beschäftigen. Auslöser war eine persönliche Krise. Barbara Pirron erinnert sich: „Mein Beruf hat mich damals ziemlich eingespannt. Plötzlich habe ich gemerkt, dass mich das dauernde Bemühen um den Erhalt meiner wirtschaftlichen Grundlage nicht mehr ausfüllt. Ich hatte das Gefühl, dass da noch mehr sein müsste.“ Dieser schweren Sinnkrise entkam Barbara Pirron durch ihre Einschreibung an der Fernuniversität Südafrika – als Fach wählte sie Kunst.
Bis heute ist sie dabei geblieben. Auch ihre jüngste Krise hat sie mithilfe der Kunst überwunden und ist daran gewachsen – selbst wenn das Ergebnis ihrer sechsmonatigen Reflexion pessimistisch ist. „Die Menschheit ist unverbesserlich, das habe ich mitgenommen“, meint sie. Auch sie selbst? Barbara Pirron schmunzelt: „Zumindest entdecke ich auch an mir dauernd Augenbinden.“


Noch bis Mittwoch, 11. November, kann die Ausstellung „Blindfolded“ im Goethe-Zentrum besichtigt werden.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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