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Befreiungsbewegungen graben sich in die erkämpfte Macht ein

Es gehörte zum Standard-Repertoire des in den 1960er Jahren erwachenden "Tiers Mondisme", den Befreiungskampf der "Verdammten dieser Erde" solidarisch zu unterstützen, wenn nicht gar zu glorifizieren. Das unter dem gleichnamigen Titel von Frantz Fanon zu Ende der 1950er Jahre inmitten des algerischen Widerstands gegen die französische Kolonialherrschaft verfasste Manifest, wurde zur programmatischen Kampfschrift. Durch die selektive Einleitung von Jean-Paul Sartre wurde die stellenweise Tendenz zur Verherrlichung von Gewalt als emanzipatorischem Akt unkritisch verstärkt und quasi zur reinigenden Kraft der Menschwerdung der Kolonisierten stilisiert.

Dabei verfolgte Fanon bereits mit analytischer Schärfe und schonungsloser Kritik die Exzesse nachkolonialer politischer Herrschaft, wie er sie vornehmlich in Westafrika noch vor seinem Tode 1960 beobachten konnte. In dem Kapitel über die "Missgeschicke des nationalen Bewusstseins" prangerte er die autoritären Strukturen der afrikanischen Elite an, die im Zuge der Dekolonisierungsprozesse den Staat usurpierte, für die eigene Privilegiensicherung und ihren Machterhalt missbrauchte und als Kontrollorgan gegen das Volk wendete. Diese frühe, warnende Einsicht wurde weitgehend ignoriert.
Sieg im Volkskrieg?Befreiungsbewegungen in der so genannten Dritten Welt konnten sich bei der Organisierung des bewaffneten Kampfes auf Solidaritätskampagnen auch in der internationalistisch bewegten westlichen Szene verlassen. Diese war in ihrem Engagement für die Verwirklichung des nationalen Selbstbestimmungsrechtes auch zur materiellen Unterstützung der Gewaltausübung im Zuge des antikolonialen Widerstands bereit. In Afrika forderten die PAIGC, MPLA und FRELIMO erfolgreich die portugiesische Fremdherrschaft heraus. Die militärischen Auseinandersetzungen in den Kolonien hatten auch innenpolitische Konsequenzen und trugen zur "Nelkenrevolution" bei, durch die schließlich zu Mitte der 1970er Jahre das portugiesische Kolonialzeitalter in Guinea-Bissau und den Kapverden, Angola und Mosambik endete.

Die weiteren Dekolonisierungsprozesse im Südlichen Afrika unter den verbleibenden Formen einer Siedlerherrschaft nahmen einen etwas anderen Verlauf. Im damaligen Rhodesien kämpften ZANU und ZAPU gegen das von Ian Smith verkörperte weiße Minderheitsregime, das sich vom britischen Empire in einer einseitigen (Pseudo-)Unabhängigkeitserklärung während der 1960er Jahre lossagte und mit dem Lancaster House Abkommen und den von der ZANU gewonnenen Wahlen 1980 ein Ende fand. Unter einer von den Vereinten Nationen ausgehandelten Übergangsregelung zur Unabhängigkeit erlangte nach fast einem Vierteljahrhundert, auch im Zuge militärischer Formen der Auseinandersetzung, zehn Jahre später endlich das widerrechtlich von Südafrika besetzt gehaltene Namibia unter der SWAPO die völkerrechtliche Souveränität. Das erfolgreich angewandte Modell eines kontrollierten Wandels eröffnete schließlich vier Jahre später mit den Wahlen in Südafrika dem ANC die legitime Übernahme der politischen Verantwortung.

In diesen Fällen des durch die Durchführung von relativ allgemeinen und freien, international überwachte Wahlen geregelten Übergangs zum formalen Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerungsmehrheit war der organisierte bewaffnete Widerstand substanzieller Teil der Auseinandersetzungen. Er ging den ausgehandelten Übergangsregelungen voraus und trug zu einem arrangierten kontrollierten Wandel ebenso bei wie zur darauf folgenden Mythologisierung der Befreiungsbewegung an der Macht durch deren spezifische Form patriotischer Geschichtsschreibung.

Als zu Mitte der 1990er Jahre die Dekolonisierungsprozesse im Südlichen Afrika und damit auch die Apartheid-Minderheitsregime formal beendet waren, war der solidarisch bewegte Eifer der 1960er und 1970er Jahre schon längst anderen Identifikationsobjekten gewichen. Die Erfahrungen unter den Befreiungsbewegungen an der Macht fanden außerhalb der Region selten ernsthafte Resonanz. Der fatale Einfluss, der von den militarisierten Organisations- und Bewusstseinsformen der Befreiungskämpfe und ihrer Akteure in den nachkolonialen Gesellschaften ausging, wurde weitgehend verdrängt oder tabuisiert.
Von Opfern zu TäternDie Lehre, dass vermeintlich ethisch und politisch gerechtfertigte militante Bewegungen keinesfalls davor gefeit sind bei der Verfolgung ihrer Ziele zu repressiven Mechanismen zu greifen, die ihren Anspruch auf moralische Legitimierung der Widerstandsformen unterminieren, ist keinesfalls neu und nicht auf Befreiungsbewegungen an der Macht beschränkt. Seit der Französischen Revolution lässt sich anhand zahlreicher Beispiele in den verschiedensten Regionen und Gesellschaften dieser Erde der Widerspruch verfolgen, wie in sozialen Emanzipationsprozessen im Zuge der Etablierung neuer Machtverhältnisse Befreier zu Unterdrückern und Opfer zu Tätern werden.

Dass dabei die Alternative zum bekämpften System im Zuge der Konfrontation und des andauernden Konfliktes immer mehr von den Charakterzügen und der Herrschaftsmentalität des vermeintlich Überkommenen geprägt wird, lässt sich nicht nur am Beispiel des Südlichen Afrika verfolgen. Der indische Psychologe und Soziologe Ashis Nandy, der zu den Begründern kritischer post-kolonialer Studien gerechnet werden darf, hat mit seiner 1984 veröffentlichten Studie "Der Intimfeind" am Beispiel seines Landes gezeigt, dass die Träger einer Befreiung der Menschen von den Formen und Denkweisen kolonialer Herrschaft in den meisten Fällen - zumal jenen, in denen sie erfolgreich mit der Erlangung der Macht enden - eher Überkommenes reproduzieren als tatsächliche Alternativen anzubieten haben.

Ähnlich wie es von dem früheren PLO-Aktivisten Yezid Sayigh anhand der organisierten palästinensischen Befreiungsbewegung dokumentiert wurde, diente auch im Südlichen Afrika der bewaffnete Kampf als ein Mittel zur Formierung neuere staatstragender Institutionen für die im Widerstand operierende dominante politische Gruppierung. Häufig waren diese Formierungsprozesse um einzelne Personen zentriert, deren Einfluss und Machtsicherung eine Klientelwirtschaft begünstigte. Die wenig zimperlichen, unter den Bedingungen des Widerstandskampfes gegen repressive Regime erworbenen Überlebensstrategien und -techniken werden dabei weiter kultiviert und perfektioniert. Am Ende wird gemessen am neuen Herrschaftsverständnis und seiner Praxis der Unterschied zum erfolgreich bekämpften früheren System eher fragwürdig.

Zu den ersten seismographischen Versuchen der Thematisierung des Dilemmas im Kontext des Südlichen Afrika gehört der autobiographisch gefärbte Roman von Artur Carlos Mauricio Pestana dos Santos. Unter seinem Kampfnamen Pepetela im Regenwald ("Mayombe") an der Cabinda-Front 1971 verfasst und 1979 veröffentlicht, avancierte das Werk zum angolanischen Nationalepos. Seither etablierte sich Pepetela als die führende kritische Stimme in der Literatur des nachkolonialen Angola. Dort waltet seit der Veröffentlichung von "Mayombe" mit Eduardo dos Santos ein Präsident über die "Öligarchie" eines Landes, das zu den reichsten und seine Einwohner zu den Ärmsten des Kontinents gehören.

In einer Schlüsselszene äußert Sem Medo ("ohne Furcht") als Kommandeur einer Guerilla-Einheit gegenüber dem neu ernannten MPLA-Regionalbeauftragten Mundo Novo ("neue Welt"): "Wir haben nicht die gleichen Vorstellungen. ... Du bist der Typ des Apparatschiks, einer von denen, die in Angola die einzige und allmächtige Partei schaffen werden. Ich bin der Typ, der nie zum Apparat gehören könnte. ... Ich hätte es gern, dass im Krieg die Disziplin in Abhängigkeit vom Menschen und nicht vom politischen Ziel durchgesetzt wird.... Ich kann die Menschen nicht manipulieren, ich achte sie viel zu sehr als Individuen. Deshalb kann ich keinem Apparat angehören." - Sem Medo fällt im weiteren Verlauf der Handlung im Kampf und rettet dabei Mundo Novo das Leben.
Grenzen der BefreiungDie Militarisierung der antikolonialen Widerstandsformen hat Sozialisationsfaktoren und mentale Dispositionen geschaffen, die auch das Politik- und Machtverständnis im vermeintlich nachkolonialen Alltag prägen. Der südafrikanische Jurist Albie Sachs, der während seines 24jährigem Exils durch ein Bombenattentat in Mosambik verstümmelt wurde, thematisierte dies schon im Mai 1990 in einem Vortrag an der University of the Western Cape. Er bezweifelte, ob die Aktivisten des ANC angesichts ihrer verinnerlichten Gewohnheiten auf die Freiheit vorbereitet sind. Die Kultur und Disziplin des Widerstands ermöglichte die Arbeit in der Illegalität, die konspirative Kommunikation aber nicht das Verhalten freier Menschen. Er verglich seine Generation mit Reptilien, die eine sehr harte und enge Haut haben, die sie beschütze. Jetzt sei die Herausforderung, diese Haut abzustreifen, damit eine frische menschliche Persönlichkeit hervorkommen kann, die den neuen Aufgaben gewachsen ist.
Vielleicht konnte Nelson Mandela nur deshalb schon zu Lebzeiten zur weltweit verehrten Ikone werden, weil er von den lebensgefährlichen Bedrohungen, Alltagsintrigen und machtpolitischen Auseinandersetzungen einer organisierten Befreiungsbewegung weit gehend verschont geblieben ist und sich eine menschliche Wärme und Toleranz bewahren konnte, die ihm der Überlebenskampf im Exil nicht gestattet hätten. Dies mag zynisch klingen. Aber die Realitäten, die einen Jacob Zuma als möglichen nächsten Präsidenten Südafrikas in der Tradition einer "Zulu warrior culture" stehend zur populistischen Alternative eines von der gesellschaftlichen Wirklichkeit entrückten Intellektuellen wie Thabo Mbeki werden lassen, sind jene einer auf Alltagsgewalt in den unterschiedlichsten Formen basierenden Gesellschaft, deren Menschen sich in ihrer Enttäuschung über die Grenzen der Befreiung vermeintlichen Ersatz-Heilsbringern zuwenden.

Diesen bleibt dann vermutlich auch die Rechenschaftspflicht für Verstöße gegen geltendes Recht erspart, denn Korruption und sexueller Missbrauch werden zu Kavaliersdelikten bagatellisiert und deren Verfolgung durch juristische Instanzen eingeschränkt, wenn nicht verhindert. Demokratie wird unter solchen Bedingungen, wie ein Kommentar in der südafrikanischen Wochenzeitung "Mail & Guardian" (11. bis 17. Juli 2008) betitelte, zu "yesterday's hero", als sie zu den Prioritäten eines Befreiungskampfes gehörte, der sich nicht nur gegen bestehendes Unrecht wendete sondern für neues Recht engagierte.
EergebenheitspflichtImmerhin mehren sich die Stimmen jener, deren Loyalität gegenüber fundamentalen Werten und Normen einer demokratischen, Menschen- und Grundrechten verpflichten Gesellschaft größer ist als die Ergebenheitspflicht gegenüber ihrer Organisation. Zu diesen gehört Raymond Suttner, der als Mitglied des ANC im südafrikanischen Untergrund aktiv war und als politischer Gefangener in jahrelanger Einzelhaft gehalten wurde. Als Parlamentarier und Botschafter repräsentierte er die neue Regierung, bevor er wieder ins akademische Milieu wechselte, dem er entstammte. Er unterstützt eine vom früheren Minister Kader Asmal betriebene Initiative zum Erhalt der verfassungsrechtlich verankerten Grundnormen. Im November 2005 bekannte er in seinem Harold Wolpe-Gedenkvortrag, dass er substanzielle Auffassungen mittlerweile überdenke. Er qualifizierte die offiziöse Partei-Ideologie als eine Sprache der Einheit, die Menschen durch die Befreiungsbewegung repräsentiert sieht und diese mit allen Menschen gleich setzt. Damit versteht sich die Befreiungsbewegung als Proto-Staat.

Die Befreiungsbewegung an der Macht wird dadurch quasi zum "Ende der Geschichte" stilisiert, indem jegliche politische Alternative nur vorstellbar ist, wenn sie ihren Reihen entstammt. - Vielleicht erklärt dies die langmütige Kumpanei, die von den Regierungen Angolas, Mosambiks, Namibias und Südafrikas innerhalb der Staatengemeinschaft des Südlichen Afrika gegenüber dem Mugabe-Regime gezeigt wird. Auch die politischen Alternativen, die sich in ihren Ländern aus Enttäuschung über die Grenzen der Befreiung entwickeln, werden von ihnen allenfalls als Handlanger einer imperialistischen Verschwörung diskreditiert, deren Ansinnen die Sabotage nationaler Selbstbestimmung sei. Dass ihre aufgrund eigener Versäumnisse schwindende Legitimationsbasis der Hauptgrund für eine Opposition sein könnte, scheint ihnen nicht zu dämmern. Ihr Denken bleibt in der militaristischen Dichotomie des Freund-Feind-Schemas verhaftet, in dem es keine Alternative zu ihrer eigenen Herrschaft geben kann.

Dass die Antwort auf die Enttäuschungen unter einer Befreiungsbewegung an der Macht häufig Teil des Problems bleibt statt die Lösung ist, rührt an ein weiteres Thema. Allzu häufig nämlich findet der Inkubationsprozess einer Oppositionsbewegung im Innern des Molochs statt und endet in neuerlichen Verteilungskämpfen um den Zugang zu den Honigtöpfen, die eine Kontrolle über den Staatsapparat und seine Bürokratie verheißt. Leider verspricht dies nur in den seltensten Fällen Gutes für die Bevölkerungsmehrheit.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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