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Über Kritzung, Striemung und Harnischflächen

Mit Interesse habe ich den Beitrag von Frau Dr. Binde gelesen "War der Erongo einmal vergletschert?". Ein zweifelsohne interessanter Aufsatz, der auch das Engagement für eine ungewöhnliche Hypothese spannend zu schildern vermag. Leider hat diese faszinierende Idee eines namibischen Kilimandscharo mehrere "Haken". Ebenso wie im Originalartikel der Zeitschrift "Der Aufschluss" bleibt die Analyse der Vergletscherungsindizien eher oberflächlich und zum überwiegenden Teil auf morphologische Formen beschränkt, die ebenso anderen geologischen Prozessen zuordenbar sind. Ein Abgleich mit Klimadaten des "Tertiärzeitalters", (neu: Paläogen und Neogen) in dem diese Vergletscherung von Frau Binde für möglich gehalten wird, erfolgte leider nicht.

Betrachtet man nun ihre Indizien für eine Vergletscherung genauer, dann muss man dazu folgendes sagen:

Ein Großkolk (Strudelloch) in einem Flussbett ist nicht an Gletscherwasser gebunden, auch das Wasser eines Gebirgsflusses im warmen und niederschlagsreichen "Tertiär" vor 65 Millionen Jahren kann ihn hervorbringen. Auch eine bestimmte Talform ist nicht unbedingt ein Indiz für einen Gletscher. Zumal ein Gletscher im "Tertiär" auch auf einem fiktiven Mount Erongo, selbst wenn er höher als heute gewesen sein sollte, nicht existieren konnte. Während des gesamten "Tertiär" war das Klima der Erde so warm, dass nicht einmal an den Polkappen Eis existierte (die arktische und antarktische Gewässertemperatur lag während des Paleozän/Eozän-Temparatur-Maximum (PETM) bei +23"°C, danach immer noch bei +17"°C ( Zachos, M. Pagani, L. Sloan, E. Thomas (2001). Trends, Rhythms and Aberrations in Global Climate 65 Ma to Present. Science 292: 686-693)).

Ein Gletscher auf dem Erongo, der zum Beginn des "Tertiär" nur etwa 900km polnäher lag als heute, ist damit auszuschließen, zumal der Äquator-Pol-Temperaturgradient wesentlich geringer ausfiel als heute.

Auch die fiktive Höhe des damaligen Erongo spielt für die auf 1800mNN gefundenen und für Kritzungen gehaltenen Spuren keine wesentliche Rolle, da zumindest eine Gletscherzunge bis hinab auf diese Höhe gereicht haben müsste, um das Gestein an dieser Stelle kritzten zu können (im Vergleich dazu reicht eine Zunge des größten Alpengletschers unter dem vergleichsweise kühlen gemäßigten Klima der Alpen heute lediglich bis etwa 1600mNN hinab).

Aber, wird der Leser des Artikels sagen, da sind ja noch die im Foto deutlich sichtbaren "tiefen Rillen" die "so genannte Kritzung", die nach Meinung von Frau Dr. Binde durch "Sande und Kiese in Gletschern auf dem unter dem Eis befindlichen Untergrund verursacht werden."

Und hier kommt nun "der zweite große Haken" an dieser Geschichte: Das Hauptindiz für eine Vergletscherung, "die tiefen Rillen", sind keine Rillen sondern eine Striemung und damit sind sie kein Indiz für eine Vergletscherung sondern für das Wirken tektonischer Kräfte im Erongogebirge.

Als langjähriger Quartärgeologe, der zur Zeit auch im Festgestein und im Salzbergbau tätig ist, kann ich auf Basis einer Bildanalyse des Kritzerfotos sagen, dass die im Foto gezeigten so genannten gekritzten Flächen nicht durch Gletscher verursacht wurden, sondern dass es sich um Harnischflächen handelt. Harnischflächen sind stark beanspruchte Bewegungsbahnen im Gestein, auf denen sich Teile des Gebirges unter enorm hohem Druck gegeneinander verschoben haben. Erkennbar ist dies u. a. daran, dass (wie auf dem Bild von Frau Binde sichtbar) die angebliche "Kritzung" (im neuen Kontext besser als Striemung zu bezeichnen) auf verschiedenen Trennflächenniveaus existiert. Ein Gletscher kann jedoch immer nur auf einer Erosionsfläche eines Gesteinspaketes kritzen. Bei genauerem Hinsehen erkennt man außerdem, dass es sich nicht um echte Kratzer auf einer ebenen Oberfläche handelt, sondern dass die Zwischenräume zwischen den Rillen eigene, erhabene, lang gestreckte wulstartige Körper mit kleinen Nasen und Knötchen darstellen - ein typisches Merkmal für Harnischflächen, welches bei gletscherverursachten Kritzungen nicht anzutreffen ist. Zur Gegenüberstellung hierzu ein Foto einer echten Kritzung aus dem mitteldeutschen Quartärgebiet.

Dass es sich bei den (auch in der Zeitschrift "Der Aufschluss") im Foto gezeigten Formen um Harnischflächen und nicht um Flächen mit Kritzungen handelt, wurde mir auch von zwei diesbezüglich befragten Geomechanikern bestätigt, die unabhängig voneinander und ohne Kenntnis meines Befundes zum selben Ergebnis kamen.

Als begeisterter Namibiabesucher werde ich mir im nächsten Urlaub diese Strukturen in Natura ansehen, auch wenn es keine Gletscherspuren sind, ein interessantes geologisches Zeugnis der Entwicklung des Erongo ist es trotzdem, was Frau Dr. Binde da entdeckt und zugänglich gemacht hat.


Karsten Sommerwerk, Halle/S.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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