Carl Zeiss wahrt weiße Weste

Von Robby Echelmeyer, Windhoek/JenaDer namibische Fußballprofi Manfred Starke fiebert einem ganz besonderen Auftritt entgegen. Am kommenden Freitag (19.45 Uhr) empfängt der 25-Jährige mit dem ostdeutschen Traditionsverein Carl Zeiss Jena in der ersten Runde des DFB-Pokals den Titelträger Bayern München. „So ein Spiel kann man nur genießen“, entgegnete Starke kurz nach der Auslosung im Juni auf AZ-Nachfrage. Noch zweimal schlafen, dann ist es soweit. Mit dem Viertligisten aus Thüringen geht der Namibier als krasser Außenseiter in das Duell gegen den Rekordmeister, der am Sonntag in Dortmund mit einem 2:0-Erfolg über die gastgebende Borussia den Supercup holte und damit seinem neuen Trainer Carlo Ancelotti ein gelungenes Pflichtspieldebüt bescherte. An der Favoritenrolle des Bundesligisten ändert auch Jenas makelloser Saisonstart nichts. Wenige Stunden bevor die Bayern ihren ersten Titelgewinn in der Spielzeit 2016/17 feiern konnten, hatte Carl Zeiss sein Heimspiel gegen den SV Babelsberg 03 souverän mit 3:0 (0:0) für sich entschieden. Maximilian Schlegel mit einem Doppelpack (52. Minute/69.) und Starke (61.) sorgten dafür, dass der Spitzenreiter im vierten Spiel den vierten Sieg einfuhr. Da sich die Jenaer zuvor auch gegen Budissa Bautzen (1:0), den VfB Auerbach (2:0) und den ZFC Meuselwitz (2:0) ohne Gegentreffer durchgesetzt hatten, können sie jetzt neben der Maximalausbeute von zwölf Punkten ein Torverhältnis von 8:0 vorweisen. Ihr Vorsprung auf den 1. FC Lokomotive Leipzig, der durch ein 2:1 (1:1) beim FC Oberlausitz den zweiten Rang erobert hat, beträgt zwei Zähler. Dritter ist Wacker Nordhausen (neun Punkte).Gegen Babelsberg setzten Schlegel und Starke für Carl Zeiss schon im torlosen ersten Durchgang die Akzente. Vor 4956 Zuschauern kurbelte der erst 19 Jahre alte Schlegel das Offensivspiel der Gastgeber auf dem Ernst-Abbe-Sportfeld mit seinen Flankenläufen über die linke Seite unermüdlich an, wenngleich zunächst noch ohne zählbaren Erfolg. Starke war zwei Minuten vor der Pause an einer Schlüsselszene direkt beteiligt: Als der namibische Angreifer zu einem Distanzschuss auf das von Keeper Marvin Gladrow verwaiste Tor der Gäste ansetzte, stoppte ihn Babelsbergs bereits mit Gelb verwarnter Kapitän Philip Saalbach durch ein Foulspiel und flog mit der Ampelkarte vom Platz. In Überzahl brauchte Jena nach Wiederanpfiff lediglich sieben Minuten, um die Führung zu erzwingen: Schlegel versenkte eine Flanke von Linksverteidiger Filip Krsti? per Kopf zum 1:0. Weitere neun Zeigerumdrehungen später erhöhte Starke nach einer feinen Einzelaktion mit einem Schuss ins rechtere untere Eck, ehe Schlegel mit seinem zweiten Treffer den Endstand markierte. Jenas Trainer Mark Zimmermann konnte es sich Mitte der zweiten Halbzeit leisten, sowohl Starke (61.) als auch Schlegel (72.) auszuwechseln. Nach dem Schlusspfiff zeigte sich der 42-Jährige rundum zufrieden: „Die Überzahl haben wir gut gestaltet. Es gibt heute wenig zu meckern. Auf dieser Leistung sollten wir aufbauen.“ Am 27. August will Carl Zeiss seine beeindruckende Erfolgsserie in der Regionalliga Nordost vor heimischer Kulisse gegen den aktuell mit fünf Punkten an elfter Stelle rangierenden Aufsteiger Union Fürstenwalde ausbauen. Doch nun rückt für den dreimaligen DDR-Meister (1962/63, 1967/68, 1969/70) erst einmal das Duell gegen die Bayern in den Mittelpunkt. Starke traf in den letzten drei Ligaspielen jeweils einmal und wird übermorgen alles daran setzen, diese persönliche Tor-Serie auch im Pokal fortzusetzen. Viele Chancen dürfte der gebürtige Windhoeker gegen das Starensemble von der Isar nicht bekommen. Sollte Ancelotti die gleiche Startelf aufbieten wie zuletzt gegen den BVB, würden mit Manuel Neuer, Philipp Lahm, Mats Hummels und Thomas Müller immerhin vier aktuelle Weltmeister in Jena auflaufen. Zimmermann verfolgte den Supercup-Titelgewinn der Münchner live im Stadion. Schwächen konnte er bei ihnen keine ausmachen. „Ich weiß nur, dass es ganz schwer wird“, sagte der Zeiss-Trainer laut Ostthüringer Zeitung. Seine Mannschaft dürfe angesichts der prominenten Gegenspieler nicht vor Ehrfurcht erstarren. „Die Jungs sollen Vertrauen in sich haben. Wir müssen gut organisiert auftreten“, forderte Zimmermann. Mit viel Ballbesitz sei jedoch nicht zu rechnen. Im Vergleich zu den Regionalligapartien werde er sein Team daher taktisch ganz anders einstellen. Nach dem trainingsfreien Montag begann gestern für die Jenaer die Vorbereitung auf ihr Spiel des Jahres. Der Club hat das Zuschauerfassungsvermögen seines Stadions für die Begegnung mit dem Branchenprimus mit mehreren Zusatztribünen fast verdoppelt. Rund 19000 Fans werden am Freitagabend erwartet. Dies würde für Carl Zeiss eine Nachwenderekordkulisse bedeuten. Die bestehende Bestmarke liegt bei 18000 Besuchern, die am 28. Oktober vergangenen Jahres die 0:2-Niederlage in der zweiten Pokalrunde gegen den VfB Stuttgart verfolgten. Mit dem Auftakterfolg über den Hamburger SV hatte der Viertligist knapp drei Monate zuvor bewiesen, dass er gegen einen Bundesligisten durchaus für eine Sensation sorgen kann. Der FC Bayern ist zwar ein anderes Kaliber als der HSV, aber träumen ist erlaubt. Zu Jenas größten Hoffnungsträgern zählt Starke, der nach seiner Verpflichtung im Juli 2015 vom Drittligisten Hansa Rostock mit zehn Treffern auf Anhieb zum besten Schützen der Mannschaft avancierte. In der Torjägerliste der laufenden Spielzeit steht mit Stanley Ratifo (VfB Auerbach), der bisher viermal eingenetzt hat, nur ein Akteur der Liga vor dem dreimal erfolgreichen Namibier. In den beiden Pokalpartien der vorigen Saison kam Starke jeweils über die volle Distanz zum Einsatz. Ein Tor gelang ihm damals nicht. Dennoch waren der Triumph über den HSV und auch der letztlich erfolglose Vergleich mit Stuttgart - seit Kindertagen sein Lieblingsclub - ganz besondere Erlebnisse. Bei einem Sieg gegen die Bayern würden diese etwas verblassen. Umso mehr, falls Starke den Welttorhüter Neuer überwinden sollte.

Carl Zeiss wahrt weiße Weste

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-28

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