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China braucht Esel, Afrika liefert - mit Konsequenzen

Claudia Reiter
Von Gioia Forster und Jörn Petring, dpa

Naivasha/Peking (dpa) - An der Wand von Joseph Mutwiris Wohnzimmer hängt ein Foto von ihm und einem seiner zwei Esel, in einem goldenen Holzrahmen. „Die Esel grasten nachtsüber auf einer Weide“, unweit seines Hauses im kenianischen Ort Naivasha, erinnert sich der 40-Jährige. Er blickt sehnsüchtig auf das Foto. „Eines Morgens fand ich sie geschlachtet, das Fleisch und die Haut waren weg.“
Mutwiris graue Vierbeiner sind höchstwahrscheinlich dem lukrativen Handel mit Eselshaut zum Opfer gefallen, der zwischen Ostafrika und China floriert. In dem asiatischen Riesenreich wird aus der Haut eine Gelatine gewonnen, Ejiao, die als beliebtes Heilmittel gilt. Doch die Nachfrage hat für Exportländer in Afrika verheerende Konsequenzen.
Die Ejiao-Industrie benötigt der Organisation The Donkey Sanctuary zufolge jährlich 4,8 Millionen Eselshäute. Der Gelatine werden zahlreiche Wirkungen nachgesagt: „Ejiao wirkt bei Blutkrankheiten, Schlaflosigkeit und Schwindelgefühl“, sagt der Pekinger Arzt Li Shuhua. Doch der Tierschutzorganisation zufolge ist die Esel-Population in China von elf Millionen 1992 auf nur 2,6 Millionen heute geschrumpft. Die Tiere müssen also von woanders kommen.
Einer der wichtigsten Lieferanten liegt auf der anderen Seite des Indischen Ozeans: Kenia. Während einige afrikanische Länder wie Äthiopien, Tansania, Botsuana und Mali das Schlachten von Eseln ganz oder zeitweise verboten haben, wurden in Kenia zwischen 2016 und 2018 Lizenzen an vier Schlachthäuser verteilt. Seitdem boomt das Geschäft. 2016 wurden noch knapp 21 000 Esel geschlachtet, 2018 waren es bereits fast 160 000, wie es in einer Studie der Kenianischen Landwirtschafts- und Viehforschungsorganisation (Kalro) heißt.
Das hat Konsequenzen: Esel sind auf dem Land sowie in den Städten für Kenianer extrem wichtig, als Nutztiere und Einkommensquelle. Doch wegen des hohen Preises eines Esels - derzeit rund 20 000 bis 30 000 kenianische Schillinge (etwa 180 bis 270 Euro) - werden Esel massenhaft geklaut und direkt oder indirekt an Schlachthäuser verkauft. So schrumpfen die Esel-Bestände rasend schnell. Im Schnitt werden Kalro zufolge weit mehr Esel geschlachtet, als die Population wächst. Bleiben alle Faktoren gleich, würden bis 2022 „alle Esel geschlachtet sein“, warnt das Institut.
Für Menschen wie Mutwiri ist der Verlust der Esel eine Tragödie. „Ein Esel ist wie ein Geldautomat“, sagt der 40-Jährige. Seine zwei Tiere waren seine Lebensgrundlage. Sie zogen seinen Karren, mit dem er gegen Bezahlung Wasser vom Bohrloch zu seinen Kunden brachte, wie der Familienvater sagt. „Damit bezahlte ich die Miete, die Schulkosten. Ich war davon abhängig.“ Nach dem Diebstahl musste er erst auf dem Bau arbeiten und konnte dann nur mithilfe eines Kredits einen neuen Esel kaufen. Den lässt er nicht mehr unbeaufsichtigt auf der Weide.
Die Schuld trägt aus seiner Sicht das Schlachthaus in Naivasha. Das liegt nur wenige Autominuten von seinem Haus entfernt, durch enge schlammige Gassen und an ramponierten Hütten vorbei. Trotz mehrfacher Anfragen wollte sich der Manager dort nicht äußern und auch keinen Besuch zulassen.
„Es wird immer deutlicher, dass die Schlachthäuser der Bevölkerung mehr schaden, als sie den wenigen Menschen helfen“, sagt Wiebke Plasse von der deutschen Welttierschutzgesellschaft. Die Industrie hat zwar Dutzende Arbeitsplätze geschaffen. Doch eine Rechnung von Kalro zeigt: Während ein Mitarbeiter eines Schlachthauses im Durchschnitt 8460 Schillinge im Monat verdient, generiert ein Esel-Besitzer durch sein Tier ein Einkommen von 11 390 Schillingen.
Hinzu kommt, dass das Geschäft einen Sogeffekt in der Region hat. Esel werden auch in anderen Ländern gekauft oder gestohlen und teilweise illegal aus Nachbarstaaten nach Kenia zum Schlachten gebracht, wie Plasse erklärt. „Der Handel ist inzwischen transnational, mit Kenia im Zentrum.“
Die offensichtliche Lösung wäre, Esel zu züchten. Doch die Tiere reproduzierten nicht so schnell, wie es die Nachfrage benötige, sagt Plasse. „Solange die Nachfrage derart hoch ist, kann es keinen nachhaltigen Handel geben.“ Tierschützer kritisieren, dass sich die kenianische Regierung dies vorher hätte überlegen müssen. „Sie hat Lizenzen verteilt, aber nicht an die Lieferung der Tiere gedacht“, sagt Raphael Ngome, der für ein Tierheim in Naivasha arbeitet und regelmäßig das nahe gelegene Schlachthaus inspiziert.
Tierschützer fordern ein Schlachtverbot in Kenia. Doch für die Regierung geht es dabei um weit mehr als nur um ein gutes Geschäft. Der Export mit Eselshaut ist hochpolitisch. Es geht um die Beziehungen mit China, einem der wichtigsten Handelspartner Afrikas. Womöglich erklärt das auch das Stillschweigen der Regierung.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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