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Das faszinierende Pfand Namibia

In seiner Laufbahn hat Altrichter Bryan O"Linn als Polizist, Jurist, Parteiführer, Zeitungsherausgeber und schließlich der Rechtsprechung am Obergericht Namibias gedient, bis er am 30. November 1997 in den Ruhestand trat und schreiben konnte.

Am 30. November 1927 ist er in Brandfort, Südafrika, geboren, und kam 1929 nach Karibib, wo seine Eltern sich schon vorher niedergelassen hatten. In seiner über 50 Jahre dauernden Berufslaufbahn hat er den Werdegang der namibischen Gesellschaft als Zeitzeuge aus der Apartheidszeit bis in die Phase der Selbstfindung des namibischen Staates aufs Engste verfolgt - hauptsächlich auf der Grundlage der Verteidigung politischer Angeklagter und durch die Auslegung von Gesetzen vom Richterstuhl aus.


Aus O"Linns gründlicher Sachkenntnis und persönlicher Erfahrung der Zeitgeschichte ist nun das 390 Seiten umfassende Memoirenwerk Namibia - The Sacred Trust of Civilization - Ideal and Reality entstanden. Den vielsagenden Untertitel Sacred Trust of Civilization (Heiliges Pfand der Zivilisation) hat der Autor dem Mandatsauftrag des Völkerbunds von 1919/20 an Britannien, beziehungsweise Südafrika entlehnt.


Namibia - Bryan O"Linn. Gamsberg Macmillan, 2003. Natal Witness Commercial Printers (Pty) Ltd. ISBN 99916-0-407-3 HC. Unverbindlicher Richtpreis: N$ 300.





Die Treuhandschaft und Verantwortung für abhängige Territorien (nicht fähig sich selbst zu verwalten), die von fremden Staaten ausgeübt werde, sei "ein heiliges Pfand der Zivilisation", heißt es in der symbolträchtigen Formulierung des Völkerbunds.


Was O"Linns autobiografisches Geschichtswerk besonders relevant macht, ist seine unmittelbare Nähe zum Zeitgeschehen, wobei er in den Jahrzehnten vor der Unabhängigkeit stets zur kleinen kritischen Opposition unter den Weißen zählte, die von den Machthabern der Apartheidspolitik mitunter verteufelt und stets marginalisiert wurde. O"Linn hätte sich durch Arrangement mit dem vorherrschenden System ein leichteres politisches Leben machen können. Das war nicht seine Wahl.


Vom Völkerbundsmandat 1920 schlägt er den Bogen bis zur Formulierung der Neuen Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas, Nepad. Aus eigenem Wirken und Erleben schöpft der Autor aus vielen Gerichtsverfahren und kann somit durch akribische Schärfe zur rechtlichen, politischen und sozialen Schilderung vordringen und den größeren Zusammenhang des komplexen namibischen Themas schaffen. O"Linn hat etliche angeklagte Swapo-Guerillas vor Gericht verteidigt und berichtet über den Verlauf dieser Verfahren. Gleichzeitig besteht er auf eine Differenzierung zwischen Soldaten undTerroristen - ein Unterschied, der in der zeitgenössischen patriotischen Heldenverehrung verpönt ist: "Ich finde es notwendig zu erläutern, das ich den Begriff ,Terrorist" vorsätzlich dann verwende, um zwischen einem Soldaten in Uniform zu differenzieren, der Sicherheitskräfte angreift oder an militärisch wichtiger Infrastruktur Sabotage verübt, und Aufständischen (insurgents) samt ihrer Komplizen, die Zivilisten, inklusive Frauen und Kinder, ermorden." Mit diesen Worten leitet er die Schilderung des Nangolo-Prozesses (Walter-Mord bei Okahandja) von 1976 ein. In der Beschreibung politischer und Terror-Verfahren begegnet der Leser etlichen Personen, die heute in der Politik und im öffentlichen Leben Ämter tragen: Mushimba, John Pandeni, Ben Ulenga.


O"Linn bietet neue und alte Details zum Angriff auf Cassinga am 4. Mai 1978 und zum Verlauf des militärischen Debakels in den Tagen nach dem 1. April 1989. Bei der interessanten Aufarbeitung dieser Kerndaten vermisst man jedoch manchmal den Bezug zu direkten Quellen.


Es ist ein Verdienst, dass O"Linn seine umfangreichen persönlichen und beruflichen Erfahrungen zum Werdegang Namibias in authentischer Wiedergabe festgehalten hat - für eine Gesellschaft, die oft vergesslich und schlampig mit der Geschichte umgeht, aber noch viel daraus lernen sollte.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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