Loading svg Please wait while we translate the article

Das Gedächtnis Namibias

Praktikant Praktikant
Von Ina Briest, Windhoek

Wir schreiben das Jahr 1925. Das deutsche Volk hat Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten gewählt. Frankreich kämpft im Norden Afrikas die Aufstände seiner Kolonien nieder. Am anderen Ende des Kontinents ist Südwestafrika nun Mandatsgebiet der Südafrikanischen Union. Im Herzen seiner Hauptstadt, im Gebäude der Deutsch-Lutherischen Kirche, liegt die Städtische Bücherei, sorgsam geordnet und verwaltet von Bibliothekar Professor Gries.

In den Regalen hier stehen die dicken Bände von Goethe und Schiller in trauter Eintracht mit wissenschaftlichen Werken. Doch nicht mehr lange: Die Deutschen, die nach dem Ersten Weltkrieg noch immer im Land sind, beschließen: „Wir müssen etwas für unsere Kultur tun.“ Sie teilen die Stadtbibliothek auf: in eine öffentliche Bücherei und eine wissenschaftliche Präsenzbibliothek. Um Letztere zu pflegen, gründeten sie eine Institution: Die „Wissenschaftliche Vereinigung“ wird geboren.

Die größte Sammlung

90 Jahre später sitzt Waltraut Fritzsche im Büro der heutigen Namibia Wissenschaftlichen Gesellschaft in der Robert-Mugabe-Avenue. Die Frau mit den kurzen, dunkelblonden Haaren trägt eine dunkle Steppweste über der weißen Bluse und ein farbenfrohes Seidentuch um den Hals. „Wir betteln“, sagt sie, um den Ernst ihrer Situation zu unterstreichen. Die NWG will die Namibiana-Sammlung eines Lehrers aus Swakopmund kaufen, um nach dieser Fusion die weltweit größte Sammlung an Namibia-Büchern zu besitzen. Dafür braucht die Gesellschaft 2,5 Millionen Namibia-Dollar. Bis jetzt konnte sie erst eine halbe Million einsammeln.

Mit der Sammlung würde die NWG fast alles in ihrem Besitz haben, was jemals Jemand über Namibia geschrieben hat. Und mehr noch: Im Fundus des Sammlers befinden sich laut Fritzsche auch antike, namibische Bierdeckel, Aufkleber und Wahlplakate. Neben der NWG hat auch eine Universität aus Indiana in den USA Interesse an diesem Fundus geäußert. „Wir wollen ihr einen Vorschlag zur Kooperation machen. Zum Beispiel könnten wir der Universität Duplikate stiften – so würden alle gewinnen.“ Gute Ideen gibt es schon, nur der genaue Ablauf des Verkaufs steht noch in den Sternen.

Bereits jetzt ist die Sammlung der NWG beeindruckend: Annegret Enengl, die blonde Bibliothekarin, führt durch die Räume, in denen sich meterhohe Regale aneinander reihen. Die Sonne scheint zu den Fenstern herein und die Regalbretter ächzen unter dem Gewicht tausender Werke. Über 18000 Titel sind hier aufgehoben, dazu 10000 Sonderdrucke, viele Karten, historische Fotos und Filme.

Um kein Buch verlegen

Aber die NWG sammelt nicht nur Bücher, sie verlegt sie auch. Dabei ist im Repertoire des Kuiseb-Verlages alles vorhanden, was einen Bezug zu Namibia hat: Im Katalog sind wissenschaftliche Abhandlungen ebenso vertreten wie Geschichtsbücher, Reiseführer, Romane, Kunstbücher, englisch- und oshiwambosprachige Literatur, DVDs und Kinderbücher. Die Einnahmen aus dem Buchverkauf machen etwa 50 Prozent der Gesamteinnahmen aus. Den Rest ihres Budgets erhält die gemeinnützige Institution aus Mitgliedsbeiträgen. Hier sind vor allem die korporativen Mitglieder einträglich: Firmen, die sich soziales Engagement auf die Fahnen schreiben und die Wissenschaft unterstützen. Auch Mieteinnahmen tragen zum Erhalt der Gesellschaft bei. Nicht zuletzt sind es aber auch Spenden, die der NWG finanziell unter die Arme greifen.

Vizepräsident Helmut Bistri steht neben Waltraut Fritzsche am Schreibtisch. „Heute arbeitet die NWG mit vielen Instituten vor Ort und in der ganzen Welt zusammen. In Windhoek sind das zum Beispiel das Goethe-Zentrum, das Franko-Namibische Kulturzentrum und verschiedene deutsche Stiftungen“, erklärt er. Besonders eng sei die Zusammenarbeit mit der Universität von Namibia (UNAM). Ihr sei es auch zu verdanken, dass Interessierte aus aller Welt nun über einen Link auf die Daten der Bibliothek zugreifen können. Und es kommt noch moderner: Demnächst steht die NWG sogar mit ihrer eigenen IP-Adresse in der „Cloud“, dem Datenspeicherplatz im Internet.

In vielen Bereichen arbeiten Universität und NWG zusammen: Astrophysiker kommen hier her, Archäologen halten Vorträge und veröffentlichen ihre Beitrage im Journal. Ziel ist es, internationale Wissenschaftler einzuladen, die ihre neuesten Forschungsergebnisse präsentieren. Das funktioniert. Viele Mitglieder stammen aus dem deutschsprachigen Raum außerhalb Namibias. Wenn sie hier Urlaub machen, nutzen sie die Gelegenheit auch für einen Vortrag. Und selbst mit der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Swakopmund, die, so heißt es, aus einer Fehde zweier Wissenschaftler entstanden ist, pflegt man mittlerweile freundschaftlichen Austausch. Die Gesellschaften machen sich Daten zugänglich und arbeiten kollegial miteinander, anstatt einander als Konkurrenten zu betrachten.

Wissenschaft 2.0

„Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen“, denkt sich die Gesellschaft und treibt auch die Digitalisierung ihres Archivs immer weiter voran. Doch nicht nur technologisch, sondern auch gesellschaftlich hat sie sich in den letzten Jahrzehnten stark weiterentwickelt. Die NWG will die Wissenschaft einem breiteren Publikum zugänglich machen. Mit Erfolg: Seit sie Vorträge auf Englisch anbietet, kann sie sich, je nach Thema, vor Zulauf kaum retten. Als sie beispielsweise einen Vortrag über die Entdeckung von Wasser an der Nordgrenze anbot, war der Saal, der 100 Zuschauer fasst, überfüllt. Und auch viele junge Leute, darunter Studenten kommen vorbei.

Neben Vorträgen lockt die NWG auch mit ungewöhnlichen Exkursionen zu allen erdenklichen Themen. Völkerkunde, Geschichte, Biologie und Geologie deckt sie dabei ebenso ab die Landwirtschaft, Infrastruktur und Bergbau. Die Tour im Mai geht ins Owamboland – eine Region, die touristisch noch nicht erschlossen ist. „Wir planen auch eine Tour ‚Auf den Spuren von Henno Martin‘“, sagt Fritzsche. Schon allein die Idee zu dieser Reise stieße – nicht nur bei Deutschsprachigen – auf große Begeisterung.

Zum neunzigjährigen Bestehen feiert die NWG noch das ganze Jahr mit besonderen Angeboten und Veranstaltungen. So wird sie am National Science Festival vom 29. Juni bis 4. Juli teilnehmen. Höhepunkt der Feierlichkeiten wird der Festabend am Freitag, den 9. Oktober, sein. Dann werden Vorstand, Mitarbeiter und Mitglieder das Glas erheben und fröhlich verkünden: Auf die nächsten 90 Jahre!

Für jeden da – von überall erreichbar

Jeder Interessierte ab 18 Jahren kann, unabhängig von Nationalität und Wohnort, Mitglied der NWG werden. Nähere Informationen unter [email protected]. Die Bibliothek der NWG ist im Internet erreichbar über die Webseite http://wwwisis.unam.na/wwwisis/SCLIB01/form.htm.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu hinterlassen

Katima Mulilo: 20° | 36° Rundu: 20° | 37° Eenhana: 22° | 36° Oshakati: 25° | 35° Ruacana: 22° | 36° Tsumeb: 23° | 36° Otjiwarongo: 22° | 35° Omaruru: 23° | 36° Windhoek: 23° | 34° Gobabis: 23° | 35° Henties Bay: 14° | 19° Swakopmund: 14° | 16° Walvis Bay: 13° | 20° Rehoboth: 23° | 35° Mariental: 24° | 38° Keetmanshoop: 24° | 39° Aranos: 28° | 38° Lüderitz: 13° | 25° Ariamsvlei: 23° | 40° Oranjemund: 13° | 21° Luanda: 25° | 26° Gaborone: 22° | 36° Lubumbashi: 17° | 32° Mbabane: 18° | 31° Maseru: 16° | 32° Antananarivo: 17° | 31° Lilongwe: 22° | 33° Maputo: 23° | 31° Windhoek: 23° | 34° Cape Town: 17° | 27° Durban: 20° | 25° Johannesburg: 19° | 31° Dar es Salaam: 26° | 32° Lusaka: 22° | 33° Harare: 21° | 31° #REF! #REF!