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Das handfeste Geschlecht der Kampwitwen zeigte Überlebenskraft

Das gerade erschienene Buch über die Kampwitwen und -waisen gehört in die Reihe authentischer Namibiana. Daher hätten die Aussagen der Frauen und Mädchen, die über Nacht die Farm, den Haushalt oder das Geschäft führen und sich allein um die Kinder kümmern mussten, einen festen Buchumschlag verdient, anstatt in broschürter Auflage wie ein kurzatmiges Alltagsprodukt angeboten zu werden. Die Zeugnisse der "Kampwitwen", zusammengetragen und redigiert von Hans-Volker Gretschel, gehören direkt neben den klassische Band "Wenn es Krieg gibt, gehen wir in die Wüste" von Henno Martin. Und das nicht nur, weil sie sich genau zur selben Zeit (1939 - 1946) wie die namibische Robinsonade abspielen, sondern vielmehr, weil sie das präzise Gegenstück zu den Männern darstellen, die im Internierungslager - und mit den zwei Ausnahmen in der Namib - ohne jegliche Möglichkeit der Einflussnahme auf die Südwester Gesellschaft herausgetrennt waren.
Der Autor und Interviewer Hans-Volker Gretschel hat - neben seiner Funktion als Professor für Auslandsgermanistik und Deutsch als Fremdsprache an der Universität von Namibia - über 13 Jahre an dem Buch gearbeitet. Zum Glück hat er die Hauptpersonen und Zeitzeugen gleich sorgfältig nach ihren Erfahrungen und Empfindungen jener über 65 Jahre entrückten Zeit befragt, denn die Mehrzahl ist inzwischen weggestorben. Jegliche zusätzliche Überlieferung kommt nun nur noch aus zweiter Hand.
Mit dem Ausbruch des 2. Weltkriegs im September 1939 in Europa klassifizierte die britisch-orientierte Mandatsmacht des damaligen Südwestafrika, Südafrika, die deutschsprachige Minderheit pauschal als "Feinde" (enemy aliens) , selbst jene Deutschen, die sich nach dem Londoner Abkommen von 1923 auch für die südafrikanisch-britische Staatsangehörigkeit hatten naturalisieren lassen und damit Doppelstaatler (deutsch-englisch) geworden waren. Es wurden sogar Deutschsprachige abgeführt, die keine Doppelstaatler, sondern "reine" britische Untertanen waren. Der erste Internierte war der Grootfonteiner Farmer und Leiter des Deutschen Bundes, Ernst Dressel. Bis zum 30. November 1940 waren 1083 Südwester Deutsche interniert und nach Südafrika hauptsächlich ins Lager Andalusia abtransportiert. Aber auch im folgenden Jahr ging die Internierung bis auf 1200 Mann weiter. Lange nach Auflösung der Internierungslager durfte die Mehrzahl der Männer nicht aus Südafrika nach Südwestafrika (Namibia) zurückkehren. Der südafrikanische Administrator Hoogenhout in Südwestafrika war der Meinung, dass "die Deutschen sich nicht wie Leute benehmen, die einen Krieg verloren haben ..." und wollte die Männer nicht ins Land zurücklassen. Bis 1948 gab es außerdem noch eine Deportationsliste, mit prominenten Ex-Internierten, die die südafrikanische Regierung (unter Jan Smuts) in das zerbombte Deutschland abschieben wollte.
Die Polizei fuhr mit einem verrufenen Fahrzeug vor, die "graue Minna" genannt, und verhaftete die Männer in der Regel direkt an ihrer Arbeitsstelle. Viele hatten in Erwartung der Festnahme schon einen gepackten Koffer mit den notwendigsten Utensilien bereitstehen.
Von dem Moment an standen die Ehefrauen, manchmal Verlobten oder heranwachsenden Töchter in den meisten Fällen völlig unvorbereitet als Familienoberhaupt da.
"Das so genannte schwache Geschlecht entpuppte sich als ein recht handfestes", schrieb Ursula Massmann 1980 in ihrer Erinnerung an die Jahre des 2. Weltkriegs, als Hunderte deutschsprachiger Frauen im damaligen Südwestafrika über Nacht gezwungen waren, den Rollentausch vorzunehmen. Wie anderswo Ende der 30-ger Jahre lag die Betonung in der Rolle der Frau auf "Kinder, Küche, Kirche". Die wenigsten waren mit den eigentlichen Aufgaben ihrer Männer vertraut, hatten jedoch keine andere Wahl, als diese wahrzunehmen. Autor Gretschel hat bei einigen Interviewten auch Hindernisse überwinden müssen, weil sie allzu Persönliches oder Erniedrigendes zu verbergen hatten. Der Leser wird am Ende schweigsam über die oft übermenschliche Leistung der Frauen, ihre Anpassungsfähigkeit, ihren Umgang mit einheimischen Arbeitskräften, ihre Fähigkeit, weitere Schicksalsschläge hinzunehmen. In einem Fall haben eine (zuerst 17 Jahre alte) Tochter und ihre kränkliche Mutter unter unsäglichen Entbehrungen die Farm schuldenfrei gewirtschaftet. Der Ehemann und Vater kehrte nach der Entlassung aus dem Kamp aber nie zurück, sondern ließ die Farm mit allem Inventar versteigern. Mutter und Tochter mussten wie Flüchtlinge allein mit dem Koffer abreisen. Faszinierend ist in nahezu allen rückblickenden Berichten, wie sich das Selbstverständnis der Frauen von abhängigen oder untergeordneten Partnern zu eigenständig und souverän agierenden Betriebsleitern mit Erfolgsgeschichte gewandelt hat, was den gemeinsamen Neuanfang nach der Heimkehr des Mannes nicht unbedingt leichter machte ...
Gretschel hat mit gezielten Fragen ergreifende Zeugnisse gesammelt und geordnet, die beiläufig manches Klischee außer Kraft setzen, das einige Neu-Historiker in Übersee gern über deutschsprachige Namibier zu kultivieren suchen.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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