„Das ist historisch“
Präsidentschaftswahl in Tunesien
Tunis (dpa) - Die kleinen Straßencafés sind voll wie bei einem Fußballspiel. Die Gesichter der Gäste flackern im Licht der wechselnden TV-Bilder. Nur dass auf den Bildschirmen an der Wand nicht die tunesische Nationalmannschaft flimmert, sondern hoffnungsvolle Präsidentschaftskandidaten ihre Vision von Sicherheit und Stabilität in dem kleinen nordafrikanischen Land darlegen.
Tunesien schreibt mal wieder Geschichte: Das Land, in dem der „Arabische Frühling“ 2011 begann, und das nach der Flucht des langjährigen Autokraten Ben Ali weitreichende demokratische Reformen einleitete, lädt zum ersten Mal in der arabischen Welt alle 26 Präsidentschaftskandidaten zu einer Fernsehdebatte ein. Aber schon in der ersten von drei Runden fehlt einer der aussichtsreichsten Kandidaten: Er sitzt im Gefängnis.
Als der Wahlkampf für die 26 Kandidaten auf das höchste Staatsamt in Tunesien offiziell beginnt, treten die hoffnungsvollen Bewerber überall im Land auf: In den Cafés im Süden, auf Marktplätzen in der Provinz, auf überdimensionalen Bühnen in der Hauptstadt Tunis. Nur der Kandidat, der in Umfragen zuletzt vorn lag, ist öffentlich nicht zu sehen: Medienmogul Nabil Karoui, den viele als den «Berlusconi Tunesiens» bezeichnen, sitzt im Gefängnis.
Selten war das Bewerberfeld für eine Präsidentschaftswahl in der arabischen Welt so breitgefächert, wie in diesen Tagen in Tunesien. „So einen Prozess haben wir noch nie gesehen“, sagt der Politikwissenschaftler Max Gallien von der London School of Economics, der zu Tunesien forscht. „Es ist eine unglaubliche Breite an Biografien und auch politisch und ideologisch gab es so eine Auswahl selten.“ Außerdem stehe viel auf dem Spiel, sagt der Politikwissenschaftler. „Es geht immer noch um das politische System an sich.“
Denn trotz aller Reformen kämpft Tunesien mit großen wirtschaftlichen Problemen. Die Arbeitslosigkeit ist besonders unter jungen Hochschulabsolventen hoch. Subventionen für Benzin und Lebensmittel wurden zuletzt immer stärker beschnitten, die Preise stiegen. Immer wieder kommt es im ganzen Land zu Streiks und Demonstrationen gegen die Regierung.
„Ich kann die Politikverdrossenheit der Menschen verstehen“, sagt Belabbes Benkredda. Der Deutsch-Algerier ist mit der von ihm gegründeten Munathara-Initiative für die TV-Debatten verantwortlich. Schon vor fünf Jahren hatte er versucht, ein Debattenformat für die letzte Wahl zu initiieren. „Die Leute haben nicht das Gefühl, dass sich ihr Leben durch die Demokratie verbessert hat.“ Entsprechende Rhetorik gieße zusätzliches Öl ins Feuer.
Unter den Bewerbern sind auch erbitterte Feinde der politischen Lager. Da ist zum Beispiel Abir Moussi, eine von nur zwei Frauen, die sich um den Präsidentenposten bewerben. Sie kommt aus der früheren Partei des langjährigen Machthabers Ben Ali, dessen Flucht aus Tunesien der Startschuss für die Revolution war. Wobei sie nicht von einer „Revolution“ spricht: „Was 2011 passiert ist, war eine illegale Machtübernahme“, sagte sie lokalen Medien. Sie greift die Stimmung vieler im Land auf: Früher war vieles besser.
Und da ist auch Abdelfattah Mourou, der Kandidat der islamisch-konservativen Ennahda, der in Interviews auch gerne einmal die „Ode an die Freude“ oder „Ein Mann, der sich Kolumbus nannt'“ auf Deutsch singt. Er und seine Partei spalten das Land: Die einen sehen in der Ennahda eine islamistische Partei, die die Freiheiten der Revolution wieder begrenzen will, die anderen wünschen sich eine Stärkung traditioneller Werte, wie die Stellung der Familie. Bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr gewann die Partei viele Stimmen, gerade in den abgelegenen Regionen.
Und da ist Medienmogul Nabil Karoui, der Besitzer des privaten Fernsehsenders Nessma TV. Die Kameras seines Senders fangen ihn gerne dabei ein, wie er Almosen an die Armen verteilt. Die Justiz ermittelt gegen ihn unter anderem wegen des Verdachts der Geldwäsche. Die Vorwürfe sind schon drei Jahre alt, die Inhaftierung erfolgte kurz vor Beginn des offiziellen Wahlkampfes.
Ansonsten treten noch ein Ex-Präsident, zwei Ex-Regierungschefs, elf Ex-Minister und mehrere Ex-Abgeordnete zur Wahl am Sonntag (15. September) an. Dazu noch der aktuelle Regierungschef Youssef Chahed und ein Anwalt, der vor allem Terrorverdächtige verteidigt. Tunesiens erster offen homosexueller Kandidat wurde von der Wahlkommission wegen angeblich fehlender Unterstützerstimmen nicht zugelassen.
„Bei dieser Wahl geht es auch um die demokratischen Institutionen an sich, da wird teils viel Stimmung gemacht“, sagt Politikwissenschaftler Max Gallien. „Dass es überhaupt Fernsehdebatten gibt, die zeitgleich auf mehreren Sendern ausgestrahlt werden, ist schon eine Errungenschaft der Demokratie“, sagt TV-Debatten-Initiator Belabbes Benkredda. „Vor fünf Jahren wäre das nicht möglich gewesen.“
In einer Umfrage des Arab Barometers sieht fast die Hälfte der Befragten die Wirtschaft als das größte Problem des Landes an. Danach folgt mit weitem Abstand der Kampf gegen Terrorismus (13 Prozent) und Korruption (12 Prozent). Jeder Dritte der Befragten gab zu, ans Auswandern zu denken.
Dennoch steht Tunesiens Demokratie ein wenig am Scheideweg, weil es nicht nur um die Inhalte geht, die die Menschen auf der Straße bewegen, sondern auch um Machtfragen. Aber wieder einmal hat Tunesien eine Vorreiterrolle eingenommen: Der Ausgang der Wahl ist offen wie nie.
Tunesien schreibt mal wieder Geschichte: Das Land, in dem der „Arabische Frühling“ 2011 begann, und das nach der Flucht des langjährigen Autokraten Ben Ali weitreichende demokratische Reformen einleitete, lädt zum ersten Mal in der arabischen Welt alle 26 Präsidentschaftskandidaten zu einer Fernsehdebatte ein. Aber schon in der ersten von drei Runden fehlt einer der aussichtsreichsten Kandidaten: Er sitzt im Gefängnis.
Als der Wahlkampf für die 26 Kandidaten auf das höchste Staatsamt in Tunesien offiziell beginnt, treten die hoffnungsvollen Bewerber überall im Land auf: In den Cafés im Süden, auf Marktplätzen in der Provinz, auf überdimensionalen Bühnen in der Hauptstadt Tunis. Nur der Kandidat, der in Umfragen zuletzt vorn lag, ist öffentlich nicht zu sehen: Medienmogul Nabil Karoui, den viele als den «Berlusconi Tunesiens» bezeichnen, sitzt im Gefängnis.
Selten war das Bewerberfeld für eine Präsidentschaftswahl in der arabischen Welt so breitgefächert, wie in diesen Tagen in Tunesien. „So einen Prozess haben wir noch nie gesehen“, sagt der Politikwissenschaftler Max Gallien von der London School of Economics, der zu Tunesien forscht. „Es ist eine unglaubliche Breite an Biografien und auch politisch und ideologisch gab es so eine Auswahl selten.“ Außerdem stehe viel auf dem Spiel, sagt der Politikwissenschaftler. „Es geht immer noch um das politische System an sich.“
Denn trotz aller Reformen kämpft Tunesien mit großen wirtschaftlichen Problemen. Die Arbeitslosigkeit ist besonders unter jungen Hochschulabsolventen hoch. Subventionen für Benzin und Lebensmittel wurden zuletzt immer stärker beschnitten, die Preise stiegen. Immer wieder kommt es im ganzen Land zu Streiks und Demonstrationen gegen die Regierung.
„Ich kann die Politikverdrossenheit der Menschen verstehen“, sagt Belabbes Benkredda. Der Deutsch-Algerier ist mit der von ihm gegründeten Munathara-Initiative für die TV-Debatten verantwortlich. Schon vor fünf Jahren hatte er versucht, ein Debattenformat für die letzte Wahl zu initiieren. „Die Leute haben nicht das Gefühl, dass sich ihr Leben durch die Demokratie verbessert hat.“ Entsprechende Rhetorik gieße zusätzliches Öl ins Feuer.
Unter den Bewerbern sind auch erbitterte Feinde der politischen Lager. Da ist zum Beispiel Abir Moussi, eine von nur zwei Frauen, die sich um den Präsidentenposten bewerben. Sie kommt aus der früheren Partei des langjährigen Machthabers Ben Ali, dessen Flucht aus Tunesien der Startschuss für die Revolution war. Wobei sie nicht von einer „Revolution“ spricht: „Was 2011 passiert ist, war eine illegale Machtübernahme“, sagte sie lokalen Medien. Sie greift die Stimmung vieler im Land auf: Früher war vieles besser.
Und da ist auch Abdelfattah Mourou, der Kandidat der islamisch-konservativen Ennahda, der in Interviews auch gerne einmal die „Ode an die Freude“ oder „Ein Mann, der sich Kolumbus nannt'“ auf Deutsch singt. Er und seine Partei spalten das Land: Die einen sehen in der Ennahda eine islamistische Partei, die die Freiheiten der Revolution wieder begrenzen will, die anderen wünschen sich eine Stärkung traditioneller Werte, wie die Stellung der Familie. Bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr gewann die Partei viele Stimmen, gerade in den abgelegenen Regionen.
Und da ist Medienmogul Nabil Karoui, der Besitzer des privaten Fernsehsenders Nessma TV. Die Kameras seines Senders fangen ihn gerne dabei ein, wie er Almosen an die Armen verteilt. Die Justiz ermittelt gegen ihn unter anderem wegen des Verdachts der Geldwäsche. Die Vorwürfe sind schon drei Jahre alt, die Inhaftierung erfolgte kurz vor Beginn des offiziellen Wahlkampfes.
Ansonsten treten noch ein Ex-Präsident, zwei Ex-Regierungschefs, elf Ex-Minister und mehrere Ex-Abgeordnete zur Wahl am Sonntag (15. September) an. Dazu noch der aktuelle Regierungschef Youssef Chahed und ein Anwalt, der vor allem Terrorverdächtige verteidigt. Tunesiens erster offen homosexueller Kandidat wurde von der Wahlkommission wegen angeblich fehlender Unterstützerstimmen nicht zugelassen.
„Bei dieser Wahl geht es auch um die demokratischen Institutionen an sich, da wird teils viel Stimmung gemacht“, sagt Politikwissenschaftler Max Gallien. „Dass es überhaupt Fernsehdebatten gibt, die zeitgleich auf mehreren Sendern ausgestrahlt werden, ist schon eine Errungenschaft der Demokratie“, sagt TV-Debatten-Initiator Belabbes Benkredda. „Vor fünf Jahren wäre das nicht möglich gewesen.“
In einer Umfrage des Arab Barometers sieht fast die Hälfte der Befragten die Wirtschaft als das größte Problem des Landes an. Danach folgt mit weitem Abstand der Kampf gegen Terrorismus (13 Prozent) und Korruption (12 Prozent). Jeder Dritte der Befragten gab zu, ans Auswandern zu denken.
Dennoch steht Tunesiens Demokratie ein wenig am Scheideweg, weil es nicht nur um die Inhalte geht, die die Menschen auf der Straße bewegen, sondern auch um Machtfragen. Aber wieder einmal hat Tunesien eine Vorreiterrolle eingenommen: Der Ausgang der Wahl ist offen wie nie.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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