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Das Nashorn ist fast ohne Schutz gegen eine skrupellose Mafia

Friedlich steigt der Vollmond über die Brandwacht-Berge und wirft sein Licht auf die schroffen Felswände, an deren Fuße der kleine Wildpark Fairy Glen liegt. Vor zehn Jahren hat sich Pieter de Jager hier im Südwesten von Südafrika auf einer alten Familienfarm seinen Lebenstraum erfüllt - und einige jener Tiere angesiedelt, die dort einst frei umherstreiften: Büffel und Zebras, Wasserböcke, Löwen und zwei Elefanten. Doch die meisten Besucher kommen wegen zwei anderen Dickhäutern nach Fairy Glen: der trächtigen Nashornkuh Lady und ihrem Partner Higgins.

Für de Jager hat der Vollmond jede Romantik verloren. Denn sein schöner Schein trüge, sagt er. "Wilderer können in seinem Licht ihr dreckiges Geschäft besonders leicht verrichten. Denn sie brauchen in lichthellen Nächten keine Lampen, was sie für uns so gut wie unsichtbar macht."

Am 10. Dezember 2011 steht wieder ein Vollmond über Fairy Glen. Am Morgen darauf, es ist kurz nach sechs Uhr in der Früh, reißt das Klingeln seines Handys Pieter de Jager aus dem Schlaf. Ein Arbeiter aus der Frühschicht ist dran. Sie haben die trächtige Nashornkuh gefunden. An einem Wasserloch. Sie ist schwer verletzt und stark narkotisiert.

De Jager springt aus dem Bett und rennt zu seinem Jeep. An dem Wagen baumeln noch die bunten Luftballons von der Geburtstagsparty seines Sohnes vom Vorabend. Nur 15 Minuten braucht er, dann hat er das Wasserloch im Fairy Glen erreicht. Die Nashornkuh liegt regungslos im Staub. Zwei Betäubungspfeile stecken noch in ihrem massigen Rumpf. Am Kopf hat sie eine riesige blutende Wunde. Das Horn ist weg. Wilderer haben es abgeschlagen. Mit einer Machete. Ganz nah am Schädel.

De Jager telefoniert eilends einen Tierarzt aus dem Nachbarort heran, der die Verletzung mit einer Mixtur auf Harzbasis behandelt, und dem Tier Antibiotika, Schmerzmittel und Vitamine injiziert. Noch wichtiger ist jedoch, dass er ihm ein Gegenmittel gegen das von Wilderern verwendete Betäubungsmittel M 99 spritzt, damit das Tier wieder auf die Beine kommt. Denn mit seinem tonnenschweren Gewicht zerdrückt es sich seine eigenen Eingeweide.

De Jager ist außer sich. Auch fünf Monate nach dem Angriff auf seine Tiere hört man noch immer die Wut in seiner Stimme, wenn er über das Betäubungsmittel spricht. M99 wird auf Basis von Etorphin hergestellt, einem Morphinverwandten mit bis zu 3000-facher Potenz. Es dient dazu, große Tiere zu immobilisieren, gilt aber als schlecht dosierbar und extrem riskant. Entweder dosiert man zu niedrig und bringt sich selbst in Gefahr oder zu hoch - und das Tier stirbt. In Deutschland und der Schweiz ist der Wirkstoff überhaupt nicht zugelassen. In Südafrika darf M99 nur an Veterinäre ausgegeben werden. Wie also kommen die Wilderer an das Mittel?

De Jager (51) ist ein bulliger Mann mit hellen Augen im braungebrannten Gesicht. Ein Mann der Wildnis, unterwegs meist in Rangerkluft. Bestimmt keiner, der bei jedem Problem nach härteren Strafen schreit. Aber wie so viele in Südafrika kennt er inzwischen keine andere Lösung mehr. Wir brauchen strengere Gesetze, sagt er - und viel schärfere Kontrollen.

Bis 2008 wurden in Südafrika, wo rund 90 Prozent aller als bedrohte Art eingestuften Nashörner leben, allenfalls ein Dutzend Tiere pro Jahr gewildert. Dann änderte sich das schlagartig. In den staatlichen Wildparks und auch in den privaten Wildgehegen wurde Jagd gemacht. 2010 lag die Zahl der illegal getöteten Nashörner bei 333. Ein Jahr darauf bereits bei 448 - obwohl man aktiv geworden war und aufgerüstet hatte. 26 Wilderer wurden 2011 von Sicherheitskräften direkt erschossen, mehr als 200 Verdächtige festgenommen. Und doch geht es immer weiter. Bis Anfang Mai 2012 wurden in Südafrika schon wieder mehr als 200 Nashörner gewildert, davon allein 125 im weltberühmten Krüger-Nationalpark im Nordosten des Landes.

Das Nashorn sei ein nationales Heiligtum, das es zu schützen gilt, heißt die Devise, und überall sucht man angestrengt Wege aus der Falle. Eine gerade veröffentlichte Studie geht etwa der Frage nach, ob man den Handel unter staatlicher Kontrolle legalisieren soll. Es sind Fragen, wie sie auch im Zusammenhang mit Drogenhandel diskutiert werden. Und wie auch dort ist das wahre Problem nicht das Angebot, sondern die Nachfrage.

Die kommt aus Südostasien. Vor allem in China und Vietnam leben Menschen, die glauben, dass das aus dem Horn gewonnenes Pulver die Potenz steigern könne oder gegen Krebs helfe. Zwei Annahmen, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren, denn das Horn besteht aus denselben Stoffen wie die Fingernägel des Menschen. Doch dem Glauben an die Heilkraft tut das keinen Abbruch. Und da Asien seit einigen Jahren wirtschaftlich enorm prosperiert, steigt die Zahl derjenigen, die die Wundermittel bezahlen können, also steigt der Bedarf - und es steigt der Preis. Schon kostet das Kilo 60000 US-Dollar, mehr als Gold.

Zwar ist auch in asiatischen Ländern der kommerzielle Handel mit dem Horn strikt verboten, aber die dortigen Behörden gehen nicht eben eifrig gegen illegale Importe vor. Beispielsweise gibt es laut Tierschützern allein in Vietnam 77 Internetseiten, über die Hornpulver zu bestellen ist. So groß sind die Nachfrage und der Beschaffungsdruck, dass die Wilderer auch in Europa angekommen sind, wo sie an Horn zusammenklauen, was sie in Museen oder Zoologischen Sammlungen finden. Zuletzt wurde an einem helllichten Februarwochenende 2012 ein ausgestopftes Nashornexponat im Offenburger Museum enthornt.

Das Tier aber war längst tot, dem war die Attacke egal. In Offenburg entstand niemandem Schaden an Leib und Leben. Ganz anders war es in Fairy Glen, wo vor allem der Nashornbulle Higgins übel zugerichtet wurde .Während die von den Betäubungspfeilen getroffene Nashornkuh an Ort und Stelle zusammensackte, stürmte der Bulle nach dem Einschuss in Panik davon und stürzte ein paar hundert Meter weiter in einen Graben. Die Wilderer kletterten zu ihm herunter. Ihm haben sie das Horn derart tief aus dem Gesicht geschlagen, dass sie auch seine Atemwege schwer verletzen.

Drei Tage und Nächte lang bleibt Pieter de Jager draußen bei den Tieren, die nicht fressen und nicht trinken wollen. Ganz so als hätten sie sich aufgegeben. Er legt ihnen Tücher über die Augen, die mit künstlich geweiteten Pupillen der grellen Sonne ausgesetzt sind. Schläft direkt neben dem Bullen und spricht ihm Mut zu. Was sonst könnte er tun? In die nächste veterinärmedizinische Klinik transportieren? Dafür hätten die geschwächten Nashörner nochmal narkotisiert werden müssen. Doch das hätten sie nicht überlebt.

Nach drei Nächten geschieht das Wunder. Mitten im südafrikanischen Sommer braut sich über dem Südatlantik eine Unwetterfront zusammen. Für gewöhnlich sind die Regengebiete um diese Zeit viel zu schwach, um das Festland zu erreichen. Doch die Front bahnt sich einen Weg: Völlig unerwartet beginnt es am 14. Dezember in Worcester heftig zu regnen; in den Brandwachtbergen fallen sogar dicke Schneeflocken. Die Nashörner schlecken das Regenwasser gierig aus den Pfützen - und sammeln neue Kräfte.

Vier Wochen später finden die beiden Tiere in der Nähe des Tatorts wieder zusammen. Man spürt, wenn er davon erzählt, wie sehr de Jager dieser Moment bewegt hat. Und man spürt, wie nah er den Tieren ist. In den vergangenen acht Jahren habe er sie fast täglich besucht, sagt er, er könne sich ihnen nähern, sie kennen seine Stimme, bis heute reagieren sie zutraulich auf das Motorengeräusch seines Jeeps. Kommen hin zu ihm.

Die beiden Rhinos haben sich seit der Attacke verändert. Unsicher seien sie, zögerlich, sagt de Jager, wie Babys. Früher habe der Bulle sehr machtbewusst über Lady gewacht. Jetzt sei er fast blind. Jetzt ist er es, der dem Weibchen durchs trockene Buschland hinterhertrottet.

Die Wunden an den Köpfen der Tiere heilen nur langsam. Immer wieder quillt Blut aus dem nachwachsenden Gewebe. Hörner werden diese Rhinos nie wieder bilden. "Das Prinzip ist das Gleiche wie bei einem Fingernagel", sagt de Jager. "Schneidet man ihn, wächst er nach. Reißt man ihn jedoch völlig aus dem Nagelbett heraus, wächst er nie wieder."

Was er auch sagt: "Man darf nicht vergessen, dass das Menschen waren, die das gemacht haben." Im Krüger-Nationalpark wurden Park-Ranger festgenommen, die mit Wilderern kooperiert haben sollen. Und zum Tatort in Fairy Glen schickte die örtliche Polizei den rangniedrigsten Polizisten. Es wurden weder Spuren aufgenommen, noch wurde die Belegschaft befragt. Am Ende ermittelte de Jager auf eigene Faust und verfolgte die vielen anonymen Hinweise, die ihn erreichten. Zwei Tatverdächtige, die er der Polizei vorführte, ließ diese jedoch sofort wieder laufen. Derweil erhält de Jager selbst Morddrohungen.

Er vermutet eine Mafia hinter den Nashorn-Jägern. Unter den bis zu 200 Besuchern, die jeden Tag in seinen Wildpark kommen, könnten sich auch Wilderer eingeschlichen haben, um den Standort der Nashörner auszuspionieren. Auch einen größeren Brand zwei Tage vor der Attacke, oberhalb des Parks im Berg, kann er sich inzwischen damit erklären. Während der Löscharbeiten wurde der Zugang zum Park weniger strikt als üblich kontrolliert, da könnte es ein Leichtes für die Täter gewesen sein, unbemerkt mit ihren Waffen in den Park zu gelangen. Dass längst eine afrikanisch-asiatische Mafia das Geschäft mit dem Horn betreibt, ist eine verbreitete Ansicht. Auch die offenbare Ohnmacht von Polizei und Justiz im Kampf gegen die Wilderer in Mafiadiensten wird hitzig debattiert. Man fange immer nur die kleinen Fische, wird überall moniert, statt der wichtigen Leute, der Drahtzieher, Hintermänner.

Andere kritisieren, dass es überhaupt zu wenig Festnahmen wegen Wilderei gebe, dass zu selten verurteilt, dass zu oft Bewährung gewährt werden. Deshalb würden die Leute sofort in ihrem verbotenen, aber einträglichen Gewerbe weitermachen. Pieter de Jager will deshalb auch allein weiter nach den Tätern suchen. Er nimmt die Attacke auf Lady und Higgins auf eine Art persönlich, die es verbietet, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Mit der gleichen Entschlossenheit kämpft er nun für die Gesundung der beiden Nashörner. Higgins will er eine Augenoperation ermöglichen, damit das Tier wieder sehen kann. Er sammelt dafür über seine Facebook-Seite und bei den Parkbesuchern Geld.

Eine andere Hoffnung hat die Attacke dagegen nicht überlebt. Die Nashornkuh hat den Fötus verloren. Er hat sich unter dem Betäubungsschock zurückgebildet - ein Schutzmechanismus der Natur.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-16

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