Das Ostkap bricht aus verkrusteter Schablone aus
Südafrikas Afrikanischer Nationalkongress (ANC) geht durch schwere Zeiten. Unter all den Niederlagen, die die einstige Befreiungsbewegung Anfang August bei den Kommunalwahlen kassierte, schmerzte keine mehr als der Doppelschlag in Nelson Mandela Bay - der Stadtverwaltung, die den Namen des südafrikanischen Freiheitskämpfers und Friedensnobelpreisträgers trägt. Künftig wird die Region um die Küstenmetropole Port Elizabeth nämlich nicht nur von der oppositionellen Demokratischen Allianz (DA) regiert sondern obendrein auch noch von einem weißen Bürgermeister: Auf satte 46,5% kam die liberale Opposition unter ihrem Spitzenkandidaten Athol Trollip, einem 52 Jahre alten weißen Farmer, der bis zum Eintritt in die Politik in dem kleinen Städtchen Bedford eine Familienfarm in dritter Generation betrieb. Nun soll Trollip das wiederholen, was den Liberalen bereits mit dem Gewinn des Rathauses in Kapstadt und kurz darauf der umliegenden Provinz Westkap gelungen ist: aus einem Bürgermeisterposten in einer Großstadt eine Mehrheit in der ganzen Provinz zu machen, diesmal allerdings im Ostkap, der vermeintlichen Wiege des Widerstandes gegen das einstige Apartheid-Regime der Weißen.
Um zu verstehen, welch politisches Erdbeben die Abwahl des ANC in der größten Stadt des Ostkaps bedeutet, muss man zwei Jahrhunderte in der blutigen Geschichte Südafrikas zurückblättern. Wer nach den Wurzeln des schwarzen Widerstands am Kap sucht, der wird nämlich immer wieder auf eben diese Provinz stoßen: Hier, im Küstensaum zwischen Port Elizabeth im Westen und dem Grenzfluss des Kei im Osten, wurden in den Jahren von 1778 bis 1878 nicht weniger als neun Grenzkriege zwischen den vorrückenden weißen Siedlern und der ansässigen schwarzen Volksgruppe der Xhosa gefochten. Zeitgleich gründeten schottische Missionare im Landesinnern des Ostkaps die ersten großen Bildungsstätten für Schwarze in Afrika.
Auf der einen Seite wurde die Provinz dadurch schneller als andere Regionen Südafrikas europäisiert. Auf der anderen schuf der Mix aus Bildung, hoher Arbeitslosigkeit und bitterer Armut ein hochexplosives Gemisch. Kein Wunder also, dass ausgerechnet das Ostkap zu einer Hochburg des schwarzen Widerstandes gegen die Politik der Rassentrennung wurde. Der Afrikanische Nationalkongress (ANC), den viele Schwarze bis heute als Befreier vom Joch der Apartheid betrachten, fuhr also in Nelson Mandela Bay bei allen Wahlen seit dem Ende der Rassentrennung vor 20 Jahren stets hohe Mehrheiten ein. Namhafte Führer des ANC, wie der langjährige Vorsitzende Oliver Tambo oder Govan Mbeki, Chefideologe der Bewegung und Vater des früheren Präsidenten Thabo Mbeki (1999-2008), aber natürlich auch Nelson Mandela, stammen aus der Region und liegen hier begraben.
Umso größer war deshalb auch das Entsetzen im ANC, als die Partei nun ausgerechnet in der symbolisch so bedeutsamen Nelson Mandela Bay-Kommune der Demokratischen Allianz unterlag. Die DA, eine Partei, die vom ANC bislang gerne als eine Interessensvertretung der Weißen diffamiert wurde. Ein ganz besonderer Grund unter vielen anderen Gründen für das Waterloo des ANC dürfte dabei darin liegen, dass der siegreiche weiße Kandidat die schwere Sprache der Xhosa mit ihren vier unterschiedlichen Klicklauten seit Kindertagen fließend spricht. Welch wichtige Rolle dies spielte, wurde deutlich als Athol Trollip seinen Wahlsieg in schönstem idiomatischem isiXhosa verkündete - und von der Menge frenetisch gefeiert wurde. Ein Clip auf youtube (http://goo.gl/DoSzsi) machte im ganzen Land die Runde und wurde zum Symbol dafür, wie sehr sich die Zeiten am Kap inzwischen verändert haben.
Irgendwie erinnerte das Ganze an eine Äußerung des amerikanischen Schauspielers Morgan Freeman, der einst Südafrikas ersten schwarzen Präsidenten, Nelson Mandela, in dem sehenswerten Film „Invictus" spielte. Auf die Frage, was ihm zeigen würde, dass Südafrika zu einer wirklich „normalen" , „rassenblinden" Gesellschaft mutiert sei, antwortete Freeman damals: Wenn das neue Südafrika und seine mehrheitlich schwarzen Bürger den ersten weißen Präsidenten wählen. Mit der Wahl eines weißen Farmers mittleren Alters zum Bürgermeister der größten Stadt im bislang vom ANC dominierten Ostkap hat sich gewiss noch kein Kreis geschlossen. Doch ein Anfang ist getan: Das Land am Kap hat zumindest damit begonnen, die lange Zeit schier unverrückbaren rassischen Schablonen zu sprengen. Und für den früheren Rassenstaat ist dies nach dem friedlichen Übergang vor mehr als 20 Jahren kaum weniger als eine weitere kleine Revolution.
Wolfgang Drechsler
Um zu verstehen, welch politisches Erdbeben die Abwahl des ANC in der größten Stadt des Ostkaps bedeutet, muss man zwei Jahrhunderte in der blutigen Geschichte Südafrikas zurückblättern. Wer nach den Wurzeln des schwarzen Widerstands am Kap sucht, der wird nämlich immer wieder auf eben diese Provinz stoßen: Hier, im Küstensaum zwischen Port Elizabeth im Westen und dem Grenzfluss des Kei im Osten, wurden in den Jahren von 1778 bis 1878 nicht weniger als neun Grenzkriege zwischen den vorrückenden weißen Siedlern und der ansässigen schwarzen Volksgruppe der Xhosa gefochten. Zeitgleich gründeten schottische Missionare im Landesinnern des Ostkaps die ersten großen Bildungsstätten für Schwarze in Afrika.
Auf der einen Seite wurde die Provinz dadurch schneller als andere Regionen Südafrikas europäisiert. Auf der anderen schuf der Mix aus Bildung, hoher Arbeitslosigkeit und bitterer Armut ein hochexplosives Gemisch. Kein Wunder also, dass ausgerechnet das Ostkap zu einer Hochburg des schwarzen Widerstandes gegen die Politik der Rassentrennung wurde. Der Afrikanische Nationalkongress (ANC), den viele Schwarze bis heute als Befreier vom Joch der Apartheid betrachten, fuhr also in Nelson Mandela Bay bei allen Wahlen seit dem Ende der Rassentrennung vor 20 Jahren stets hohe Mehrheiten ein. Namhafte Führer des ANC, wie der langjährige Vorsitzende Oliver Tambo oder Govan Mbeki, Chefideologe der Bewegung und Vater des früheren Präsidenten Thabo Mbeki (1999-2008), aber natürlich auch Nelson Mandela, stammen aus der Region und liegen hier begraben.
Umso größer war deshalb auch das Entsetzen im ANC, als die Partei nun ausgerechnet in der symbolisch so bedeutsamen Nelson Mandela Bay-Kommune der Demokratischen Allianz unterlag. Die DA, eine Partei, die vom ANC bislang gerne als eine Interessensvertretung der Weißen diffamiert wurde. Ein ganz besonderer Grund unter vielen anderen Gründen für das Waterloo des ANC dürfte dabei darin liegen, dass der siegreiche weiße Kandidat die schwere Sprache der Xhosa mit ihren vier unterschiedlichen Klicklauten seit Kindertagen fließend spricht. Welch wichtige Rolle dies spielte, wurde deutlich als Athol Trollip seinen Wahlsieg in schönstem idiomatischem isiXhosa verkündete - und von der Menge frenetisch gefeiert wurde. Ein Clip auf youtube (http://goo.gl/DoSzsi) machte im ganzen Land die Runde und wurde zum Symbol dafür, wie sehr sich die Zeiten am Kap inzwischen verändert haben.
Irgendwie erinnerte das Ganze an eine Äußerung des amerikanischen Schauspielers Morgan Freeman, der einst Südafrikas ersten schwarzen Präsidenten, Nelson Mandela, in dem sehenswerten Film „Invictus" spielte. Auf die Frage, was ihm zeigen würde, dass Südafrika zu einer wirklich „normalen" , „rassenblinden" Gesellschaft mutiert sei, antwortete Freeman damals: Wenn das neue Südafrika und seine mehrheitlich schwarzen Bürger den ersten weißen Präsidenten wählen. Mit der Wahl eines weißen Farmers mittleren Alters zum Bürgermeister der größten Stadt im bislang vom ANC dominierten Ostkap hat sich gewiss noch kein Kreis geschlossen. Doch ein Anfang ist getan: Das Land am Kap hat zumindest damit begonnen, die lange Zeit schier unverrückbaren rassischen Schablonen zu sprengen. Und für den früheren Rassenstaat ist dies nach dem friedlichen Übergang vor mehr als 20 Jahren kaum weniger als eine weitere kleine Revolution.
Wolfgang Drechsler
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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