Das Recht, Mensch zu sein - Eine Betrachtung zum 10. Dezember
Menschen haben Rechte. Dazu gehört das Recht, Mensch zu sein. Wie bei vielen vermeintlichen Selbstverständlichkeiten gilt leider auch in diesem Fall, dass dies keinesfalls als selbstverständlich gilt. Der 10. Dezember erinnert jährlich daran, dass an diesem Tag 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die erst kurz zuvor geschaffene Weltorganisation der Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Schon damals konnten sich die in der UNO durch ihre Regierungen vertretenen Länder nicht auf diese Grundsatzerklärung einmütig einigen. Während 48 Mitgliedsstaaten mit Ja stimmten, gab es acht Enthaltungen durch die Länder des Ostblocks, aber auch Saudi-Arabiens und Südafrikas.
Die UN-Menschenrechtscharta als globale normative Erklärung hat ihre historischen Wurzeln in der Entwicklung der bürgerlichen westlichen Gesellschaften seit der Aufklärung. Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika formulierte 1776 erstmals allgemeine Menschenrechte, indem sie eindeutig festhielt, "dass alle Menschen gleich erschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, worunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit sind". - Die indianische Urbevölkerung Nordamerikas konnte davon allerdings ebenso wie die aus Afrika importierten Sklaven nur wenig spüren.
Im Zuge der Französischen Revolution bekräftigte die Nationalversammlung in Paris 1789 in ihrer "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" die hehren Auffassungen gleicher Rechte aller Menschen. Dabei hatte die emanzipatorische Losung des Bürgertums von "Freiheit, Gleichheit, und Brüderlichkeit" die gleichen Rechte der Frauen keinesfalls auf der Tagesordnung. Auch die kurz danach in Gang gekommene Massenhinrichtungsmaschinerie der Guillotine zeugte von wenig zimperlichen Auffassungen, was den Schutz des Lebens als Voraussetzung für Menschenrecht betrifft. Die "liberté, egalité, fraternité" blieb dem Bürgertum und der überlebenden Aristokratie vorbehalten.
Trotz der wohlfeilen und vollmundigen Bekenntnisse konnten so auch im Zuge der als zivilisatorische Mission proklamierten Ausbreitung Europas auf den Rest der Erde mit Kolonialismus und Rassismus gepaarte Vernichtungspraktiken einher gehen, die herzlich wenig Herz, aber umso mehr handfeste Gewalt frei jeglicher "Humanitätsduselei" entfesselten. Joseph Conrads zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfasster Roman, der auf persönlichen Erlebnissen des Autors im Kongo unter dem Terrorregime des belgischen Königs Leopold basierte, wurde nicht von ungefähr mit "Im Herzen der Finsternis" betitelt.
Wenig zimperlich ging es aber auch während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa selbst zu, das mit Millionen unschuldiger Opfer zweier Weltkriege, des Holocaust und des Gulag zeigte, wie die Modernisierung sich in bislang unbekannten Formen industrieller Massenvernichtung von Menschen als höchst zweifelhafter Errungenschaft eines technischen Fortschritts manifestierte, der seine Ergänzung in der Anwendung von Atomwaffen und manch anderer Technologie verheerenden Ausmaßes auch andernorts zeigte.
Die Barbarei eines Zweiten Weltkriegs war nicht nur der Ausgangspunkt für die Formierung der Vereinten Nationen, sondern auch der Verabschiedung der Völkermordkonvention und der Menschenrechtscharta binnen zweier Tage im Dezember 1948. Dabei waren dies keinesfalls Ergebnisse exklusiv europäisch-westlicher Ideen und Überzeugungen. An der Ausarbeitung der Menschenrechte waren ein kanadischer und französischer Jurist, ein libanesischer und ein chinesischer Philosoph sowie Eleanor Roosevelt, Witwe des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, maßgeblich beteiligt.
Im Zuge der mit den 1950er Jahren einsetzenden Dekolonisierung von Ländern der sogenannten dritten Welt machten sich deren Vertreter den Gehalt der Menschenrechtserklärung aktiv zunutze. Während sie damit die vermeintlich zivilisierten Staaten an deren selbst formulierten Maßstäben packen konnten, vergaßen sie allerdings als unabhängige Regierungen meist allzu schnell, dass sie selbst diesen Kriterien in ihrer politischen Praxis zu genügen hätten. Stattdessen wurde es zur Mode totalitärer Regime des Ostens wie des Südens, sich hinter dem Argument der kulturellen Eigenheit ihrer jeweiligen Gesellschaften zu verschanzen, um neue politische Unfreiheit, Folter, Diskriminierung und andere Formen der Verletzung substanzieller Rechte aller Menschen zu rechtfertigen.
Das Menschenrecht und seine Auslegung sind auch nach Ende des Kalten Kriegs und der Blockkonfrontation umstritten geblieben. Deren selektive Einforderung und Respektierung zeigt die Doppelmoral und Scheinheiligkeit, von der Politik im Inneren wie auch im internationalen Bereich fast überall geleitet wird. Vom Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit z.B. ist auch in vielen westlichen Demokratien seit dem "Krieg gegen Terror" - der selbst vor terroristischen Methoden nicht zurückschreckt - wenig bis nichts mehr zu spüren. Zur Wahrung von Menschenrechten gelten diese nur noch selektiv. Dabei bleiben dann sowohl die Demokratie wie auch die Menschenrechte - quasi als Kollateralschaden, wie es im neumodischen Jargon verniedlichend heißt - auf der Strecke.
Der Tag der Menschenrechte ist so keinesfalls geeignet für moralisch belehrende Zeigefinger von Staaten, die sich ob ihrer vermeintlich guten Regierungsführung als Vorbild zur Schau stellen. Wo Sinti und Roma selbst dann abgeschoben werden, wenn sie - wie im Falle Frankreichs - ein vermeintlich unverbrüchliches Bleiberecht besitzen, ist es um die moralische Kommandohöhe Westeuropas mies bestellt. Überall machen sich Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung und Rassismus breit. Auch die nordischen Länder - lange als Vorbild für Aufgeschlossenheit und Toleranz gepriesen - sind davor nicht mehr gefeit. Solche Zutaten sind kein guter Nährboden für menschenfreundliche Verhältnisse, in denen Menschen das Recht zukommt, Mensch zu sein und entsprechend behandelt zu werden. Um die Menschenrechte ist es über 60 Jahre nach deren Kodifizierung als UNO-Norm auch in deren Ursprungsländern schlecht bestellt.
Wer allerdings aus afrikanischer Perspektive oftmals gepaart mit Schadenfreude oder Häme seinerseits den Finger auf die Verfehlungen der westlichen Demokratien zeigt, sollte bereit sein, selbst an denselben Kriterien gemessen zu werden. Auch im 21. Jahrhundert zeichnen sich viele Gesellschaften Afrikas durch politische Systeme aus, die einer Demokratie und dem Menschenrecht Hohn sprechen. In Südafrika laufen Menschen ob ihrer vermeintlichen oder realen Herkunft aus anderen Ländern des Kontinents Gefahr, brutal massakriert zu werden. Schwulen und Lesben droht ob ihrer gleichgeschlechtlichen Liebe in Ländern wie Malawi langjährige Haftstrafen oder - wie in Uganda - gar die Todesstrafe. Deren Organisationen wurde erst dieser Tage ein Beobachterstatus bei der Afrikanischen Menschenrechtskommission verwehrt.
Politische oder religiös motivierte Gewalttaten in Ländern wie Simbabwe, Guinea, Kenia oder Nigeria führen zu massenmörderischen Orgien. Frauen werden nach wie vor aus vorgeblich kulturellen Gründen in vielen Gesellschaften an den Geschlechtsorganen verstümmelt. Albinos müssen fürchten, Opfer von Ritualmorden zu werden. Insbesondere im östlichen Grenzgebiet der Demokratischen Republik Kongo finden systematische Vergewaltigungen als Form des Krieges statt.
Vom Recht auf die Befriedigung essentieller Grundbedürfnisse der sogenannten zweiten und dritten Generation von Menschenrechten ist dabei ganz zu schweigen. Dazu gehören das Recht auf Nahrung und reines Wasser, Kleidung, Erziehung, eine menschenwürdige Unterkunft und zahlreiche andere Notwendigkeiten, die im Alltag westlicher Industriegesellschaften und unter den Eliten und städtischen Mittelschichten, die sich andernorts einen vergleichbaren Lebensstil leisten können, als selbstverständlich hingenommen werden. Aber nur eine Minderheit der Menschen auf unserem Planeten verfügt über ungehinderten Zugang zu Toiletten. Noch viel weniger kennen Toilettenpapier als Bestandteil körperlichen Hygiene.
Dass dies so ist, liegt nicht nur im jeweiligen alleinigen Verschulden einzelner Regierungen, sondern an einem im Weltmaßstab zutiefst ungleichen und ungerechten System, von dem weiterhin eine Minderheit auf Kosten der Mehrheit profitiert. Ein System, das mit dem Zeitalter der Aufklärung und der Entstehung allgemeiner Menschenrechte einherging und diese hervor brachte. Doch dies alleine reicht als Entschuldigung nicht aus. Auch die von den Konsequenzen solch globaler, nicht zuletzt historisch begründeter Unterschiede betroffenen Menschen in den meist in der südlichen Hemisphäre liegenden Ländern haben ihre Regierenden an dem politischen Willen zu messen, wie diese es denn mit dem begrenzten Handlungsspielraum halten, der ihnen trotzdem bleibt.
Dazu soll letztlich mit ein paar Bemerkungen geendet werden, die das Kehren vor der eigenen Haustür zum Thema haben: In Namibia fällt der Tag der Allgemeinen Menschenrechte mit der Erinnerung an den 10. Dezember 1959 zusammen. Damals eröffnete die Polizei das Feuer auf Protestierende in der Alten Werft, die sich gegen die Zwangsumsiedlung nach Katutura zur Wehr setzten. Es war das heimische Soweto, das letztlich in der Entscheidung zur Aufnahme des bewaffneten antikolonialen Widerstands in den Reihen der neu gegründeten SWAPO resultierte und damit einen Wendepunkt in der Geschichte des Befreiungskampfes markierte.
Ein Befreiungskampf, der Opfer auf allen Seiten forderte und auch auf allen Seiten Täter produzierte. Eine Romantisierung dieser Emanzipationsbewegung von kolonialer Fremdherrschaft verbietet sich schon angesichts der heutigen Kenntnisse um die Menschenrechtsverletzungen, die auch in den Reihen der SWAPO begangen und billigend in Kauf genommen wurden. Wie in anderen Gesellschaften des auch mit Gewalt herbei geführten gesellschaftlichen Wandels und Übergangs werden in solchen Prozessen aus Opfern oftmals Täter. Für die Verankerung und den Schutz von Menschenrechten verspricht dies nichts Gutes.
Die Erinnerung an altes Unrecht darf nicht zur Legitimierung neuen Unrechts herhalten. Sie sollte vielmehr daran mahnen, dass moralische Kommandohöhen nur diejenigen für sich reklamieren dürfen, die sich selbst an den hehren Prinzipien messen lassen und diesen Stand halten können. In einem Land, in dem die Mehrheit der Arbeitswilligen sich trotzdem einen selbst bescheidenen Lebensunterhalt nicht verdienen können, in dem die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander klafft als in fast jedem anderen Land der Welt, in dem die Gewalt gegen Frauen und Kinder ein chronisches Ausmaß hat, in dem die Schwachen drangsaliert und die Starken privilegiert werden, in dem die Suizidrate eskaliert und Angeklagte seit einem Jahrzehnt in Gefängnissen schmoren und auf einen Urteilsspruch noch immer warten müssen, gibt es keinen Anlass, sich selbstgefällig an die Brust zu klopfen. Auch Schuldzuweisungen an Andere haben da einen schalen Geschmack und klingen bestenfalls nach Ausrede.
Stattdessen wäre es an der Zeit sich darauf zu besinnen, dass der Kampf gegen früheres Unrecht zugleich auch dadurch legitimiert wurde, dass er erklärtermaßen ein Kampf für Recht war. Und zwar Recht für Alle. Menschenrechte beinhalten das Recht, Mensch zu sein - für Jede und Jeden. Wenn unwürdige Lebensbedingungen den Menschen in einem Land dieses Recht vorenthalten oder Gewaltverhältnisse ein solches Recht einschränken, werden Menschenrechte verletzt. Ein Tag wie dieser sollte uns daran erinnern, dass es auch 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid hierzulande keinen Grund für Selbstgefälligkeit und -gerechtigkeit gibt.
Der Autor ist Geschäftsführender Direktor der Dag-Hammarskjöld-Stiftung in Uppsala/Schweden.
Die UN-Menschenrechtscharta als globale normative Erklärung hat ihre historischen Wurzeln in der Entwicklung der bürgerlichen westlichen Gesellschaften seit der Aufklärung. Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika formulierte 1776 erstmals allgemeine Menschenrechte, indem sie eindeutig festhielt, "dass alle Menschen gleich erschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, worunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit sind". - Die indianische Urbevölkerung Nordamerikas konnte davon allerdings ebenso wie die aus Afrika importierten Sklaven nur wenig spüren.
Im Zuge der Französischen Revolution bekräftigte die Nationalversammlung in Paris 1789 in ihrer "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" die hehren Auffassungen gleicher Rechte aller Menschen. Dabei hatte die emanzipatorische Losung des Bürgertums von "Freiheit, Gleichheit, und Brüderlichkeit" die gleichen Rechte der Frauen keinesfalls auf der Tagesordnung. Auch die kurz danach in Gang gekommene Massenhinrichtungsmaschinerie der Guillotine zeugte von wenig zimperlichen Auffassungen, was den Schutz des Lebens als Voraussetzung für Menschenrecht betrifft. Die "liberté, egalité, fraternité" blieb dem Bürgertum und der überlebenden Aristokratie vorbehalten.
Trotz der wohlfeilen und vollmundigen Bekenntnisse konnten so auch im Zuge der als zivilisatorische Mission proklamierten Ausbreitung Europas auf den Rest der Erde mit Kolonialismus und Rassismus gepaarte Vernichtungspraktiken einher gehen, die herzlich wenig Herz, aber umso mehr handfeste Gewalt frei jeglicher "Humanitätsduselei" entfesselten. Joseph Conrads zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfasster Roman, der auf persönlichen Erlebnissen des Autors im Kongo unter dem Terrorregime des belgischen Königs Leopold basierte, wurde nicht von ungefähr mit "Im Herzen der Finsternis" betitelt.
Wenig zimperlich ging es aber auch während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Europa selbst zu, das mit Millionen unschuldiger Opfer zweier Weltkriege, des Holocaust und des Gulag zeigte, wie die Modernisierung sich in bislang unbekannten Formen industrieller Massenvernichtung von Menschen als höchst zweifelhafter Errungenschaft eines technischen Fortschritts manifestierte, der seine Ergänzung in der Anwendung von Atomwaffen und manch anderer Technologie verheerenden Ausmaßes auch andernorts zeigte.
Die Barbarei eines Zweiten Weltkriegs war nicht nur der Ausgangspunkt für die Formierung der Vereinten Nationen, sondern auch der Verabschiedung der Völkermordkonvention und der Menschenrechtscharta binnen zweier Tage im Dezember 1948. Dabei waren dies keinesfalls Ergebnisse exklusiv europäisch-westlicher Ideen und Überzeugungen. An der Ausarbeitung der Menschenrechte waren ein kanadischer und französischer Jurist, ein libanesischer und ein chinesischer Philosoph sowie Eleanor Roosevelt, Witwe des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, maßgeblich beteiligt.
Im Zuge der mit den 1950er Jahren einsetzenden Dekolonisierung von Ländern der sogenannten dritten Welt machten sich deren Vertreter den Gehalt der Menschenrechtserklärung aktiv zunutze. Während sie damit die vermeintlich zivilisierten Staaten an deren selbst formulierten Maßstäben packen konnten, vergaßen sie allerdings als unabhängige Regierungen meist allzu schnell, dass sie selbst diesen Kriterien in ihrer politischen Praxis zu genügen hätten. Stattdessen wurde es zur Mode totalitärer Regime des Ostens wie des Südens, sich hinter dem Argument der kulturellen Eigenheit ihrer jeweiligen Gesellschaften zu verschanzen, um neue politische Unfreiheit, Folter, Diskriminierung und andere Formen der Verletzung substanzieller Rechte aller Menschen zu rechtfertigen.
Das Menschenrecht und seine Auslegung sind auch nach Ende des Kalten Kriegs und der Blockkonfrontation umstritten geblieben. Deren selektive Einforderung und Respektierung zeigt die Doppelmoral und Scheinheiligkeit, von der Politik im Inneren wie auch im internationalen Bereich fast überall geleitet wird. Vom Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit z.B. ist auch in vielen westlichen Demokratien seit dem "Krieg gegen Terror" - der selbst vor terroristischen Methoden nicht zurückschreckt - wenig bis nichts mehr zu spüren. Zur Wahrung von Menschenrechten gelten diese nur noch selektiv. Dabei bleiben dann sowohl die Demokratie wie auch die Menschenrechte - quasi als Kollateralschaden, wie es im neumodischen Jargon verniedlichend heißt - auf der Strecke.
Der Tag der Menschenrechte ist so keinesfalls geeignet für moralisch belehrende Zeigefinger von Staaten, die sich ob ihrer vermeintlich guten Regierungsführung als Vorbild zur Schau stellen. Wo Sinti und Roma selbst dann abgeschoben werden, wenn sie - wie im Falle Frankreichs - ein vermeintlich unverbrüchliches Bleiberecht besitzen, ist es um die moralische Kommandohöhe Westeuropas mies bestellt. Überall machen sich Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung und Rassismus breit. Auch die nordischen Länder - lange als Vorbild für Aufgeschlossenheit und Toleranz gepriesen - sind davor nicht mehr gefeit. Solche Zutaten sind kein guter Nährboden für menschenfreundliche Verhältnisse, in denen Menschen das Recht zukommt, Mensch zu sein und entsprechend behandelt zu werden. Um die Menschenrechte ist es über 60 Jahre nach deren Kodifizierung als UNO-Norm auch in deren Ursprungsländern schlecht bestellt.
Wer allerdings aus afrikanischer Perspektive oftmals gepaart mit Schadenfreude oder Häme seinerseits den Finger auf die Verfehlungen der westlichen Demokratien zeigt, sollte bereit sein, selbst an denselben Kriterien gemessen zu werden. Auch im 21. Jahrhundert zeichnen sich viele Gesellschaften Afrikas durch politische Systeme aus, die einer Demokratie und dem Menschenrecht Hohn sprechen. In Südafrika laufen Menschen ob ihrer vermeintlichen oder realen Herkunft aus anderen Ländern des Kontinents Gefahr, brutal massakriert zu werden. Schwulen und Lesben droht ob ihrer gleichgeschlechtlichen Liebe in Ländern wie Malawi langjährige Haftstrafen oder - wie in Uganda - gar die Todesstrafe. Deren Organisationen wurde erst dieser Tage ein Beobachterstatus bei der Afrikanischen Menschenrechtskommission verwehrt.
Politische oder religiös motivierte Gewalttaten in Ländern wie Simbabwe, Guinea, Kenia oder Nigeria führen zu massenmörderischen Orgien. Frauen werden nach wie vor aus vorgeblich kulturellen Gründen in vielen Gesellschaften an den Geschlechtsorganen verstümmelt. Albinos müssen fürchten, Opfer von Ritualmorden zu werden. Insbesondere im östlichen Grenzgebiet der Demokratischen Republik Kongo finden systematische Vergewaltigungen als Form des Krieges statt.
Vom Recht auf die Befriedigung essentieller Grundbedürfnisse der sogenannten zweiten und dritten Generation von Menschenrechten ist dabei ganz zu schweigen. Dazu gehören das Recht auf Nahrung und reines Wasser, Kleidung, Erziehung, eine menschenwürdige Unterkunft und zahlreiche andere Notwendigkeiten, die im Alltag westlicher Industriegesellschaften und unter den Eliten und städtischen Mittelschichten, die sich andernorts einen vergleichbaren Lebensstil leisten können, als selbstverständlich hingenommen werden. Aber nur eine Minderheit der Menschen auf unserem Planeten verfügt über ungehinderten Zugang zu Toiletten. Noch viel weniger kennen Toilettenpapier als Bestandteil körperlichen Hygiene.
Dass dies so ist, liegt nicht nur im jeweiligen alleinigen Verschulden einzelner Regierungen, sondern an einem im Weltmaßstab zutiefst ungleichen und ungerechten System, von dem weiterhin eine Minderheit auf Kosten der Mehrheit profitiert. Ein System, das mit dem Zeitalter der Aufklärung und der Entstehung allgemeiner Menschenrechte einherging und diese hervor brachte. Doch dies alleine reicht als Entschuldigung nicht aus. Auch die von den Konsequenzen solch globaler, nicht zuletzt historisch begründeter Unterschiede betroffenen Menschen in den meist in der südlichen Hemisphäre liegenden Ländern haben ihre Regierenden an dem politischen Willen zu messen, wie diese es denn mit dem begrenzten Handlungsspielraum halten, der ihnen trotzdem bleibt.
Dazu soll letztlich mit ein paar Bemerkungen geendet werden, die das Kehren vor der eigenen Haustür zum Thema haben: In Namibia fällt der Tag der Allgemeinen Menschenrechte mit der Erinnerung an den 10. Dezember 1959 zusammen. Damals eröffnete die Polizei das Feuer auf Protestierende in der Alten Werft, die sich gegen die Zwangsumsiedlung nach Katutura zur Wehr setzten. Es war das heimische Soweto, das letztlich in der Entscheidung zur Aufnahme des bewaffneten antikolonialen Widerstands in den Reihen der neu gegründeten SWAPO resultierte und damit einen Wendepunkt in der Geschichte des Befreiungskampfes markierte.
Ein Befreiungskampf, der Opfer auf allen Seiten forderte und auch auf allen Seiten Täter produzierte. Eine Romantisierung dieser Emanzipationsbewegung von kolonialer Fremdherrschaft verbietet sich schon angesichts der heutigen Kenntnisse um die Menschenrechtsverletzungen, die auch in den Reihen der SWAPO begangen und billigend in Kauf genommen wurden. Wie in anderen Gesellschaften des auch mit Gewalt herbei geführten gesellschaftlichen Wandels und Übergangs werden in solchen Prozessen aus Opfern oftmals Täter. Für die Verankerung und den Schutz von Menschenrechten verspricht dies nichts Gutes.
Die Erinnerung an altes Unrecht darf nicht zur Legitimierung neuen Unrechts herhalten. Sie sollte vielmehr daran mahnen, dass moralische Kommandohöhen nur diejenigen für sich reklamieren dürfen, die sich selbst an den hehren Prinzipien messen lassen und diesen Stand halten können. In einem Land, in dem die Mehrheit der Arbeitswilligen sich trotzdem einen selbst bescheidenen Lebensunterhalt nicht verdienen können, in dem die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander klafft als in fast jedem anderen Land der Welt, in dem die Gewalt gegen Frauen und Kinder ein chronisches Ausmaß hat, in dem die Schwachen drangsaliert und die Starken privilegiert werden, in dem die Suizidrate eskaliert und Angeklagte seit einem Jahrzehnt in Gefängnissen schmoren und auf einen Urteilsspruch noch immer warten müssen, gibt es keinen Anlass, sich selbstgefällig an die Brust zu klopfen. Auch Schuldzuweisungen an Andere haben da einen schalen Geschmack und klingen bestenfalls nach Ausrede.
Stattdessen wäre es an der Zeit sich darauf zu besinnen, dass der Kampf gegen früheres Unrecht zugleich auch dadurch legitimiert wurde, dass er erklärtermaßen ein Kampf für Recht war. Und zwar Recht für Alle. Menschenrechte beinhalten das Recht, Mensch zu sein - für Jede und Jeden. Wenn unwürdige Lebensbedingungen den Menschen in einem Land dieses Recht vorenthalten oder Gewaltverhältnisse ein solches Recht einschränken, werden Menschenrechte verletzt. Ein Tag wie dieser sollte uns daran erinnern, dass es auch 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid hierzulande keinen Grund für Selbstgefälligkeit und -gerechtigkeit gibt.
Der Autor ist Geschäftsführender Direktor der Dag-Hammarskjöld-Stiftung in Uppsala/Schweden.
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Allgemeine Zeitung
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