Das riskante Rennen um den Notreisepass
Es ist 8 Uhr am Montag, dem 24. Dezember, beim Innenministerium in Windhoek, wo sich rund 100 Personen eingefunden haben, von denen die meisten einen Notreisepass beantragen möchten. "Ich wollte heute in den Urlaub nach Südafrika fahren und habe erst gestern Abend bemerkt, dass mein Pass abgelaufen ist", sagt eine junge Frau, die geduldig in der langen Schlange vor Schalter 4 wartet. "Jemand hat mir gesagt, dass wir uns hier anstellen und die nötigen Formulare abholen müssen", fügt sie hinzu.
Ein älterer Herr, der direkt hinter ihr steht, denkt laut darüber nach, warum die Formulare nicht am Eingang ausgelegt werden. "So etwas wäre doch nahe liegend", ist er überzeugt. "Dann bräuchten die Leute nicht hier in der Reihe warten, nur um ein Formular abzuholen, es auszufüllen und sich dann wieder hinten anzustellen".
An Schalter 3, über dem in großen Buchstaben das Wort Kassierer steht, wartet Namibias Botschafter bei den Vereinten Nationen, Kaire Mbuende. Er will für seine Tochter Dokumente abholen, die mit abgelaufenem Reisepass in Kapstadt gestrandet ist.
Mbuende wartet bereits seit einer halben Stunde beharrlich darauf, dass sich das Schiebefenster vor dem Schalter öffnet. Einige Beamte erkennen ihn, machen aber keine Anstalten, dem ehemaligen Minister zu assistieren. Vor der Behörde sind alle Menschen gleich.
Nach etwa vierzig Minuten des Wartens, bei denen er sich zunehmend zur Ruhe zwingen muss, bricht es aus Mbuende heraus: "Wo ist der Kassierer?", ruft er in den Raum und schiebt in Richtung des benachbarten Schalterbeamten die Drohung nach: "Wenn mir nicht bald geholfen wird, werde ich nach einem Vorgesetzten verlangen müssen".
Die wartenden Antragsteller sind von dieser Warnung, die sie sich selbst verkniffen haben, schwer beeindruckt und bringen ihrerseits durch lautes Gemurmel ihre wachsende Ungeduld zum Ausdruck. Der Beamte an Schalter 4 blickt kurz auf und informiert Mbuende, dass der Kassierer heute nicht da sei, er aber an Schalter 1 bezahlen könne.
Dort hat sich schon eine lange Menschenschlange gebildet. Vorne in der Reihe steht ein Asiat, der bereits genehmigte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen für Freunde, Kollegen und Bekannte bezahlen will. Weil die Bezahlung aber einzeln erfolgen und dokumentiert werden soll, zieht sich der Vorgang sehr in die Länge.
"Wenn er noch eine Arbeitserlaubnis aus der Brieftasche holt und bezahlen will, vergesse ich mich", ruft einer vom hinteren Ende der Reihe nach etwa zehn Minuten. Ein anderer empört sich über die Beamtin an Schalter 1, die gelangweilt am Schreibtisch sitzt und Kaugummi kaut, ihrem bedrängten Kollegen aber nicht bei der Bearbeitung der Zahlungsanträge unterstützt.
Nach einer halben Stunde hat sich ein Student, der nach Kapstadt fahren will, an den vorderen Teil der Schlange vorgearbeitet und bezahlt. "Wo muss ich jetzt hin?", will er von dem Beamten wissen. "Nun müssen Sie zurück zu Schalter 4 und dort Ihre Quittung mit einer beglaubigten Kopie Ihrer Geburtsurkunde und Ihrer Identitätskarte zusammen mit zwei Passbildern vorlegen", klärt ihn der Beamte auf.
"So was habe ich gar nicht dabei", erwidert er erschrocken. "Dann müssen Sie es sich besorgen", empfiehlt ihm der Schalterbeamte lapidar. Der Student verlässt hastig das Ministerium und wird nicht wieder gesehen, bevor sich dessen Türen pünktlich um 10 Uhr schließen.
Nachzügler, die von dem vorgezogenen Dienstschluss überrascht wurden, stehen zu diesem Zeitpunkt ungläubig und fassungslos vor den verschlossenen Türen. Manche sind den Tränen nahe. Andere haben wegen fehlender Dokumente bereits kapituliert und das Ministerium geräumt.
Wer noch im Rennen um den Notreisepass ist, kann kaum Mitleid für die gescheiterten Antragsteller aufbringen. Hier ist sich jeder selbst der Nächste.
Von Schalter 4 führt der Behördengang zur benachbarten Dienststelle der Polizei, die den Antrag auf einen Notreisepass mit offiziellem Stempel aufwerten muss. Als die Frau, die nach Südafrika fahren will, dem Polizisten den Stempel abgerungen hat, fragt sie ihn, wohin sie nun gehen müsse. "Zurück zu Schalter 4", lautet die knappe Antwort. Mit dieser Auskunft nicht zufrieden, setzt sie nach: "Was wird dann passieren?" "Das werden Sie schon sehen", weist sie der Polizist gereizt zurecht.
Zurück bei Schalter 4 legt sie ihren abgelaufenen Pass zusammen mit dem ausgefüllten Formular, den beiden Porträtfotos, der beglaubigten Kopie ihrer Geburtsurkunde, dem Zahlungsbeleg von Schalter 1 und dem abgestempelten Zettel der Polizei einzeln vor und beobachtet dabei besorgt die Reaktion des Beamten. Dieser macht einen Vermerk auf dem Formular, legt es auf einen Stapel Dokumente neben sich und ruft "next".
Die konsternierte Frau will Auskunft über den weiteren Werdegang ihres Antrags. "Nun werden wir das Formular ausfüllen, das als ihr Notreisepass dient", klärt sie der Beamte auf und fügt zur Erleichterung der Antragstellerin hinzu: "Das sollte nicht lange dauern."
"Wie lange etwa?", will die Frau wissen. "Ungefähr eine Stunde", sagt er und relativiert diese Information anschließend wie folgt: "Die Kollegen, die das normaler Weise machen, haben heute frei. Ich werde das Formular also selber ausfüllen müssen, wenn mein Schalter hier um 10.00 Uhr zu macht. Weil das Ministerium dann aber geschlossen hat, werden sie das Dokument nebenan bei der Polizei abholen müssen."
Gegen 11.00 Uhr betritt die Frau den engen Vorraum der Dienststelle, wo bereits etwa 60 Leidensgenossen auf ihren Notreisepass warten. Jedes Mal, wenn sich die Tür zum nebenan gelegenen und inzwischen für Bewerber gesperrten Empfangsraum des Ministeriums einen Spalt öffnet und ein Beamter Papiere hineinreicht, drängen sich die Wartenden enger an den Schalter, wo eine Polizistin die Namen der Bewerber verliest, deren Notreiseformulare eben reingereicht wurden.
Nach einer halben Stunde fällt der Name der Frau, die nach Südafrika fahren will. Sie reißt der Polizistin das Dokument aus der Hand, ruft laut "Halleluja" und eilt nach draußen, wo ihr Mann bereits im gepackten Wagen wartet.
Ein älterer Herr, der direkt hinter ihr steht, denkt laut darüber nach, warum die Formulare nicht am Eingang ausgelegt werden. "So etwas wäre doch nahe liegend", ist er überzeugt. "Dann bräuchten die Leute nicht hier in der Reihe warten, nur um ein Formular abzuholen, es auszufüllen und sich dann wieder hinten anzustellen".
An Schalter 3, über dem in großen Buchstaben das Wort Kassierer steht, wartet Namibias Botschafter bei den Vereinten Nationen, Kaire Mbuende. Er will für seine Tochter Dokumente abholen, die mit abgelaufenem Reisepass in Kapstadt gestrandet ist.
Mbuende wartet bereits seit einer halben Stunde beharrlich darauf, dass sich das Schiebefenster vor dem Schalter öffnet. Einige Beamte erkennen ihn, machen aber keine Anstalten, dem ehemaligen Minister zu assistieren. Vor der Behörde sind alle Menschen gleich.
Nach etwa vierzig Minuten des Wartens, bei denen er sich zunehmend zur Ruhe zwingen muss, bricht es aus Mbuende heraus: "Wo ist der Kassierer?", ruft er in den Raum und schiebt in Richtung des benachbarten Schalterbeamten die Drohung nach: "Wenn mir nicht bald geholfen wird, werde ich nach einem Vorgesetzten verlangen müssen".
Die wartenden Antragsteller sind von dieser Warnung, die sie sich selbst verkniffen haben, schwer beeindruckt und bringen ihrerseits durch lautes Gemurmel ihre wachsende Ungeduld zum Ausdruck. Der Beamte an Schalter 4 blickt kurz auf und informiert Mbuende, dass der Kassierer heute nicht da sei, er aber an Schalter 1 bezahlen könne.
Dort hat sich schon eine lange Menschenschlange gebildet. Vorne in der Reihe steht ein Asiat, der bereits genehmigte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen für Freunde, Kollegen und Bekannte bezahlen will. Weil die Bezahlung aber einzeln erfolgen und dokumentiert werden soll, zieht sich der Vorgang sehr in die Länge.
"Wenn er noch eine Arbeitserlaubnis aus der Brieftasche holt und bezahlen will, vergesse ich mich", ruft einer vom hinteren Ende der Reihe nach etwa zehn Minuten. Ein anderer empört sich über die Beamtin an Schalter 1, die gelangweilt am Schreibtisch sitzt und Kaugummi kaut, ihrem bedrängten Kollegen aber nicht bei der Bearbeitung der Zahlungsanträge unterstützt.
Nach einer halben Stunde hat sich ein Student, der nach Kapstadt fahren will, an den vorderen Teil der Schlange vorgearbeitet und bezahlt. "Wo muss ich jetzt hin?", will er von dem Beamten wissen. "Nun müssen Sie zurück zu Schalter 4 und dort Ihre Quittung mit einer beglaubigten Kopie Ihrer Geburtsurkunde und Ihrer Identitätskarte zusammen mit zwei Passbildern vorlegen", klärt ihn der Beamte auf.
"So was habe ich gar nicht dabei", erwidert er erschrocken. "Dann müssen Sie es sich besorgen", empfiehlt ihm der Schalterbeamte lapidar. Der Student verlässt hastig das Ministerium und wird nicht wieder gesehen, bevor sich dessen Türen pünktlich um 10 Uhr schließen.
Nachzügler, die von dem vorgezogenen Dienstschluss überrascht wurden, stehen zu diesem Zeitpunkt ungläubig und fassungslos vor den verschlossenen Türen. Manche sind den Tränen nahe. Andere haben wegen fehlender Dokumente bereits kapituliert und das Ministerium geräumt.
Wer noch im Rennen um den Notreisepass ist, kann kaum Mitleid für die gescheiterten Antragsteller aufbringen. Hier ist sich jeder selbst der Nächste.
Von Schalter 4 führt der Behördengang zur benachbarten Dienststelle der Polizei, die den Antrag auf einen Notreisepass mit offiziellem Stempel aufwerten muss. Als die Frau, die nach Südafrika fahren will, dem Polizisten den Stempel abgerungen hat, fragt sie ihn, wohin sie nun gehen müsse. "Zurück zu Schalter 4", lautet die knappe Antwort. Mit dieser Auskunft nicht zufrieden, setzt sie nach: "Was wird dann passieren?" "Das werden Sie schon sehen", weist sie der Polizist gereizt zurecht.
Zurück bei Schalter 4 legt sie ihren abgelaufenen Pass zusammen mit dem ausgefüllten Formular, den beiden Porträtfotos, der beglaubigten Kopie ihrer Geburtsurkunde, dem Zahlungsbeleg von Schalter 1 und dem abgestempelten Zettel der Polizei einzeln vor und beobachtet dabei besorgt die Reaktion des Beamten. Dieser macht einen Vermerk auf dem Formular, legt es auf einen Stapel Dokumente neben sich und ruft "next".
Die konsternierte Frau will Auskunft über den weiteren Werdegang ihres Antrags. "Nun werden wir das Formular ausfüllen, das als ihr Notreisepass dient", klärt sie der Beamte auf und fügt zur Erleichterung der Antragstellerin hinzu: "Das sollte nicht lange dauern."
"Wie lange etwa?", will die Frau wissen. "Ungefähr eine Stunde", sagt er und relativiert diese Information anschließend wie folgt: "Die Kollegen, die das normaler Weise machen, haben heute frei. Ich werde das Formular also selber ausfüllen müssen, wenn mein Schalter hier um 10.00 Uhr zu macht. Weil das Ministerium dann aber geschlossen hat, werden sie das Dokument nebenan bei der Polizei abholen müssen."
Gegen 11.00 Uhr betritt die Frau den engen Vorraum der Dienststelle, wo bereits etwa 60 Leidensgenossen auf ihren Notreisepass warten. Jedes Mal, wenn sich die Tür zum nebenan gelegenen und inzwischen für Bewerber gesperrten Empfangsraum des Ministeriums einen Spalt öffnet und ein Beamter Papiere hineinreicht, drängen sich die Wartenden enger an den Schalter, wo eine Polizistin die Namen der Bewerber verliest, deren Notreiseformulare eben reingereicht wurden.
Nach einer halben Stunde fällt der Name der Frau, die nach Südafrika fahren will. Sie reißt der Polizistin das Dokument aus der Hand, ruft laut "Halleluja" und eilt nach draußen, wo ihr Mann bereits im gepackten Wagen wartet.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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