Den Kurs verloren? - Ein aktuelles Afrikaaner-Profil
Ein Holländer untersucht den heutigen Gemütszustand der Afrikaaner-Buren Südafrikas.
Die Niederländer haben während der Apartheidszeit generell lieber Distanz zu ihren afrikaansen Vettern am Kap gewahrt. Knapp 20 Jahre nach der Machtübergabe von der weißen Minderheit an die ANC-Regierung sieht das anders aus. Berührungsängste sind vorbei. Der Niederländer Fred de Vries ist durch die südafrikanischen Lande und alle afrikaans-burischen Schichten gezogen, um direkt und persönlich zu ergründen, wie es heute mit dem Selbstverständnis der Menschen aussieht, die über viele Jahrzehnte das Staats-tragende Volk dargestellt oder allein schon durch Sprache und Hautfarbe dazu gehört haben. Auf Schritt und Tritt begegnet der namibische Leser (der Afrikaans beherrscht) direkten Parallelen, deutlichen Wiedererkennungsmomenten und impliziten Vergleichen zu den Weißen Namibias, deren Situation sich allerdings schon etliche Jahre vor der politischen Wende in Südafrika zu wandeln begonnen hatte.
Fred de Vries kennt sich ausgezeichnet in Südafrika und in der Psyche der Afrikaaner aus. Das Buch hat er zuerst auf Holländisch unter dem kernigen Titel „Afrikaners – de lotgevallen van een volk op drift“ veröffentlicht. Zandra Bezuidenhout hat eine idiomatisch hervorragende Übersetzung geliefert und dem Buch einen urafrikaansen Titel gegeben – „Rigting Bedonnerd“, was sich annähernd höchstens als „Vergrämt und ohne Richtung“ übersetzen lässt. De Vries hat viele Landesteile sowie bekannte und unbekannte Personen aufgesucht und selbst mehrere Jahre unter den Leuten gewohnt, im Alltag, mit guten und schlechten Erfahrungen.
In seiner Odyssee durch die Schichten der Afrikaaner nimmt er sich prominente Köpfe der Endphase der weißen Herrschaft vor: Roelof (Pik) Botha und Frederik Willem de Klerk , Außenminister und Präsident, die die Macht im Staat dem gewählten Nachfolger Nelson Mandela abgegeben haben. De Vries sucht auch die Gemeinschaften armer Weißer (arm blankes) auf, die in der neuen Gesellschaft abgehängt und ins Squatterdasein abgesackt sind. Er holt sich den Meinungsausblick der reichen Burenelite von Stellenbosch ein, geht labilen Künstlerexistenzen nach wie Koos Kombuis und Johannes Kerkorrel oder der angesehenen Autorin Antjie Krog. Gerade darunter sind auch radikale Aussteiger, die sich nach 1994 in ihrer Reaktion und Abkehr auf die calvinistisch-puritanische Erziehung zunächst in die uferlose anarchistische Existenz mit Sex-Orgien und Drogen stürzen, bis sie – denn die Ausschweifung reicht will auf Dauer auch nicht zu neuer Sinnstiftung ausreichen - zu einer geläutert-reflektierten, wenn auch distanziert-desillusionierten Lebensauffassung zurückkehren.
De Vries sieht sich sodann in der weißen Enklave Orania um, das Rückzugsgebiet für hellhäutige Südafrikaner, die par tout nicht mit oder neben schwarzen Nachbarn leben wollen. Die Regierungen unter Mandela und Zuma sehen in der marginalen Kolonie bisher keine Bedrohung. Von Orania führt der Weg des Autors auch in burische Exilanten-Familien, die nach Australien ausgewichen sind, darunter wiederum einzelne, die nach Jahren des selbst auferlegten Ausstiegs dennoch wieder nach Südafrika zurückgekehrt sind, weil sich trotz aller Bedrohungen in der neuen Gesellschaft – Neo-Apartheid, Kriminalität, gewaltsame Raub- und Mordüberfälle auf Farmen – dennoch weitgehend freie und lukrative Existenzen aufbauen lassen.
Ein Holländer untersucht den heutigen Gemütszustand der Afrikaaner-Buren Südafrikas
Der Autor schildert anhand der zahlreichen Gesprächspartner, die er teils über etliche Jahre in ihrem persönlichen Wandel in der gewandelten Gesellschaft verfolgt hat, wie Menschen nach neuen Anhaltspunkten suchen, zwischen Resignation, Ernüchterung und persönlicher Zuversicht schwanken. Bei aller Ernsthaftigkeit des Themas – die Selbstfindung der Afrikaaner-Buren nach 1994 – wissen De Vries und seine Übersetzerin jedoch die vielschichtige Eigenart der weißen Afrikaner zu treffen. Von der Derbheit der Sprache bis zur verfeinerten Lebensanschauung, im neuen Kontext konstruktiv zurecht zu kommen, in einem Land zu leben, das nicht für „sissies“ (Memmen, Waschlappen) geeignet ist, wie es heißt. Das haben viele erfolgreiche afrikaanse Unternehmer, Farmer und Fabrikanten denn auch unter Beweis gestellt. Und der Leser trifft neben der Resignation vor der Komplexität der neuen Gesellschaft auch die robuste, unzeremonielle Anpassungsfähigkeit an, die das Volk im südlichen Afrika über Jahrhunderte und Epochen gekennzeichnet hat. Ein weißer Bauunternehmer in einem gemischten Viertel drückt es im gängigen Idiom aus. Er habe kein Problem, „om op dieselfde toilet as die kaffers te kak“.
Antjie Krog, die sich intensiv mit der Gewaltkultur der Apartheid und dem Wandel Südafrikas auseinandergesetzt hat, befürchtet, dass die Buren noch zu sehr durch die Vergangenheit geprägt sind und sich daher nicht leicht in die neue Ära einfinden: „Ons almal het dus die gevoel van fok, ons weet nie.“ (Wir werden daher das Gefühl nicht los, verdammt, wir wissen nicht weiter.) Hier, spätestens auf Seite 230, weiß der Leser, wo der Buchtitel herkommt. Und doch bringt De Vries auch Stimmen, die für sich eine Zukunftsvision entwickeln, aber die gilt nicht für ein gemeinsames Kollektiv „der Buren“, das es heute nicht mehr gibt, sondern ist jeweils individuell auf einer Skala zwischen Skepsis und Zuversicht zugeschnitten.
De Vries hat ein beachtliches, gut lesbares Kaleidoskop von Südafrika zusammengetragen, ein Buch, nicht für „sissies“, wie es scheint, das in hohem Maße genauso auf Namibia zutrifft. Eberhard Hofmann
Rigting Bedonnerd – Op die Spoor van die Afrikaner post-´94 von Fred de Vries. Tafelberg 2012. 410 Seiten. ISBN 978-0-624-05465-8. Epub: 978-0-624-05802- Unverbindlicher Richtpreis: 220 N$
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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