Den Rhythmus im Blut
Von Hoachanas nach Deutschland: Namibischer Chor auf Konzertreise
Einen Monat lang tourten die „Proud Nama Footprints“ aus Hoachanas (Hoaxa-!nâs) im (europäischen) Sommer durch ganz Deutschland. Auf ihrer Reise von Stadt zu Stadt brachten die Chormitglieder dem deutschen Publikum ihre Kultur näher. Dabei erfuhren auch sie eine ganze Menge: Über die deutsche Kultur und Geschichte– und über sich selbst.
Von Annika Brohm, Aschaffenburg
Deutsch hat er nie gelernt. Und dennoch kündigt Immanuel Kauena die Lieder der Proud Nama Footprints Konzert für Konzert beinahe akzentfrei an, erklärt die Bedeutung der Texte für die Zuschauer, denen seine Muttersprache Khoe Khoe Gowab ebenso fremd ist wie ihm die deutsche Sprache. Der 28-Jährige ist der Leiter des Chors aus Hoachanas, dem kleinen Ort nordöstlich von Mariental, am Rande der Kalahari. Im Sommer dieses Jahres tourten die zehn Sänger und Sängerinnen aus Namibia durch ganz Deutschland. Die abschließende Bilanz: 13 Konzerte, mehr als 5000 Zuschauer, unzählige Begegnungen in Kindergärten und vielen Schulen. Ihre Reise führte die Proud Nama Footprints vom Rhein-Main-Gebiet über Metropolen wie Berlin, Stuttgart, Köln und Hamburg bis in den tiefen Süden des Landes. Organisiert und ermöglicht wurde die Tournee der Proud Nama Footprints von dem Hoachanas Children Fund, einer Unterabteilung der Deutsch-Namibischen Gesellschaft (DNG).
Musik und Tanz als Rettungsanker
Siebzehn Jahre ist es nun her, da gründete Angelika Gleich nach dem Besuch eines Gottesdienstes in Hoachanas die gemeinnützige Initiative. Die Zahl der Patenschaften und Projekte wächst seitdem stetig: Etwa 300 Kinder und Jugendliche werden derzeit durch die Stiftung unterstützt, darunter auch Immanuel. „Er war eines der ersten zehn ersten Patenkinder, die ich im Jahr 2000 aufgenommen habe“, erinnert sich Angelika Gleich. Ein Waise war er nicht, und doch konnten sich seine Eltern – die Mutter im fernen Windhoek, der Vater im noch ferneren Botswana – nicht um ihn kümmern. Damals, mit elf Jahren, musste er deshalb nicht nur sich selbst, sondern auch seinen jüngeren Bruder, seinen Cousin und seine Cousine versorgen. „Ein hartes Leben“, sagt Gleich rückblickend. Bereits während seiner Jugend war es die Musik, die Immanuel den nötigen Halt gab: Nach der 10. Klasse schlug er sich als Sänger in mehreren Chören durch, ging nebenbei verschiedenen Aushilfsjobs nach. In den letzten Jahren folgten Workshops in ganz Namibia. Unzählige Lieder hat Immanuel dafür getextet, komponiert und mit den Sängern einstudiert. Seit dem vergangenen Jahr arbeitet er als Leiter der Jugendgruppe Khoeba-Gus für den Hoachanas Children Fund. Zehn Mitglieder dieser Jugendgruppe waren als Proud Nama Footprints in Deutschland unterwegs.
„Die Liebe zur Musik ist es, die Proud Nama Footprints verbindet. Für die Sängerinnen und Sänger ist sie ein Ausdruck purer Lebensfreude“, erzählt Angelika Gleich. Mehr noch: Für sie ist Musik auch eine Möglichkeit, dem deutschen Publikum ihre jahrhundertealte Kultur näherzubringen. In Kostümen aus Springbockfell singen sie über die Zeiten, in denen die Nama als Nomaden durch den Südwesten Afrikas zogen; in traditioneller Kleidung präsentieren sie Lieder aus der Zeit, in der das Volk schließlich sesshaft wurde. Das letzte Kapitel ihrer Konzerte handelt, wie das Publikum von Immanuel erfährt, von den Herausforderungen der Moderne: In „Ti Mamas“ geht es um eine Mutter, die in ihrer Verzweiflung dem Alkohol verfällt. „#Goms tsî !aubasens“ thematisiert den Kampf gegen HIV und Aids und „Isabada“ die glückliche Heimkehr nach einer langen Suche nach Arbeit.
Es sind Herausforderungen, die in Hoachanas allgegenwärtig sind. Der Großteil der etwa 2500 Einwohner dieses Dorfes ist arbeitslos. Auch während ihrer Deutschland-Tournee setzten sich die Proud Nama Footprints mit diesen Herausforderungen auseinander: In Pforzheim besuchten die Chormitglieder eine Aids-Hilfe, in Stuttgart zeigte ihnen ein ehemaliger Obdachloser die „Schwabenmetropole“ von einer anderen Seite. „Ich dachte, es sind nur wir, die Hunger leiden müssen“, notiert ein Mitglied der Proud Nama Footprints, als Angelika Gleich sie bittet, ihre Eindrücke auf Notizzetteln in Herzform festzuhalten. „Aber hier gibt es auch Menschen, die leiden. Zum Beispiel die, die unter der Brücke leben müssen.“
Über das Wasser, durch die Wälder und „on Air“
Dass den Chormitgliedern neben der Musik auch der Glaube eine große Stütze ist, zeigt das Tourprogramm der Proud Nama Footprints. Unter dem Leitspruch „Du siehst mich“ feierten sie im Lutherjahr den Evangelischen Kirchentag in Berlin, gemeinsam mit mehr als 100000 Besuchern aus aller Welt. Und auch die Mehrzahl ihrer Konzerte fand in Kirchen statt. Egal ob in kleineren Städten wie Aschaffenburg, Neuenbürg und Recklingshausen oder Metropolen wie Hamburg – das Schauspiel war überall ähnlich: Die Kirchen waren bis auf den letzten Platz besetzt, die Zuschauer vollends begeistert, die Standing Ovations nach dem letzten Takt beinahe schon obligatorisch.
Auch die Presse berichtete von den Konzerten der Proud Nama Footprints. „Gesang und Tanz lassen Herzen hüpfen“ schrieb das „Main-Echo“, „Sie haben einfach Rhythmus im Blut“ das „Pforzheimer Echo“. Neben Dutzenden Zeitungsartikeln schlug das mediale Echo noch weitere Wellen: Für das Berliner Rundfunkprogramm „Radio Paradiso“ gingen die Sänger und Sängerinnen live on Air. Besonders beeindruckte die Proud Nama Footprints während ihres Aufenthalts in Berlin allerdings die Geschichte Deutschlands, die wohl an kaum einem anderen Ort so deutlich spürbar ist wie in der Landeshauptstadt. „Die Erzählungen über den Weltkrieg waren für mich bisher immer schwer zu begreifen – bis ich die Schusslöcher in der Berliner Mauer gesehen habe“, schreibt einer der Sänger im Anschluss.
Abseits der großen Metropolen reisten die Proud Nama Footprints auch durch Landschaften, die in keinem größeren Kontrast zu ihrem Heimatdorf stehen könnten: Eine Schifffahrt führte sie über den Rhein, eine Wanderung durch den Schwarzwald. Für Sänger Jeremias Garoeb waren es einige der schönsten Eindrücke der Reise: „Ich mag die Wälder in Deutschland wirklich sehr“, erzählt er. „Es ist alles so schön grün hier.“ Weiß wurde es dann in den Bergen. In dicke Winterjacken gehüllt machten sich die Proud Nama Footprints auf den Weg auf die Zugspitze, um mitten im deutschen Sommer Schnee zu sehen – zum ersten Mal in ihrem Leben.
Zurück am Kalahari-Rand
Ein Zuhause auf Zeit fanden die Proud Nama Footprints während ihrer Tournee bei Gastfamilien in ganz Deutschland. Sowohl für die Gastgeber, als auch für die Chormitglieder waren die gemeinsamen Tage eine eindrucksvolle Erfahrung. Nicht selten flossen bei den Abschieden Tränen. „Es war für alle eine sehr intensive Zeit mit vielen tollen Begegnungen und Gesprächen“, schreibt Angelika Gleich in einem Rundbrief nach dem Abschluss der Konzertreise. „Wir haben alle voneinander gelernt und verstehen einander besser.“
Seit Ende Juni sind die Sänger und Sängerinnen nun wieder in ihrem Alltag in Hoachanas angekommen. Einige von ihnen lernen, um ihren Schulabschluss nachzuholen, andere kümmern sich um ihren Nachwuchs. Immanuel verfolgt währenddessen weiterhin seinen Traum, ein Jugendzentrum in Hoachanas aufzubauen. Der Name der Jugendgruppe ist zugleich auch das Motto, dem alle Chormitglieder der Proud Nama Footprints und ihre Unterstützer seit der Gründung des Chores folgen: „Khoeba-Gus“ – wir r sind füreinander da.
Weitere Termine, Informationen und Impressionen zum Hoachanas Children Fund sowie den aktuellen Projekten gibt's im Internet (www.hoachanas.de).
Von Annika Brohm, Aschaffenburg
Deutsch hat er nie gelernt. Und dennoch kündigt Immanuel Kauena die Lieder der Proud Nama Footprints Konzert für Konzert beinahe akzentfrei an, erklärt die Bedeutung der Texte für die Zuschauer, denen seine Muttersprache Khoe Khoe Gowab ebenso fremd ist wie ihm die deutsche Sprache. Der 28-Jährige ist der Leiter des Chors aus Hoachanas, dem kleinen Ort nordöstlich von Mariental, am Rande der Kalahari. Im Sommer dieses Jahres tourten die zehn Sänger und Sängerinnen aus Namibia durch ganz Deutschland. Die abschließende Bilanz: 13 Konzerte, mehr als 5000 Zuschauer, unzählige Begegnungen in Kindergärten und vielen Schulen. Ihre Reise führte die Proud Nama Footprints vom Rhein-Main-Gebiet über Metropolen wie Berlin, Stuttgart, Köln und Hamburg bis in den tiefen Süden des Landes. Organisiert und ermöglicht wurde die Tournee der Proud Nama Footprints von dem Hoachanas Children Fund, einer Unterabteilung der Deutsch-Namibischen Gesellschaft (DNG).
Musik und Tanz als Rettungsanker
Siebzehn Jahre ist es nun her, da gründete Angelika Gleich nach dem Besuch eines Gottesdienstes in Hoachanas die gemeinnützige Initiative. Die Zahl der Patenschaften und Projekte wächst seitdem stetig: Etwa 300 Kinder und Jugendliche werden derzeit durch die Stiftung unterstützt, darunter auch Immanuel. „Er war eines der ersten zehn ersten Patenkinder, die ich im Jahr 2000 aufgenommen habe“, erinnert sich Angelika Gleich. Ein Waise war er nicht, und doch konnten sich seine Eltern – die Mutter im fernen Windhoek, der Vater im noch ferneren Botswana – nicht um ihn kümmern. Damals, mit elf Jahren, musste er deshalb nicht nur sich selbst, sondern auch seinen jüngeren Bruder, seinen Cousin und seine Cousine versorgen. „Ein hartes Leben“, sagt Gleich rückblickend. Bereits während seiner Jugend war es die Musik, die Immanuel den nötigen Halt gab: Nach der 10. Klasse schlug er sich als Sänger in mehreren Chören durch, ging nebenbei verschiedenen Aushilfsjobs nach. In den letzten Jahren folgten Workshops in ganz Namibia. Unzählige Lieder hat Immanuel dafür getextet, komponiert und mit den Sängern einstudiert. Seit dem vergangenen Jahr arbeitet er als Leiter der Jugendgruppe Khoeba-Gus für den Hoachanas Children Fund. Zehn Mitglieder dieser Jugendgruppe waren als Proud Nama Footprints in Deutschland unterwegs.
„Die Liebe zur Musik ist es, die Proud Nama Footprints verbindet. Für die Sängerinnen und Sänger ist sie ein Ausdruck purer Lebensfreude“, erzählt Angelika Gleich. Mehr noch: Für sie ist Musik auch eine Möglichkeit, dem deutschen Publikum ihre jahrhundertealte Kultur näherzubringen. In Kostümen aus Springbockfell singen sie über die Zeiten, in denen die Nama als Nomaden durch den Südwesten Afrikas zogen; in traditioneller Kleidung präsentieren sie Lieder aus der Zeit, in der das Volk schließlich sesshaft wurde. Das letzte Kapitel ihrer Konzerte handelt, wie das Publikum von Immanuel erfährt, von den Herausforderungen der Moderne: In „Ti Mamas“ geht es um eine Mutter, die in ihrer Verzweiflung dem Alkohol verfällt. „#Goms tsî !aubasens“ thematisiert den Kampf gegen HIV und Aids und „Isabada“ die glückliche Heimkehr nach einer langen Suche nach Arbeit.
Es sind Herausforderungen, die in Hoachanas allgegenwärtig sind. Der Großteil der etwa 2500 Einwohner dieses Dorfes ist arbeitslos. Auch während ihrer Deutschland-Tournee setzten sich die Proud Nama Footprints mit diesen Herausforderungen auseinander: In Pforzheim besuchten die Chormitglieder eine Aids-Hilfe, in Stuttgart zeigte ihnen ein ehemaliger Obdachloser die „Schwabenmetropole“ von einer anderen Seite. „Ich dachte, es sind nur wir, die Hunger leiden müssen“, notiert ein Mitglied der Proud Nama Footprints, als Angelika Gleich sie bittet, ihre Eindrücke auf Notizzetteln in Herzform festzuhalten. „Aber hier gibt es auch Menschen, die leiden. Zum Beispiel die, die unter der Brücke leben müssen.“
Über das Wasser, durch die Wälder und „on Air“
Dass den Chormitgliedern neben der Musik auch der Glaube eine große Stütze ist, zeigt das Tourprogramm der Proud Nama Footprints. Unter dem Leitspruch „Du siehst mich“ feierten sie im Lutherjahr den Evangelischen Kirchentag in Berlin, gemeinsam mit mehr als 100000 Besuchern aus aller Welt. Und auch die Mehrzahl ihrer Konzerte fand in Kirchen statt. Egal ob in kleineren Städten wie Aschaffenburg, Neuenbürg und Recklingshausen oder Metropolen wie Hamburg – das Schauspiel war überall ähnlich: Die Kirchen waren bis auf den letzten Platz besetzt, die Zuschauer vollends begeistert, die Standing Ovations nach dem letzten Takt beinahe schon obligatorisch.
Auch die Presse berichtete von den Konzerten der Proud Nama Footprints. „Gesang und Tanz lassen Herzen hüpfen“ schrieb das „Main-Echo“, „Sie haben einfach Rhythmus im Blut“ das „Pforzheimer Echo“. Neben Dutzenden Zeitungsartikeln schlug das mediale Echo noch weitere Wellen: Für das Berliner Rundfunkprogramm „Radio Paradiso“ gingen die Sänger und Sängerinnen live on Air. Besonders beeindruckte die Proud Nama Footprints während ihres Aufenthalts in Berlin allerdings die Geschichte Deutschlands, die wohl an kaum einem anderen Ort so deutlich spürbar ist wie in der Landeshauptstadt. „Die Erzählungen über den Weltkrieg waren für mich bisher immer schwer zu begreifen – bis ich die Schusslöcher in der Berliner Mauer gesehen habe“, schreibt einer der Sänger im Anschluss.
Abseits der großen Metropolen reisten die Proud Nama Footprints auch durch Landschaften, die in keinem größeren Kontrast zu ihrem Heimatdorf stehen könnten: Eine Schifffahrt führte sie über den Rhein, eine Wanderung durch den Schwarzwald. Für Sänger Jeremias Garoeb waren es einige der schönsten Eindrücke der Reise: „Ich mag die Wälder in Deutschland wirklich sehr“, erzählt er. „Es ist alles so schön grün hier.“ Weiß wurde es dann in den Bergen. In dicke Winterjacken gehüllt machten sich die Proud Nama Footprints auf den Weg auf die Zugspitze, um mitten im deutschen Sommer Schnee zu sehen – zum ersten Mal in ihrem Leben.
Zurück am Kalahari-Rand
Ein Zuhause auf Zeit fanden die Proud Nama Footprints während ihrer Tournee bei Gastfamilien in ganz Deutschland. Sowohl für die Gastgeber, als auch für die Chormitglieder waren die gemeinsamen Tage eine eindrucksvolle Erfahrung. Nicht selten flossen bei den Abschieden Tränen. „Es war für alle eine sehr intensive Zeit mit vielen tollen Begegnungen und Gesprächen“, schreibt Angelika Gleich in einem Rundbrief nach dem Abschluss der Konzertreise. „Wir haben alle voneinander gelernt und verstehen einander besser.“
Seit Ende Juni sind die Sänger und Sängerinnen nun wieder in ihrem Alltag in Hoachanas angekommen. Einige von ihnen lernen, um ihren Schulabschluss nachzuholen, andere kümmern sich um ihren Nachwuchs. Immanuel verfolgt währenddessen weiterhin seinen Traum, ein Jugendzentrum in Hoachanas aufzubauen. Der Name der Jugendgruppe ist zugleich auch das Motto, dem alle Chormitglieder der Proud Nama Footprints und ihre Unterstützer seit der Gründung des Chores folgen: „Khoeba-Gus“ – wir r sind füreinander da.
Weitere Termine, Informationen und Impressionen zum Hoachanas Children Fund sowie den aktuellen Projekten gibt's im Internet (www.hoachanas.de).
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen