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Der Frieden an der Elfenbeinküste ist zerbrechlich

Auf den ersten Blick scheint die Elfenbeinküste all das zu haben, woran es in Afrika fehlt: Über der malerisch gelegenen Lagune von Abidjan thronen Hochhäuser und zumindest nach außen hin moderne Hotels. Nicht ohne Grund wurde die Wirtschaftsmetropole des Landes wegen seines kosmopolitischen Umfeldes und der Vergnügungsmeile "Rue Princesse" noch in den 1980er Jahren als "das Paris von Westafrika" gepriesen. Fast jedes größere Dorf hatte damals noch zumindest halbwegs passable Straßen und ausreichend Strom. Und in der neu aus dem Boden gestampften Hauptstadt Yamoussoukro errichte Gründervater Felix Houphouet-Boigny für mehr als 400 Millionen US-Dollar einen Nachbau des Petersdoms.

Der Niedergang kam plötzlich und schnell. Ein scharfer Rückgang des Kakaopreises, gekoppelt mit ungezügelten Staatsausgaben, führte dazu, dass das Sozialprodukt des westafrikanischen Landes zwischen 1970 und 1992 von 1300 auf 700 US$ pro Kopf abstürzte. Mit dem politischen Chaos, das 1993 auf den Tod Gründervater Houphouet-Boigny folgte, ging es immer weiter bergab. Seinen traurigen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung in dem blutigen, mehrmonatigen Bürgerkrieg, der Anfang letzten Jahres nach der umstrittenen Stichwahl um das Präsidentenamt zwischen dem damaligen Staatschef Laurent Gbagbo und seinem muslimischen Herausforderer Alasanne Ouattara ausbrach.

Am Ende konnte sich Ouattara nur dank der Waffenhilfe von Frankreich und der im Land stationierten UNO-Truppe gegen Gbagbo durchsetzen. Der frühere Geschichtsprofessor, der das Land zuvor zehn Jahre lang regiert hatte, wurde am 11. April verhaftet und Ende November an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überstellt, wo er nun auf seinen Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wartet.

Allerdings bleibt der Frieden ausgesprochen fragil: Dies liegt zum einen daran, dass beide Rivalen sowohl im Wahlkampf als auch danach offen die ethnische Karte gespielt und das bereits vorher in einen christlichen Süden und muslimischen Norden gespaltene Land dadurch weiter polarisiert hatten. Während etwa die Hälfte der Bevölkerung, insbesondere in Abidjan, fest an der Seite Gbagbos steht, stützt sich der neue Staatspräsident Ouattara auf seine muslimischen Anhänger aus dem Norden.
Ob Ouattara der versprochene Neuanfang und die angeblich von ihm angestrebte nationale Aussöhnung gelingen, ist keineswegs sicher: So hatten während der heftigen Kämpfe im letzten Jahr nicht nur die Milizen Gbagbos sondern auch viele Anhänger Ouattaras schwere Verbrechen begangen. Über 3000 Menschen kamen damals ums Leben; mehr als eine Million Ivorer flohen aus ihren Wohngebieten. Verschiedene Organisationen berichteten damals auch übereinstimmend von einem Massaker im noch heute anarchischen Westen der Elfenbeinküste, bei dem Kämpfer Ouattaras rund 800 Zivilsten ermordet haben sollen. Allerdings ist bislang noch kein einziger Parteigänger des neuen Präsidenten dafür zur Rechenschaft gezogen worden. Verfolgt wurden bislang ausschließlich Anhänger Gbagbos. "Schon deshalb klingen Ouattaras Versprechen, für ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen, eher hohl", meint Matt Wells von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.

Selbst der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) hat trotz vollmundiger Ankündigungen noch keine einzige Anklage gegen Ouattaras Soldaten erhoben. Dies soll sich nun ändern: Gerade erst haben die Richter der Anklagebehörde des ICC erlaubt, ihre Ermittlungen in der Elfenbeinküste über die blutigen fünf Monate nach den Wahlen hinaus auszuweiten. Zusätzlich soll nun der gesamte Machtkampf zwischen Regierung und Rebellen seit 2002 einer gründlichen Prüfung unterzogen werden. In diese Zeitspanne fallen auch viele Vorwürfe gegen die Anhänger des heutigen Präsidenten. Allerdings ist offen, ob der Strafgerichtshof bei seinen Ermittlungen wirklich auf die Kooperation Ouattaras zählen kann.

Dass es noch keine Verfahren gegen Soldaten des eigenen Lagers gibt, macht deutlich, dass Ouattara seine Miliz, der er seine Machtübernahme mitverdankt, offenbar ganz bewusst in Schutz nimmt. Genau damit hat er sich nun auch den Vorwurf der Siegerjustiz eingehandelt. Eine im September eingerichtete Kommission für Dialog, Wahrheit und Versöhnung gilt unter Beobachtern gemeinhin als Lackmustest für die Fähigkeit der verfeindeten Lager, die über die letzten zehn Jahre ständig größer gewordene Spaltung des Landes zu überwinden.

Immerhin hat das Land inzwischen nach mehr als zehn Jahren wieder ein gewähltes Parlament. Auch gibt es in der Kakaoindustrie erste Reformen, durch die viele der Kleinfarmer stärker am Gewinn beteiligen werden. Auch kehren erste Investoren vorsichtig zurück. Nachdem die Wirtschaft im letzten Jahr noch um mehr als 5% geschrumpft war, soll sie nach Schätzungen des IWF in diesem Jahr um fast 8% wachsen.

Für einen echten Aufschwung wird Ouattara jedoch die vom Krieg weitgehend ruinierte Wirtschaft des Landes völlig umbauen und von ihrer Abhängigkeit vom Kakao befreien müssen, zumal sich die Bevölkerung in den 50 Jahren seit der Unabhängigkeit des Landes auf 22 Millionen Menschen mehr als verfünffacht hat. Fast die Hälfte der Ivorer unter 35 Jahren besitzt keinen Job - und kein Auskommen. Kein Wunder, dass Abidjan heute als gefährlicher gilt als der nigerianische Moloch Lagos.

Viele Beobachter bleiben schon wegen der besorgniserregenden Entwicklungen im benachbarten Mali skeptisch. Viel werde darauf ankommen, so heißt es, ob die seit dem Sturz Gbagbos vor einem Jahr gemachten kleinen Fortschritte konsolidiert und das Rechtssystem aber auch das Militär stärker entpolitisiert werden können. Ein wenig gutes Omen ist sicherlich, dass die über 10000 Blauhelme der UNO das einst so friedliche und tolerante Land auf absehbare Zeit nicht verlassen sollen. Zu groß sind offenbar die Sorgen vor einem Wiederaufflammen der Gewalt.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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