Der Grenzgänger
Kilometer für Kilometer zum inneren Frieden
Von Annika Brohm, Windhoek
Als er endlich ankam, den Sand unter den Füßen und den Geruch der salzigen Luft in der Nase, fiel alle Last von ihm ab. 65 Tage und 300 km lagen hinter ihm; sein Weg führte ihn entlang der Küste Namibias von Lüderitz nach Swakopmund. „Das erste Mal in meinem Leben war ich mir ohne jeglichen Zweifel sicher, dass es richtig ist, was ich tue“, erzählt Chad Wratten. Noch immer steigen ihm, dem unverletzbar wirkenden Hünen, die Tränen in die Augen, wenn er sich an diesen Moment erinnert. „Auf einmal schien all die Verantwortung, die das Leben mit sich bringt, gar nicht mehr so schlimm zu sein.“
Ein Mann voller Gegensätze
Der gebürtige Südafrikaner Wratten - Gründer des Cardboard Box-Hostels in Windhoek - ist ein Mann der Extreme. Er ist gerne unter Menschen, doch ebenso liebt er die einsame Stille. Er wirkt stark und unerschütterlich, doch seine zerbrechliche Seite kann und will er nicht verbergen. Es war der Tod seines geliebten Vaters, der Wratten vor einigen Jahren aus der Bahn geworfen hatte. Seine Mutter war schon vor langer Zeit verstorben, Geschwister hat er keine. Auf einmal stand er vor Fragen, die ihm niemand beantworten konnte. „Im Leben verlassen wir uns viel zu sehr auf andere Menschen“, sagt Wratten. „Dabei können wir uns nur dann weiterentwickeln, wenn wir uns selbst dazu entscheiden.“ Kurzerhand schnürt er seine Wanderschuhe, schiebt all seine Zweifel beiseite und macht sich gemeinsam mit seinen Hunden Kuiseb und Hagler auf die Suche nach Antworten. Das war 2010, vor seiner Wanderung entlang der namibischen Küste. Heute, sieben Jahre später, will er erneut an seine Grenzen gehen - zum mittlerweile vierten Mal.
Zum Wandern inspiriert wurde Wratten von dem US-Amerikaner Steve Vaught, der sich selbst „Fat man walking“ nennt und 2005 quer durch die Vereinigten Staaten wanderte. Einerseits, um Gewicht zu verlieren; andererseits aber auch, um „die Kontrolle über sein Leben wiederzugewinnen“. Beides ist Vaught gelungen: Entlang des Weges nahm er 50 kg ab, gleichzeitig fand er zurück zu seinem Seelenfrieden. Eine Erfahrung, die auch Wratten gemacht hat: „Die physische und die seelische Gesundheit eines Menschen sind untrennbar miteinander verbunden“, erzählt er und zeigt dabei auf sein Herz. Der Schriftzug „Chadmanwalking“ ist an dieser Stelle auf seinem Hemd eingestickt. Darunter ist ein Mann mit einem Wanderstab abgebildet, der dem Sonnenuntergang entgegenläuft. Wratten ist das afrikanische Äquivalent zu Pionier Steve Vaught geworden - auch wenn der Gewichtsverlust für ihn nur ein positiver Nebeneffekt ist. Vielmehr steht für ihn das Leben im Einklang mit der Natur im Vordergrund. „Man fängt an, nach dem Rhythmus der Sonne zu Leben“, erklärt Wratten. „Das Leben in der Natur ist simpel, aber unglaublich schön.“
Unterwegs mit einem Freigeist
Wenn der „Chadmanwalking“ im Mai die nächste Route vom Hoanib bis zum Kunene in Angriff nimmt, dann tut er das nicht alleine. Diesmal begleitet ihn neben seinem Hund Kuiseb auch sein guter Freund Stephen van der Schyff, ein Künstler aus Salt Rock an der Küste Südafrikas. Entlang des Weges möchte van der Schyff zeichnen und die Reise der beiden Freunde so in Form von Gemälden festhalten. Ausgestellt werden diese im Juli in Swakopmund. „Stephen ist ein richtiger Freigeist“, erzählt Wratten und beginnt zu lächeln. „Er hat sich schon immer sehr für meine Reisen interessiert.”
Jeden Tag möchten sich die beiden noch vor Sonnenaufgang auf den Weg machen und bis zur Tagesmitte etwa 20 der insgesamt 300 km zurücklegen - vorausgesetzt, sie werden nicht von Launen der Natur wie etwa Sandstürmen aufgehalten. „Jeder Tag ist unterschiedlich dort draußen, alles befindet sich in einem ständigen Wandel“, erzählt der „Chadmanwalking“; die Freude auf sein nächstes Abenteuer ist ihm dabei deutlich anzusehen. „Es ist ein Privileg, den Tag damit verbringen zu können, durch die wunderschöne Landschaft Namibias zu wandern.”
Noch etwas unterscheidet diese Wanderung von den vorherigen: Wratten widmet sie dem Schutz der Giraffen. Alle Spenden, die der „Chadmanwalking“ und van der Schyff mit Hilfe ihrer Tour und der nachfolgenden Kunstausstellung sammeln können, sollen zur Unterstützung des Giraffenschutzverbandes verwendet werden. Fragt man Wratten, warum er sich gerade dafür einsetzen möchte, nimmt seine sonst immerzu freundliche Mine ernstere Züge an. „Mir ist es wichtig, etwas für die Giraffen zu tun, bevor es zu spät dafür ist”, erklärt er.
Die Hilfe wird tatsächlich dringend benötigt: Während die Bestände in Namibia mit 12000 Tieren weitestgehend stabil sind, sinken die Zahlen innerhalb des gesamten Kontinents rasend schnell. In freier Wildbahn leben aktuell nur noch weniger als 100000 Giraffen. Das entspricht einem Rückgang von etwa 40 Prozent innerhalb der vergangenen drei Jahrzehnte. Im Dezember vergangenen Jahres wurde die Giraffe deshalb von der Weltnaturschutzunion (IUCN) als „gefährdet“ eingestuft - die bereits zweite von vier Bedrohungsstufen. „Mir war lange nicht bewusst, dass Giraffen in solcher Gefahr sind”, erzählt Wratten. „Neben Springböcken und Straußen sind sie es, die mich auf meinen Wanderungen am häufigsten begleiten.“ Aus diesem Grunde liegen ihm die Langhälse besonders am Herzen. „Außerdem, ganz ehrlich: Sie sind doch einfach wunderschön“, fügt Wratten mit einem Augenzwinkern hinzu.
Den Sternenhimmel im Blick
Für die Zukunft wünscht sich Wratten, dass noch mehr Menschen in Namibia von der positiven Wirkung des Wanderns profitieren können - sowohl Touristen, als auch Einheimische. Während das Zurücklegen weiter Strecken, sei es aus spirituellen oder gesundheitlichen Gründen, in anderen Ländern immer beliebter wird, ist Wandern hier außerhalb von Gebieten wie dem Daan-Viljoen- oder dem Namib-Naukluft-Park noch immer eine Seltenheit. „Mein Traum ist es, geführte Wandertouren in den ,wilden‘ Gegenden des Landes anzubieten“, erzählt Wratten. „Wir könnten tagsüber wandern und nachts unter dem Sternenhimmel Namibias übernachten.“
Konkrete Formen werden diese Pläne allerdings voraussichtlich erst im nächsten Jahr annehmen. Zunächst möchte er sich auf seine „private“ Wanderung von Fluss zu Fluss konzentrieren. Es wird sicher nicht die letzte dieser Art sein, wie der „Chadmanwalking“ erzählt: „Das Wandern tut mir seelisch und körperlich so gut, dass ich damit ich weitermachen möchte, solange ich kann“, sagt Wratten - und da ist es wieder, das für ihn so typische Spitzbubenlächeln. „Der Frieden, den ich in der Natur finde, ist unbeschreiblich. Das möchte ich um keinen Preis missen.“
Den Countdown bis zur nächsten Wanderung des „Chadmanwalking“ kann man auf seinem Blog (www.chadmanwalking.com ) verfolgen. Weitere Informationen zur Unterstützung des Giraffenschutzprojektes sind auch unter www.giraffeconservation.org zu finden.
Als er endlich ankam, den Sand unter den Füßen und den Geruch der salzigen Luft in der Nase, fiel alle Last von ihm ab. 65 Tage und 300 km lagen hinter ihm; sein Weg führte ihn entlang der Küste Namibias von Lüderitz nach Swakopmund. „Das erste Mal in meinem Leben war ich mir ohne jeglichen Zweifel sicher, dass es richtig ist, was ich tue“, erzählt Chad Wratten. Noch immer steigen ihm, dem unverletzbar wirkenden Hünen, die Tränen in die Augen, wenn er sich an diesen Moment erinnert. „Auf einmal schien all die Verantwortung, die das Leben mit sich bringt, gar nicht mehr so schlimm zu sein.“
Ein Mann voller Gegensätze
Der gebürtige Südafrikaner Wratten - Gründer des Cardboard Box-Hostels in Windhoek - ist ein Mann der Extreme. Er ist gerne unter Menschen, doch ebenso liebt er die einsame Stille. Er wirkt stark und unerschütterlich, doch seine zerbrechliche Seite kann und will er nicht verbergen. Es war der Tod seines geliebten Vaters, der Wratten vor einigen Jahren aus der Bahn geworfen hatte. Seine Mutter war schon vor langer Zeit verstorben, Geschwister hat er keine. Auf einmal stand er vor Fragen, die ihm niemand beantworten konnte. „Im Leben verlassen wir uns viel zu sehr auf andere Menschen“, sagt Wratten. „Dabei können wir uns nur dann weiterentwickeln, wenn wir uns selbst dazu entscheiden.“ Kurzerhand schnürt er seine Wanderschuhe, schiebt all seine Zweifel beiseite und macht sich gemeinsam mit seinen Hunden Kuiseb und Hagler auf die Suche nach Antworten. Das war 2010, vor seiner Wanderung entlang der namibischen Küste. Heute, sieben Jahre später, will er erneut an seine Grenzen gehen - zum mittlerweile vierten Mal.
Zum Wandern inspiriert wurde Wratten von dem US-Amerikaner Steve Vaught, der sich selbst „Fat man walking“ nennt und 2005 quer durch die Vereinigten Staaten wanderte. Einerseits, um Gewicht zu verlieren; andererseits aber auch, um „die Kontrolle über sein Leben wiederzugewinnen“. Beides ist Vaught gelungen: Entlang des Weges nahm er 50 kg ab, gleichzeitig fand er zurück zu seinem Seelenfrieden. Eine Erfahrung, die auch Wratten gemacht hat: „Die physische und die seelische Gesundheit eines Menschen sind untrennbar miteinander verbunden“, erzählt er und zeigt dabei auf sein Herz. Der Schriftzug „Chadmanwalking“ ist an dieser Stelle auf seinem Hemd eingestickt. Darunter ist ein Mann mit einem Wanderstab abgebildet, der dem Sonnenuntergang entgegenläuft. Wratten ist das afrikanische Äquivalent zu Pionier Steve Vaught geworden - auch wenn der Gewichtsverlust für ihn nur ein positiver Nebeneffekt ist. Vielmehr steht für ihn das Leben im Einklang mit der Natur im Vordergrund. „Man fängt an, nach dem Rhythmus der Sonne zu Leben“, erklärt Wratten. „Das Leben in der Natur ist simpel, aber unglaublich schön.“
Unterwegs mit einem Freigeist
Wenn der „Chadmanwalking“ im Mai die nächste Route vom Hoanib bis zum Kunene in Angriff nimmt, dann tut er das nicht alleine. Diesmal begleitet ihn neben seinem Hund Kuiseb auch sein guter Freund Stephen van der Schyff, ein Künstler aus Salt Rock an der Küste Südafrikas. Entlang des Weges möchte van der Schyff zeichnen und die Reise der beiden Freunde so in Form von Gemälden festhalten. Ausgestellt werden diese im Juli in Swakopmund. „Stephen ist ein richtiger Freigeist“, erzählt Wratten und beginnt zu lächeln. „Er hat sich schon immer sehr für meine Reisen interessiert.”
Jeden Tag möchten sich die beiden noch vor Sonnenaufgang auf den Weg machen und bis zur Tagesmitte etwa 20 der insgesamt 300 km zurücklegen - vorausgesetzt, sie werden nicht von Launen der Natur wie etwa Sandstürmen aufgehalten. „Jeder Tag ist unterschiedlich dort draußen, alles befindet sich in einem ständigen Wandel“, erzählt der „Chadmanwalking“; die Freude auf sein nächstes Abenteuer ist ihm dabei deutlich anzusehen. „Es ist ein Privileg, den Tag damit verbringen zu können, durch die wunderschöne Landschaft Namibias zu wandern.”
Noch etwas unterscheidet diese Wanderung von den vorherigen: Wratten widmet sie dem Schutz der Giraffen. Alle Spenden, die der „Chadmanwalking“ und van der Schyff mit Hilfe ihrer Tour und der nachfolgenden Kunstausstellung sammeln können, sollen zur Unterstützung des Giraffenschutzverbandes verwendet werden. Fragt man Wratten, warum er sich gerade dafür einsetzen möchte, nimmt seine sonst immerzu freundliche Mine ernstere Züge an. „Mir ist es wichtig, etwas für die Giraffen zu tun, bevor es zu spät dafür ist”, erklärt er.
Die Hilfe wird tatsächlich dringend benötigt: Während die Bestände in Namibia mit 12000 Tieren weitestgehend stabil sind, sinken die Zahlen innerhalb des gesamten Kontinents rasend schnell. In freier Wildbahn leben aktuell nur noch weniger als 100000 Giraffen. Das entspricht einem Rückgang von etwa 40 Prozent innerhalb der vergangenen drei Jahrzehnte. Im Dezember vergangenen Jahres wurde die Giraffe deshalb von der Weltnaturschutzunion (IUCN) als „gefährdet“ eingestuft - die bereits zweite von vier Bedrohungsstufen. „Mir war lange nicht bewusst, dass Giraffen in solcher Gefahr sind”, erzählt Wratten. „Neben Springböcken und Straußen sind sie es, die mich auf meinen Wanderungen am häufigsten begleiten.“ Aus diesem Grunde liegen ihm die Langhälse besonders am Herzen. „Außerdem, ganz ehrlich: Sie sind doch einfach wunderschön“, fügt Wratten mit einem Augenzwinkern hinzu.
Den Sternenhimmel im Blick
Für die Zukunft wünscht sich Wratten, dass noch mehr Menschen in Namibia von der positiven Wirkung des Wanderns profitieren können - sowohl Touristen, als auch Einheimische. Während das Zurücklegen weiter Strecken, sei es aus spirituellen oder gesundheitlichen Gründen, in anderen Ländern immer beliebter wird, ist Wandern hier außerhalb von Gebieten wie dem Daan-Viljoen- oder dem Namib-Naukluft-Park noch immer eine Seltenheit. „Mein Traum ist es, geführte Wandertouren in den ,wilden‘ Gegenden des Landes anzubieten“, erzählt Wratten. „Wir könnten tagsüber wandern und nachts unter dem Sternenhimmel Namibias übernachten.“
Konkrete Formen werden diese Pläne allerdings voraussichtlich erst im nächsten Jahr annehmen. Zunächst möchte er sich auf seine „private“ Wanderung von Fluss zu Fluss konzentrieren. Es wird sicher nicht die letzte dieser Art sein, wie der „Chadmanwalking“ erzählt: „Das Wandern tut mir seelisch und körperlich so gut, dass ich damit ich weitermachen möchte, solange ich kann“, sagt Wratten - und da ist es wieder, das für ihn so typische Spitzbubenlächeln. „Der Frieden, den ich in der Natur finde, ist unbeschreiblich. Das möchte ich um keinen Preis missen.“
Den Countdown bis zur nächsten Wanderung des „Chadmanwalking“ kann man auf seinem Blog (www.chadmanwalking.com ) verfolgen. Weitere Informationen zur Unterstützung des Giraffenschutzprojektes sind auch unter www.giraffeconservation.org zu finden.
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Allgemeine Zeitung
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