Der Himmel über der Namib
Das Salat-Buffet und das Braaivleis sind hervorragend, doch Trevor Gould hat den ganzen Abend noch nichts davon angerührt. "Ein tolles Abendessen kann ich jeden Tag haben, aber nicht jede Nacht hab ich so einen unglaublichen Sternenhimmel über mir", sagt der Astronom, ohne von seinem Teleskop aufzublicken. Gould steht mitten im Nirgendwo, am Rand der Namib-Wüste, wo die Mitarbeiter der Sossusvlei Lodge ein Buschmann-Dinner für die Teilnehmer der astronomischen Fachkonferenz organisiert haben, die sich eine Woche lang in der Lodge eingemietet hatten.
Während der Großteil der Gruppe den letzten gemeinsamen Abend an den festlich geschmückten Tischen ausklingen lässt, reichlich vom südafrikanischen Rotwein verzehrt und zu den Klängen der Swakopmunder Bands Trio Feminale und Namib Marimbas ums Lagerfeuer tanzt, hat sich Gould mit seinem Teleskop in die Stille und Dunkelheit auf der anderen Seite eines kleinen Hügels verzogen. Der Mond ist an diesem Abend bereits untergegangen: ideale Beobachtungsbedingungen. Der Astronom aus Südafrika steht die ganze Zeit nur da und schaut durch das Okular, genießt den direkten Blick auf die Wunder des Universums, die er sonst meist nur theoretisch von seinem Schreibtisch aus, mithilfe von Computersimulationen und Zahlenmaterial erforschen kann.
Doch wie hat es Trevor Gould und seine Kollegen überhaupt nach Namibia verschlagen?
Anlass für ihr Treffen ist der 70. Geburtstag des australischen Astronomen Ken Freeman im August dieses Jahres. Freeman ist unter Astronomen eine Art Superstar - auf sein Konto gehen unzählige wissenschaftliche Veröffentlichungen. Sein Spezialgebiet ist die Entstehung des Universums: Wie konnten sich aus dem Nichts die ersten Sterne bilden? Wie verändern sich die heißen Gaswolken, die zusammenklumpen und so in ihrem Inneren neue Sterne gebären, die sich zu Sternenhaufen und Galaxien verbinden? Wo ist unser Platz zwischen all diesen gewaltigen Kräften?
Freeman war der erste Astronom, der eine Erklärung dafür fand, dass die Sterne in einer Galaxie überhaupt zusammenbleiben, und nicht aufgrund der immensen Energien einfach auseinandergesprengt werden. Es muss dort noch mehr Materie geben, die man mit unseren Augen nicht sehen kann - sogenannte "Dunkle Materie". Heute weiß man, dass mehr als 80 Prozent des Universums aus diesem geheimnisvollen Stoff bestehen, der die anderen Sterne anzieht und so die Galaxien beieinanderhält.
Ein vielleicht noch viel größerer Verdienst als diese Entdeckung ist jedoch die Mühe, die Freeman sich mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs macht: In seinem Forscherleben führte er fast 60 Studenten zu ihrem Doktortitel, so viel wie kaum ein anderer Professor. Dieser Arbeit verdankt es der sympathische ältere Herr, dass er heute über ein großes Netzwerk von Forscherkollegen verfügt, die überall auf der Welt in angesehenen Positionen arbeiten. "Alle, die jetzt nach Namibia gekommen sind, haben früher einmal mit Ken zusammengearbeitet oder bei ihm promoviert", erklärt der Astronom David Block aus Südafrika, der die Konferenz organisiert hat. "Wir sind alle eine große Familie und freuen uns, dass wir uns jetzt wiedersehen." Dass sich die Wissenschaftler dafür einen so besonderen Ort wie Namibia ausgesucht haben, hat inzwischen schon eine kleine Tradition: "Zu Kens 60. Geburtstag gab es auch schon eine solche Tagung. Damals haben wir auf einer kleinen Insel mitten im Great Barrier Reef gefeiert", sagt Block fröhlich.
Für das Tourismus-Unternehmen Namibia Individual Travel aus Swakopmund war der Besuch der Astronomen jedenfalls eine echte Herausforderung. Nachdem David Block, der sie von früheren Ausflügen nach Namibia kannte, sie beauftragt hatte, hatten Andrew Bassingthwaighte und Franzpeter Ackermann zwei Jahre lang gut zu tun: die Lodge aussuchen, die Flüge aus aller Welt nach Namibia buchen, den Transport von Windhoek organisieren und schließlich auch individuelle Anschlusstouren planen, die die Astronomen nach Ende der Konferenz unternehmen wollten.
Als es dann im Reisebus zurück nach Windhoek gehen soll, bricht doch noch ein wenig Chaos aus: Wer fährt jetzt schon mit zum Flughafen, und wer ist noch beim Ausflug zum Hess-Teleskop in der Nähe vom Gamsberg dabei? Wie viele Astronomen sind es denn nun eigentlich insgesamt? Haben wir nichts in der Lodge vergessen? Zum Schluss fehlen noch eine Digitalkamera, die sich dann aber noch in einer Jacke anfindet, und eine Teilnehmerin aus China, die mit ihrem Rollkoffer über die staubige Straße dem Reisebus hinterherläuft. Busführer Johann versucht zu beschwichtigen: "Pauschal-Touristen sind wie Soldaten, denen nennt man eine Zeit, und die sind abmarschbereit. Ihr Astronomen seid einfach normale Menschen."
Zurück in der Namib-Wüste, beim Abschiedsabend. Eine Gruppe ehemaliger Studentinnen hat ein Geburtstagslied für Ken Freeman gedichtet und trägt es a capella vor. Die Refrain-Zeile "Sterne gucken mit Ken" schwebt durch die Nacht. Hinter dem Hügel schaut Trevor Gould noch immer durch sein Teleskop. Immer wieder pilgern andere Astronomen in kleinen Grüppchen vom Lagerfeuer zu ihm hinüber und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Direkt neben Gould steht Mary Williams, eine junge Astronomin aus Neuseeland, die inzwischen in Deutschland arbeitet. Sie hält ihre rechte Hand immer wieder über ihren linken Unterarm und vor ihr T-Shirt und beobachtet den Schatten, den das ungetrübte Licht der Milchstraße darauf wirft: "Wahnsinn, sowas hab ich noch nie gesehen. Ich wusste gar nicht, dass es das gibt." Für manche Wunder des Universums reicht eben kein Doktortitel in Astrophysik, sondern nur der klare Himmel über der Namib-Wüste.
Während der Großteil der Gruppe den letzten gemeinsamen Abend an den festlich geschmückten Tischen ausklingen lässt, reichlich vom südafrikanischen Rotwein verzehrt und zu den Klängen der Swakopmunder Bands Trio Feminale und Namib Marimbas ums Lagerfeuer tanzt, hat sich Gould mit seinem Teleskop in die Stille und Dunkelheit auf der anderen Seite eines kleinen Hügels verzogen. Der Mond ist an diesem Abend bereits untergegangen: ideale Beobachtungsbedingungen. Der Astronom aus Südafrika steht die ganze Zeit nur da und schaut durch das Okular, genießt den direkten Blick auf die Wunder des Universums, die er sonst meist nur theoretisch von seinem Schreibtisch aus, mithilfe von Computersimulationen und Zahlenmaterial erforschen kann.
Doch wie hat es Trevor Gould und seine Kollegen überhaupt nach Namibia verschlagen?
Anlass für ihr Treffen ist der 70. Geburtstag des australischen Astronomen Ken Freeman im August dieses Jahres. Freeman ist unter Astronomen eine Art Superstar - auf sein Konto gehen unzählige wissenschaftliche Veröffentlichungen. Sein Spezialgebiet ist die Entstehung des Universums: Wie konnten sich aus dem Nichts die ersten Sterne bilden? Wie verändern sich die heißen Gaswolken, die zusammenklumpen und so in ihrem Inneren neue Sterne gebären, die sich zu Sternenhaufen und Galaxien verbinden? Wo ist unser Platz zwischen all diesen gewaltigen Kräften?
Freeman war der erste Astronom, der eine Erklärung dafür fand, dass die Sterne in einer Galaxie überhaupt zusammenbleiben, und nicht aufgrund der immensen Energien einfach auseinandergesprengt werden. Es muss dort noch mehr Materie geben, die man mit unseren Augen nicht sehen kann - sogenannte "Dunkle Materie". Heute weiß man, dass mehr als 80 Prozent des Universums aus diesem geheimnisvollen Stoff bestehen, der die anderen Sterne anzieht und so die Galaxien beieinanderhält.
Ein vielleicht noch viel größerer Verdienst als diese Entdeckung ist jedoch die Mühe, die Freeman sich mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs macht: In seinem Forscherleben führte er fast 60 Studenten zu ihrem Doktortitel, so viel wie kaum ein anderer Professor. Dieser Arbeit verdankt es der sympathische ältere Herr, dass er heute über ein großes Netzwerk von Forscherkollegen verfügt, die überall auf der Welt in angesehenen Positionen arbeiten. "Alle, die jetzt nach Namibia gekommen sind, haben früher einmal mit Ken zusammengearbeitet oder bei ihm promoviert", erklärt der Astronom David Block aus Südafrika, der die Konferenz organisiert hat. "Wir sind alle eine große Familie und freuen uns, dass wir uns jetzt wiedersehen." Dass sich die Wissenschaftler dafür einen so besonderen Ort wie Namibia ausgesucht haben, hat inzwischen schon eine kleine Tradition: "Zu Kens 60. Geburtstag gab es auch schon eine solche Tagung. Damals haben wir auf einer kleinen Insel mitten im Great Barrier Reef gefeiert", sagt Block fröhlich.
Für das Tourismus-Unternehmen Namibia Individual Travel aus Swakopmund war der Besuch der Astronomen jedenfalls eine echte Herausforderung. Nachdem David Block, der sie von früheren Ausflügen nach Namibia kannte, sie beauftragt hatte, hatten Andrew Bassingthwaighte und Franzpeter Ackermann zwei Jahre lang gut zu tun: die Lodge aussuchen, die Flüge aus aller Welt nach Namibia buchen, den Transport von Windhoek organisieren und schließlich auch individuelle Anschlusstouren planen, die die Astronomen nach Ende der Konferenz unternehmen wollten.
Als es dann im Reisebus zurück nach Windhoek gehen soll, bricht doch noch ein wenig Chaos aus: Wer fährt jetzt schon mit zum Flughafen, und wer ist noch beim Ausflug zum Hess-Teleskop in der Nähe vom Gamsberg dabei? Wie viele Astronomen sind es denn nun eigentlich insgesamt? Haben wir nichts in der Lodge vergessen? Zum Schluss fehlen noch eine Digitalkamera, die sich dann aber noch in einer Jacke anfindet, und eine Teilnehmerin aus China, die mit ihrem Rollkoffer über die staubige Straße dem Reisebus hinterherläuft. Busführer Johann versucht zu beschwichtigen: "Pauschal-Touristen sind wie Soldaten, denen nennt man eine Zeit, und die sind abmarschbereit. Ihr Astronomen seid einfach normale Menschen."
Zurück in der Namib-Wüste, beim Abschiedsabend. Eine Gruppe ehemaliger Studentinnen hat ein Geburtstagslied für Ken Freeman gedichtet und trägt es a capella vor. Die Refrain-Zeile "Sterne gucken mit Ken" schwebt durch die Nacht. Hinter dem Hügel schaut Trevor Gould noch immer durch sein Teleskop. Immer wieder pilgern andere Astronomen in kleinen Grüppchen vom Lagerfeuer zu ihm hinüber und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Direkt neben Gould steht Mary Williams, eine junge Astronomin aus Neuseeland, die inzwischen in Deutschland arbeitet. Sie hält ihre rechte Hand immer wieder über ihren linken Unterarm und vor ihr T-Shirt und beobachtet den Schatten, den das ungetrübte Licht der Milchstraße darauf wirft: "Wahnsinn, sowas hab ich noch nie gesehen. Ich wusste gar nicht, dass es das gibt." Für manche Wunder des Universums reicht eben kein Doktortitel in Astrophysik, sondern nur der klare Himmel über der Namib-Wüste.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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