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Der Oktopus

Intelligenter Baumeister, Jäger und Veränderungskünstler
Claudia Reiter
Von Alexandra Stober, dpa

Berlin/Wien

Mit der Zunge riechen und greifen können, das klingt ziemlich praktisch. Vor allem, wenn man dieses Werkzeug gleich in achtfacher Ausführung hat - wie der Octopus vulgaris, die häufigste Tintenfisch-Art Europas. Mit seinen Armen, die er unabhängig voneinander steuern kann, bewegt sich der Gemeine Krake tastend und riechend etwa über den Boden des Mittelmeeres. Der 8. Oktober wird international ihm und allen anderen achtarmigen Tintenfischen gewidmet.

„Sie sind Ständig-Sucher und Ständig-Fresser“, sagt der Tintenfisch-Experte Daniel Abed-Navandi vom Haus des Meeres in Wien über Gemeine Kraken. Denn sie haben einen sehr hohen Stoffwechsel. Sie leben alleine in ihren Revieren, die 50 bis 100 Quadratmeter groß sein können. „Nicht weil sie so viel Platz zum Bewegen brauchen, sondern um genügend Nahrung zu finden“, erklärt der Biologe.

Beim Jagen von Krabben, Garnelen, Schnecken und Muscheln beweist der Krake, dass er verglichen mit anderen wirbellosen Tieren sehr intelligent ist. „Er kann antizipieren und besitzt Objektpermanenz“, sagt Abed-Navandi. Wenn er etwa eine Krabbe aufgeschreckt hat und diese sich deshalb hinter einem Stein versteckt, weiß der Krake, dass die Krabbe noch da ist. Und er wartet, bis sie wieder hervorkommt, oder versucht, sie in ihrem Versteck aufzustöbern.

„Verglichen mit anderen Wirbellosen wie Krebsen ist der Oktopus ein Super-Brain“, so der Biologe. „Er ist aber nicht das intelligenteste Meerestier.“ Grundsätzlich müsse man das Können eines Tieres immer in seinem Lebensraum bewerten - und sollte tierisches Verhalten auf keinen Fall mit dem des Menschen vergleichen.

Gemeine Kraken sind unzweifelhaft „echte Baumeister, die sich ihren Lebensraum zurechtbasteln“, erklärt Abed-Navandi. Da sie selbst weder eine Schale noch Knochen haben, schützen sie ihren weichen Körper mit Schalen von anderen Tieren wie Muscheln. So konstruieren sie daraus etwa Deckel für ihren selbstangelegten Bau oder ihre Höhle im Fels. „Da schaut dann ein Feind drauf, sieht die Schalen und versteht nicht, dass darunter ein Oktopus ist.“ Darüber hinaus können Kraken mit ihrem beweglichen Körper in winzige Lücken schlüpfen, jede Form annehmen und sogar andere Tiere nachahmen. Dazu trägt auch die Fähigkeit bei, ihre Haut optisch an ihre Umgebung anzupassen.

Bevor der Oktopus dieses Stadium als bauendes und jagendes Tier erreicht hat, gehört er nach dem Schlüpfen einige Wochen als winziges Tierchen zum Plankton - also zu den Lebewesen, die sich nicht selbst fortbewegen können, sondern vom Wasser treiben lassen. „Wir haben immer nur das Tier mit den acht Armen im Kopf, wenn wir an einen Oktopus denken. Für seine Verbreitung ist aber das Stadium als Paralarve im Plankton entscheidend“, erklärt Abed-Navandi. In dieser Zeit können die winzigen Oktopusse Hunderte Kilometer durchs Meer getrieben werden und sich in anderen Gegenden ansiedeln und fortpflanzen als ihre Eltern. Was gut für die genetische Vielfalt ist.

Oktopusse verbreiten ihre Gene tatsächlich nur einmal, am Ende ihres relativ kurzen Lebens, das ungefähr ein bis zwei Jahre dauert. Das Männchen riecht, wo ein Weibchen ist, das zur Fortpflanzung bereit ist. An einem seiner Arme hat der männliche Krake eine besondere Struktur, „vergleichbar mit einem Penis“, erklärt Abed-Navandi. Damit übergibt er ein klebriges Spermien-Paket. Und stirbt anschließend.

Die eigentliche Befruchtung im Körper übernimmt das Weibchen selbst, in einem ruhigen Moment, „wenn alles passt“. Nachdem es Hunderttausende Eier in einer Höhle abgelegt hat, bewacht das Weibchen diese ein bis zwei Monate. Währenddessen nimmt es keine Nahrung zu sich, „es fällt in sich zusammen, wird immer mehr zu einer Hülle“, beschreibt der Biologe. Sobald die jungen Kraken geschlüpft sind, stirbt auch das Weibchen. „‘Live fast, die young‘ - ist das Oktopus-Motto.“

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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